Читать книгу Kind der Drachen – Vernunft oder Liebe? - Sabine Hentschel - Страница 12
Partus Geschichtsstunde
ОглавлениеAls Marces, Partu und ich in Prag eintrafen, war es bereits weit nach Mitternacht. Der stundenlange Flug und die dicke Luft zwischen Marces und mir hatten stark an meinen Nerven gezerrt. Meine Kräfte ließen nach. Ich hatte insgeheim gehofft, dass Marces mich weiter ignorieren würde, aber kaum, dass wir Prag erreicht hatten, schubste er mich quasi von links nach rechts. Und er hatte sichtlich Freude daran.
»Komm endlich!«, rief er zornig, als ich erschöpft das Haus betrat. »Partu, bringen Sie unsere Sachen nach oben.«
»In welches Zimmer darf ich die Sachen von Mademoiselle stellen?«, hakte er ruhig nach.
»Bringen Sie zuerst meine Sachen nach oben. Den Rest können Sie später machen«, antwortete Marces schroff.
Dann sah er mich mit einem eisigen Blick an, als wollte er sagen: ›Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?‹
Ich folgte ihm widerwillig ins Wohnzimmer, wo er es sich auf einem der Sessel bequem machte. Es hatte sich nichts verändert, alles war noch so, wie wir es verlassen hatten. Die gelbe Tapete und die hellen Möbel strahlten wie eh und je. Die Couch, der kleine Beistelltisch, die zwei Sessel und die kleine Vitrine mit dem seltsamen Andenken standen noch am selben Platz wie zuvor. Ebenso wie der kleine Elefant aus Eis, der niemals schmolz. Hier gab es so viele Erinnerungen an unsere erste Begegnung: die Anziehungskraft und die Wärme, welche ich damals bei ihm gespürt hatte, diese Macht der Begierde, die mich eingefangen hatte und nicht mehr losließ. Was war daraus geworden?
Marces räusperte sich. »Würdest du dich jetzt bitte endlich setzen?«
Ich schüttelte innerlich den Kopf. An der Stelle meines Herzens, wo einst meine Liebe für ihn wohnte, waren nur noch Hass und Wut. Aber was sollte ich tun? Ich konnte nicht einfach fliehen. Um Marces nicht weiter zu erzürnen, nahm ich ihm gegenüber auf der Couch Platz.
»Nun. Deine kleine Eskapade im Flugzeug hat sich hier gefälligst nicht zu wiederholen. Dein kleiner Dickschädel wird dir nichts nützen«, fing er an. »Ich kenne dich viel zu lange, als das du mit mir spielen kannst.«
»Du willst, dass ich mich füge?«, antwortete ich kalt.
Marces schmunzelte. »Das wäre mir am liebsten. Aber keine Sorge, mir ist bewusst, dass das nicht so einfach ist, wie ich es gern hätte.«
»Was schlägst du also vor?«, hakte ich nach.
»Ein paar Regeln. Um unser beider Willen!«, erklärte er mir daraufhin. »Regel Nummer eins: Du wirst das Haus nicht verlassen. Es sei denn, ich wünsche, dass du mich begleitest. Und darum werde ich nicht bitten. Regel Nummer zwei: Jeglicher Kontakt zu deiner Familie sei, es nun die sterblich oder die unsterblich, werde ich bis auf weiteres unterbinden. Du solltest gar nicht erst versuchen dagegen zu verstoßen. Sonst lernst du mich von einer anderen Seite kennen!«
Ich schluckte. »Was ist mit meinem Wunsch? Darf ich ins Gästezimmer ziehen?« Marces blickte mich zornig an. Natürlich wollte er nicht, dass ich allein schlief.
Er genoss seine Macht über mich viel zu sehr.
»Nun gut. Du kannst ins Gästezimmer ziehen. Vorerst!«, antwortete er schließlich, während er hinter mich trat und mich an den Schultern berührte. Langsam fuhr er mit seinen Fingerspitzen von meiner Schulter über meinen Nacken bis zu meinen Haaren. Er nahm eine Strähne in seine Hand und roch daran. Ich ließ ihn ohne Widerworte gewähren.
