Читать книгу Kind der Drachen – Vernunft oder Liebe? - Sabine Hentschel - Страница 7
Befreiung der Drachenkinder
ОглавлениеVarush lief schnellen Schrittes den Weg entlang zum Haus der Vampire. Er war fest entschlossen den Willen seines Vaters durchzusetzen. Ihm war bewusst, dass es nicht einfach werden würde, schließlich war er zum ersten Mal bei solch einem Treffen dabei.
Würde man ihn gewähren lassen? Würde der Ruf seines Vaters ausreichen, um die Vampire zum Einlenken zu bewegen?
Er dachte an die Worte seines Vaters. An die Lektionen. die er ihn über die anderen Unsterblichen geleert hatte: Niemals Schwäche zeigen. Niemals Angst spüren. Souverän sein und immer eine Alternative im Hinterkopf haben. ›Ja‹, das würde er sein oder es zumindest versuchen, dachte er bei sich. Er würde seinen Vater stolz machen.
»Sie werden uns nicht einfach einlassen.«, sagte Andal ruhig, während er versuchte mit Varush Schritt zu halten.
»Ich hoffe, die Erklärung reicht um sie umzustimmen«, erwiderte Varush mutig und wedelte mit der Dokument in der Luft umher. Er durfte jetzt keinen Fehler machen und vor allem musste er sich beeilen. Tamilia würde es ihm nicht erlauben die anderen mitzunehmen. Aber ihre Schergen waren vielleicht leichter zu überzeugen.
»Bist du dir sicher, dass wir nicht auf ihn warten sollten?«, fügte Andal irritiert an. »Nichts gegen dich, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Daamien eine so wichtige Aufgabe seinem siebzehnjährigen Sohn überträgt. Du bist noch ein halbes Kind.«
Varush blieb im selben Moment stehen und drehte sich zu Andal um. »Mein Vater zählt auf uns! Er muss sich um Niel kümmern. Er kann nicht überall gleichzeitig sein. Hilfst du mir nun oder willst du wieder umdrehen?«
Andal seufzte. Er war nicht unbedingt jemand, der zu allem und jedem seine Meinung dazu gab. Aber an dieser Angelegenheit lag ihm wirklich etwas und das brachte ihn in einen innerlichen Zwiespalt. Einerseits hielt er Varush für zu unerfahren um diese Aufgabe zu bewältigen und hätte sie lieber selbst erledigt. Anderseits schätzte er Daamiens Meinung und der glaubte an seinen Sohn. Was sollte er also tun?
»Natürlich helfe ich dir!«, antwortete er mit nachdenklichem Blick. »Ich hätte nur nicht gedacht, dass er dich schickt. Nimm mir das nicht übel. Aber Daamien hat mehr diplomatische Erfahrung als du und das wird hier bitter von Nöten sein. Hier herrschen seit Jahrhunderten erbitterte Machtkämpfe. Da braucht es Fingerspitzengefühl. Diese verdammte Insel verschlingt einen sonst.«
Während er dies sagte, wechselte sein Gesichtsausdruck von nachdenklich zu ernst. Er wollte Varush bewusst machen, dass dies kein Zuckerschlecken werden würde.
Varush zögerte. Was sollte er darauf antworten? Natürlich hatte er nicht die Erfahrung, die sein Vater hatte. Aber er hatte viel von ihm gelernt. Hatte jedes Wort, das er gesagt hatte aufgesogen und versucht zu behalten. War er so gut wie sein Vater? Natürlich nicht! Das wusste Varush selbst. Aber hätte sein Vater ihm diese Aufgabe übertragen, wenn er nicht an ihn glauben würde? ›Nein‹, dachte er bei sich. ›Ich schaffe das. Diese Insel, diese korrupten Leute werden mich nicht besiegen.‹ Er atmete tief durch und blickte zur Burg hinauf. Irgendwo dort wartete sein Vater gerade auf die Möglichkeit mit Niel zu sprechen. Er versuchte sich zu sammeln und dachte an seines Vaters Worte: ›Mach dir die Schwächen der anderen zu nutzen. Sei aufrichtig, aber fordernd. Sei diplomatisch, aber konsequent.‹
»Wir schaffen das!«, antwortete Varush schließlich und lief entschlossen weiter. »Ich werde euch beweisen, dass ich gut aufgepasst und sehr viel von euch gelernt habe.«
Andal folgte ihm daraufhin stillschweigend. Da er Varush nicht davon überzeugen konnte, die ganze Sache ihm zu überlassen, blieb ihm keine andere Wahl, als ihm zu helfen und das Beste daraus zu machen.
