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III. Untauglicher Versuch in Abgrenzung zum Wahndelikt

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Wie bereits ausgeführt, ist auch der untaugliche Versuch strafbar. Von einem untauglichen Versuch wird gesprochen, wenn die Ausführung des Tatentschlusses entgegen der Vorstellung des Täters jedenfalls aus tatsächlichen Gründen nicht zur Verwirklichung des Unrechtstatbestandes führen kann. Folgende Konstellationen des untauglichen Versuchs sind unproblematisch denkbar:

Versuch am untauglichen Objekt

Beispiel

A schießt auf den vermeintlich schlafenden B, der jedoch kurz zuvor einem Herzinfarkt erlegen war.

Versuch mit untauglichen Mitteln

Beispiel

A verabreicht B irrtümlich in einer zu geringen Dosierung ein Gift, welches nicht, wie von A geplant zum Tode, sondern lediglich zu schweren Magenkrämpfen führt.

Versuch des untauglichen Subjekts

Beispiel

A lässt sich in Unkenntnis der Nichtigkeit seiner Ernennung zum Beamten Schmiergeld von einem Restaurantinhaber geben, welchen er zu kontrollieren hat, damit er die skandalösen hygienischen Zustände, die in diesem Restaurant herrschen, unberücksichtigt lässt.

In den vorgenannten Fällen war der Tatentschluss des Täters auf die Verwirklichung eines Straftatbestandes gerichtet, so dass er wegen Versuchs des Deliktes zu bestraften ist.

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Straflos ist hingegen der sog. irreale oder abergläubische Versuch, bei welchem der Täter mit irrealen Mitteln (z.B. Voodoo-Puppen, Teufelsbeschwörung o.Ä.) einen strafrechtlich relevanten Erfolg herbeiführen möchte. In diesen Fällen stellt der Täter sich schon kein strafbares Verhalten vor, so dass nach herrschender Meinung der Rechtsfrieden nicht nachhaltig erschüttert wird. In der Klausur ist dementsprechend der Tatentschluss zu verneinen.

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Davon abgrenzen müssen Sie allerdings den untauglichen Versuch aus grobem Unverstand, der in § 23 Abs. 3 erwähnt ist. Dieser ist strafbar, jedoch kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern. Grober Unverstand liegt vor, wenn der Täter eine völlig abwegige Vorstellung von „Ursache und Wirkung“ hat.[4]

Beispiel

Hobbyterrorist T versucht mit einem Luftgewehr die über sein Haus hinweg fliegende Maschine der Lufthansa abzuschießen.

Die Abgabe des Schusses ist ein untaugliches Mittel, welches zu keiner Zeit eine Gefährdung für die Maschine herbeiführen konnte. Ein normal vernünftiger Mensch hätte die Untauglichkeit des Mittels ohne Probleme erkannt. Vorliegend kann also der grobe Unverstand des T zu einer Strafmilderung bzw. dem Absehen von Strafe führen.

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Von dem untauglichen Versuch ist das Wahndelikt zu unterscheiden. Ebenso wie beim untauglichen Versuch stellt der Täter sich irrig etwas vor. Im Gegensatz zum untauglichen Versuch führt diese irrige Vorstellung allerdings zur Straflosigkeit.

Beim untauglichen Versuch stellt der Täter sich eine Sachlage vor, bei deren wirklichen Vorliegen sein Handeln den gesetzlichen Tatbestand erfüllen würde (umgekehrter Tatbestandsirrtum).[5] Der Täter irrt in tatsächlicher Hinsicht.

Beispiel

A verabreicht B ein Gift in zu geringer Dosierung in der Annahme, die Dosierung sei ausreichend gewählt worden. Hätte A die richtige Dosierung gewählt, wäre auch entsprechend der Vorstellung des A der Tod des B eingetreten. Während beim Tatbestandsirrtum der Täter ein Merkmal des objektiven Tatbestandes nicht kennt, welches jedoch tatsächlich vorliegt, nimmt der Täter beim untauglichen Versuch ein objektives Tatbestandsmerkmal an, welches tatsächlich nicht vorliegt (hier Wirksamkeit des Mittels). Ein Vorsatz ausschließender Tatbestandsirrtum hätte vorgelegen, wenn A in richtiger Dosierung Gift in den Kaffee des B geschüttet hätte, in der Annahme, dass es sich lediglich um ein harmloses Schlafmittel handele, welches B in Tiefschlaf versetzt.