Einen Moment später trat Partu zu uns. »Mein Herr. Ihre Sachen sind wieder verstaut. Wohin darf ich Mademoiselles Sachen nun bringen?«
»Ins Gästezimmer, Partu! Und sorgen Sie dafür, dass sie so schnell wie möglich ein heißes Bad bekommt. Ihre Haare riechen nach diesem Drachenbuben«, antwortete Marces schroff, während er mich grob an sich zog. »Du wirst diesen ekligen Duft abspülen und dann kannst du schlafen gehen.«
Ich verzog das Gesicht vor Schmerz. Wie konnte er nur so grausam sein? Woher kam diese düstere Seite in ihm? Als Marces meine Reaktion bemerkte, ließ er mich zufrieden los und verschwand in sein Arbeitszimmer.
Ich zuckte zusammen, als sich die Tür hinter ihm schloss. Mein Körper zitterte. Meine Gedanken kreisten um Niel und die anderen. ›Helft mir‹, wollte ich schreien. ›Erlöst mich aus diesem Albtraum.‹ Aber keiner konnte mich hören.
Partu brachte mich schließlich vollkommen abwesend nach oben ins Gästezimmer. Als ich unter der heißen Dusche stand und das Wasser auf mich herab strömte, liefen mir leise die Tränen über die Wangen. Was sollte ich jetzt tun? Die ganze Situation schien auf einmal so aussichtslos. Ich fühlte mich so allein.
Es gab keine Menschenseele, die mich an die Hand nehmen und aus dieser Situation retten würde, keine Familie in der Nähe, die mich unterstützte. War es klug, mich Marces zu ergeben? Sollte ich mich einfach fügen? Ich seufzte leise.
Woher sollte ich jetzt noch den Mut oder die Kraft nehmen für mich zu kämpfen?
Als ich das Wasser schließlich wieder abdrehte und aus der Dusche trat, fiel mein Blick auf den beschlagenen Spiegel. Meine Welt schien auf einmal genauso verschwommen zu sein wie mein Spiegelbild. Unglaublich wie schnell sich das Leben von einer Sekunde zur anderen verändern konnte. War ich zu naiv an die Sache herangegangen? War das die Konsequenz für mein Handeln?
Ich konnte nicht schlafen in dieser Nacht. Es kreisten einfach zu viele Gedanken durch meinen Kopf.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte ich überhaupt keine Lust aufzustehen. Der Tag konnte einfach nur grauenvoll werden. Eingesperrt in diesen vier Wänden, mit diesem Mann. Noch während ich über eine Ausrede nachdachte, trat Partu in mein Zimmer: »Mademoiselle. Guten Morgen. Der Herr erwartet Sie in zehn Minuten zum Frühstück. Bitte, beeilen Sie sich. Er hat sehr schlechte Laune.«
›Na super‹, dachte ich bei mir. ›Das kann ja heiter werden.‹
»Wieso hat er schlechte Laune?«, fragte ich.
»Garushin hat ihn zu sich befohlen. So wie es aussieht, muss er nun noch einmal Rapport erstatten«, antwortete Partu nachdenklich.
Ich horchte auf. Marces nicht im Haus?
»Dann sind wir allein?«, fragte ich ihn aufgeregt.
»Leider nein, Mademoiselle.«, antwortete Partu. »Er hat das Fräulein Lilly hergerufen, damit sie auf Sie acht gibt. Nach dieser ganzen Geschichte will er scheinbar auf Nummer sicher gehen.«
Ich ließ mich zurück ins Bett fallen. Na super. Jetzt bekam ich schon Wachpersonal.
»Seien Sie froh, dass es nur Fräulein Lilly ist. Es hätte auch ihre Schwester sein können«, fügte Partu lachend an.
Ich seufzte leise. Er hatte ja Recht. Um Marces nicht weiter zu provozieren, stand ich auf und zog mich an. Hunger hatte ich eigentlich nicht. Allein bei dem Gedanken mit ihm einfach da weiter zu machen, wo wir vor Irland aufgehört hatten, kam mir absurd vor. Wie konnte er glauben, dass ich einfach alles hinter mir lassen würde, was in der Zwischenzeit passiert war?
Als ich mich fertig gemacht hatte, lief ich langsam die Treppe nach unten ins Esszimmer. Marces saß bereits an seinem Platz und las in der Zeitung.
»Guten Morgen!«, sagte ich, während ich an ihm vorbei auf meinen Stuhl zu steuerte.
Noch bevor ich mich versah und wusste was geschah, packte er mich an meinem Arm und zog mich zu sich.
Er roch an meinem Haar und lächelte zu frieden.
»Au!« beschwerte ich mich leise.