Als sie am Haus der Vampire ankamen, trafen sie auf Gilion, der vor der Eingangstür mit einem großen muskulösen Mann diskutierte. Als Gilion Varush bemerkte, deutete er seinem Gegenüber an Ruhe zu bewahren. Irgendetwas hatte ihn sichtlich aufgebracht. Varush atmete tief ein und aus. Er hoffte inständig, dass Gilion noch keine Anweisung von Tamilia erhalten hatte.
»Varush, was willst du hier? Solltest du nicht bei deinem Vater sein? Ist ja nett, dass du uns Gesellschaft leisten willst, aber Kinder sollten auf der Insel nicht alleine umherirren«, rief ihm Gilion mit einem schäbigen Grinsen zu.
Varush trat daraufhin langsam an ihn heran und begrüßte ihn höflich: »Hallo, Gilion. Wir möchten die Drachenkinder abholen. Wir werden sie umgehend zurück nach Norwich bringen. Dann können sie keinen weiteren Schaden anrichten.« Dabei ließ er sich seine Wut über Gilions Worte nicht anmerken. Schließlich war er nun schon der Zweite, der ihn für zu naiv und unerfahren hielt.
»Wir haben keine Anweisungen diesbezüglich. Wir werden sie nicht gehen lassen!«, antwortete der andere Mann.
»Malik! Halt dich zurück!«, fuhr ihm Gilion ins Wort. Malik war ein sichtlich mürrischer alter Mann. Seine langen weißen Haare hatte er zu einem sorgfältigen Zopf zusammengebunden. Sein schwarzer Anzug war säuberlich gebügelt und gesteift. Er war ein absolut pflichtbewusster und höriger Geselle.
»Entschuldige Varush. Malik hat keine Manieren. Aber er hat nicht ganz Unrecht. Wir haben keinerlei neue Anweisungen von Prinzessin Tamilia bekommen. Wir können die Drachenkinder nicht einfach gehen lassen.«
»Das ist mir bewusst.«, antwortete Varush mit ruhiger und besonnener Stimme und rollte die Erklärung aus. »Ich habe die Erklärung über den Ablauf des Konzils mitgebracht. Auf dieser ist vermerkt, dass ich zitiere: ›Die Drachen Tara, Kira, Le, Osiris, Danny und Elen bleiben ebenfalls im Haus der Vampire, haben aber freien Zugang zur gesamten Insel. Die Teilnahme am Konzil wird ihnen aufgrund eventueller Verstrickungen untersagt. Mit Ende des Konzils werden diese Verstrickungen vom Gericht als nichtig erklärt und sie können ihrer freien Wege gehen.‹ Du kannst es gerne nachlesen.«
Während er dies sagte, übergab er Gilion das lange Schriftstück. Andal wollte etwas hinzufügen, aber Varush hielt ihn mit einem kurzen Kopfschütteln davon ab. Er wusste instinktiv, dass sie genau in diesem Moment Ruhe bewahren mussten.
Gilion überflog die Zeilen einmal, zweimal und grummelte dabei vor sich hin: »Das steht da wirklich. Aber ich habe ... «
»Und wenn du ganz am Ende angekommen bist, siehst du das sowohl die Hüter als auch der König und die Königin die Erklärung unterschrieben haben. Es ist also eine offizielle Anweisung.«, fügte Varush ruhig hinzu.
Malik verzog das Gesicht. »Wir müssen Prinzessin Tamilia informieren! Wir können sie nicht einfach gehen lassen!«
Gilion gab ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er den Mund halten sollte, bevor er sich zum dritten Mal mit den Zeilen befasste.
Varush atmete unterdessen langsam ein und aus. Er wollte sich seine Nervosität auf keinen Fall anmerken lassen. Aber seine Hände zitterten vor Aufregung.
»Nun? Wollt ihr euch der Anweisung widersetzen?«, hakte er nach.
Gilion schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Malik, hole die Drachenkinder. Wir übergeben sie an die Beiden. Sie sind jetzt ihr Problem.«
»Aber wir haben keine ... «, antwortete Malik zornig.
