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2.1 Forschungsablauf, Forschungsqualität und Ethik

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Ebenso wie die Psychologie basiert die Medienpsychologie auf einem fest definierten Forschungsablauf ( Abb. 2.1). Am Anfang steht das wissenschaftliche »Problem«, das einen spezifischen Aspekt des Erlebens und Verhaltens im Umgang mit Medien umfasst. Beispielsweise interessieren sich Medienpsycholog:innen für den Umgang mit Selbstoffenbarung im Internet. Eine übergreifende Problemstellung lautet: »Verändert die Nutzung sozialer Medien die Bereitschaft zur Selbstoffenbarung?« ( Kap. 6.5). Wenn das Problem benannt ist, wird es mit den vorhandenen Daten zur Mediennutzung konkretisiert (dazu Kap. 1.2): Forscher:innen finden heraus, wie viele Menschen eigentlich in sozialen Medien aktiv sind und wie lange und häufig sie spezifische soziale Medien nutzen. Daraufhin werden psychologische Theorien und empirische Studien zur Selbstoffenbarung recherchiert, gelesen und auf Relevanz für die eigene Fragestellung bewertet. Bisherige psychologische Forschung befasst sich seit vielen Jahrzehnten mit dem Konstrukt Selbstoffenbarung und liefert wertvolle Hinweise. Basierend auf den Beobachtungen des Anwendungsfeldes, den Nutzungszahlen und Alltagseindrücken auf der einen Seite und auf den medienpsychologischen, theoretischen und empirischen Vorarbeiten zur Selbstoffenbarung auf der anderen Seite werden Hypothesen aufgestellt. Eine Hypothese lautet beispielsweise: Menschen, die häufig in sozialen Netzwerken aktiv sind, haben eine höhere Bereitschaft zur Selbstoffenbarung als Personen, die weniger häufig in sozialen Netzwerken aktiv sind. Im nächsten Schritt wird eine geeignete Methode gefunden. In unserem Beispiel ist eine längsschnittliche Befragung sinnvoll, da Wirkungen untersucht werden sollen. Das Finden der geeigneten Methoden ist bereits der erste Schritt der Operationalisierung, also der Übersetzung des Designs in konkrete Arbeitsschritte. Wichtiger Teil der Operationalisierung ist dann die Messung des Konstrukts Selbstoffenbarung. Wir möchten den theoretischen Begriff empirisch messbar machen. Operationalisierung bedeutet also, dass der theoretische Begriff als Messanweisung formuliert wird. Im Fall der längsschnittlichen Befragung können wir das Konstrukt Selbstoffenbarung mit Fragen zu Verhalten oder Einstellungen, sogenannten Items, messen. Zur Konstruktion der Items werden zunächst bewährte Messinstrumente aus der Literatur recherchiert und ihre Eignung für die eigene Studie geprüft. Im Zuge dieser Auswahl werden Gütekriterien angelegt, um eine hohe Forschungsqualität zu gewährleisten. Dazu gehören Objektivität, Reliabilität und Validität sowie eine intensive Auseinandersetzung mit der Stichprobentheorie. Wir empfehlen für die Vertiefung dieser Aspekte den Band von Diekmann (2018). Möglicherweise ist es sinnvoll, auch neue, eigene Items zu formulieren, um dem besonderen Medienumfeld, das man untersucht, gerecht zu werden. Nicht immer gibt es vorgefertigte Lösungen in der Literatur. Dann wird die Untersuchung geplant und durchgeführt, und die erhobenen Daten werden mit statistischen Methoden ausgewertet. Die Ergebnisse werden in wissenschaftlichen Fachartikeln publiziert, in der Medienpraxis angewendet und sollen gesellschaftspolitische Diskurse und weitere Forschung stimulieren. Die Durchführung einer Studie zieht immer auch eine Reflexion der verwendeten Methoden und Theorien nach sich. Deshalb ist der in Abbildung 2.1 dargestellte Forschungsablauf auch als zirkulärer Prozess zu verstehen: Die mithilfe einer Studie gewonnenen Erkenntnisse zur Eignung der Methoden und Theorien werden in der darauffolgenden Forschung aufgegriffen. Oft wird im Sinne einer Forschungsprogrammatik geforscht, es werden ähnliche Fragen aus verschiedenen theoretischen und empirischen Perspektiven untersucht, sodass man einen tiefgehenden Eindruck erhält.

