Читать книгу Die Ahnen des Silberspiegels - Sabine Hoffelner - Страница 12

Kapitel 5

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Es klopfte leise an Anuds Tür. Sie reagierte nicht. Sie wollte nicht reagieren. Sie war müde. Sie wollte niemanden sehen, niemals wieder. Sie wollte jetzt hier auf der Stelle verrecken. Allein und elend. Das war immer noch besser als das, was sie bei Shuruan erwartete.

Noch einmal klopfte es. Und diesmal eine Spur eindringlicher als vorher. Anud spürte schon wieder Wut in sich hochkochen.

„Na gut“, sagte sie sich, während sie sich auf die Beine kämpfte. „Wer immer da draußen steht, wird es bereuen, nicht sofort wieder gegangen zu sein.“

Sie riss die Tür auf und wich erstaunt einen Schritt zurück. „Du?“ Der junge Mann, der nun vor ihr stand, hob beschwichtigend die Hände.

„Lässt du mich herein oder frisst du mich gleich hier draußen auf?“

„Was willst du?“

„Mit dir reden, falls das möglich ist.“ Ohne auf die Beschimpfung zu warten, die bereits in der Luft lag, schob Solam seine Schwester zur Seite und trat ein.

Der Anblick, der sich ihm bot, ließ ihn erschaudern. Die Waschschüssel lag in Scherben am Boden zwischen dem zerfetzten, blutigen Bettzeug und dem Schrank, dessen Tür eingebeult und zersplittert war. Das, was einst ein blütenweißer Spitzenvorhang gewesen war, hing zur Schlinge gebunden von einem der hohen Eckpfosten des Bettes herunter. Fragend deutete Solam auf diese Konstruktion.

„Wenn ich schon sterben soll, dann kann ich auch selbst dafür sorgen“, blaffte sie ihn an. Sie warf die Zimmertür krachend ins Schloss und ging zum Bett hinüber.

„Glaubst du, das Gestell ist stabil genug?“

„Anud“, Solam rang nach den richtigen Worten. „Lass wieder etwas Vernunft in deinen Kopf. Setz dich hin, und wir reden in Ruhe darüber.“

Sie seufzte. Erschöpft ließ sie sich auf ihr Bett sinken, und ihr Bruder setzte sich an ihre Seite. Eine Weile schwiegen sie.

„Wirst du mich aus diesem Schlamassel herausholen oder gemeinsame Sache mit unserem Vater machen?“

Solam stöhnte. „Anud, wenn ich irgendetwas tun könnte, würde ich das. Du bist meine Schwester. Glaubst du, mir geht es gut mit dem Gedanken, nicht zu wissen, was bei dem Feuerfürsten aus dir wird? Aber manche Dinge müssen wir annehmen, wie sie sind. Du kennst die alten Geschichten von Shuruan. Du weißt, wie wichtig es ist, dass du deine Aufgabe erfüllst.“

„Ja, ich soll mein Leben hingeben, nur weil Vater und dir keine andere Lösung einfällt.“

„Es ist nicht sicher, dass er ...“

Solam konnte nicht weiterreden. Verstohlen wischte er mit dem Handrücken über seine Augen. „Anud, niemand weiß genau, was mit seinen bisherigen Bräuten geschehen ist. Du solltest nicht gleich vom Schlimmsten ausgehen.“

„Nein, vielleicht dürfen sie alle bis ins hohe Alter hinein von ihm eingesperrt und gequält werden. Wenn ich das so betrachte, gefällt mir die Sache schon viel besser.“

„Anud! Was soll ich denn tun? Wir haben eine Verantwortung für unser Land. Dafür wurden wir geboren. Ich kann auch nicht einfach meine Sachen packen und als Gaukler durchs Land ziehen, nur weil mir das besser gefällt, als mich tagtäglich mit den Problemen unserer Leute zu befassen und dafür zu sorgen, dass in Daras alles in geregelten Bahnen läuft. Und ein Bauer kann nicht einfach hier hereinmarschieren, sich die Krone auf den Kopf setzen und regieren. Jeder Mensch hat seine Aufgabe im Leben. Und er trägt die Verantwortung dafür, diese so gut er kann, zu erfüllen.“