»Geh schon! Ich werde es Prinzessin Tamilia erklären, wenn sie kommt«, unterbrach Gilion ihn und deutete ihm an, dass er sich endlich in Bewegung setzen sollte.
Malik tat schließlich, wie ihm befohlen wurde.
Gilion wandte sich unterdessen wieder Varush zu. »Die Erklärung behalte ich. Nur für den Fall, dass die Prinzessin fragen sollte. Sie kann sehr jähzornig sein.«
»Einverstanden«, erwiderte Varush kurz. Jetzt wo anscheinend alles glatt ging, rutschte ihm langsam das Herz in die Hose. Das Adrenalin wich aus seinen Adern. Sein Körper zitterte immer mehr vor Anspannung. Hatte er es wirklich geschafft? Er konnte es kaum glauben. Wie stolz würde sein Vater nun auf ihn sein.
»Bleib ruhig«, flüsterte Andal ihm zu, als er Varushs zitternde Hände bemerkte. »Du hast das super gemacht.«
Varush nickte kurz, verschränkte seine Arme und konzentrierte sich darauf seine Anspannung zu überspielen, indem er zu Gilion sagte: »Wenn sie nicht mehr auf der Insel sind, können sie auch keinen weiteren Ärger machen.«
»Wann werdet ihr abreisen?«, fragte Gilion ihn daraufhin.
»Morgen, denke ich«, antwortete Varush besonnen, während er innerlich hoffte, dass das bald alles vorbei war. Diese Welt war noch um einiges korrupter und festgefahrener als sein Vater es jemals hätte beschreiben können. Er hatte Recht behalten mit seinen Worten. Varush erinnerte sich an ein Gespräch mit ihm, indem sein Vater zu ihm sagte: ›Je älter die Unsterblichen werden, umso machthungriger werden sie. Stell dir ein wildes Tier vor, das vom Fleisch anderer lebt. Solange es sterblich war, lebte es um zu überleben. Jetzt wo es unsterblich ist, lebt es um zu zerstören. Es zerfleischt sich selbst in seiner Gier nach Macht.‹
»Ich bin auch heilfroh, wenn wir wieder in Afrika sind. Das Wetter hier gefällt mir gar nicht. Und diese ganzen Trolle machen es nicht besser«, fügte Gilion an und riss ihn damit aus seinen Gedanken.
Varush schmunzelte. »Vielleicht sollten wir einen neuen Posten einführen: Wettertroll.«
Gilion lachte. »Du bist wirklich der Sohn deines Vaters. Immer für einen Scherz gut. Nun gut. Ich gehe mal rein zu Malik und sehe, wo er mit den Drachenkindern bleibt.«
Varush nickte zustimmend.
Nachdem Gilion verschwunden war, wandte sich Varush Andal zu. »Soll ich sie begrüßen? Oder sollten wir sofort verschwinden?«
Andal runzelte die Stirn. »Wieso fragst du das? Hast du dir das nicht überlegt?«
Varush schüttelte den Kopf. »Soweit habe ich nicht gedacht. Ich habe die ganze Zeit überlegt, wie ich es den Vampiren beibringe« lachte er und kratzte sich verlegen am Kopf. »Das habe ich dabei ganz vergessen.«
Andal schmunzelte. »Eben doch der kleine Bub und nicht der Vater! Wir sollten sie sofort abführen, wenn sie rauskommen. Demonstrieren wir eine zu enge Bindung zu ihnen, könnte das Gilion misstrauisch werden lassen und wir wollen ja nicht, dass er einen Rückzieher macht. Für Fragen beantworten haben wir in unserem Haus noch genug Zeit.«
»In Ordnung«, erwiderte Varush. Obwohl er, wenn er darüber nachdachte, nicht so recht wusste, wie er das anstellen sollte. Wenn er an Elen oder Danny dachte, war dies überhaupt kein Problem. Aber wenn er Tara sah, dann fing sein Herz vor Glück an zu rasen. Sein Puls bebte und er sah nur noch sie.
Dieses Gefühl seinen eigenen Seelenverwandten gefunden zu haben, mit dem man sein restliches Leben teilen wollte, hatte er vorher nicht gekannt. Seine Mutter hatte ihm davon erzählt, aber glauben wollte er es nicht. Frauenkram, dachte er immer und ignorierte es. Aber auf einmal war er mittendrin. Er seufzte leise. Vielleicht hätte er seiner Mutter doch besser zuhören sollen. Er blickte auf die Tür und hoffte inständig, dass er eisern bleiben konnte.
