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»Du lernst, nicht weiter nachzubohren« Annett (*1971) und Klaus-Dieter (*1951)
ОглавлениеSabine Michel
Ich bin lange mit dem Zug gefahren, zweimal umgestiegen. Annett holt mich vom Bahnhof ab. Sie ist kleiner, als ich dachte, mit gewellten dunklen Haaren und warmen, ebenfalls dunklen Augen. Wir fahren noch einmal fast zwanzig Minuten in ihrem familienfreundlichen Kombi. Unser Ziel: ein Dorf in Westdeutschland mit typischen Einfamilienhäusern und gepflegten Gärten. Ab und an ein Auto auf der Gegenspur. Vor dem Haus stehen Kinderfahrräder, Roller und Spielzeug liegen über die Wiese verstreut. Es ist still, ein warmer Sommerabend. Die Schwalben fliegen hoch.
Annett und ihr Mann Dirk haben drei Kinder. Die beiden haben sich Anfang der Neunzigerjahre beim Lehramtsstudium in Annetts Heimatstadt Dresden kennengelernt. Er war damals einer der ersten Studenten aus den alten Bundesländern. Nach Studienende ziehen beide nach Westdeutschland, Annett will auf keinen Fall in Dresden bleiben. Sie arbeiten als Lehrer, Dirk wird Schuldirektor und erhält das Angebot einer Auslandstätigkeit in Asien.
Die kalligraphischen Zeichnungen an den Wänden erzählen von dieser Zeit. »Ich wollte immer ganz weit weg, nicht ein bisschen Fremde, sondern ganz fremd«, erzählt Annett. Asien ist ein Traum für sie. Einziger Wermutstropfen: Annett findet selber keine Arbeit, bleibt zu Hause und kümmert sich um Kinder und Haushalt. »Anfänglich war das absurd für mich. Ich bin doch in der DDR damit aufgewachsen, dass alle Frauen selbstverständlich arbeiten und ihr eigenes Geld verdienen. Für meinen Mann war das normaler, dass ich zu Hause blieb.«
Annett braucht fast ein Jahr, um sich in diese für sie neue Art des Zusammenlebens hineinzufinden und die angenehmen Aspekte genießen zu können. Annett und Dirk leben mit ihren ersten beiden Kindern vier Jahre im Ausland. Als sie zurück in Deutschland sind, bekommen sie noch ein Kind. Die Jüngste ist jetzt drei Jahre alt. Heute arbeitet Annett wieder mit halber Stundenzahl als Lehrerin. Als ich sie wegen eines Gesprächs mit ihrer Mutter oder ihrem Vater angesprochen habe, hat sie lange gezögert.
Annett wächst mit ihrer berufstätigen Mutter und ihrem Stiefvater in Sachsen auf. Ihre Mutter arbeitet in der Verwaltung, er als Polizist; beide sind Mitglied der SED. Ihr leiblicher Vater lebt in Berlin und arbeitet im Ministerium für Staatssicherheit. Auch Annetts Mutter beginnt drei Jahre vor dem Mauerfall für die Staatssicherheit zu arbeiten. Nach dem Mauerfall wird sie arbeitslos und alkoholkrank und ist es bis heute. Ihr Stiefvater ist nun in einem Wachunternehmen tätig. »Ich konnte mich nie richtig auf meine Mutter verlassen. Es war für Momente schön und dann war sie wieder abwesend und ausschließlich mit sich beschäftigt. Hier hat sie uns noch nie besucht.«
Wir stehen in Annetts und Dirks Garten, schauen auf das angrenzende Feld. Der Mauerfall kommt überraschend für sie und stellt Annetts bisheriges Leben auf den Kopf. Annett wird für kurze Zeit Mitglied der PDS, der Nachfolgepartei der SED.
»Mehr aus Trotz, als immer mehr Leute für die schnelle Wiedervereinigung und die D-Mark auf die Straße gingen. Eine kurze Episode. In der DDR wäre ich sicher irgendwann in die SED eingetreten. Ich habe nichts kritisch hinterfragt. Ich war aktiv als FDJ-Sekretärin und bin dann auch kurz vor der Wende noch zum FDJ-Treffen in Berlin gewesen.«
Schon vor ihrem Asien-Aufenthalt haben Annett und ihr Mann dieses Haus gebaut. Es sticht unter den anderen Einfamilienhäusern im Ort heraus, ist höher, mit ungewöhnlichem Grundriss und sehr großen Fenstern. Von einem Flur, in dem viele Schuhe, vor allem Kinderschuhe, bunt durcheinanderliegen, gelangen wir über eine Treppe in den Wohnbereich, einer Art kombiniertem Küchen- und Wohnraum; ein großer Tisch steht einladend in der Mitte. Blickfang ist ein großes Fenster, das sich nicht öffnen lässt, aber eine weite Aussicht in die Landschaft erlaubt. Ich muss an eine Kommandozentrale denken. Den Überblick behalten.