„Und manche haben einfach mehr Glück bei ihrer Bestimmung als andere. Na gut, dass du es um so viel besser getroffen hast, als ich. Herzlichen Glückwunsch! Jetzt fühle ich mich doch gleich wieder richtig gut.“

„Anud, bitte, ...“

„Hast du eigentlich schon einmal daran gedacht, dass du irgendwann vielleicht deine eigene Tochter zu Shuruan schicken musst? Wenn wir diesen unseligen Handel nicht jetzt ein für alle Mal beenden, wird er noch viele Generationen von jungen Frauen ins Verderben stürzen. Wir werden uns an unseren Nachfahren, deinen Kindern und Enkeln, schuldig machen, wenn wir jetzt nichts tun. Kannst du mit dieser Verantwortung leben?“

Als er nichts darauf erwiderte, stand sie auf und ging zur Tür. „Verschwinde.“

Er rührte sich nicht. In Solams Gesicht spiegelte sich seine Zerrissenheit. Doch Anud sah das nicht. Sie war in ihren eigenen Gefühlen gefangen.

„Geh!“

Er stand auf. Zögerlich machte er ein paar Schritte auf seine Schwester zu. Ihre Blicke trafen sich.

„Es tut mir leid.“ Dann wandte er sich ab und ging.

Als Corum die Stadtmauer erreichte, stand die Abendsonne bereits tief. Trotzdem war das große Osttor noch geöffnet und die Wächter dort blickten ihn nur einmal kurz gelangweilt an, bevor sie ihn passieren ließen.

Drinnen blieb Corum stehen. Ihm gefiel es hier zwischen den Häusern nicht. Es war hier viel zu laut, zu staubig und zu steinig. Der Lärm all der Menschen, die trotz der vorgerückten Stunde noch unterwegs waren, überflutete ihn. Irgendwo kreischten spielende Kinder, in der Gasse rechts von ihm hatten einige Frauen eine lautstarke Auseinandersetzung, im Haus gegenüber wurde eine Magd von ihrer Herrin gescholten, weil sie einen Teller hatte fallen lassen. Und dazwischen bellten Hunde, gackerten Hühner und grunzten ein paar Schweine. Corum hielt sich die Ohren zu. Wie konnte Anud das nur jeden Tag ertragen?

Erst als er den Krach aus seinem Kopf ausgesperrt hatte, konnte er sich in Ruhe umsehen, um sich zu orientieren. Der Sänger kannte sich hier nicht aus. Arnac war die Hauptstadt von Daras, das Zentrum von König Ildagars Macht. In verwinkelten Straßen reihte sich Gebäude an Gebäude. Die Straße, durch die Corum hier hereingekommen war, war verhältnismäßig breit. Sie schien geradewegs zur Burg hinauf zu führen, die auf einem kleinen Hügel an der Nordseite über all das Durcheinander hier wachte.

Ohne die Hände von seinen Ohren zu nehmen, ging der Sänger zwischen Wohnhäusern und den Werkstätten einiger Handwerker hindurch, ohne sich groß um die Leute zu kümmern, die ihm begegneten. Und schließlich wuchs das riesige Tor der äußeren Festungsmauer von Caer Arnac vor ihm in die Höhe.

Eine Weile stand der kleine Mann nur da und versuchte, dieses gewaltige Bauwerk mit seinen Augen zu erfassen. Es musste ein Wunder gewesen sein, dass Anud aus diesen Mauern schon einmal hatte fliehen können. Wie sollte sie dort nun ein weiteres Mal heil herauskommen? Corum schluckte trocken. Und wie sollte er da hineinkommen, um mit dem König zu sprechen?

Plötzlich spürte er, wie sich eine schwere Hand auf seine rechte Schulter legte. Erschreckt gab er seine Ohren wieder frei, drehte sich herum und blickte in das Gesicht eines Soldaten.

