Читать книгу Romantik an Rhein und Main - Sabine Gruber - Страница 9

Walter Scharwies Alzenau

Оглавление

Eine „Manifestation der Romantik“1 schuf um 1800 Gerard Marquis du Chasteler, als er an seinem Schloss Wasserlos den bestehenden „Lustgarten“2 in einen englischen Landschaftsgarten umgestalten ließ.3 Das etwa zur gleichen Zeit entstandene, durch eine kleine Allee angebundene Belvedere akzentuiert den westlichen Abschluss der Anlage und gestattet den Blick über die Landschaft des sich weit öffnenden Maintals bis Frankfurt [→ Frankfurt am Main] und darüber hinaus. Wenn es auch mittlerweile als Mahnmal für die Opfer der Weltkriege des 20. Jahrhunderts dient, so ist die einstige Funktion des als Pavillon bezeichneten Rundbaues noch gut erkennbar. Im Schloss und in modernen Zubauten befindet sich heute das Kreiskrankenhaus. Der umgebende Park überliefert mit dem um Bach und Teich führenden Wegenetz inmitten eines artenreichen alten Baumbestandes die Intentionen der in romantischem Verständnis entwickelten Gartenarchitektur.

Entstehungsjahr und Bauherrschaft des Schlosses sind ungewiss. Nach Veränderungen an bestehenden Gebäuden wählte 1767 Prinz Ludwig Eugen, der spätere Herzog von Württemberg, mit seiner Familie Wasserlos zum Wohnsitz. Zuvor hatte Ludwig Eugen, der in intensivem Briefwechsel mit Jean Jacques Rousseau (1712–1778) stand, am Genfer See gelebt.

Um 1795 trat Gerard du Chasteler das Erbe der aus den Niederlanden stammenden Mutter Katharina Elisabeth Marquise du Chasteler in Wasserlos an und gliederte dem Besitz das benachbarte Hofgut der freiherrlichen Familie von Hoheneck ein. Im September 1800 wurde im Schloss der Neffe des Marquis’, Johann Peter Cornelius (genannt Jean) d’Alquen (1800–1863), geboren. Neben Sonaten und Symphonien sind seine romantischen Liedvertonungen von Bedeutung.4 In der Folge erlebte das Schloss zweimal einen Eigentümerwechsel.5

„Luft und Wasser sind sehr gesund/:die Sterblichkeit in der ganzen Gegend auffallend gering:/die ganze Lage in physischer Beziehung höchst angenehm und reizvoll, wie in weiter Runde wohl nicht Eine […].“6 So beschreibt ein Verkaufsexposé vom 31. Oktober 1842 Schloss und Hofgut Wasserlos. Den Mittelpunkt bildet das zweiflügelige, drei Etagen hohe spätklassizistische Herrschaftshaus, „dessen sich kein Fürst zu schämen braucht“. „Ca. 18 Morgen vorzüglich schöner und fruchtbarer Gärten, theils holländischer, theils englischer Anlage mit anstoßenden kleinen Boskets, welche das Herrschaftshaus mit den sammtlichen Oekonomie-Gebäuden rund umgeben“ finden ebenso Erwähnung wie Schlosskapelle, Orangerie, Mühle, unmittelbar angrenzende Weinberge und umfangreicher Besitz im gesamten Raum Alzenau.


Schloss Wasserlos inmitten des englischen Landschaftsgartens (im Hintergrund erstreckt sich der Taunus mit dem Feldberg), Stich um 1850

Zwei Jahre lang stand die stattliche Immobilie zum Verkauf. Am 22. Februar 1845 kam ein Kaufvertrag zustande: Ludovika (auch Ludowika bzw. Ludovica) Freifrau von des Bordes, geborene Brentano von La Roche (1787–1854), wurde Schlossherrin im vorderen Spessart. Sie fand damit den gewünschten Wohnsitz in ländlicher Umgebung. Bei der Entscheidung musste sie sich offensichtlich gegen Adoptivtochter Meline und deren Mann Moritz Graf zu Bentheim-Tecklenburg-Rheda durchsetzen.7 Denn Schwester Gunda von Savigny (1780–1863) schickte ihr am Silvestertag 1847 aus Berlin anerkennende Worte: „Daß Waßerloß dir Freude bringt, ist gar schön und verdankst du großtentheils der Beharrlichkeit deines Willens.“8

