Читать книгу Kind der Drachen - Vergangenheit oder Zukunft? - Sabine Hentschel - Страница 14

Der nächtliche Angriff

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Der Tag ging relativ ruhig zu Ende. Wenn man das so nennen kann. Keiner von uns ahnte, was in den kommenden Tagen auf uns zu kommen sollte. Für den einen Moment waren wir davon überzeugt, dass wir alle Schwierigkeiten ohne Probleme meistern würden. Aber das Schicksal sollte uns bald eines Besseren belehren. Niel, Le und ich hatten uns darauf geeinigt, dass jeder von uns abwechselnd Wache hielt. Ich war die Erste. Meine quasi Schicht dauerte etwa bis ein Uhr morgens. Dann war ich zu müde, um weiter konzentriert Wache zu halten und weckte Le. Der grummelte zunächst ein wenig, verstand aber sehr schnell, was ich von ihm wollte. Nachdem er sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, setzte er sich mit einer Decke auf die Turmspitze.

Ich folgte ihm: »Tut mir leid, dass ich dich jetzt schon geweckt habe. Aber so alleine wird man einfach schneller müde.«

»Kein Problem«, antwortete Le verschlafen: »Gib mir einfach noch ein paar Minuten, dann bin ich richtig wach und du kannst dich hinlegen.«

»Danke«, flüsterte ich.

»Hast du die anderen gesehen?«, wollte er daraufhin wissen und blickte sich zu den anderen Türmen um. In der Dunkelheit waren nur Umrisse auszumachen. Osiris erkannte man als einzigen von weitem. Seine Statur war unverkennbar. Im Turm zwei war so gar niemand auszumachen. Auf der Turmspitze von Nummer eins saß Varush. Was ich allerdings auch nur daran erkannte, dass ich keine Flügel sehen konnte. »Ich glaube, Osiris und Varush halten Wache. Den zweiten Turm kann ich so schlecht sehen«, antwortete ich.

Le wandte sich daraufhin zum zweiten Turm um: »Hoffentlich ist das kein schlechtes Omen.«

»Jetzt mal nicht gleich den Teufel an die Wand«, erwiderte ich aufmunternd. Le grummelte kurz etwas vor sich hin, dann drehte er sich wieder zum Meer.

»Es ist einfach zu ruhig«, stellte er misstrauisch fest. »Keine Vögel. Keine Wellenbewegung. Irgendwas stimmt hier nicht.« Ich wusste nicht so recht, was ich darauf antworten sollte. Ich war die ganze Zeit wach gewesen, hatte das Meer und die Umgebung beobachtet. Hatte ich etwas übersehen? Ich blickte mich erneut um. Es war tatsächlich totenstill. Wieso war das Meer auf einmal so ruhig? Wo war das raue Lüftchen hin? Mein Herz pochte schneller. Ein ungutes Gefühl überkam mich.

»Du solltest Niel wecken«, flüsterte Le plötzlich, als hätte er etwas bemerkt. Eine Gänsehaut überkam mich, mein Puls raste. Ich brauchte eine Minute, bis ich mich vorsichtig zurück in den Turm begab.

Als ich neben Niel stand und ihn so friedlich daliegen sah, hätte ich fast vergessen, weswegen ich zu ihm gelaufen war. Er war so süß. Vorsichtig berührte ich ihn am Arm: »Niel. Du musst aufstehen!«

Niel drehte sich ein paar Mal nach links und rechts und grummelte: »Noch nicht.«

Ich gab ihm einen sanften Kuss, um das Ganze etwas zu beschleunigen: »Niel, bitte.«

Er streckte sich, um die Müdigkeit loszuwerden und

blickte mich an: »Cara? Ich dachte Le wäre nach dir dran.« Dabei gähnte er.