Als Annett Mitte der Neunzigerjahre als Lehramtsanwärterin ihr Vorstellungsgespräch im Bildungsministerium in S. hat, wird sie von den westdeutschen Beamten gefragt: »Als Sie studiert haben, wurde der Lehrstuhl für Anglistik in Dresden gerade erst aufgebaut, meinen Sie denn, dass Ihre ostdeutsche Ausbildung den Standards entspricht?« Die Frage haut sie damals um. An ihrer westdeutschen Schule ist sie die erste Ostdeutsche und sechsundzwanzig Jahre alt. Der Altersdurchschnitt bis dahin: über fünfzig, vorwiegend Männer und ausschließlich Westdeutsche.
Annett kauft sich damals ein Paar Doc Martens, findet das schick zu Kleidern. Vielleicht hat sie auch das Gefühl, auf sicherem Fuß stehen zu müssen, um sich zu behaupten. Einer ihrer Kollegen sagt zu ihr: »Ja, die Kollegen aus dem Osten kommen gleich mit den Springerstiefeln, das passt ja!« Heute fühlt sich Annett nicht mehr fremd hier. Ihre Kollegen aus dem Westen – mittlerweile sind sie alle mehr oder weniger so alt wie sie – denken ähnlich über die Welt. Die Wende ist dabei eine sehr abstrakte Angelegenheit. Manche von ihnen waren bis heute nicht im Osten, höchstens mal in Berlin. Und für Annett ist der Osten mittlerweile auch weit weggerückt.
»Die Bundesrepublik Deutschland ist meine Heimat, aber ich wüsste, ich könnte auch woanders leben. Die Erfahrung habe ich schon gemacht. Aber hier bin ich angekommen. Ich bin anerkannt und ich merke auch, dass etwas zurückkommt. Wir haben so viel in unserer Hand. Ich habe eine Aufgabe: dass ich den Schülern klarmachen muss, wir leben in keiner sicheren Welt, die ist nicht von alleine sicher. Aber ihr könnt es steuern. Umweltfragen gehören dazu, aber auch Bildung. Ich habe ein paar Flüchtlingskinder in der Klasse und erlebe die zielstrebiger als manch andere. Ich versuche, die zu unterstützen. Ich sehe mich da in der Verantwortung. Wenn der Kapitalismus keine Lösung ist, der Sozialismus ist es auch nicht.«
Annett hat nach anfänglichem Zögern einem Gespräch mit ihrem leiblichen Vater, Klaus-Dieter, zugestimmt. Klaus-Dieter wurde 1951 geboren. Seine Mutter war Weberin und Mitglied der SED, sein Vater arbeitete in drei Schichten in der Wismut, im Uran-Abbau. Klaus-Dieter wird zu Protokoll geben: »Ich brauchte kein Geld, um meinen Traum vom Studieren, Sportsegeln und Motorradfahren zu erfüllen.«
Das DDR-System wird in seiner Familie als sozial und gerecht empfunden. Schon während des Abiturs wird Klaus-Dieter Kandidat der SED und studiert anschließend Informationsverarbeitung. Nach dem Studium wird er im Ministerium für Staatssicherheit in der Abwehr Wirtschaftsspionage eingestellt. Für ihn eine schlüssige Entscheidung.
Annett steht vor dem großen Fenster und schaut auf die langsam dunkel werdende Landschaft. Welchen Einfluss hatte die berufliche Entwicklung ihres Vaters damals auf Annett? Ihre Eltern lernen sich auf der EOS kennen und trennen sich kurz nach dem Studium. Da ist Annett zwei Jahre alt. Ihr Vater zieht nach Berlin, ein Karriereschritt nach oben. Er leitet dort eine Hauptabteilung. Mit seiner zweiten Ehefrau hat er noch drei Kinder bekommen.
