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|15| Von Jerusalem nach Antiochia – Die Zeit des Anfangs (SB) 1.1
Die Katastrophe des Karfreitags
ОглавлениеDer Tod Jesu am Kreuz hätte das Ende der Jesusbewegung sein können. Sowohl in römischer wie auch in jüdischer Perspektive musste Jesus als desavouiert, sein Anliegen als gescheitert gelten. Denn sein Tod war in römischer Perspektive der Tod eines Aufständischen, ein entwürdigender Sklaventod. Und in jüdischer Perspektive galt ein Gekreuzigter als von Gott verflucht (vgl. Dtn 21,22–23) – wenn er nicht als Märtyrer angesehen wurde, der wegen seines jüdischen Glaubens einen solchen Tod erlitten hatte,1 was die Mehrheit der zeitgenössischen Jüdinnen und Juden bei Jesus nicht so sah. Alles andere lag also näher, als ausgerechnet Jesus, der auf diese Weise ums Leben gebracht worden war, als Messias Gottes zu interpretieren und an seiner Botschaft festzuhalten.
Entsprechend gibt es in den neutestamentlichen Texten Anzeichen für einige Auflösungserscheinungen unter der Anhängerschaft Jesu nach dessen Kreuzestod. So spricht Mk 14,50–52 in drastischer Weise von der Flucht «aller» anlässlich der Verhaftung Jesu. Am Kreuz stehen nach dem Zeugnis des Markus- und Matthäusevangeliums weder die Zwölf noch andere herausragende Figuren der Anhängerschaft Jesu, sondern übrig geblieben ist allein eine Gruppe von Frauen, die zur Nachfolgegemeinschaft gehörte, unter ihnen an erster Stelle Maria aus Magdala (Mk 15,40 f.). Nach Lukas gibt es daneben noch eine Gruppe nicht näher bestimmbarer «Bekannter» (Lk 23,49), eine Notiz, die wohl der Aufnahme eines Motivs aus den Klagepsalmen (Pss 38,12; 88,9) geschuldet sein dürfte, bemerkenswerterweise aber die Zwölf nicht nennt. Einige Traditionen von Erscheinungen |16| des Auferstandenen sind in Galiläa lokalisiert (Mk 16,7; Mt 28,16–20; Joh 21). Dies alles spricht dafür, dass massgebliche Jünger nach der Verhaftung oder spätestens nach dem Tod Jesu Jerusalem verlassen haben und nach Galiläa zurückgekehrt sind.
Wir wissen heute, dass es nicht bei diesen Auflösungserscheinungen geblieben ist. Der Tod Jesu am Kreuz war nicht das Ende der Jesusbewegung. Die Anhängerinnen und Anhänger Jesu müssen vielmehr Erfahrungen gemacht haben, die sie zur Überzeugung brachten: Jesus aus Nazaret ist nicht im Tod geblieben, sondern Gott hat ihn auferweckt. Das bedeutete auch, dass all die Erfahrungen, die sie mit Jesus gemacht hatten, seine Worte, die sie überzeugt hatten, die Geschichten, die über ihn erzählt wurden, nicht hinfällig geworden waren, sondern ihre Überzeugungskraft behielten. Diese Erfahrungen machten aus der verstörten und verstreuten Gruppe der Jesusanhängerinnen und -anhänger eine kraftvolle Bewegung, die die Botschaft vom Gekreuzigten und von Gott Auferweckten in bemerkenswert kurzer Zeit über die Grenzen Judäas und Galiläas hinaus in weite Gebiete des Mittelmeerraumes verbreitete und rasch eine erstaunliche Zahl von Menschen für ihre Botschaft gewinnen konnte.
Exkurs
Menschen, die von Jesus in die Nachfolge gerufen wurden oder sich der Jesusbewegung angeschlossen haben, werden im Neuen Testament mit dem griechischen Wort mathetai bezeichnet. Es lässt sich verschieden übersetzen: als «Schüler, Schülerinnen» in Anlehnung an die rabbinische Tradition, als «Jünger, Jüngerinnen» nach gewohnterem kirchlichen Sprachgebrauch, als «Nachfolger, Nachfolgerinnen» oder auch «Anhänger, Anhängerinnen». Jedes deutsche Äquivalent macht jeweils andere Aspekte des griechischen Wortes sichtbar. Um einseitige Festlegungen zu vermeiden und den griechischen Begriff von möglichst vielen Seiten her zu beleuchten, verwenden wir in diesem Buch die genannten deutschen Übersetzungen nebeneinander. Wenn bisweilen von Freunden oder Freundinnen Jesu die Rede ist, ist dies vom Johannesevangelium inspiriert (Joh 15,15).
Eine besondere Gruppe innerhalb der Jünger- bzw. Anhängerschaft Jesu ist der Zwölferkreis. Er wird vor allem im Lukasevangelium und in der Apostelgeschichte mit den Aposteln gleichgesetzt. In den paulinischen Briefen dagegen werden darüber hinaus noch andere Menschen wie Junia, Andronikus (Röm 16,7) oder Paulus als Apostel bezeichnet.