»Le ist oben. Er hat gesagt, ich soll dich holen«, antwortete ich. Noch im selben Moment begann Niels Herz schneller zu schlagen, er ahnte, dass etwas nicht stimmte: »Was ist passiert?«

»Ich weiß es nicht«, fuhr ich fort. »Irgendwas ist seltsam. Aber wir wissen nicht was. Es ist totenstill. Keine Wellenbewegung. Kein Lüftchen.«

Niel sprang daraufhin auf und lief an mir vorbei hinauf auf den Turm. Ich folgte ihm rasch. Als wir bei Le eintrafen, wollte ich noch etwas hinzufügen, aber Niel unterbrach mich, indem er einen seiner Finger auf meinen Mund legte und mir andeutete zu lauschen. Es war plötzlich ein leises Summen zu hören.

»Was ist das?«, flüsterte Le. »Das klingt wie ein ...«, antwortete Niel. Doch noch bevor er seinen Satz beenden konnte, stieß mich von oben etwas um. Zwei Männer in schwarzen Anzüge gehüllt hatten sich mit Fallschirmen zu uns herabfallen lassen. Sie griffen uns ohne eine Sekunde zu zögern an. Sie hatten jeweils zwei lange Schwerter bei sich, mit denen sie fingerfertig umgingen. Ich schaffte es gerade so dem einen auszuweichen, während sich Le und Niel bereits verwandelten und versuchten sich auf sie zu stürzen. Aber die Männer waren geschickt. Ihre Schwertkampftechnik bot kaum Angriffsmöglichkeiten für uns. Sie standen Rücken an Rücken und schwangen die Schwerter. Es war einfach kein herankommen möglich.

»Wer seid ihr?«, rief Niel ihnen zu. Aber die Männer antworteten nicht. Ich versuchte daraufhin einen der Männer abzulenken, indem ich einen Salto nach rechts machte. Aber der Kämpfer ahnte, was ich vorhatte und erwischte mich mit seinem Schwert am Arm. Woraufhin ich laut aufschrie und zu Boden stürzte. Niel versuchte mir zur Hilfe zu eilen, aber der zweite Kämpfer blockierte ihm den Weg. Sie waren zu schnell für uns. Wir brauchten eine andere Taktik.

Ich wusste nicht so recht, was ich tun sollte. Jede Bewegung von uns schienen sie bereits zu erahnen. Jede Taktik zu kennen. Als der erste Kämpfer erneut mit seinem Schwert ausholte, erinnerte ich mich an das Buch der Hüter, welches ich in Marces‘ Haus gefunden hatte. Die Formel. Die indianischen Worte, um seinen Geist zu lösen. Das war es. Das war die Lösung. Ich konnte sie besiegen.

Ich richtete mich energisch auf und sprach leise: »Itomni ku Mahpiya tho«, woraufhin mein Geist, wie beim letzten Mal schon, aus meinem Körper fuhr. Nun konnte ich mich wieder frei bewegen, ohne dass jemand es bemerkte. Es brauchte einen Moment, bevor ich mich soweit konzentrieren konnte, dass alle Umrisse vor mir klar erschienen. Doch ich schaffte es rechtzeitig, bevor der erste Kämpfer sein Schwert auf Le hernieder schwingen konnte, diesen an der Brust zu packen und ihn verbrennen zu lassen. Der zweite Kämpfer war davon so überrascht, dass Niel ihn mit einer Leichtigkeit bewältigen konnte. Einen Augenblick später war mein Geist zurück in meinem Körper. Ich schnappte nach Luft. Jemanden in dieser geistigen Abwesenheit verbrennen zu lassen, war doch anstrengender, als ich gedacht hatte. Ein seltsames Brennen breitete sich in meiner Brust aus und ich hatte Mühe Luft zu bekommen. Le vermochte kein Wort zu sagen, er blickte mich dankend an.

»Alles in Ordnung?« fragte Niel mich. »Das war sehr gut. Das hast du gut gemacht.«

Ich atmete tief durch: »Ich wusste nicht, dass es so viel Kraft kostet.«

»Du solltest dich ausruhen!«, sagte Niel daraufhin. »Geh nach unten und bleib dort. Wir sehen nach den anderen. Ich bin mir sicher, dass die Beiden nicht die Einzigen waren.« Ich wollte eigentlich widersprechen, aber in dem Moment, wo ich mich bewegte und erneut der Schmerz durch meine Brust zog, stimmte ich Niel nickend zu. Während ich mich also nach unten zurückzog, flogen Niel und Le zum nächsten Turm.