Annett hat trotzdem regelmäßig Kontakt mit ihm. »Ich habe ihn damals als in sich ruhenden, sehr selbstbewussten Mann erlebt. Er hat dem Staat DDR vertraut, an das System geglaubt, so wie ich auch. Und das erschien mir absolut glaubwürdig. Mängel wurden als etwas in naher Zukunft Abzustellendes benannt. Über seine und meiner Mutter Tätigkeit bei der Stasi habe ich nicht nachgedacht und es auch nicht hinterfragt. Du lernst, nicht weiter nachzubohren. Nach dem Mauerfall meine Mutter darauf anzusprechen, endete eigentlich immer in einer sehr emotionsgeladenen Situation, weil sie meinte, sie müsse sich jetzt rechtfertigen und verteidigen. Ich wollte sie irgendwann nicht mehr in diese Situation bringen. Die Wende hat beide ins Wanken gebracht. Dann stellst du solche Fragen nicht.«
Es ist dunkel geworden. Annetts Vater wird morgen aus einer Stadt im Osten anreisen und, sicher pünktlich um zehn Uhr, an ihrer Tür klingeln. Freut sie sich auf das Gespräch? Klaus-Dieter steht kurz vor der Pensionierung und hat sehr eigene politische Ansichten entwickelt, die Annett stark irritieren. »Von Verschwörungstheorien erzählt er mit einem gewissen Sendungsbewusstsein, Pegida und Putins Politik steht er wohlgesonnen gegenüber. In letzter Zeit denke ich immer öfter, dass unser Leben in der DDR und die Jahre danach doch viel mit unserem Leben heute zu tun haben. Dass es längst nicht so vergangen ist, wie es mir lange in meinem Alltag hier tief im Westen schien. Das ist ein starker Impuls für mich, dieses Gespräch mit ihm zu führen. Für mich liegt die Zeit in der DDR wie unter Glas. Ich schaue darauf, ich sehe mich auch, aber ich komme nicht ran.«
Es ist Morgen. Klaus-Dieter hat wirklich pünktlich vor Annetts Tür gestanden. Vater und Tochter haben sich freundlich begrüßt, Annett hat ihm einen Kaffee gekocht und nun sitzen sie sich an dem großen ovalen Tisch in der »Kommandozentrale« gegenüber. Er trägt ein dunkelrotes T-Shirt und olivfarbene Hosen eines bekannten Outdoor-Labels. Solche Hosen haben unter dem Knie einen versteckten Reißverschluss, man könnte sie überall spontan kürzen, wenn es zu warm wird. Ein bei Rentnern beliebtes Kleidungsstück.
Vater und Tochter gehen vorsichtig miteinander um, oft sehen sie sich nicht im Jahr, Alltag haben sie nicht zusammen. Und nun dieses Gespräch. Beide wirken aufgeregt, wobei Klaus-Dieter das routinierter überspielt. Er fragt nach seinen Enkeln, spricht über die Fahrt und dann über den Kaffee – bis Annett ihn mit ihrer ersten Frage überrumpelt. »Was hast du damals eigentlich gearbeitet?«
Die Frage steht für einen Moment im Raum. Es ist keine typische Anfangsfrage, so konkret überrascht sie ihren Vater. Klaus-Dieter nimmt noch einen Schluck Kaffee, dann erklärt er etwas zu sachlich: »Ich war am Schluss vom Dienstgrad her Major und stellvertretender Abteilungsleiter.« Er schaut Annett an, doch sie schweigt, wartet. »Dann ist das System implodiert und die Welt brach für mich zusammen, weil das, wofür man gelebt hat, wie man erzogen wurde, woran man auch geglaubt hatte, an die Richtigkeit dieser Gesellschaftsordnung und die Möglichkeit, die Unzulänglichkeiten zu verändern … weg war. Eine Welt, für die ich mich engagiert habe. Das war kein Achtstundenjob, ich hab es aus Überzeugung gemacht. Und dann verstehst du, dass alles umsonst war.«
Annett rutscht unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Nimmt ihre offenen schulterlangen Haare im Nacken zusammen, lässt sie wieder fallen. An diesem Punkt scheinen sie schon oft gewesen zu sein. Heute setzt Annett ihre eigene Geschichte dagegen. »Ich hatte damals einen Freund, das war eine recht intensive Beziehung. Der war damals gerade bei der Armee. Neben seiner Kaserne war eine Russenkaserne und da gingen allerlei Gerüchte herum. Da lag ziemliche Anspannung in der Luft. Er wusste um die Berufe meiner Eltern und hat sich aus politischen Gründen von mir getrennt. Damals ging er, als ehemaliges SED-Mitglied, in die DSU, eine rechtskonservative Partei. Das war mein erster persönlicher Crash in der Zeit.«
Klaus-Dieter wirkt überrascht. So viel Offenheit kennt er von seiner Tochter nicht. »Das wusste ich nicht.«
Annett reagiert nicht, sie erzählt einfach weiter. »Ja, und dann begann mich sehr schnell zu nerven, dass es nur noch um das Materielle und nicht mehr um das Ideelle ging. Da bin ich PDS-Mitglied geworden. Ich fand Gregor Gysi ganz toll. Später hat sich das dann gelegt, als ich sah, was das alles für alte Leute waren. Ich habe mich also erst mal auf die Hinterbeine gestellt und gesagt: ›Euch geht es nicht um die Idee, sondern um den materiellen Zuwachs.‹ Dass sich mit den Veränderungen aber auch eine Weite für den eigenen Horizont auftun könnte, darauf bin ich damals nicht gekommen.«
Annett geht während ihres Studiums für ein Semester in die USA und überwindet ihre anfängliche Scheu vor allem Unbekannten. Sie lernt Menschen kennen, die ganz anders sind als sie und mit denen sie trotzdem ins Gespräch kommt, die sie offen annehmen, obwohl sie aus der »GDR« stammt. Sie fasst Mut und probiert Dinge aus, vor denen sie vorher zurückgeschreckt ist. »Nach dem Jahr in Amerika habe ich mir mehr zugetraut. Ich kam zu der Erkenntnis, dass es viele Möglichkeiten für ein Leben gibt und dass ich es selber in der Hand habe. Du musst nicht warten, bis einer kommt – kümmere dich mal selber! Ich habe dort gesehen, dass ich mit vielen, auch andersdenkenden Menschen umgehen kann. Dass ich denen etwas zu erzählen habe. Dass die mich mögen können. Was denken andere von mir, das war mir immer ganz wichtig.«
Klaus-Dieter hat oft genickt, er weiß, wie man Empathie und Zugewandtheit in einem Gespräch erzeugt. Er will etwas sagen, doch Annett redet weiter. »Zu Schulzeiten war ich nicht unbedingt der Gruppen- oder Cliquenmensch. Ich fand das faszinierend, wenn es so etwas gab, aber ich gehörte nicht dazu. Ich wusste nicht, wie ich mich da hätte einbringen können.«
Annett ist auf der EOS FDJ-Sekretärin, erledigt zuverlässig alle Aufgaben. Wenn sich keiner findet, macht sie es eben selber. Die Lehrer mögen sie, unter ihren Mitschülern ist sie als systemtreu bekannt. Sie wird geachtet, aber findet keinen Anschluss an einen der existierenden Freundeskreise.