Vermutlich knüpfte Bruder Christian (1784–1851) die Verbindungen zu den Erben des Preußischen Geheimen Finanzrates Johannes von Menz, der das Gut ab 1821 besaß. Zu diesen Erben gehörte Tochter Anna, die 1834 in Wasserlos mit dem Theologen Jakob Sengler (1799–1878) die Ehe schloss. Sengler und Christian Brentano kannten sich.9

Ludovika, als achtes Kind aus der zweiten Ehe des Kaufmanns Peter Anton Brentano (1735–1797) mit Maximiliane von La Roche (1756–1793) am 10. Januar 1787 in Frankfurt am Main geboren, führte über Jahrzehnte ein mondänes und zuweilen auch stürmisches Leben. Bettine von Arnim (1785–1859) äußerte sich 1821 über ihre Schwester: „ihre Kasten sind voll Toiletten Künste gepackt […]. Es ist ein Taillen messen, ein falsche Locken, Hauben, Hüte Korsett anprobieren, seit Lulu da ist“10. „Ihre Gaben sind um einiges reicher als die der Französinnen, die einen Namen haben“11, beschreibt der Völkerrechtler und Diplomat Georg Friedrich von Martens (1756–1821) Begegnungen mit Lulu in Paris. „Lulu ihrerseits ließ es nicht mit Festivitäten und sonstigen Allotria bewenden, sondern unterstützte auch die Brüder Grimm […].“12 Sie half in Finanziellen Dingen und lieferte Beiträge für die Märchensammlung.

Zwei Ehen mit Bankiers in Kassel und Paris vermehrten ihr ererbtes Vermögen noch erheblich. Die Zeiten der Salons und rauschender Feste ließ die Witwe hinter sich, als sie – aus Paris zurück – 1836 in der evangelisch dominierten Heimatstadt Frankfurt eine katholische Schule gründete.13

Ludovika, die sich selbst Lulu nannte, fügte ihrem in zweiter Ehe mit einem französischen Bankier erworbenen Familiennamen von des Bordes gerne „geborene Brentano von La Roche“ an. Sie befand sich im Einklang mit den Geschwistern, die auf die mütterliche Abstammung aus der musischen Familie von La Roche verwiesen.

1845 zog sie mit Meline, dem Grafen (wie sie den Schwiegersohn zu nennen pflegte14) und drei Enkelkindern auf Schloss Wasserlos ein. Ihr Lebensmittelpunkt lag nun ganz in der Nähe des Savigny’schen Hofgutes Trages [→ Trages] und des Wohnsitzes von Christian Brentano in Aschaffenburg [→ Aschaffenburg]. In Wasserlos erblickte Enkeltochter Antonia das Licht der Welt.

Die vierfache Großmutter erlebt in starker Hinwendung zum katholischen Glauben die vielleicht glücklichsten Jahre. Auch dem Schwiegersohn gefällt es hier, seine literarischen Veröffentlichungen belegen dies.15

Das vorgefundene Inventar des Schlosses gefiel übrigens den neuen Bewohnern nicht, denn aus einem Brief an Bruder Christian geht hervor, dass sie es zu seinen Gunsten verkaufte. Für dieses Geld wurde Christians Anwesen in Aschaffenburg erworben, ein Hauskauf, über den er – wie sie im nächsten Brief anweist – nicht sprechen soll.16

1852 widmete Christian der Schwester den vierten Band von Clemens Brentano’s Gesammelte Schriften. Der folgende Text verweist auf Lulus enge Verbindungen und Parallelen zum berühmten Dichter-Bruder:

Da hast auch Du das schöne Los erkoren, Mit Herz und Mund den Herrn im Lied zu grüßen In frommen Weisen, zeugend von dem Leben, Das reich und frisch Dir strömt in späten Tagen. 17

Lulu wagte in der Wasserloser Zeit mit dem Band Geistliche Lieder als Schriftstellerin den Weg in die Öffentlichkeit.18 Am 4. Februar 1853 berichtete sie ihrer Schwägerin Emilie (1810–1881), der Witwe von Christian: „Meine Gedichte […] seufzen nun auch unter der Presse, an das Pressen sind sie gewöhnt denn sie kommen aus meinem gepressten Herzen.“19

In Joseph von Eichendorffs Nachlass findet sich der Entwurf zu einer Rezension, worin er höchstes Lob für die in sieben Themenkreisen geordneten Dichtungen zum Ausdruck bringt. Er stellt die Veröffentlichung auf eine Stufe mit den Werken der Annette von Droste-Hülshoff (1797–1848).20

Lulu fühlte sich dem kirchlichen Leben in Wasserlos besonders verbunden. Ihre Schlosskapelle stand in Ermangelung einer Ortskirche für die Gottesdienste zur Verfügung und neben zahlreichen Spenden lieferte sie auch den Messwein aus eigenem Weingut. Im Testament bestimmte die Schlossherrin ihre Tochter zur Alleinerbin und verfügte gleichzeitig, dass zwei Stiftungen entstehen. Mit dem angehäuften Kapital ermöglichte die Stiftung zur Errichtung eines katholischen Gotteshauses den Rohbau der 1923 fertiggestellten Kuratiekirche.


Ludovika Freifrau von des Bordes, geborene Brentano von La Roche

Eine weitere Stiftung widmete sie den in Not geratenen Wasserloser Familien: „Für die Armen in Wasserlos 2000 fl [Gulden], welche ich besonders für Kranke und Reinigen der Wohnungen verwendet haben will.“21 Fast sieben Jahrzehnte konnte die Stiftung ihre soziale Aufgabe wahrnehmen.

Noch im gleichen Jahr, in dem die 276 Seiten starke Sammlung mit geistlichen Texten erschien, veröffentlichte Freifrau von des Bordes einen schmalen Band mit dem Titel Kinderlieder. In dem Gedicht Meine Enkel verdeutlicht die Schriftstellerin das Großmutterglück im Schloss:

Hör’ ich an der Thüre tupfen, Ruf’ ich rasch: Herein! Und durch ihre Angeln schlupfen Husch! vier Engelein. 22

Im Jahr 2002 ehrte die Stadt Alzenau im Zuge der Neugestaltung eines Platzes in der Ortsmitte des Stadtteils Wasserlos die einstige Schlossherrin. Der Bildhauer Theophil Steinbrenner stellt sie in dem aus Bronze und Mainsandstein gefertigten Brunnen als Autorin der „Kinderlieder“ dar.

1854 starb Freifrau des Bordes. Die Beisetzung erfolgte in der von ihr miterworbenen Familiengruft auf dem Altstadtfriedhof Aschaffenburg, ganz nahe bei dem so geliebten und verehrten Bruder Clemens.

1 Raimund Borgmeier: Der englische Garten – eine frühe Manifestation der Romantik. In: Gießener Universitätsblätter 42/2009, S. 39f.

2 In einem Rechtsstreit Ende der 1780er-Jahre findet der Lustgarten des „freiadeligen Gutes Wasserlos“ Erwähnung. (Hessisches Staatsarchiv Darmstadt – HStAD – Best. F 1 Nr. 82/2).

3 Joh. Wilh. Christ. Steiner: Geschichte und Topographie des Freigerichts Wilmundsheim vor dem Berge oder Freigerichts Alzenau, M. I. Wailandt’s Wittib. Aschaffenburg 1820, S. 194f.