„Du bist doch Corum, der Musiker.“

Der kleine Mann starrte in das Gesicht vor ihm, und als er sein Gegenüber erkannte, erschauderte er. Vor ihm stand der Soldat, der tags zuvor seine Hütte durchsucht hatte. Der Hauptmann, von dem Anud erzählt hatte, dass er Pamir hieß.

„Du erwiderst heute also meinen Besuch bei dir?“

Vor Aufregung brachte Corum kein Wort heraus. Der Andere schien das zu merken, denn nun ließ er ihn los und trat einen Schritt zurück. Er lächelte freundlich. „Kann ich etwas für dich tun?“

Corum holte tief Luft. Nervös blinzelnd versuchte er, sich wieder etwas zu beruhigen. Er hatte von dem Hauptmann nichts zu befürchten. Durch die Stadt zu gehen und die Burg anzuschauen war kein Verbrechen. Und im Grunde war das, warum er hier war, auch keines. „Ich möchte zu König Ildagar.“

Ungläubig begann der Wächter, zu lachen. „Zum König? Und was willst du von ihm?“

„Mit ihm reden. Wegen seiner Tochter.“

„Soso, und du glaubst, der König will auch mit dir über seine Tochter sprechen?“

Corum zuckte die Schultern. „Vielleicht nicht, aber es ist wichtig. Bitte bringt mich zu ihm.“

Der Soldat überlegte ein wenig. Dann winkte er den Sänger näher heran. „Komm mit, ich will sehen, was ich für dich tun kann.“

Erleichtert, doch nicht ohne Misstrauen tappte Corum dem Mann hinterher. Sollte es wirklich so einfach sein? Oder lief er geradewegs in eine Falle? Nach allem, was er von Anud über diesen Hauptmann Pamir erfahren hatte, hatte der ihr Vertrauen schändlich missbraucht und war nun sogar bereit, sie ihrem Vater und damit Shuruan auszuliefern. Konnte es dann nicht auch sein, dass die Freundlichkeit, die er ihm gegenüber nun zeigte, nur gespielt war, und er ihn geradewegs in den Kerker brachte? Corum stolperte, dann blieb er stehen. Ja, das machte Sinn! Pamir hatte Anud gestern tatsächlich unter seinem Bett entdeckt und wusste, dass er sie dort versteckt hatte. Dafür wurde er ihn nun bestrafen!

„Was ist los?“

„Wo bringt Ihr mich hin?“ Corum drückte seinen Rücken gegen die nächstgelegene Wand. Am liebsten wäre er jetzt umgedreht und davongerannt.

„Du wolltest doch zum König.“

Der Sänger nickte steif. „Bringt Ihr mich in den Kerker?“

Wieder lachte Pamir. „Sieht das hier etwa so aus wie der Weg zum Gefängnis? Aber wenn du mir noch länger meine Zeit stiehlst und hier festwächst, werde ich mir das mit dem Kerker noch einmal überlegen.“

Corum blickte sich um. Die gesamte Decke des hohen Flures, den sie entlanggegangen waren, war mit kostbaren Stuckarbeiten verziert. An den Fenstern aus klarem Glas hingen schwere, mit Goldfäden bestickte Vorhänge. Nein, den Weg zum Verlies stellte er sich wirklich anders vor.

Er nickte und atmete erleichtert auf. Dann folgte er dem Hauptmann, der bereits weitergegangen war.

