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4.

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Die Rauchschwaden eines erloschenen Kochfeuers hingen noch unter dem Zeltdach. Haikta-Ummar kaute an einem gekochten Streifen Hammelfleisch und spülte den Rest mit körnigem Bier hinunter. Es drängte ihn zurück in die Residenz, auf das große, weiche Bett, das einmal dem Prinzen Neferkare-Tereru gehört hatte. Er war ein wenig erstaunt darüber, wie schnell er sich an die Annehmlichkeiten des Palastlebens zu gewöhnen begann. Aber es war ohnehin nie seine Bestimmung gewesen, in aamuritischen Zelten zu hausen. Seine Seele, oder vielmehr seine drei Seelen, nach dem Glauben der Ägypter, war die eines Eroberers. Er hatte sich zum Anführer der Stammeshäuptlinge gemacht und sie an der Seite eines willensschwachen ägyptischen Prinzen hierhergeführt. Selbst die Fürsten der reichen Städte entlang der syrischen Küste wagten es nicht mehr, mit der uralten Verachtung in die südliche Wüste zu blicken, die Heimat der Aamu. Er hatte seinem Volk Anerkennung verschafft. Die mächtigen Würdenträger in der Residenz zitterten vor ihm. Der Pharao war in seiner Hand.

Aber was war mit dieser Frau?

Er streckte die Füße aus und betrachtete den Pfeil in seinem Arm.

»Du bist ein wenig blass«, sagte Urnammu, einer der ihm ergebenen Häuptlinge. Er hockte ihm gegenüber auf den ausgebreiteten Teppichen, die großen Hände auf den Schenkeln. Haikta-Ummar funkelte ihn an.

»Die Wunde ist mir gleichgültig«, knurrte er. »Ich bin lediglich empört über die Art, wie ich sie mir eingefangen habe. Haben wir nicht die Fürsten der Handelsstädte bis hinauf zum Orontes zum Zittern gebracht? Sie alle fürchten die Aamu, die sie verächtlich Bewohner des Sandes nennen. Und dann wagt es eine Frau, mich zu bedrohen. Eine Frau!« Er starrte seine Schwester finster an, als habe sie den Pfeil in seinen Arm gejagt. Enmasuru senkte hastig die Augen und wich vor ihm zurück.

»Nein, mach schon. Zieh den Pfeil heraus. Und sei nicht zimperlich.«

»Ja, Bruder«, murmelte sie. »Willst du ein Beißholz?«

Er lachte. »Bin ich ein Weib in den Wehen?«, rief er, und sie unterdrückte ein Kichern. Ihre Finger umschlossen den Pfeilschaft. Er betrachtete ihr Gesicht, wie sie angestrengt die Zunge zwischen die Lippen gleiten ließ und die Brauen angestrengt runzelte. Enmasuru, einige Jahre jünger als er, war immer noch betörend schön.

»Wie Anat stand sie da, die Göttin des Krieges«, stieß er hervor. Mit einem kraftvollen Ruck zog Enmasuru den Pfeil heraus. Haikta-Ummar warf den Kopf zurück und stampfte die Fersen in den Boden. Sofort floss das Blut stärker, und seine Hand wollte sich auf die Wunde legen, aber Enmasuru schob sie beiseite. Sie streute scharf riechende Kräuter auf die Wunde und wickelte einen sauberen Leinenstreifen darum. Er fragte sich, was ein ägyptischer Arzt hier wohl tun würde.

»Ist sie nicht die Priesterin einer kriegerischen Göttin?«, fragte Urnammu, griff nach einem Ziegenschlauch und goss Bier in einen Lederbecher, den er Haikta-Ummar reichte. »Und eine solche hat sich Merenre als Frau gewählt?«

Haikta-Ummar starrte düster in den Becher und trank ihn aus. »Qudschu Aschirat sei Dank, dass er sie nur zu seiner Nebenfrau machen kann, denn er kann die für Neferkare-Tereru vorgesehene Frau nicht missachten. Aber das dürfte schon schlimm genug sein. Ich sah das Unglück bereits bei seiner Krönung kommen: Dieses dämonische Weib lacht ihn aus, vor fünfhundert Höflingen und damit vor aller Welt, und er glotzt sie nur an.«

»Dann war diese Spazierfahrt auf dem Nil so etwas wie ein Liebesausflug? Aber warum willst du ihm dieses Vergnügen nicht gönnen? Frauen sind doch alle gleich.«