»Du riechst schon viel besser. Aber an deinem Benehmen müssen wir noch arbeiten«, antwortete er kalt. »Ich bekomme jeden Tag einen Kuss zur Begrüßung. Ist das klar.« Noch bevor ich etwas erwidern konnte, zog er mich näher an sich und küsste mich. Ich entriss ruckartig meine Hand aus seinem Griff und trat angewidert ein Stück zurück. Marces grinste höhnisch und wandte sich wieder seiner Zeitung zu. Was sollte das denn? ›Ich bin doch keine Puppe‹, dachte ich bei mir. Angeekelt von seiner Handlung nahm ich schließlich auf meinem Stuhl Platz.
Obwohl er mich den restlichen Morgen in Ruhe ließ, bekam ich keinen Bissen herunter. Marces’ andere Seite, diese herrische Art, kostete mich enorme Kraft. Jeder meiner Schritte schien überwacht zu werden. Jeder Gedanke in meinem Kopf durfte nicht nach außen dringen. Jede Regung, jedes Gefühl musste ich tief in mir einschließen.
Als Marces mich endlich allein ließ, um sich an seine Arbeit zu machen, hatte ich Zeit mit Partu zu reden.
»Wieso dienen Sie Marces eigentlich noch? Sie haben doch gesehen, wie skrupellos er ist«, fragte ich Partu, während er den Frühstückstisch abräumte.
Er schien über irgendetwas nachzudenken, aber er sagte mir nicht, was es war. Dieser Mann machte mich noch ganz kirre mit seiner seltsamen Art. Wollte er mir nun helfen oder nicht?
»Es ist einfacher der dunklen Seite zu dienen, als ihr Gegner zu sein«, antwortete Partu. »Schlussendlich versuchen wir alle unsere eigene Seele zu retten.«
»Aber wieso tun Sie es immer noch? Sie hätten ihn längst verlassen können?«, hakte ich nach.
Partu schüttelte den Kopf. »Ich darf den Herrn im Jahr 2740 verlassen. Dann ist meine Strafe abgegolten.«
Ich zuckte erschrocken zusammen. »Was für eine Strafe? Partu, was ist passiert?«
Partu blickte mich eine Weile an. Er schien noch unsicherer als vorher. Was war nur los mit ihm? Er war doch sonst so souverän? Was um Himmels Willen hatte er getan?
Er nahm ein weiteres Tablett mit Geschirr und brachte es in die Küche. Dort verharrte er für einen Moment.
Ich beobachtete, wie er die Sachen langsam an ihren Platz räumte, alles noch einmal abwischte und leise seufzte. Als er fertig war, trat er zurück ins Esszimmer und sah mich an. Dieser Blick war anders als sonst. Er hatte Angst.
Irgendetwas bereitete ihm immense Kopfschmerzen.
»Ich denke, wir sollten ein neues Thema auf Ihren Stundenplan setzen«, sagte er lächelnd.
»Stundenplan? Was meinen Sie? Welches Thema denn?«, hakte ich nach.
»Geschichte! Um genau zu sein unsterbliche Geschichte. Ich werde Ihnen etwas darüber beibringen«, antwortete er und bat mich mit einer kurzen Handbewegung ihm zu folgen.
Ich lief hinter ihm her durchs Esszimmer ins Wohnzimmer und von dort nach draußen in den Garten. Die Sonne schien mir ins Gesicht und der Wind wehte leicht durch meine Haare. Der Frühling hielt Einzug. Der Mai zeigte sich in seinen schönsten Farben. Partu fuhr langsam mit seinen Fingern durch die Gräser und Blüten. »Es ist so wundervoll, wenn das Leben erblüht. Das erinnert mich an meine Kindheit.«
Ich stimmte ihm nickend zu. Er hatte so recht. Der Frühling und die warmen Strahlen der Sonne brachten all die guten Gefühle und Hoffnungen zurück. Partu brachte mich an den äußersten Rand des Gartens. Dort stand unbemerkt von mir und vermutlich von der ganzen Welt ein kleines Holzhaus mit blauen Fensterläden. Partu öffnete vorsichtig die Tür. Sie knarrte leise. Im Haus selbst standen diverse alte Möbelstücke. Gut verpackt und übereinander gestapelt. Partu holte unter der Abdeckung zwei Stühle und einen Tisch hervor. Nachdem er sie in die Mitte des Raumes geräumt hatte, bat er mich Platz zu nehmen.