Ein paar Minuten später traten Gilion und Malik zusammen mit den Drachenkindern aus dem Haus.
Tara strahlte vor Freude, als sie Varush erblickte. »Varush!« Sie lief auf ihn zu und gab ihm einen Kuss. Als sie selbst ihre forsche Art bemerkte, wurde sie ganz rot.
Kira und Elen kicherten im Hintergrund. »Unser Retter auf dem weißen Ross.«
»Wo ist das Ross?«, hakte Osiris lachend nach. Wofür er von Elen einen bösen Blick und von Kira einen sanften Schlag in den Bauch erntete. Varush freute sich riesig über den Kuss, aber er hatte Andals Worte noch immer im Hinterkopf. Er drehte sich daraufhin zu Gilion um: »Danke, Gilion. Wir kümmern uns jetzt um die Drachenkinder.«
Glücklicherweise hatte Gilion von dem Kuss nichts mitbekommen. Er diskutierte mit Malik schon wieder über irgendetwas. Danny und Osiris sahen Varush verwundert an. Elen, Kira und Le waren zum Glück noch immer mit Tara beschäftigt.
»Alles in Ordnung? Was ist passiert?«, fragte Danny Varush.
»Wir müssen sofort gehen. Wir erklären euch alles, wenn wir in unserem Haus sind«, antwortete er.
Osiris runzelte die Stirn. »Okay. Das klingt nicht gut.«
Varush nickte, dann wandte er sich den anderen zu. »Kommt jetzt, bitte.«
Le folgte Varushs Aufforderung, ohne eine weitere Reaktion und lief zusammen mit Andal vor. Osiris schnappte sich Tara und zog sie förmlich davon. Varush, Elen, Kira und Danny bildeten das Schlusslicht.
Als sie am Haus der Werwölfe ankamen, fiel die ganze Anspannung von Varush ab. Er seufzte leise. Er hatte es tatsächlich geschafft. Nerifteri und Aura standen bereits vor dem Haus und warteten ungeduldig.
Als Nerifteri ihren Sohn erblickte, lief sie sofort zu ihm und umarmte ihn. »Sehr gut gemacht, mein Schatz. Ich bin so stolz auf dich!«
»Danke, Mutter. Andal hat mir geholfen«, antwortete Varush verlegen und kratzte sich am Hinterkopf.
»Den Großteil hat er allein gemacht«, fügte Andal respektvoll hinzu und klopfte Varush fast väterlich auf die Schulter.
»Kommt rein«, rief Aura von weitem und öffnete einladend die Tür.
Kira, Osiris, Danny und Elen folgten ihrer Aufforderung ohne Zeit zu verlieren. Andal und Le warteten bis Nerifteri ebenfalls wieder nach drinnen trat.
Nur Varush und Tara blieben einen Moment allein zurück.
»Tut mit Leid, dass ich vorhin so schroff war«, erklärte Varush ihr nachdenklich. »Ich wollte nur nicht, dass Gilion Verdacht schöpft und euch wieder einsperrt.«
Er hoffte inständig, dass er Tara damit nicht verletzt hatte. Denn er wollte sie auf keinen Fall verlieren. Wenn er an ihre erste Begegnung im Haus der königlichen Familie zurückdachte – ihr schüchternes Lächeln ..., der süße rote Kopf ..., dann klopfte sein Herz gleich schneller. Er hätte nicht gedacht, dass sie seine Gefühle erwiderte. Aber an dem Tag vor dem Konzil, als sie beide allein an den Klippen der Insel unterwegs waren, um mit Kelpie, Tassi und den anderen Wassertrollen zu reden, war Tara vom nassen Felsen abgerutscht und fiel direkt in seine Arme. In jenem Moment, als er sie auffing und ihr in die Augen sah, wusste er – Sie empfindet wie ich. Sie gehörte zu ihm.
Tara riss ihn aus seinen Gedanken. »Ich versteh das.« Dann trat sie näher an ihn heran, legte ihre Arme auf seine Brust und gab ihm einen langen Kuss.
»Ich liebe dich«, erwiderte Varush liebevoll und Tara antwortete leise: »Ich liebe dich auch.«