Als Thylion einen lauten Schrei durch die Nacht hallen hörte, schrak er auf. Sein Schlaf war nie sehr tief. Zu sehr hatten ihn die langen Jahre in der Gefangenschaft gezeichnet. Chris lag in seinen Armen. Sie schlief noch. Er blickte sie an und seufzte. Wie konnte ihm nur so etwas Wundervolles wiederfahren. Wie konnte sie jemanden wie ihn lieben? Vorsichtig löste er sich aus ihrer Umarmung und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Schlaf weiter, mein kleiner Schatz«, flüsterte er und seufzte. Zu gerne wäre er bei ihr liegengeblieben, doch er war sich sicher, dass seine Mutter geschrien hatte und er konnte sie nicht einfach ihm Stich lassen. Thylion versuchte eine Verbindung zu ihr herzustellen, zu spüren, was sie tat. Aber es half nichts. Der Weg zu ihr lag wie im Nebel. Er musste nachsehen, was da los war. Er verwandelte sich und flog hinauf zur Turmspitze, wo er Osiris vermutete. Er wollte wenigstens ihm Bescheid geben, dass er nach Zephus sehen wollte. Als er aber oben ankam, konnte er nichts außer einer Totenstille ausmachen. Es war unheimlich.

Thylion rief nach Osiris: »Osiris?«

Doch er antwortete nicht. Was war hier los? Noch bevor Thylion darüber nachdenken konnte, wo Osiris sein könnte, ergriff ihn ein dumpfer Schmerz. Er blickte sich um und sah einen schwarzen Krieger, der ihm sein Schwert gegen das Schienbein geschlagen hatte. Thylions Schuppen hatten den Stoß glücklicherweise ein Stück weit abgefangen. Er fuhr herum und ergriff das Schwert. Einen Moment später wirbelte der Kämpfer durch die Luft und Thylion durchbohrte ihn mit dessen Schwert. »Du hast dich mit dem Falschen angelegt!«, schrie er ihn an. Als der Kämpfer tot zu Boden ging, schnaubte Thylion vor Wut. Diese feigen Schergen, dachte er bei sich. Er blickte sich erneut um.

Vermutlich waren noch mehr Kämpfer heimlich auf dem Turm gelandet und das bedeutete, wenn Osiris nicht antwortete, dass er in Schwierigkeiten steckte. Thylion erhob sich in die Luft und umflog den Turm. Auf einer der äußeren Mauern entdeckte er drei Umrisse. Beim näherkommen erkannte er Osiris und zwei weitere Kämpfer. Osiris war blutüberströmt. Er hatte sichtlich Schwierigkeiten die Angreifer von sich fernzuhalten. Thylion stieß direkt zu ihm und überraschte so die Angreifer, während er den einen in Flammen aufgehen ließ, schnappte sich Osiris den Zweiten und rang ihn zu Boden. Thylion ließ ihn schließlich ebenfalls verbrennen. »Danke«, schnaufte Osiris, als die beiden Angreifer besiegt waren. Thylion klopfte ihm auf die Schulter.

»Au«, entgegnete Osiris.

»Kein Ding. Die haben dich ganz schön erwischt, was«, stellte Thylion fest, als er Osiris betrachtete. Osiris hatte mehrere tiefe Wunden an Armen und Beinen. Die Schwerter schienen durch ihre Schuppen wie Messer durch Butter zu gleiten. Thylion half Osiris auf und brachte ihn zurück in den Turm, wo Chris mittlerweile aufgewacht war. Als sie Osiris sah, machte sie ihm sofort einen Platz zurecht, wo er sich ausruhen konnte. Ihr Gesicht wurde käseweiß.

»Was ist passiert?«, fragte sie die beiden.