Als sie schließlich in einem großen Zimmer ankamen, sagte der Wachmann seinem Begleiter, er solle hier warten. Corum setzte sich auf einen mit rotem Samt bezogenen Stuhl und schaute sich um. Die gesamte gegenüberliegende Wand wurde von einem Bild ausgefüllt. Darauf war ein Wesen zu sehen, von dessen Art er noch keines gesehen hatte. Es war ein Pferd, soviel konnte er feststellen. Doch dieses Tier schien ganz aus Flammen zu bestehen. Funken hüllten es ein. Es hatte flammende Hufe und einen lodernden Schweif. Auf dem Tier saß eine formlose Gestalt, die ebenfalls zu brennen schien. Man konnte sie für einen Menschen halten, denn sie hatte einen Kopf mit dunklen Augen und einen Mund. Aber anstelle von Armen und Beinen wuchsen ihr flammende Tentakel aus dem Leib, die eine schreiende Frau umkrallt hielten. Auch im Hintergrund des Reiters brannte es. Corum konnte, wenn er die Augen etwas zusammenzwickte, ein loderndes Haus erkennen. Und daneben waren noch ein paar Männer und Frauen angedeutet, die panisch wegrannten.

Es war ein scheußliches Bild, das Corum sich freiwillig nicht in seine Hütte gehängt hätte. Sahen so diese schrecklichen Feuerreiter aus, von denen Anud ihm erzählt hatte? Die Untiere, die in der Alten Zeit Daras verwüstet hatten? Wahrscheinlich. Aber warum hängte sich der König zwischen all die Pracht hier solch ein hässliches Bild? Das war ja, wie wenn jemand mitten in einem schönen Lied absichtlich einen schiefen Ton singen würde!

Corum grübelte eine Weile darüber nach. Ildagar galt als kluger und umsichtiger König. Wenn er so ein scheußliches Gemälde hier anbrachte, wo seine Besucher hergeführt wurden, dann hatte er sich bestimmt etwas dabei gedacht. Vielleicht wollte er, dass niemand vergaß, wie schlimm es den Menschen damals ergangen war. Niemand sollte je auf die Idee kommen, sich dem Willen des mächtigen und grausamen Feuerfürsten zu widersetzen.

In Corums Bauch verknotete sich etwas, als er begriff, dass Anud genau das vorhatte. Und er selbst half ihr dabei. Erschaudernd wandte er sich ab. An den anderen Seiten des Raumes gab keine Stühle. Egal. Corum wollte sich dieses schreckliche Bild nicht länger anschauen. Er stand auf und ging ein wenig herum.

Das Zimmer hatte einen eigenartigen Klang. Bei jedem Schritt auf den Marmorboden hallte das Geräusch seiner Stiefel nach. Ansonsten war es hier ganz still. Corum gefiel der Klang dieses Raumes nicht. Er war so kalt und trostlos. Ganz anders als die Geräusche draußen in der Natur, wo er zu Hause war. Er blieb stehen und schloss die Augen. Dann dachte er an Balothu und seine friedliche Wiese.

Da ging die Tür, durch die der Soldatenhauptmann verschwunden war, wieder auf. Pamir winkte Corum heran. „Du hast Glück, König Ildagar wird dich empfangen. Geh nun zu ihm hinein.“

Corum würgte einen Schluck Speichel hinunter. Wenn er nur wüsste, was er dem König sagen sollte. Die Angst kroch vom Bauch in seine Beine hinunter. Schnell zog er das Blatt, das ihm Orumban mitgegeben hatte, hervor, öffnete es ein wenig und leckte an dem süßen, stärkenden Saft. Sofort spürte er, wie seine Knie etwas weniger zitterten. Er holte tief Luft, dann trat er ein.

Ildagar saß an seinem Schreibtisch. Er hatte den Kopf auf seine Hände gestützt. Als sein Besucher eintrat, richtete er sich auf und versuchte, die Müdigkeit aus seinen grau umrandeten Augen zu wischen.

Der kleine Sänger tappte ein paar Schritte auf den König zu. Dann fiel ihm ein, dass es wohl angebracht war, sich vor dem Herrscher zu verbeugen. Also senkte er seinen Kopf, bis er die feinen Linien der Bodenplatten ganz deutlich erkennen konnte, und auch seine schmutzigen Stiefel, die so gar nicht zu dem glänzenden Stein, auf dem sie standen, passten.