»Je mehr Abstand ich von zu Hause hatte und je mehr Selbstsicherheit ich gewann, wurde das automatisch anders. Bis hin zu der Erkenntnis: Es ist eigentlich wurscht, was andere von dir denken.«
Jetzt unterbricht Klaus-Dieter sie. »Ich finde mich da in vielen Worten selber wieder. Thema Selbstwertgefühl: Muss ich etwas darstellen nach außen oder kann ich so sein, wie ich will. Diese Frage habe ich mein ganzes Leben mit mir herumgetragen. Ich wollte keinem wehtun. Ich sein – aber ein Guter sein.«
Da Annett schweigt, spricht er weiter. »Mein Vorbild war die humanistische Gesellschaftsordnung. Und das sehe ich heute noch genauso. Nur der Störfaktor Mensch funktioniert in so einem System nicht. In meiner Ausbildung spielte Geld keine Rolle. Meine Eltern hatten kein Geld dafür. Ich habe während des Studiums ein Leistungsstipendium bekommen und konnte damit ganz ordentlich als Student leben. Das war meine Motivation, für diesen Staat DDR da zu sein. Das hab ich als lebenswert empfunden, mit all den Einschränkungen.«
Klaus-Dieter ist schon mit sechzehn in die SED eingetreten und hat erlebt, dass er nun plötzlich nicht nur unter Schülern tonangebend ist, sondern auch Lehrern anscheinend ebenbürtig entgegentreten kann. Das hat sich später noch durch seine berufliche Position verstärkt. Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit sind alle mit Vorsicht begegnet. Auch gegenüber seinen Frauen und seinen Kindern gibt er lange den Ton an.
Klaus-Dieter hat sich seine Geschichte gut zurechtgelegt, man spürt, dass er sie bis hierhin oft schon erzählt hat.
Annett fragt zögernd, weich fast: »Ging das denn in dem Beruf, ein Guter sein?«
Klaus-Dieter wehrt sofort ab. »Wieso? Ich war doch der Gute! Ich habe doch beim MfS für das Gute gekämpft! Das überwiegt alles am Ende. Und dass da Höhen und Tiefen eine Rolle spielen, das ist eben das Leben. Damit muss man klarkommen, damals und heute. Ich stehe zu dem, was ich gemacht habe, weil ich das gut fand. Und dass mir danach einige ans Fell wollten, damit muss ich leben. Mein Glas ist immer halb voll und nicht halb leer.«
Anfang 1990 kündigt Klaus-Dieter seinen Dienst beim Ministerium für Staatssicherheit und tritt aus der SED aus, er sieht hier nun keine Zukunft mehr. Nach einer kurzen Anstellung in der Kontrollabteilung im Konsument Warenhaus auf dem Berliner Alexanderplatz wird er erfolgreicher Wirtschaftsprüfer in einem Forderungsmanagement. Das Unternehmen wird von ehemaligen Außenhändlern der DDR gegründet, die das Thema Risikomanagement aus dem DDR-Außenhandel kennen. Klaus-Dieters langjährige Tätigkeit beim MfS interessiert dort niemanden, im Gegenteil: Er hat anscheinend beste Vorrausetzungen im neuen gesellschaftlichen System mit seinen beruflichen Erfahrungen aus dem alten.