»Ich bin ab sofort Ihr Lehrer, Mademoiselle«, sagte er lächelnd. »Ich werde Ihnen alle Fragen beantworten, alles erklären und Sie in die Geheimnisse einweihen. Aber nur Stück für Stück. Wir müssen vorsichtig sein. Der Herr hat Kräfte, von denen Sie nicht einmal im Ansatz etwas ahnen. Aber das Wissen, das Sie einmal haben, kann er Ihnen nicht mehr wegnehmen.«
»Was soll das heißen? Würde er Ihnen etwas antun?«, fragte ich ihn irritiert.
Partu blickte zum Fenster hinaus: »Da bin ich mir nicht sicher. Aber das Risiko werde ich eingehen. Und für diesen Moment fände ich es besser, wenn wir uns duzen«, antwortete er ruhig.
Ich seufze leise und nahm auf dem Stuhl Platz: »Ich glaube, ich habe zu viele Fragen für einen Tag.«
Partu wandte sich zu mir um: »Wir werden uns heute auf die Wichtigsten beschränken müssen. Vielleicht fange ich einfach bei mir an. Ich wurde 1560 in einem kleinen Ort Namens Krokom in Schweden geboren. Meine Eltern führten ein einfaches und bescheidenes Leben. Aber es fehlte uns an nichts. Wir hatten Tiere und weite Felder. Eines Tages besuchte mich der Großonkel meiner Mutter. Sein Name war Dnish, der Wissende. Ein Teil meiner Familie war aufgrund von vagen Versprechungen in den Jahren zuvor nach Frankreich ausgewandert. Sie suchten nach Reichtum und Glück. Aber was sie fanden war Armut und Krankheit. Ich erinnere mich an einen verregneten Tag auf dem Feld. Ich war gerade 40 Jahre alt geworden, da stand er neben mir und rief meinen Namen. Ich weiß nicht, wieso dieser Mann mich überhaupt erkannte. Das letzte Mal, das wir uns gesehen hatten, war ich gerade einmal 6 Jahre alt gewesen. Mir war das Alter ins Gesicht geschrieben, die Feldarbeit hatte meinen Körper gezeichnet. Aber er schien kein Jahr älter geworden zu sein. Ich habe mich lange mit ihm unterhalten und zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich den Wunsch aus Krokom zu fliehen und etwas Neues zu wagen. Vielleicht war es seine Anwesenheit. Vielleicht der Gedanke daran, dass ich in meinem Leben doch noch etwas erleben wollte. Ich weiß es nicht mehr. Ich ging mit ihm zurück nach Frankreich und er weihte mich in die Geheimnisse der Unsterblichen ein. Er machte mich zu dem, was ich bin«, Partu schmunzelte. »Und ich bin ihm sehr dankbar dafür. Wirklich! Ich habe so viel Wissen gewonnen, so viel gesehen. Er war ein guter Lehrer.«
»Was ist passiert?«, hakte ich neugierig nach.
»Das Leben. Wir versuchen so sehr das Menschliche in uns zu bewahren, dass es unsere schlimmsten Seiten hervorbringt. Garushins Streben nach Macht sorgt dafür, dass unsere Welt sich mit Hass und Wut füllt. Dnish und ich haben versucht den Menschen näherzukommen. Ihnen klar zu machen, wer und was wir sind. Ihnen logisch zu erklären, was Unsterblichkeit heißt, was es bedeutet und wie es dazu kam. Unsere Seminare waren der Renner an der Universität in Paris. Aber Garushin hetzte uns Tamilia auf den Hals und kaum, dass ich mich versah, standen wir angeklagt vor Gericht«, erklärte er mir.
Ich zuckte erschrocken zusammen: »Seminare? Was habt ihr ihnen erzählt?«
Partu blickte verträumt nach draußen. »Physik. Es ist einfach nur Physik. Wenn du weißt, woraus das Wasser besteht, weißt du, wie man Schnee macht, weißt du, wie du Wellen erzeugst. Unsterblichkeit ist keine Mystik. Es ist eine Wissenschaft. Chromosomen, Gene, Defekte. Es ist alles erklärbar.«
Im selben Moment wandte er sich wieder zu mir um und schien so klar wie nie.
Er strahlte mich an. »Wir sind alle dasselbe. Menschen, Trolle, Formwandler, Vampire, Werwölfe, Drachen, Kobolde. Wir sind alle ein Teil desselben genetischen Codes. Verändert, mutiert durch einfache Physik. Durch äußere Einflüsse.«
»Ihr habt versucht die Kluft zwischen den Welten aufzuheben. Das ist großartig!«, antwortete ich fasziniert.