„Du bist also der Musiker, mit dem meine Tochter sich angefreundet hat.“

Ildagars unerwartet weiche, tiefe Stimme legte sich wie Balsam über Corums aufgeregtes Herz, das nun noch ein wenig verwirrter war. Wie konnte ein Mann, der so grausam seine eigene Tochter einem Dämon ausliefern wollte, solch eine schöne Stimme besitzen?

„Ich heiße Corum.“ Er überlegte, ob er noch etwas zur Begrüßung sagen oder tun musste. Doch der König kam sofort zur Sache.

„Pamir hat mir gesagt, dass du mit mir über meine Tochter sprechen möchtest.“

Corum spürte, wie seine Kehle eng wurde. Er wollte antworten, aber seine Stimme weigerte sich. Ein kratziges Gurgeln war alles, was er hervorbrachte.

Der König zog die Stirn in Falten. Dann lächelte er matt. „Wenn du mit mir reden willst, solltest du auch etwas sagen.“

Das wusste Corum. Aber sein Hals war staubtrocken, und sein Kopf leer. Nein, so ging das nicht. Da erinnerte er sich an seine Harfe, die er unter dem Umhang trug. Ihm kam eine Idee. Im Reden war er nicht gut. Aber singen, das konnte er. Kurzerhand holte er sein Instrument heraus, ließ seine Finger über die Saiten gleiten, und als die ersten Töne erklangen, war der Bann gebrochen.

„O großer, erhabener Ildagar, o verehrter Herrscher von Daras.“ Auf einmal ging alles ganz einfach. Corum spielte auf seiner Harfe und sang dazu. „Ihr habt eine wunderbare Tochter, ich kenne sie schon lange. Doch nun hat sie große Sorgen, große Sorgen, o König. Denn sie soll Shuruan heiraten, den gar fürchterlichen Herrscher des Feuers. Anud hat Angst, o König. Sie fürchtet sich, bald sterben zu müssen. Deshalb ist sie weggelaufen, vor Eueren Soldaten geflohen. Sie hat mir alles erzählt und war ganz traurig, o Herr, und verzweifelt. Und das hat mich selbst traurig gemacht und verzweifelt. Darum hab ich versprochen, ihr zu helfen. Doch alles, was ich bisher getan habe, war vergeblich. Deshalb bin ich nun hier bei Euch, o großer Ildagar. Ihr seid der Einzige, der Anud die Traurigkeit wieder nehmen kann – ihr und auch mir selbst. Darum bitte ich euch mit diesem Lied und den Klängen meiner Harfe: Erlöst Euere Tochter aus ihrem Schmerz. Lasst Euer Herz von meinem Lied erweichen. Sprecht mit dem Herrn des Feuers. Ihr seid ein mächtiger König, o großer, erhabener Ildagar. Ihr könnt Shuruan ein anderes Pfand für den Frieden anbieten. Und dadurch euere Tochter befreien.“

Als der letzte Ton verklungen und die kalte Stille in den Raum zurückgekehrt war, stand der König seufzend auf. Behäbig, als wäre er ein Greis, ging er zum Fenster hinüber. Lange starrte er wortlos hinaus, und Corum war sich nicht sicher, ob er ihn vielleicht schon vergessen hatte. Da tropfte dicht neben Ildagars Füßen eine kleine Perle auf den Marmorboden. Und schließlich wandte der Herrscher seinen Blick wieder dem Sänger zu.

„Meine Tochter scheint dir ja wirklich sehr am Herzen zu liegen.“

Corums Wangen röteten sich, während er den Blick verlegen abwandte.

„Und mich hältst du für ein grausames Untier, das seine Tochter ins Unglück stürzt, um seine eigene Haut zu retten.“ Der König schritt langsam zum Tisch zurück und stützte sich mit den Händen schwer darauf ab.

„Vielleicht hast du recht. Vielleicht bin ich genau das. Aber ich bin nicht nur Anuds Vater. Zu allererst bin ich der Herrscher dieses Landes. Ich bin all den Menschen verpflichtet, die in Daras leben und sich darauf verlassen, dass ich sie beschütze. Und meine Tochter ist unseren Leuten genauso verpflichtet wie ich, auch wenn sie das nicht wahrhaben will.