Da Annett wieder schweigt, fügt Klaus-Dieter hinzu: »Wir haben als Ossis einen entscheidenden Vorteil gegenüber den Wessis: Wir mussten unsere Vergangenheit aktiv überdenken und korrigieren. Aus dieser Sicht sehen wir die aktuellen Themen, die uns bewegen, viel kritischer als die, die noch niemals irgendeine Veränderung vollzogen haben. Die heutige politische Situation bereitet mir große Sorgen. Wie sich die Welt politisch entwickelt und wie die Menschen nichts tun. Deswegen gibt es Pegida. Das sind keine Nazis, sondern so alte Säcke wie ich, die die Wende durchgemacht haben und die Politik in diesem Land sehr kritisch sehen und die ausgegrenzt werden von diesen Wessis.«
Annett hat ihrem Vater zunehmend fassungslos zugehört, bei dem Wort »Pegida« schüttelt sie energisch den Kopf. Sie reagiert scheinbar irrational. Statt ihm in aktuell politischen Fragen zu widersprechen, geht sie an einen Punkt in ihrer beider Vergangenheit zurück, der zwischen Vater und Tochter noch offen zu sein scheint.
»Du hast vorhin gar nicht richtig geantwortet: Was genau hast du gemacht damals in der DDR?«
Diese erneute Nachfrage überrascht Klaus-Dieter. »Annett, das weißt du doch: Ich war operativer Mitarbeiter im Bereich der Sicherung der Volkswirtschaft, also in der Abwehr gegnerischer Spionagetätigkeiten.«
»Und weiter?«
Er begreift, dass es seiner Tochter ernst ist. »Wir haben Patente und Technologien gesichert. Ich war zuständig für den Bereich Landwirtschaft. Das machte man vor allem mit IMs, die in neuralgischen Positionen in den Betrieben tätig waren.«
Annett fragt sachlich nach: »Wie viele IMs hattest du denn?«
»Zwanzig bis dreißig. Wie überall bei Geheimdiensten hatten wir auch Technologien …«
Seine Tochter unterbricht ihn. »Welche denn? Wanzen?«
Klaus-Dieter lässt sich das gefallen, aber man spürt, dass er diese Frage-Antwort-Situation, in der nicht er den Ton angibt, nicht gewohnt ist. »Ja, Abhörmikros, Funkaufklärung.« Dann fügt er noch hinzu: »Wie bei ›Das Leben der Anderen‹.« Und lacht.
Annett lacht nicht. Ihre Empörung über seine aktuelle Sympathie für Pegida scheint es ihr leichter zu machen, bestimmte bisher vermiedene Themen ihrer gemeinsamen Vergangenheit anzusprechen. »Ich habe dich früher oft gefragt, was du arbeitest. Wenn ich später dann über die Antwort nachgedacht habe, hatte ich immer das Gefühl, ich habe das nicht richtig kapiert.«
In der Schule muss Annett oft angeben, welchen Beruf ihre Eltern haben. Sie sagt dann nicht MfS, sondern Ministerium des Inneren. Irgendwie wissen alle, was das bedeutet, aber keiner spricht darüber. »Als dann nach der Wende immer mehr Informationen in die Öffentlichkeit gerieten, wie man in der DDR mit Andersdenkenden umgegangen ist … Ich fand das sehr belastend, was man über die Stasi nach dem Mauerfall alles gehört hat. Stimmt das? Ist das übertrieben? Was hast du davon gewusst? Diese Fragen haben mich beschäftigt, aber ich konnte sie nicht stellen. Sie haben alles infrage gestellt.«
Mitten in ihrer emotionaler werdenden Unterhaltung klingelt Klaus-Dieters Handy. Am Apparat ist die Frau, mit der er seit einigen Jahren zusammenlebt: Jutta. Klaus-Dieter schüttelt den Kopf, erklärt, dass das Gespräch noch nicht beendet sei. Dann steht er auf und geht nach draußen.
Annett hat vier Halbgeschwister. Drei aus der zweiten Ehe ihres Vaters und eins aus einer anderen Beziehung, die viele Jahre parallel zu dieser Ehe bestand. Mit der Existenz dieses anderen Halbgeschwisterkindes ist Annett erst vor ein paar Jahren konfrontiert worden. Im Leben ihres Vaters gab es immer Geheimnisse. Auch heute hat er Annett nicht gesagt, dass er Jutta in der Nähe abgesetzt hat, um sich danach mit ihr die Gegend anzuschauen. Er hat offenbar gedacht, dass es nicht so lange dauern würde, und muss sie nun vertrösten. Es ist still im Raum.