4 Jean war der Spross eines kurmainzischen Beamten aus dem nahen Seligenstadt und der aus Maastricht stammenden Mutter. Er studierte Medizin und Musik und stand im engen Kontakt mit dem Volksliedforscher Zuccalmaglio. Siehe hierzu: Vincenz Jakob von Zuccamaglio: Dr. d’Alquen, geb. am 17. September 1800, gest. am 27. November 1863, zu Mühlheim a. Rh., Lucas, Elberfeld 1864; siehe auch Stefan Reis: Der Anonymus der deutschen Musikgeschichte. In: Main-Echo, Tageszeitung, Aschaffenburg 09.09.2010.

5 Von 1812 bis 1821 gehörte das Hofgut Viktor Amadeus Landgraf von Hessen-Rothenburg. Dieser besitzt für die Romantik-Forschung insoweit Bedeutung, als die im Wesentlichen auf seine Sammlung zurückgehende 73.000 Bände umfassende Bibliothek im Schloss Corvey (Westfalen) einen außergewöhnlichen Einblick in die Epoche von 1790 bis in die 1830er-Jahre vermittelt. Siehe hierzu: Günter Tiggesbäumker: Die Fürstliche Bibliothek zu Corvey. Westfälische Kunststätten, Heft 71. Paderborn 1994.

6 Stadtarchiv Alzenau (StA Alz.) W 385.

7 1838 hatte Freifrau von des Bordes das erst kurz zuvor erworbene ehemalige Kloster Marienberg bei Boppard verkauft, da es Graf Bentheim „zum sterben traurig gelegen“ fand. Hartwig Schultz: Ludovica von des Bordes, geborene Brentano von La Roche. Von der reichen Kaufmannstochter zur Schriftstellerin und Wohltäterin. In: Alzenauer Beiträge zur Heimatgeschichte 1 (2002), S. 14.

8 Universitäts- und Landesbibliothek Münster, N. Savigny 28, 005.

9 Beide gehören 1837 zu den Subskribenten der in „Frankfurt am Main, als dem Mittelpunkt sämmtlicher Staaten des deutschen Bundes“ erscheinenden unparteiischen Universal-Kirchenzeitung für die Geistlichkeit und die gebildete Weltklasse des protestantischen, katholischen und israelitischen Deutschlands. [http://www.deutsch-juedische-publizistik.de/pdf/universal-kirchenzeitung_ank.pdf]

10 Armin Strohmeyr: Die Frauen der Brentanos. Berlin 2006, S. 169.

11 Ebd., S. 165.

12 Klaus Günzel: Die Brentanos. Eine deutsche Familiengeschichte. Zürich 1993, S. 147.

13 Vgl. Hartwig Schultz: Die Frankfurter Brentanos. Stuttgart/München 2001, S. 278.

14 Vgl. hierzu: Wolfgang Bunzel/Ulrike Landfester (Hrsg.): In allem einverstanden mit Dir – Bettine von Arnims Briefwechsel mit ihrem Sohn Friedmund. Göttingen 2001.

15 Vgl. Sagen und Bilder. Dichtungen von Moritz Grafen zu Bentheim-Tecklenburg. Würzburg 1853, S. 151.

16 Vgl. Freies Deutsches Hochstift, Hs-1273,5 und 1273,6.

17 Reinhold Steig: Lulu Brentano, die Märchenerzählerin und Freundin der Brüder Grimm. In: Historischpolitische Blätter für das katholische Deutschland, 151. Band. München 1913, S. 32.

18 Geistliche Lieder von L. Ffr. von des Bordes, geb. Brentano von La Roche. Regensburg 1853.

19 Freies Deutsches Hochstift, Hs-1262,10.

20 Schultz 2002, S. 17f.

21 Walter Scharwies: Adeliges Leben, Wohltätigkeit und Liebe zur Landschaft – Familie von des Bordes/zu Bentheim auf Schloss Wasserlos. In: Alzenauer Beiträge zur Heimatgeschichte 1 (2002), S. 34f.

22 Kinderlieder von L. Ffr. von des Bordes, geb. Brentano von La Roche. Regensburg 1853, S. 34.

Romantik an Rhein und Main

Подняться наверх