Shuruan besteht seit langer Zeit auf diesen grausamen Handel. Jeder, der bislang versucht hat, die Abmachung zu brechen, hat das bitter bereut. Das ganze Land hat dafür bezahlen müssen. Der Feuerfürst ist eine Bestie, voller Hass auf alle Dariden. Er lässt sich auf keine Verhandlungen ein. Er will Daras brennen sehen und alle Menschen, die hier leben, grausam ausrotten! Unser sicheres Leben kann jederzeit vorbei sein, wenn Shuruans Wut erneut aufflammt und er seine Feuerreiter wieder zum Leben erweckt. Der Frieden, in dem du aufgewachsen bist, ist nicht selbstverständlich, Corum. Er ist das Resultat all der Opfer, die meine Vorfahren schon gebracht haben. Und nun liegt es an Anud und mir, dafür zu sorgen, dass Daras weiterhin das blühende Land bleibt, das wir alle kennen.“

In Corums Ohren schwirrte es. Das lief gar nicht gut. „Herr, ich verstehe, dass ihr die Bewohner von Daras vor Shuruan beschützen wollt. Müsstet Ihr dann aber nicht auch euere Tochter schützen? Es gibt doch bestimmt noch irgendeinen anderen Weg, den Feuerfürsten zu besänftigen.“

„Wenn es den gäbe, dann hätten ihn meine Ahnen schon längst gefunden. Für sie war es auch nicht leicht, Shuruan ihre Töchter zu überlassen.“

„Aber ...,“

„Nein! Ich kann nichts für dich tun, Corum. Aber du könntest mir helfen. Rede mit meiner Tochter, versuche, ihr klarzumachen, wie wichtig es ist, dass sie sich in ihr Schicksal fügt. Du bist ihr Freund, vielleicht kannst du sie zur Vernunft bringen. Anud wird den Feuerfürsten heiraten, ob sie will oder nicht. Aber sie könnte es sich selbst und auch mir leichter machen, wenn ich sie nicht dazu zwingen müsste.“

Entsetzt starrte der kleine Mann den König an.

„Bist du bereit, meiner Tochter ins Gewissen zu reden? Nur so kannst du ihr helfen.“

Corum schüttelte den Kopf. Erst ganz langsam, doch dann immer bestimmter. Nein, dies war nicht die Art von Hilfe, die er Anud versprochen hatte.

„Schade. Dann müssen wir die Dinge nehmen, wie sie sind.“ Ildagar blickte seinen Besucher noch einen Moment lang an. „Es war schön, dich kennengelernt zu haben. Dein Lied hat mich berührt. Geh, wenn du willst, zum Dank dafür in die Gesindeküche. Iss und trink dort, soviel du willst. Du bist mir jederzeit auf meiner Burg willkommen, und ich würde mich freuen, bald wieder ein Lied aus deinem Mund zu hören.“

Noch immer schüttelte der Sänger den Kopf. Damit hörte er auch nicht auf, als Pamir ihn sanft an der Schulter nahm und aus dem Raum führte.

Als sie den Burghof erreicht hatten, strich der Hauptmann Corum aufmunternd über die Schulter. Pamir war während des Gesprächs im Zimmer geblieben und hatte alles mit angehört.

„Ich weiß nicht, ob das ein Trost für dich ist. Aber ich selbst werde den Begleittrupp anführen, der morgen früh aufbricht, um Anud zum Feuerfürsten zu bringen. Ich werde dafür sorgen, dass sie unterwegs gut versorgt ist und anständig behandelt wird. Mehr kann ich leider auch nicht tun.“

Corum nickte. Er presste seine Harfe an sich. Was sollte er bloß machen? Er hatte nicht nur Anud, sondern auch Orumban versprochen, ihr zu helfen. Wahrscheinlich würde dies das erste Versprechen in seinem Leben sein, das er nicht halten konnte. Das alles war so schrecklich!

Die Ahnen des Silberspiegels

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