Читать книгу Paulus und die Anfänge der Kirche - Sabine Bieberstein - Страница 14
1.5.2
Eine aussergewöhnliche Erfahrung am Anfang
ОглавлениеIn seiner Pfingstgeschichte (Apg 2,1–13) erzählt Lukas, wie die von Jesus verheissene Geistausgiessung (Apg 1,8) sich realisierte: Die in Jerusalem versammelte Jesusgruppe wird am Pfingsttag von dieser Geistkraft erfüllt und verändert. Damit steht auch nach der Darstellung der Apostelgeschichte eine aussergewöhnliche Erfahrung am Anfang der Ausbreitung der Jesusbotschaft. Das Geschehen wird zunächst als ein hörbares Phänomen beschrieben, indem von einem Brausen wie von einem Sturm die Rede ist (Apg 2,2), es ist aber auch visuell erfahrbar: Es wird von Zungen wie von Feuer gesprochen, die sich auf alle verteilen (Apg 2,3). Und schliesslich ist die Wirkung auf die Anwesenden mehr als erstaunlich, denn alle reden nun in fremden Sprachen (Apg 2,4). Vielleicht hat Lukas in Apg 2,1–4 eine ältere Tradition verarbeitet, die von ekstatischen Erfahrungen erzählte, die zu einem geistgewirkten Zungenreden führten.15 Auch die Erscheinungstraditionen in 1 Kor 15,3–7 sprechen von aussergewöhnlichen Erfahrungen, von denen sich eine vor einer Gruppe von 500 Glaubensgeschwistern ereignet habe. Die johanneische Tradition spricht ebenfalls von einer Geistübermittlung durch den Auferstandenen am Ostertag (Joh 20,21–23). Zwar sind diese durchaus unterschiedlichen Traditionen keinesfalls in eins zu setzen; doch weisen sie auf aussergewöhnliche Erfahrungen der Jesusanhängerinnen und -anhänger bald nach |26| dem Tod Jesu hin, die sie als endzeitliche Ereignisse deuteten und in deren Folge sie sich, von neuer Kraft erfüllt, zur Verkündigung des Gekreuzigten und von Gott Auferweckten gesandt wussten.
Bei der erzählerischen Ausgestaltung jener Erfahrungen stehen prophetische Texte im Hintergrund, die für die Endzeit die Ausgiessung des Geistes erwarten und an die in der Pfingsterzählung angeknüpft wird (Joël 3,1–5; Jes 59,21; Ez 36,23–28; 39,29). Damit werden auch diese Jerusalemer Anfangsereignisse in den Horizont eschatologischer Erwartungen gestellt. Möglicherweise klingen auch Motive der Sinaioffenbarung an, wie eine Schrift des jüdischen Theologen und Philosophen Philo von Alexandria (geboren ca. 15/10 v. Chr.) über den Dekalog und speziell zu Ex 19,16 ff. nahelegen könnte:
«Eine Stimme ertönte darauf mitten aus dem vom Himmel herabkommenden Feuer […], indem die Flamme sich zu artikulierenden Lauten wandelte, die den Hörenden vertraut waren, wobei das Gesprochene so deutlich klang, dass man es eher zu sehen als zu hören glaubte.»16
Auch wenn bei den Augenzeugen des von Lukas gestalteten Sprachenwunders in der Pfingsterzählung an Jüdinnen und Juden aus der Diaspora gedacht ist, so klingt in den verschiedenen Sprachen, von denen hier die Rede ist, bereits die Ausbreitung der Christusbotschaft «bis an die Enden der Erde» (Apg 1,8) an, wie es die Apostelgeschichte im Anschluss erzählen und dabei auf Schritt und Tritt deutlich machen wird, wie sehr dieser Weg von eben dieser Geistkraft bewirkt und begleitet wird.