»Wir wurden angegriffen. Ich nehme an, dass waren Tamilias schwarze Männer«, antwortete Osiris.

»Ich habe vorhin einen Schrei gehört. Das hat mich geweckt«, fügte Thylion hinzu.

»Einen Schrei?«, hakte Osiris nach. »Das war ich aber nicht?«

Thylion blickte ihn verwundert an: »Wenn du das nicht warst, dann muss es von einem der anderen Türme gekommen sein. Aber von wem? Ich dachte zunächst, von meiner Mutter, aber irgendwie ist die Verbindung abgebrochen.« Thylion wirkte plötzlich nachdenklich. Sein Blick wurde ernster und besorgter. Wenn es nicht Osiris gewesen war, wer war es dann?

»Ich muss nachsehen, wie es meinen Schwestern geht«, sagte Thylion daraufhin und verließ die Beiden, ohne ein weiteres Wort von ihnen abzuwarten. Osiris wollte ihm eigentlich noch etwas sagen, aber Chris hielt ihn zurück: »Lass ihn. Wenn sie Hilfe brauchen, ist er der Beste. Du brauchst jetzt Ruhe.«

Osiris seufzte: »Bitte, lass es nicht Kira gewesen sein.«

Le und Niel trafen fast zeitgleich am Turm von Danny, Elen und Varush ein. Wie sie bereits geahnt hatten, waren auch hier einige schwarze Kämpfer gelandet. Allerdings mehr als sie gedacht hatten. So wie es aussah, wollten die Angreifer zuerst und vor allem das Haupttor einnehmen. Insgesamt sieben Kämpfer konnten Le und Niel bei ihrer Ankunft ausmachen. Drei Krieger lagen bereits tot auf der Brüstung. Sie trugen tiefe Krallenmale in ihrer Brust. Ein Stück weiter stand Varush in Wolfgestalt und knurrte zwei weitere Kämpfer an.

Le eilte ihm zur Hilfe und nutzte den Überraschungsmoment, um einen weiteren Kämpfer zur Strecke zu bringen. Niel flog ein kleines Stück weiter und entdeckte Danny und Elen Rücken an Rücken gegen zwei weitere Krieger kämpfend. Sie hatten eine scheinbar gute Taktik gefunden, sich vor den Schwertern zu schützen. Sie schlugen abwechselnd mit ihren Flügelknochen gegen diese, um sie abzuwehren. Niel schlich sich daraufhin von hinten an sie heran und tötete einen der Kämpfer. Danny fuhr im selben Moment herum und ließ den Krieger vor

Elen in Flammen aufgehen.

»Alles in Ordnung bei euch?«, fragte Niel sie daraufhin. »Ein paar blaue Flecken und Kratzer. Aber sonst geht es uns gut«, antwortete Danny. »Wo ist Varush?«

»Le ist ihm zur Hilfe geeilt«, erwiderte Niel und blickte sich um.

Elen atmete schwer: »Wo ist Cara?«

»Noch im Turm. Sie hat ihre Fähigkeiten eingesetzt. Das hat sie ganz schön mitgenommen«, antwortete Niel besorgt.

»Wir sollten keinen von uns alleine lassen!«, erwiderte Elen zornig. »Wieso hast du sie allein gelassen? Was ist, wenn noch mehr kommen?«

Niel blickte sie verwundert an: »Und was ist mit euch, wenn wir euch nicht zur Hilfe gekommen wären, wärt ihr vielleicht beide tot.«

»Willst du jetzt ein Leben mit dem anderen aufwiegen?«, konterte Elen. Plötzlich brüllte Varush alle drei lautstark an: »Leute!«

»Was?«, fuhr Elen herum. »Halt dich da raus.«

»Da kommen noch mehr!«, fügte Le rasch an. Sie wandten sich um und erblickten in der Dunkelheit acht weitere Fallschirme.

»Eine zweite Welle!«, stellte Danny besorgt fest.