Annett überlegt, ob sie Jutta ins Haus bitten soll, doch Klaus-Dieter kehrt ins Zimmer zurück und setzt, ohne ein weiteres Wort über den Anruf zu verlieren, routiniert genau da an, wo sie aufgehört haben. »Ich habe meinen Job aus politischer Überzeugung gemacht, zu der ich heute auch noch stehe. Ich habe nie gegen Gesetze verstoßen. Geheimdienst ist das zweitälteste Gewerbe der Welt und da ist nicht alles schön. Die einen sprechen von Spitzeln, die anderen von IMs und wieder andere von V-Leuten. Die Grundlage der Geheimdienstarbeit liegt darin, dass ich Informationen aus Bereichen gewinne, wo ich gegnerische Aktivitäten vermute, und die bekomme ich nur über spezifische Mittel.«
Annett unterbricht ihn, ihre Wangen sind rot. »Was sind denn spezifische Mittel?«
Ihr Vater wirkt zunehmend ungeduldig. »Na, zum Beispiel Abhöraktionen. Mittels Wanzen, wie eben in ›Das Leben der Anderen‹. Wobei die Stasi ein Kindergarten war im Vergleich zu den Geheimdiensten heute. Das Thema wurde nach dem Mauerfall sehr politisiert, man brauchte einen Sündenbock. Das Ministerium für Staatssicherheit war Schild und Schwert der Partei, das Werkzeug der politischen Macht. Ich habe immer dazu gestanden.«
Annett fragt weiter: »Und wie war das mit den Inhaftierten, den getrennten Familien, den Ausgewiesenen?«
Fast beschwörend redet Klaus-Dieter nun auf seine Tochter ein. »Ich war dafür verantwortlich, dass keine Entwicklungsergebnisse abgeflossen sind durch Personen, die bestechlich waren. Ich hatte ein sehr selektives Personenumfeld. Mit Kultur oder Dissidentenbewegung hatte ich nichts zu tun. Während der Wende wurde ich das erste Mal direkt damit konfrontiert.«
Annett schaut ihn an. »Du sagst, es war humanistisch, und das widerspricht dem ja zutiefst.«
Ihr Vater lässt seine Hände laut auf die Tischplatte fallen. »Eben! Das war das Widersprüchliche, womit ich nicht klargekommen bin. Mit den Andersdenkenden, mit den Dissidenten, den Abweichlern, damit war ich in meinem Beruf nicht konfrontiert, ich hab das bestenfalls nur am Rande mitbekommen, das gehörte nicht in meinen Arbeitsbereich.«
Annett will nicht nachgeben. »Du hast aber mal gesagt, du wärst gern bei Markus Wolf gewesen!«
Klaus-Dieter wird lauter. »Weil das der eigentliche Geheimdienst war, der Auslandsgeheimdienst. Als Jugendlicher wollte ich eher das Abenteuer. Wir waren nur die Abwehrschiene. Abwehren von Gefahren für die Wirtschaft. Das war mein Job. Das ist nicht der klassische Geheimdienst. Aber da kam ich nicht ran. Ich hatte keine Beziehungen oder Empfehlungen dafür. Als ich dann nach Berlin ging, hatte ich für den Quatsch keine Zeit mehr. Gott sei Dank bin ich nie zum Einsatz gekommen.«
Annett hat ihre Strickjacke ausgezogen. »Wenn du all das, was man heute über die DDR weiß, mit Mauertoten, Stasiknästen, getrennten Familien und so weiter, bedenkst, würdest du heute wieder Schild und Schwert dieser Partei sein wollen?« Diese Frage hat sie noch nie gestellt.
Klaus-Dieter antwortet, ohne zu zögern. »Ich würde diese Tätigkeit genauso wieder machen, weil ich von der Richtigkeit der sozialistischen Wertewelt überzeugt bin. Was du gerade genannt hast, damit will ich mich nicht identifizieren.«
Annett wirkt fassungslos. »Aber musst du das nicht?«
Klaus-Dieter ist aufgesprungen und läuft im Zimmer hin und her. Dann bleibt er stehen. »Nein, das meiste wusste ich nicht, und als ich es dann zur Wende erfuhr, hat mich das auch aus der Bahn geworfen. Das muss man im Kontext mit der BRD und den anderen Großmächten sehen. Wir waren zwischen zwei Welten, eine extreme Form der Systemauseinandersetzung, und da hat die DDR verloren. Und damit war auch meine Arbeit umsonst. So ist das am Ende des Tages.«
Er steht jetzt am Fenster, sieht hinaus. Dreht sich um und schaut an sich hinunter.
»Heute habe ich mich integriert, um das Leben führen zu können, das meinen Vorstellungen weitestgehend gerecht wird. Ich kann meine Hobbies pflegen, kann durch die Weltgeschichte reisen. Ich kann das aber auch nur, weil ich einen Job habe, und den Job habe ich nur, wenn ich erfolgreich bin. Wenn ich mein Ergebnis nicht bringe, bin ich weg. Da fängt mich keiner auf. Und wenn ich die Klappe aufreiße, bin ich der Stasimann, der abgemahnt wird. Ich fühle mich geduldet.«
Klaus-Dieters Handy klingelt, er spricht nur kurz und legt auf. Annetts Frage hat er nicht beantwortet. Doch was er von sich erzählt, hat Annett noch nie gehört von ihm. Als ein in der DDR »Herrschender« – und damit Privilegierter – stellt er sich nun als das Gegenteil dar. Sie spürt, dass sie kaum zu ihm durchdringt. Jetzt scheint Annett ihren Gedanken nachzuhängen. Situationen und Verhaltensweisen ihrer Kindheit und Jugend stellen sich für sie heute anders dar.