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Beim Wahndelikt hingegen erkennt der Täter in tatsächlicher Hinsicht sein Verhalten und dessen Konsequenzen richtig, er glaubt jedoch irrig infolge einer Verkennung der jeweils einschlägigen Strafrechtsregeln, er sei strafbar. Hier können Ihnen sämtliche Irrtümer in umgekehrter Gestalt begegnen, die Sie im Skript „Strafrecht AT“ kennen gelernt haben. Abhängig vom Bezugspunkt des Irrtums sind folgende Konstellationen des Wahndeliktes denkbar:

Umgekehrter Verbotsirrtum: Der Täter nimmt zu seinen Ungunsten eine Strafrechtsnorm an, die in Wahrheit nicht existiert (normaler Verbotsirrtum: Der Täter kennt die Strafrechtsnorm nicht, gegen die sein Verhalten verstößt).

Beispiel

Politiker W glaubt irrtümlich, die gleichgeschlechtliche Liebe verstoße gegen das StGB.

JURIQ-Klausurtipp

Dieser Fall wird Ihnen in der Klausur nicht begegnen. Er kann strafrechtlich nicht geprüft werden, da es keinen Straftatbestand gibt, den Sie im Obersatz benennen könnten!

Umgekehrter Erlaubnisirrtum: Der Täter hält irrtümlich sein tatsächlich gerechtfertigtes Verhalten für strafbar, weil er entweder den Rechtfertigungsgrund nicht kennt oder aber die Grenzen des Rechtfertigungsgrundes zu seinen Ungunsten verengt, wobei er sich jedoch verteidigen möchte (normaler Erlaubnisirrtum: der Täter ist objektiv nicht gerechtfertigt, glaubt jedoch, es zu sein, weil er einen Rechtfertigungsgrund annimmt, den es nicht oder so nicht gibt).

Beispiel

Dieb D versucht am Hauptbahnhof, dem A den Koffer zu entreißen. A erwehrt sich dieses Angriffs, indem er auf D mit einem Regenschirm einschlägt, bis dieser vom Koffer ablässt. Mit schlechtem Gewissen meldet er sich daraufhin bei der Polizeiwache, um die vermeintlich strafbare Körperverletzung zur Anzeige zu bringen. Der Polizei erklärt er, dass er schon wisse, dass man sich verteidigen dürfe. Er glaube aber, dabei keine Gewalt anwenden zu dürfen. Allerdings habe er sich nicht anders zu helfen gewusst.

Hier hat A nicht gewusst, dass § 859 Abs. 1 BGB auch die Anwendung von Gewalt erlaubt und hat somit irrig eine Rechtswidrigkeit angenommen, die es hier nicht gibt.

JURIQ-Klausurtipp

Eine solche Fehlvorstellung würden Sie bei der Prüfung des vollendeten Delikts ansprechen, indem Sie danach fragen, ob A mit Verteidigungswillen gehandelt hat, was zu bejahen ist. In diesem Zusammenhang können Sie dann direkt darauf hinweisen, dass ein strafloses Wahndelikt vorliegt.

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Schwierig und damit klausurrelevant ist die Abgrenzung zwischen strafbarem untauglichen Versuch und straflosem Wahndelikt bei einem Irrtum über die normativen Tatbestandsmerkmale. Bei diesen Tatbestandsmerkmalen muss der Täter nicht nur Sachverhaltskenntnis, sondern auch Bedeutungskenntnis haben, d.h. er muss das wertungsausfüllungsbedürftige Merkmal als juristischer Laie richtig erfasst haben.

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Damit kommen wir zur dritten möglichen Konstellation:

Spätestens jetzt sollten Sie das Kapitel „subjektiver Tatbestand“ und dort das Thema „Abgrenzung Tatbestandsirrtum – Subsumtionsirrtum“ wiederholen.

Umgekehrter Subsumtionsirrtum: Der Täter hat die volle Tatsachen- und Bedeutungskenntnis der objektiven Tatbestandsmerkmale, verkennt jedoch infolge falscher Auslegung den Sinngehalt der Norm und überdehnt den Anwendungsbereich zu seinen Ungunsten (normaler Subsumtionsirrtum: der Täter hat volle Tatsachen- und Bedeutungskenntnis, verengt den Tatbestand jedoch zu seinen Gunsten).

Beispiel

A verursacht mitten in der Nacht bei -20°C einen Unfall, indem er auf ein stehendes Fahrzeug auffährt. Nachdem er die ganze Nacht am Unfallort ausgeharrt hat, entfernt er sich nach 12 Stunden und begibt sich sofort zur Polizeiwache, um seine Personalien feststellen zu lassen. Dort gibt er an, dass er sich der Unfallflucht nach § 142 strafbar gemacht habe, weil er nicht bis zum Eintreffen des Geschädigten am Unfallort gewartet habe.