»Bitte, lass sie nur hier abspringen«, flüsterte Niel leise, in Gedanken voll und ganz bei Cara. Sie stellen sich nebeneinander auf und warteten angespannt auf die Krieger, sie würden sie nicht durchlassen. Plötzlich ertönte ein ohrenbetäubender Schrei von Zephus über die Insel. Alle zuckten erschrocken zusammen.

Ich saß noch immer in unserem Turm, als ich Zephus Schrei vernahm. Was war da los? Ich musste ihnen helfen. Aber meine Brust schmerzte noch immer. In diesem Zustand war ich ihnen keine Hilfe. Ich blickte mich um, aber keiner war zu sehen. Okay, reiß dich zusammen, dachte ich bei mir. Ich konzentrierte mich auf meine innere Flamme und sprach erneut die magischen Worte: »Itomni ku Mahpiya tho.«

Eine Sekunde später stand ich neben Tara im zweiten Turm. Ich berührte sie, um mich schneller in der Umgebung zu recht zu finden. Es war ein heilloses Chaos. Tara stand zitternd neben mir, ihr Blick war auf Zephus gerichtet, die mit aller Macht versuchte die schwarzen Krieger in Schach zu halten. Aber sie waren deutlich in der Überzahl. Aruna versuchte ihrer Mutter den Rücken zu stärken. Während Udara in einer der Ecken saß und sich die Ohren zuhielt. Sie weinte. Das war einfach alles zu viel für sie.

Ich drehte mich zu Tara: »Tara! Komm schon, du kannst das.« Tara zuckte erschrocken zusammen. Sie schien mich erst jetzt bemerkt zu haben. Ihr Blick war irgendwie seltsam. Als hätte sie ein Ungeheuer gesehen.

»Was ist los mit dir?«, hakte ich nach. »Tara. Wir müssen Ihnen helfen.« Aber Tara fing an zu weinen, sie war starr vor Angst. Sie deutete mit dem Finger in eine Ecke hinter Zephus. Da ich Tara nicht davon überzeugen konnte zu kämpfen, bewegte ich mich zu der Stelle, auf der sie gezeigt hatte. Was ich in diesem Moment sah, raubte mir den Atem. Das war nicht möglich. »Kira«, flüsterte ich. Sie saß an die Wand gelehnt. Ihre Haut war ganz blass. Ihre Flügel bluteten. Einer der Krieger hatte sein Schwert durch ihren Bauch gerammt. Sie hatte kaum noch Kraft zu sprechen. Ich berührte sie, damit sie mich sehen konnte. Sie sah mich an und eine Träne lief ihr Gesicht herunter: »Cara. Gott sei dank geht es dir gut.«

»Halte durch«, sagte ich zu ihr und versuchte meine Hand auf ihre Wunde zu pressen. Doch es half nichts. Ich hatte ganz vergessen, dass nur mein Geist bei ihr war. Kiras Stimme wurde langsam schwächer: »Sag ihm, dass ich ihn liebe.«

»Nein«, schluchzte ich. »Das wirst du ihm selber sagen. Du kannst nicht sterben! Nicht jetzt! Kira, bitte!«

Kira zuckte vor Schmerz zusammen: »Jeder muss irgendwann sterben. Das ist schon okay. Du bist so stark! Du musst immer an dich glauben, versprich mir das!«

»Ja, ich verspreche es«, flüsterte ich weinend. »Bitte, halt durch. Wie sollen wir ohne dich …«

»Ich liebe euch. Vergesst das nicht«, wisperte Kira und schloss langsam die Augen. Ein schwerer Atemzug ging durch ihre Brust. Ihre Schmerzen mussten unerträglich sein.

»Kira!«, schrie ich sie an. »Bitte, tu mir das nicht an!«

Aber sie reagierte nicht mehr. Ihr Puls wurde langsam schwächer. Ein letzter Atemzug war zu hören. Ich legte meine Hände auf ihre Brust, versuchte meine Energie und Flamme auf sie zu übertragen. Doch es war zu spät. Einen Augenblick später blieb ihr Herz stehen. Nur ein sanftes Lächeln in ihrem Gesicht blieb zurück. Sie war immer so sanftmütig und voller Hoffnung. Wie eine Mutter zu uns allen. Wieso sie?