»Ich hätte mir rückblickend gewünscht, ich wäre forscher gewesen, mutiger und frecher. Ich war sehr abgekapselt. Ich hab nicht viel infrage gestellt. Daran hätte ich gern was geändert. Ich war nie rebellisch. In der EOS habe ich zunehmend Gleichaltrige bewundert, für ihre Freiheit im Umgang mit sich selber, ihre Frechheit. Ich habe mir Kritik nie zugetraut: nicht, sie auszusprechen, nicht, sie zu denken. Kam mir oft auch nicht in den Sinn. Oder auch deren Art, sich zu bewegen, so eine Präsenz zu zeigen. Ich habe mich immer eher zurückgenommen. Ich war nie rebellisch.«
Klaus-Dieter hört seiner Tochter zu. In dem Moment, in dem sie persönlicher wird, kann auch er seine Abwehr ablegen. Annett schaut ihren Vater an. »Haben meine Stiefgeschwister hinterfragt und aufbegehrt?«
Klaus-Dieter überlegt. »Nee.«
Annett nickt. »Heute erlebe ich mich anders. Aber damals war ich wenig selbstbewusst und meinungsstark. Und auch nicht offen. Das habe ich erst mit der Zeit gelernt.«
Klaus-Dieter versucht, auf die Offenheit seiner Tochter mit Offenheit zu reagieren. Seine Stimme klingt weicher, als er sagt: »Das ist genetisch. Das hat mit dem Selbsterhaltungstrieb zu tun, sich in einem bestimmten Rahmen zu bewegen und nicht bestimmte Grenzen zu überschreiten. Das geht mir auch so. Unkontrollierte Risiken eingehen, das mach ich nicht unbedingt. Ich bin berechnender, im wahrsten Sinn des Wortes. So ordnet man sich auch in gesellschaftliche Abläufe eher ein. Heute sagt man Mainstream. Nicht zu weit über die Schranken hinausgehen, Verstand einschalten und sich selbst limitieren.«
Annett scheint nicht einverstanden, aber sie schweigt.
»Das ist vielleicht auch ein Grund, warum unser DDR-System nicht funktionieren konnte«, redet Klaus-Dieter weiter. »Man hatte nicht den Mut, mal über den Gartenzaun zu schauen, und man war nicht bereit, kritische Stimmen aufzunehmen. Es zählte immer der kollektive Gedanke; das, was die Partei sagt, ist immer richtig. Wenn jemand was anderes sagte, war er schon abtrünnig. Nicht mal konstruktive Kritik konnte man zulassen.«
Kurz ist es wieder still im Raum. Beide scheinen ihren Erinnerungen nachzuhängen.
Dann erzählt Klaus-Dieter: »Ich hatte ein Moped, ›Star‹, um schnell auf dem Land zur Schule zu kommen. Helmpflicht gab es noch nicht, aber ich hatte mir eine Mütze gekauft, und damit sie nicht wegfliegt, konnte man sie an zwei Riemen unterm Kinn festbinden. Der Parteisekretär fasste mich damit ab und sagte: ›Das ist ja eine Schmidt-Mütze! Wie kannst du so konterrevolutionär herumfahren!‹ Kraft eines Amtes konnte man ganz schnell abgemahnt werden. Wenn du überleben willst, musst du dich an Spielregeln halten.«
Während er spricht, ist Annett aufgestanden. Sie sucht etwas. Kehrt mit einem Fotoalbum zurück an den Tisch. Schlägt es auf. Auf der ersten Seite lächelt ein vielleicht achtjähriges Mädchen ein bisschen scheu in die Kamera. Es ist Annett. Sie blättert weiter, fragt wie nebenbei: »Wie offen seid ihr in deiner anderen Familie miteinander umgegangen?«
Ihr Vater sucht jetzt Annetts Verständnis. »Offenheit war systembedingt nicht machbar. Das ist wohl eine der Ursachen, warum auch meine zweite Ehe damals auseinandergegangen ist. Im Geheimdienst, egal ob West oder Ost, geht das, was du tust, deinen Partner nichts an. Ich durfte meiner Frau nicht erzählen, wie mein Job aussieht, und ich habe ihr auch nichts gesagt. Das ist ein rigoroser Vertrauensbruch.«
»Das System« war schuld, das System, auf das man alles schieben kann. Wie präsent es in den Erzählungen von Klaus-Dieter ist. Doch hat nicht auch in der DDR jeder viele kleine persönliche Entscheidungen getroffen?