Hier hat A gewusst, dass er als Unfallbeteiligter am Unfallort wartepflichtig ist. Er hat jedoch zu seinen Ungunsten die Wartepflicht zeitlich überdehnt. Durch das Entfernen vom Unfallort nach mehrstündigem Warten und das Aufsuchen der Polizeidienststelle hat A sich keinesfalls strafbar gemacht, da ihm aufgrund der Witterungsumstände schon nicht zuzumuten war, länger als eine halbe Stunde am Unfallort auszuharren. Sie würden den objektiven Tatbestand des § 142 Abs. 1 aus diesem Grund verneinen. Auch eine Strafbarkeit gem. Abs. 2 kommt nicht in Betracht, da A unverzüglich die Feststellungen nachholte.

JURIQ-Klausurtipp

Diese Abgrenzungsproblematik ist beim Tatentschluss zu diskutieren. Fraglich wird nämlich regelmäßig sein, ob der Tatentschluss auf die Verwirklichung eines objektiven Tatbestandes gerichtet war.

Beispiel

Problematischer ist folgender Fall: Arzt A hat bei der Patientin P eine Nierenzystenpunktion vorgenommen, ohne die P über das zwar geringe aber dennoch bestehende Risiko eines Organverlustes aufgeklärt zu haben. Wenig später wird P von einem anderen Arzt das Organ entnommen, weil es geschädigt ist. P verklagt daraufhin A, weil sie davon ausgeht, dass die Punktion ursächlich für die Schädigung des Organs war. A geht davon aus, zwar keinen Behandlungsfehler gemacht zu haben. Gleichwohl glaubt er aber, dass die P schon deshalb einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes gegen ihn habe, weil er sie nicht ordnungsgemäß aufgeklärt hat. Um sich vor einer Verurteilung im Zivilprozess zu schützen, legt er manipulierte Behandlungsunterlagen vor, aus denen sich die angebliche Aufklärung ergibt. Später stellt sich heraus, dass der Schadensersatzanspruch tatsächlich nie bestand, weil die Handlung des A nicht kausal war für die eingetretene Verletzung der P.[6]

Fraglich ist, ob A sich wegen Prozessbetruges nach § 263 strafbar gemacht hat. Durch das Einreichen der manipulierten Behandlungsunterlagen hat er eine Täuschung begangen, die wahrscheinlich auch zu einem Irrtum des Richters führte. Dieser Irrtum führte dann allerdings nicht zum klageabweisenden Urteil, da der Anspruch der P aufgrund der fehlenden Kausalität zwischen der Behandlung durch A und der eingetretenen Verletzung abgewiesen wurde. Damit bestand nie ein Anspruch der P, so dass diese durch Aberkennung des Anspruchs auch keinen Schaden erlitt.

In der Klausur müssten Sie nun danach fragen, ob A sich wegen versuchten Betruges gem. §§ 263 Abs. 1 und 2, 22, 23 Abs. 1 strafbar gemacht haben könnte.

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In Literatur und Rechtsprechung werden zur Abgrenzung verschiedene Lösungsansätze vertreten.

Die Lehre vom Umkehrschluss

Insbesondere der BGH greift zur Abgrenzung zwischen untauglichem Versuch und Wahndelikt auf die Abgrenzung zwischen Tatbestandsirrtum und Subsumtionsirrtum zurück. Die dortigen Prinzipien werden im Wege eines Umkehrschlusses entsprechend übertragen.

Demnach soll ein strafloses Wahndelikt ein umgekehrter Subsumtions-/Verbotsirrtum sein, während der untaugliche Versuch die Kehrseite des Tatbestandsirrtums darstelle.[7]

Konkret wird also wie bei der Abgrenzung danach gefragt, ob der Täter als juristischer Laie die Norm bzw. das Tatbestandsmerkmal richtig verstanden hat. Liegt dieses Verständnis vor, wird ein untauglicher Versuch angenommen.