Und plötzlich lief alles wie in Zeitlupe. In mir entbrannte eine tiefe Wut. Ein Feuer, das ich bisher noch nie gespürt hatte.

Ich brüllte die Angreifer an: »Ich bring euch alle um.« Aber keiner konnte mich hören. Ich hatte ganz vergessen, dass nur mein Geist anwesend war. Was konnte ich tun? Ich blickte zu Tara. Sie war noch immer starr vor Angst und überhaupt keine Hilfe.

Aruna und Zephus taten ihr Bestes. Wo war Udara hin? Ich wandte mich um und entdeckte sie ein paar Meter von mir entfernt. Sie schnaubte plötzlich. Ich konnte eine Wut in ihr aufsteigen sehen. Etwas hatte ihre Kraft geweckt. Ich lief zu ihr und berührte sie.

Sie erschrak: »Cara?«

»Wir müssen ihnen helfen. Ich kann meine Flamme auch hier einsetzten, aber meine Kraft reicht nicht aus, um alle zu töten.«

Udara nickte: »Was soll ich tun?«

»Wir müssen irgendwie unsere Kräfte bündeln«, antwortete ich. Udara konzentrierte sich auf ihre Flamme. Ich konnte spüren, dass sie sich anders bewegte als meine. Sie schien freier, beweglicher. Irgendwie spürte ich instinktiv, was ich zu tun hatte. Ich legte meine Hände auf ihre und verstärkte ihre Flamme durch meine. Als Udara bemerkte, wie ihre Kraft stieg, sprach sie leise: »Pahi pheta ble.«

Woraufhin sich plötzlich ihre Flamme ausweitete und durch den Raum schwebte, als hätte sie keinen festen Fixpunkt. Ich lächelte sie an: »Das ist fantastisch.«

Ich konzentrierte mich erneut auf meine Flamme.

Plötzlich gab es einen wahnsinnigen Ruck und Udaras Flamme brach wie eine Welle über den gesamten Raum hinaus. Aruna, Zephus und Tara blieben durch ihre Schuppen vor der Flamme geschützt. Unsere Angreifer aber gingen einer nach dem anderen in Flammen auf. Es war wie ein grelles Licht, dass sie verbrannte und uns erlöste. Als die Welle nachließ, sackte Udara in sich zusammen. Aruna eilte zu uns. Noch bevor sie Udara berührte, ließ ich sie los und kehrte in meinen Körper zurück.

Thylion konnte die Schreie seiner Mutter ebenfalls hören, aber er war gerade in Höhe von Danny, Elen, Varush, Le, Niel und sah die herannahenden Krieger. Er war hin und hergerissen. Sollte er zu seiner Mutter fliegen oder den anderen helfen. Was war ihm wichtiger? Wem sollte er zuerst helfen? Konnte man das eine Leben gegen ein anderes Leben setzten? Waren sie nicht alle individuell? Er blickte zum Turm seiner Mutter und sah wie sie ihre Flügel wild in der Dunkelheit bewegte. Sie schien sich gegen etwas zu verteidigen. Er musste ihr helfen.

Thylion flog näher an den Turm heran, als plötzlich eine helle Flamme in den Himmel stieß und es ruhig im Turm wurde. Thylion stockte der Atem. Bitte, nicht. Bitte, lass ihnen nichts passiert sein, dachte er bei sich. Sein Atem stockte. Sein Herz bebte. Als er sich gerade dazu entschlossen hatte, zu ihnen zu fliegen, erhob sich Zephus in den Himmel. Es ging ihnen gut. Thylion fiel ein Stein vom Herzen. Sie hatten ihre Angreifer besiegt. Er grinste zufrieden. Das sind meine Schwestern!