»Diese ist anders.« Haikta-Ummar betrachtete den gesenkten Kopf seiner Schwester. Enmasuru besaß volle, lange, aber ungepflegte Haare. Zumindest würde ein Ägypter sie als ungepflegt empfinden. »Diese ist imstande, dem Horus eigensinnige Gedanken einzuflößen. Als Merenre zu mir kam, damals vor fünfzehn Jahren, gab ich ihm Männer, die er zu befehligen lernte. Ich gab ihm ein Haus – er wohnte besser als jeder aamuritische Häuptling –, ich zeigte ihm, dass ich in ihm nichts anderes als den zukünftigen Horus sah. Ich gab ihm Macht, Ansehen. Und als ich sah, dass Ägypten wie eine faule Frucht am Boden lag, begleitete ich ihn hierher mit einer fünftausend Mann starken Eskorte.«

»Wir alle hatten unsere Gründe, dir nach Ägypten zu folgen«, warf Urnammu ein. »Schlechter Boden, schlechte Ernten. Stammesfehden zu ungünstigen Zeiten. Wir folgten dir, weil wir wussten, dass dein Schützling es nicht wagen würde, gegen dich aufzubegehren. Ja, Ägypten ist eine reife Frucht. Wir folgten dir, weil du sie für uns pflücken würdest und nicht für den beleidigten, verwöhnten Sohn eines uralten Pharao.«

»So ist es. Aber Merenre ist nicht wichtig. Er ist nur ein Spielstein.« Von einer Frau verwundet, dachte Haikta-Ummar säuerlich. Besaß sie wirklich zauberische Kräfte? Sie war eine Priesterin und wurde fraglos von ihrer Göttin beschützt und begünstigt. Das erklärte auch, dass sie, obschon eine Tochter von Neferkare-Pepi, so schnell Merenres Verlangen hatte wecken können.

Enmasuru raffte ihr unförmiges Fransenkleid, das ihre ansehnliche Gestalt fast vollkommen verbarg, und hockte sich auf die Fersen.

»Hebe den Kopf, Schwester«, befahl er ihr. Sie besaß hohe Wangenknochen, volle Lippen und große, dunkle Augen. Und obwohl sie schon dreißig Jahre zählte, war sie vollkommen faltenlos. Ihre Haut war noch eine Spur dunkler als die der Ägypterinnen. Natürlich kannte Merenre sie, aber nur flüchtig, denn Haikta-Ummar hatte sie, nachdem ihr Mann vor einigen Monaten gestorben war und er sie in seinem Zelt aufgenommen hatte, stets im Hintergrund gehalten. Er wusste durchaus, dass Merenre auch an unterwürfigen Frauen Geschmack fand. Aber wäre Enmasuru imstande, Neith auszustechen?

Nun, das käme auf einen Versuch an, dachte er. Und du, nackte Bogenschwingerin, wirst irgendwann bezahlen für das, was du mir heute angetan hast.

»Pharao wird dich lieben, wie es die Götter verlangen.« Der Verwalter des Hauses, Anedjib, ein untersetzter Mann mit dem Pinselhalter und der Palette eines Schreibers über der Schulter, las Neith, während sie auf der Schwelle zu ihren Gemächern stand, aus einer Papyrusrolle vor. Es war ein alter Text, mit dem eine Frau das Haus ihres zukünftigen Gemahls betrat. »Er wird dich mit allem versorgen, was du benötigst. Du darfst über Besitz und Vermögen verfügen. Du darfst Berufe ausüben. Dein Mann und deine Familie sollen aber über allem stehen. Und du sollst ein guter Acker sein für ihn, deinen Herrn. Hathor möge eure Gemeinschaft segnen.« Er rollte den Papyrus ein und verneigte sich. »Sei willkommen, Herrin. Wie ich sehe, hast du deine eigene Dienerin mitgebracht. Selbstverständlich werde ich dir noch weitere schicken, wenn du das willst.«

Neith schüttelte den Kopf und warf der neben ihr stehenden Taket einen aufmunternden Blick zu. Taket trug einen kleinen hölzernen Kasten unter dem Arm, der ein paar von Neiths Schmuckstücken und Salbentöpfen enthielt. Sie würden genügen, einen Teil ihres Kas in ihre neuen Gemächer zu bringen und sie in Besitz zu nehmen. Aber ihr Zuhause war noch immer der Tempel, und Neith war sich nicht sicher, ob sie es wirklich so schnell aufgeben wollte.

Anedjib verabschiedete sich mit der Zusicherung, ihr jederzeit zur Verfügung zu stehen, und Neith drehte sich zu Merenre um, der stolz die Arme ausbreitete.