Annett schüttelt den Kopf. »Das heißt aber, dass auch sie an dem größten Teil deines Lebens keinen Anteil hatte. Und das hast du so entschieden.«
Klaus-Dieter nickt. »Ich musste mit meinen Problemen selber fertig werden. Auch die ganzen Widersprüchlichkeiten zur Wende, die vielen Fragen, die man hatte, konnte ich nicht mit dem Menschen besprechen, mit dem ich zusammengelebt habe. Auch deshalb war die Wendezeit für uns als Paar sehr schwierig. Sie hat sich dann immer mit ihrer Schwester unterhalten. Deren Mann war auch im Geheimdienst. Wir konnten miteinander sprechen, aber wir durften nicht mit unseren Frauen reden. Die konnten sich dann untereinander trösten. Aber sie wussten nicht, was passiert mit ihren Männern. Werden sie am nächsten Laternenpfahl aufgehängt? Oder werden die interniert? Oder gibt’s Krieg?«
Annett hat weiter im Fotoalbum geblättert, manche Fotos herausgenommen. Hört sie, was ihr Vater sagt? Jetzt schaut sie auf. »Und wie siehst du das heute?
Klaus-Dieter reibt sich die Augen, fährt sich mit den Handflächen über das Gesicht. Dann schaut er seine Tochter an. »Heute erlebe ich das anders und bin anders mit mir im Reinen. Diese Geheimnistuerei ist Gift für eine Beziehung.«
Annett zeigt ihrem Vater ein Foto, auf dem sie vielleicht vierzehn Jahre alt ist. »Das hätte mir auch ganz gutgetan. Das hätte mich damals vielleicht zu einem stärkeren und kritischeren Menschen gemacht.«
Sie sieht ihn an. Klaus-Dieter schweigt. Sein Handy klingelt wieder, er nimmt nicht ab. Versteht er, was Annett ihm sagen will? Versteht er die gesellschaftliche Dimension? Der Nachteil eines hermetisch abgeschlossenen Systems, wie es die DDR war, ist, dass es sich vor jeder Veränderung nach außen und nach innen abschirmt. Jugendliche in der DDR trafen bei ihren Versuchen, sich vom Elternhaus und vom Staat zu emanzipieren, vielfach auf eine Kultur, die sie erneut einbinden und kritiklos auf sich verpflichten wollte. Das ermöglichte nur wenig produktive Generationenauseinandersetzung, keinen offenen Umgang mit gravierenden gesellschaftlichen Konflikten und damit kaum gesellschaftliche Weiterentwicklung. Diese mangelnde Auseinandersetzung führte zur Installierung einer Art »Elterninstanz«, die man jederzeit anklagen, bewundern oder für sein eigenes Schicksal verantwortlich machen konnte. Nach der Wiedervereinigung konnte das in dem zunächst unbekannten liberalen Wirtschaftssystem, in dem nun jeder auf sich selbst zurückgeworfen war, für den einzelnen große Verunsicherung bedeuten.
Annett hat ihrer eigenen Unsicherheit viele neue Erfahrungen entgegengesetzt. Heute scheint sie nicht unzufrieden mit dem Verlauf des Gesprächs mit ihrem Vater. So weit sind sie miteinander noch nie gekommen.
Annett schlägt Klaus-Dieter vor, Jutta zum Kaffee zu ihr einzuladen. Über diesen Vorschlag freut sich ihr Vater sichtlich. Er tippt eine Nachricht in sein Handy. Annett steht auf und macht neuen Kaffee.
Als ich sie nach ein paar Monaten wieder anrufe, bereitet Annett gerade den nächsten Auslandsaufenthalt der fünfköpfigen Familie vor. Diesmal soll es für mindestens fünf Jahre in ein südamerikanisches Land gehen. Ihr Mann wird an der deutschen Goethe-Schule arbeiten. Er ist bereits vorausgereist.
Später schreibt sie mir: »Mit dem Umzug nach Südamerika haben wir wieder unsere Komfortzone verlassen. Lernen! Kennenlernen – klar, eine andere Welt, aber auch sich selbst. Die Zeit in Asien hat uns geprägt. Wir hatten nach acht Jahren Lust und Sehnsucht, uns wieder einer radikal neuen Situation zu stellen.« Die Ferne hilft Annett, ihr Aufwachsen in der DDR zu reflektieren und zunehmend kleiner in sich werden zu lassen.
Ich erinnere mich, wie Annett mir ganz am Anfang unserer Bekanntschaft erzählte, dass, obwohl sie die DDR als intoleranten Staat nicht vermissen würde, ihr heute etwas fehle: dieses Wissen, dieses Gefühl, man arbeite an etwas Größerem, der eigene Anteil zähle. In Südamerika wird Annett nicht auch an der Goethe-Schule einsteigen, sondern als Freiwillige in einer kleinen Schule in einem Elendsviertel Englisch unterrichten.