Im selben Moment drehte er sich mit geschwellter Brust zu den anderen um, schnappte sich ein Schwert der Angreifer und warf sich neben Danny, Elen, Varush, Le und Niel in den Kampf um das Haupttor. Sie hatten es nicht leicht die Krieger abzuwehren. So wie es schien, hatten die Kämpfer sie die gesamte Zeit beobachtet und ihre Reaktionen gegenüber der ersten Welle studiert. Sie konterten jeden ihrer Angriffe.

»Das wird so nichts«, rief Thylion den anderen zu. Während er ein weiteres Mal einen der Krieger mit seinem Flügel abwehrte.

»Wir brauchen eine andere Taktik«, rief Niel ihm zu. »Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt für eine deiner Ideen, Danny«, fügte Varush an, in der Hoffnung, Danny hätte noch ein Ass im Ärmel.

»Mir fällt nichts ein«, antwortete Danny, während er alle Mühe hatte, sich gegen die Angreifer zu verteidigen. »Jungs!«, unterbrach Elen sie. »Jetzt tut endlich was.« Einer der Angreifer holte mit dem Schwert aus und erwischte Elen am Flügel.

Sie brüllte ihn an: »Ich mach dich fertig!«

Thylion schaffte es im selben Moment seinen Angreifer abzuwehren und die anderen zu sich zu rufen: »Kommt her. Ich habe eine Idee. Aber ich brauche eure Energie.« »Unsere Energie?», hakte Niel verwundert nach.

»Jetzt frag nicht so blöd!«, erwiderte Thylion. »Kommt ran hier.« Danny, Le und Elen schafften es sich direkt von ihren Angreifern zu lösen und zu Thylion zu eilen. Varush musste einem seiner Angreifer erst noch den Kopf abbeißen, bevor er zu ihnen stoßen konnte.

Niel hatte am meisten Schwierigkeiten.

»Das wird nichts«, rief er Thylion zu, während er in schnellen Sprüngen den Schwertern seiner Gegner auswich. Es fehlten immer nur ein paar Millimeter zwischen ihm und den Schwertern. Thylion beschloss daher ohne Niel fortzufahren. Er griff nach Elens und Les Hand. Die ihn verdutzt anblickten.

»Konzentriert eure Flamme auf mich!«, sagte er zu ihnen. »Wir brauchen jede Menge Energie. Varush halt die Angreifer von uns fern. Danny, komm her.«

Danny legte seine Hand auf die der anderen und sie fokussierten die Kraft ihrer Flammen auf diesen Punkt. Im selben Moment rief Thylion in den Himmel: »Pahi pheta ble.« und schon strömte die Energie ihrer Flammen durch Thylion wie eine Welle durch die Nacht. Sie zertrümmerte die Knochen der Angreifer. Verbrannte ihre Kleidung. Nur die Schwerter blieben zurück. Die Drachenkinder waren gleichzeitig faszinierte als auch verwundert über diese Macht. Wie war das möglich? Was bedeuteten Thylions Worte?

Der Schmerz, der mich erneut durchfuhr, als ich in meinen Körper zurückkehrte, war deutlich stärker als vorher. Meine Arme waren von schwarzen Fäden gekennzeichnet. So wie es aussah ging die ganze Sache nicht einfach spurlos an mir vorbei. Und doch war es nicht der Schmerz, der mich zu Boden gingen ließ, sondern die Wut über Kiras Tod. Es überschattete alles. Wie konnte ich das nur zulassen? Wieso hatte ich mich nicht eher zu ihr projiziert? Ich saß auf dem Boden und starrte in die Nacht. Tränen liefen über meine Wangen. Ich schüttelte Kopf, während die Szene vor meinem geistigen Auge erneut ablief. In dem Moment als Kira starb, schlug ich mit der Faust auf den Boden. Dachte an Garushin. Dachte an Marces. Mein Herz raste.

»Das werde ich dir heimzahlen«, murmelte ich vor mich hin und fasste einen folgenschweren Entschluss.

»Hörst du mich, Garushin«, schrie ich in die Dunkelheit. »Ich werde dir das nicht durchgehen lassen. Das wirst du büßen!«

Kind der Drachen - Vergangenheit oder Zukunft?

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