»Meine Gemahlin«, rief er, selbstgefällig lachend. »Wir werden hier viele anregende Nächte verbringen, nicht wahr? Und heute Abend wird ein Fest im Garten unsere Heirat bekräftigen. Freust du dich?« Er drückte sie kurz an sich. »Jetzt muss ich zurück in den Palast, in meine Amtsräume. Ich plane die große Audienz. Viele haben sich bereits angekündigt: die Ersten Diener des Re aus Iunu und der Hathor aus Dendera. Natürlich werden auch die fremdländischen Gesandten kommen, die noch hier in der Stadt leben. Mein Vater hatte sie ja seit Jahren nicht mehr empfangen, wie man mir sagte.«

»Und die Gaufürsten?«, fragte sie, erfreut über seinen Eifer. »Werden auch sie kommen?«

Er verzog empfindlich getroffen das Gesicht. »Du hast anscheinend eine Begabung, ständig Dinge zu erwähnen, die unangenehm für mich sind. Nun ja, nicht alle sind so schnell erreichbar. Bisher hat sich nur der Herr des Hatmehit-Gaus angekündigt.«

»Dann muss es sich um einen sehr mutigen Mann handeln.«

»Er ist so abtrünnig wie alle anderen. Diese Natter will zweifellos nur ausloten, ob es sich unter meiner Herrschaft ebenso gemächlich leben lässt wie zuvor. Ich werde ihn ganz zum Schluss empfangen, damit jeder sehen kann, was ich von ihm halte. Davon abgesehen wird es ein berauschendes Fest werden, das sich über zwei Tage erstreckt. Zur abendlichen Zerstreuung ist ein Jagdausflug auf dem Fluss geplant. Am zweiten Tag werden mir einige Rechtsfälle zur Entscheidung vorgetragen, zum Zeichen, dass ich die Feder der Maat halte. Und zum Abschluss gibt es ein großes Bankett mit hundert Tänzerinnen und fünfzig Akrobaten, dazu Musiker und Sänger, zwanzig verschiedene Gerichte und ebenso viele Bier- und Weinsorten. Freust du dich schon darauf?«

Neith zuckte lächelnd mit den Schultern. Im Vergleich dazu würde sich ihre heutige Hochzeitsfeier bescheiden ausnehmen. Merenre küsste sie hingebungsvoll und marschierte davon, begleitet von seiner Dienerschaft und der aus ägyptischen wie aamuritischen Kriegern gebildeten Eskorte. Ein Junge führte Neith in ihre Gemächer im Erdgeschoss. Es waren die größten und schönsten des Hauses; Itriri, die zukünftige Königin, bewohnte inzwischen das in Sichtweite gelegene Haus ihrer Mutter.

Das Haus der königlichen Frauen war nicht so groß, wie Neith es in Erinnerung hatte. Merenre hatte ihr erzählt, dass die wenigen Nebenfrauen seines Vaters inzwischen auf dem Weg in ihre Ländereien in den Provinzen waren. Keine von ihnen war jünger als vierzig Jahre gewesen. Nun gehörte ihr das Haus fast allein, aber sie nahm an, dass das nicht lange so bleiben würde. Sie durchstreifte ihre Zimmerfluchten. Die Malereien an den Wänden waren verblasst und bedurften schon seit Jahren einer Erneuerung. Auch die Möbel waren alt.

»Wie viele Diener gibt es noch hier im Haus?«, fragte sie den Jungen.

»Die Herrinnen haben ihre Dienerinnen mitgenommen … Jetzt sind es nur noch wenige, drei Mädchen in meinem Alter, der Herr Anedjib und der Koch mit seinen Gehilfen.«

»Das heißt, ich habe meine Ruhe, wenn ich jetzt im Gartenteich bade?« Dieser Teich befand sich unweit der Gartentür, die zu ihren Gemächern führte, und hatte sie schon bei ihrer Ankunft gelockt.

»O ja, Herrin.« Der Junge sprach mit Ehrfurcht und Bewunderung. Zweifellos hatte sich ihr Pfeilschuss auf den Anführer der Aamu auch bis in das entlegene Frauenhaus herumgesprochen. Der ganze Palast schien von nichts anderem zu reden. Sie entließ den Diener und ging mit Taket hinaus in den blühenden Garten, der das Anwesen weiträumig umgab.