»Ja«, fügte Partu an. »Aber Garushin hat uns gestoppt. Er wollte nicht, dass die Menschen erfahren, dass es uns gibt und wer wir sind. Seine Macht ist ihm wichtiger als alles andere. Er hat alle unsere Studenten töten lassen und jeden, der mit ihnen in Kontakt kam. Dnish nahm alle Schuld auf sich. Er rette mir das Leben.«
»Was ist mit ihm passiert?«, hakte ich entsetzt nach.
Partu seufzte. »Man hat ihn getötet. Seinen Körper in viele kleine Stücke zerteilt und verbrannt. Ich musste seine letzten Minuten mit ansehen. Es war grauenvoll.«
Ich lief zu ihm und ergriff seine Hand. »Es tut mir leid. Es sollte niemand sterben müssen, nur weil er die Wahrheit sagt.«
Partu schmunzelte. »Er gab sein Leben für meins. Ich bin ihm sehr dankbar dafür. Ich habe mir geschworen, sein Werk eines Tages weiterzuführen. An jenem Tag, an dem Garushin von einem neuen Anführer gestürzt wird. Und dieses Versprechen werde ich einlösen. Dessen bin ich mir sicher.«
Während er dies sprach, überkam ihm ein leichtes Lächeln. Als wenn er dabei an jemand bestimmtes dachte. Wer sollte dieser neue Anführer sein?
»Meinst du Daamien?«, fragte ich ihn.
Partu schüttelte den Kopf. »Ich denke, uns wurde im letzten Jahr ein viel größerer und mutigerer Anführer geboren. Er weiß es nur noch nicht.«
Ich runzelte die Stirn. Was sollte das denn heißen?
Während ich in Gedanken alle durchging, die mir einfielen, flüsterte ich leise: »Wer?«
Partu grinste nur. Er antwortete nicht.
Eine Sekunde später schnappte er sich seinen Stuhl und lief damit Richtung Ausgang. Im selben Moment öffnete jemand von außen die Tür. Ich zuckte erschrocken zusammen, als Marces hereintrat und uns beide mürrisch ansah. »Was ist hier los? Partu, Sie sollten doch das zweite Gästezimmer vorbereiten!«
Partu verbeugte sich kurz. »Natürlich, mein Herr. Wir sind gerade dabei, noch ein paar Stühle für das zweite Gästezimmer zu holen. Ich dachte, Fräulein Lilly würde gern noch einen für den Schreibtisch und eventuell einen als Ablage haben. Fräulein Cara hat mir netterweise dabei geholfen. Ich sehe doch mittlerweile so schlecht im Dunkeln.«
Marces blickte mich mit einem durchbohrenden Blick an.
»Ich wollte nur helfen«, antwortete ich rasch. »Ich wusste gar nicht, dass du hier noch so alte Schätze hast.«
»Du weißt so einiges nicht. Geh zurück ins Haus. Partu kann das auch allein«, forderte er mich daraufhin mit energischer Stimme auf.
Ich folgte seinem Befehl ohne Widerworte und lief durch den Garten zurück ins Haus. Marces blieb mir dabei dicht auf den Fersen.
Ich versuchte ihn in ein Gespräch zu verwickeln, damit es nicht ganz so unheimlich war. »Lilly kommt uns also besuchen«
»Ja«, antwortete Marces kurz.
»Darf ich fragen, wieso?«, hakte ich nach.
»Darfst du«, erwiderte er.
»Wieso kommt Lilly uns besuchen?«, fragte ich daraufhin.
Er ließ mich seine Überlegenheit mit jeder Geste spüren.
»Sie wird dir Gesellschaft leisten und Acht geben, dass du nicht schon wieder Mist baust, während ich Garushin in Südafrika besuche. Ich habe einiges wieder gut zu machen und richtig zu stellen, Dank deiner kleinen Eskapade. Mein Ruf steht auf dem Spiel«, erklärte er mir daraufhin, ohne mich eines Blickes zu würdigen. »Du solltest dich besser bei Lilly benehmen. Sonst überlege ich mir die ganze Sache vielleicht nochmal und gebe dich wirklich an Garushin ab.«
Bei dem Gedanken lief es mir kalt den Rücken runter.