Die Lehre von der versuchsbegründenden Wirkung jedes Vorfeldirrtums

Nach einer anderen Ansicht soll in der Regel ein untauglicher Versuch vorliegen, wenn der Täter einem Rechtsirrtum im „Vorfeld des Tatbestands“ unterlegen ist und deshalb den in Betracht kommenden Straftatbestand nicht verwirklichen kann.[8] Rechtsirrtümer im Vorfeld des Tatbestands sind insbesondere solche über „Verweisungsbegriffe“, also über Merkmale, zu deren Bestimmung außertatbestandliche Normen herangezogen werden müssen. Soweit der Täter nur solche außertatbestandlichen Normen – wie z.B. entsprechenden Vorschriften aus der StPO hinsichtlich der Zuständigkeit zur eidlichen Vernehmung – fehlerhaft auslege, begehe er einen grundsätzlich strafbaren untauglichen Versuch.

Die Lehre von der Straflosigkeit aller selbstbelastenden Rechtsirrtümer

Nach einer Gegenposition führt jeder Rechtsirrtum über normative Tatbestandsmerkmale, gleichgültig, ob im Vorfeld des Tatbestands oder über die Bedeutung der Tatbestandsmerkmale selbst, zu einem straflosen Wahndelikt.[9] Normative Tatbestandsmerkmale zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie zu ihrer Bestimmung auf außertatbestandliche Rechtsnormen verweisen. Durch diese Verweisung wirken auch jene Normen hinsichtlich der Extension und dem Anwendungsbereich eines Straftatbestands konstitutiv. Folglich stellt sich ein Rechtsirrtum im Vorfeld der Tat nicht anders dar als jeder andere Rechtsirrtum. Der Täter verkennt hier wie dort den Anwendungsbereich des Straftatbestands und dehnt ihn zu seinen Lasten aus. Er interpretiert in ein normatives Tatbestandsmerkmal etwas hinein, was objektiv besehen nicht davon erfasst ist. In diesen Fällen muss nach dieser Lehre von einem Wahndelikt ausgegangen werden.

Beispiel

Nach der Vorstellung des A im obigen Fall sollte die Täuschungshandlung kausal einen Irrtum hervorrufen. Auf diesem Irrtum sollte kausal das klageabweisende Urteil und damit die Vermögensverfügung und der Vermögensschaden beruhen. Der Schaden hätte nach der rechtsirrigen Vorstellung des A in der Aberkennung des Anspruchs, der auf einer unterbliebenen Belehrung beruhte, bestanden. Das Ganze sollte nach der Vorstellung des A auch eine rechtswidrige Bereicherung darstellen. Dass ein Vermögensschaden auf der Seite des Opfers niemals eintreten konnte, weil das Opfer gegenüber A keinen zivilrechtlichen Anspruch hatte, wusste A nicht. Ebenso wenig wusste er, dass aufgrund dessen die erstrebte Bereicherung auch nicht rechtswidrig war. Nach Auffassung des BGH stellte sein diesbezüglicher Irrtum jedoch kein Wahndelikt dar, sondern einen strafbaren untauglichen Versuch, da A dem Grunde nach § 263 richtig erkannt habe. Er habe gewusst, dass es um die Zufügung eines Vermögensschadens auf Seiten des B ginge und dass ein solcher Schaden beim Prozessbetrug in der Aberkennung eines Anspruchs liege, was grundsätzlich zutreffend sei. Aufgrund dessen habe er das Wesen des § 263 zutreffend erfasst.[10] Zu demselben Ergebnis würde die Lehre von der versuchsbegründenden Wirkung jedes Vorfeldirrtums gelangen, da sich der Irrtum des A auf Normen des Zivilrechts bezieht. Lediglich die Lehre von der Straflosigkeit aller selbstbelastenden Rechtsirrtümer würde zu einem straflosen Wahndelikt gelangen. Ihr ist zugute zu halten, dass es aus (zivil-)rechtlichen Gründen niemals zu einer Strafbarkeit des A kommen konnte, da es den von ihm vorgestellten Anspruch nicht gibt. Die Auffassung würde allerdings den tatsächlich vorhandenen Handlungsunwert, der darin liegt, dass A § 236 zutreffend erfasst hat, unberücksichtigt lassen.

JURIQ-Klausurtipp

Die Abgrenzung untauglicher Versuch – Wahndelikt gehört zusammen mit den anderen Irrtumsproblematiken zu den schwierigen Problemen im Strafrecht. Sie liegen in der Klausur „ganz weit vorne“, wenn Sie die Problematik erkannt, benannt und jedenfalls mit der herrschenden Meinung gelöst haben. Dazu müssen Sie sich immer fragen: „Hat der Täter die Norm/das Tatbestandsmerkmal verstanden?“ Wird diese Frage bejaht, so liegt nach h.M. ein untauglicher Versuch vor.

2. Teil Versuch und Rücktritt des AlleintätersB. Versuch › IV. Unmittelbares Ansetzen

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