Eine systematische Forschungsprogrammatik verspricht eine hohe Forschungsqualität. Neben einer umfassenden und systematischen Programmatik beeinflusst die Transparenz – z. B. in Form von Präregistrierungen


Abb. 2.1: Der Forschungsablauf

von Studien – die Forschungsqualität. Lange Zeit hatten vor allem Publikationen eine Chance, in Fachzeitschriften publiziert zu werden, die bestätigte Hypothesen vorweisen konnten. Dass dies keine gesunde Praxis ist, liegt auf der Hand. Nehmen wir an, wissenschaftliche Studien, deren Ergebnisse die aufgestellten Hypothesen bestätigen (die also beispielsweise signifikante Medienwirkungen zeigen), haben eine größere Chance, in wissenschaftlichen Fachzeitschriften publiziert zu werden, als Studien, die keine signifikanten Effekte zeigen. Dann würden die positiven Effekte bevorzugt publiziert und die Befundlage verzerrt werden (»Publication Bias«). Alle Lesenden und auch Meta-Analysen würden die Effekte überschätzen. Schlussendlich erhielte die Öffentlichkeit ein falsches Bild. Um den Publication Bias zu vermeiden, werden verschiedene Schritte unternommen. Zum Beispiel beschreiben Wissenschaftler:innen vor der Durchführung der Studie ganz genau, was sie machen möchten, und publizieren diesen Analyse-Plan in Form einer Präregistrierung, sodass von vornherein ausgeschlossen wird, dass unbestätigte Hypothesen möglicherweise nicht publiziert werden.

In Meta-Analysen werden verschiedene Studien gesammelt, die ähnliche Hypothesen mit ähnlichen Operationalisierungen geprüft haben. Es wird simuliert, dass all diese Studien eine einzige Studie darstellen, um so wiederum eine Effektstärke für die interessierende Hypothese berechnen zu können. Effektstärken werden für unterschiedliche statistische Verfahren unterschiedlich berechnet. Sie stellen ein vergleichbares, standardisiertes Maß dar, mit dem der Zusammenhang von zwei Variablen oder auch der Effekt von einer Variablen auf eine andere darstellbar ist. Wir sichern deshalb die Aussagen in diesem Buch mit Meta-Analysen ab bzw. weisen darauf hin, wenn keine Meta-Analysen oder transparenten Studien vorliegen. Im Zuge der Meta-Analyse kann auch ein möglicher Publication Bias berechnet werden (Renkewitz & Keiner, 2019), denn wir können davon ausgehen, dass es ein bestimmtes Ausmaß nicht bestätigter Hypothesen gibt und dass diese in einer Verteilung darstellbar sind.

Neben den hier genannten gibt es viele weitere Maßnahmen, die dazu beitragen können, die Qualität von Forschung zu verbessern. Dazu gehören auch Vorgehensweisen wie Replikationen, also Wiederholungsstudien, anhand derer man erkennen kann, ob bestimmte Ergebnisse sich in anderen Kontexten replizieren lassen oder ob sie womöglich nur in ein- und demselben Labor wiederholbar sind. Darüber hinaus müssen auch strukturelle Vorgehensweisen ergriffen werden, um Forschungsqualität zu sichern, z. B. die Anforderung, dass Fachzeitschriften die Veröffentlichung von transparenten Studien fördern und Autor:innen unterstützen, Studien mit nicht bestätigten Hypothesen zu veröffentlichen. Dienlin et al. (2020) haben eine Agenda formuliert, in der die wichtigsten Maßnahmen für transparente Forschung – also »Open Science« – zusammengefasst sind.

Ein wichtiger Teil der Forschungsqualität ist darüber hinaus die Forschungsethik. Viele der ethischen Grundsätze sind reguliert. Die Daten einer Studie müssen beispielsweise im Sinne der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) erhoben, ausgewertet und gespeichert werden, dazu gehört, dass Personen unter 16 Jahren nur mit dem Einverständnis ihrer Eltern befragt werden dürfen. Darüber hinaus gilt es aber, auch solche ethischen Grundsätze zu beachten, die sich erst aus dem spezifischen Studiendesign ergeben. Ethische Erwägungen sind in der Forschung stark prozessorientiert und müssen für jeden Schritt des Forschungsprozesses ( Abb. 2.1) bedacht und immer auch mit den Forschungszielen abgewogen werden. Schlütz und Möhring (2018) geben einen Überblick über diese Schritte, ihre Herausforderungen und Lösungsmöglichkeiten. Dazu gehören beispielsweise die Freiwilligkeit der Studienteilnahme, das Informieren der Teilnehmenden über die Studienziele und der Umgang mit Studienabbrecher:innen (Koch et al., 2019).

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