»Wir werden nur hierher kommen, wenn Merenre meine Anwesenheit wünscht«, erklärte sie. »Jetzt ist es hier ja noch recht angenehm, aber er wird sich im Laufe der Zeit noch weitere Nebenfrauen zulegen. Ich kann mich nur schwach an das Gewimmel hier und an den ständigen Lärm erinnern, aber ich weiß noch, wie ich die Stille des Tempels als Wohltat empfand, als ich als Kind dorthin gebracht wurde. Ich werde die Gelegenheit zum Baden nutzen; den heiligen Tempelsee habe ich ja leider auch selten für mich allein. Und nun hole mir etwas Erfrischendes zu trinken.«

Taket huschte davon; Neith entledigte sich im Laufen ihres Kleides und ließ sich in das von der Sonne aufgeheizte Wasser gleiten. In den Ecken des Beckens wucherte der Papyrus, umringt von Lotosblumen. Zwischen den Rohren hing ein Halskragen aus getrockneten Mohnblumen, das Überbleibsel irgendeines Festes. Neith schwamm ein paar Runden, ließ sich treiben und genoss Res Strahlen auf ihrem Gesicht. Als sie Takets Schritte hörte, suchte sie mit den Zehen die Treppenstufen, um hinauszusteigen. Aber da sah sie in einiger Entfernung auf den Wegplatten zwei Männer stehen.

Mit einem Tablett in der linken und einem mannshohen Straußenfedernwedel in der rechten Hand kniete Taket am Teichrand. »Herrin, dieser Mann dort behauptet, du hättest ihn herbestellt.«

Neith nickte. Der Zeitpunkt war vielleicht nicht ganz glücklich, da sie sich im Wasser befand, aber das war jetzt nicht zu ändern. Taket setzte das Tablett mit dem Bierkrug und einer Schale mit Obststücken auf dem Beckenrand ab und winkte die Männer heran. Dann stellte sie sich hinter ihrer Herrin auf, um mit dem Wedel die Fliegen zu verscheuchen und Schatten zu spenden. Die beiden blieben in angemessenem Abstand stehen: Ein Mann mit den kupfernen Armreifen des Gefängnisaufsehers, der an geflochtenen Lederschnüren einen Gefangenen mit sich führte.

Der Aufseher verbeugte sich. »Herrin, deine Nachricht hat mich erreicht. Unter Gefährdung meines Postens und vielleicht auch meines Lebens bringe ich dir den gewünschten Gefangenen. Für zwei Säcke Getreide ohne Ungezieferbefall, zwei Deben Kupfer und ein Deben Gold.«

»Von Gold habe ich nichts gesagt.« Neith achtete darauf, dass nur ihr Kopf aus dem Wasser ragte, griff nach einer Dattel und steckte sie sich in den Mund. »Geh zurück und warte, bis ich dir jemanden schicke, der dir deine Bezahlung bringt. Vor wem hast du denn Angst?«

»Angst? Nun … vor dem Aamu, Herrin.«

»Nicht vor dem Horusfalken?«

Der Aufseher machte eine zweite Verbeugung und schwieg. Neith ballte, verborgen im Wasser, die Fäuste. »Du darfst dich entfernen«, murrte sie, »aber nimm ihm zuerst die Fesseln ab.«

Der Aufseher zog einen Dolch, durchtrennte die Lederstreifen, die Ipuis Hände im Nacken fesselten, und hastete davon. Neith betrachtete Ipui, der unschlüssig dastand. Er sah noch eine Spur ausgezehrter aus als vor einigen Tagen am Hafen der Residenz. Jetzt, im hellen Sonnenlicht, sah sie deutlich seine tiefrote Haut, die stumpfen, strähnigen Haare, die hervortretenden Wangenknochen und ausgetrockneten Lippen. Plötzlich stieß er keuchend den Atem aus und warf sich vor dem Beckenrand der Länge nach zu Boden.

Neith schwamm zu ihm, reckte den Arm aus dem Wasser und berührte ihn. »Warum streckst du dich vor mir aus, als sei ich Pharao oder eine andere Gottheit?«

»Du bist jetzt eine bedeutende Herrin, die zweite Frau im Reich«, krächzte er. »Außerdem habe ich nicht die Kraft für einen ordentlichen Kniefall. Ich bin froh, auf so weichem Rasen zu liegen. Aber bitte berühre nicht meine Schultern; ich habe den schlimmsten Sonnenbrand meines Lebens.«

Neith winkte Taket, die den Wedel fallen ließ und hastig den Bierkrug holte. »Hier hast du eine Stärkung. Deine Haut muss gesalbt und deine Handgelenke müssen verbunden werden.«

»Sie brennen wie Feuer«, murmelte Ipui, setzte sich auf und trank gierig den Krug leer. »Zwanzig oder auch mehr Tage habe ich abwechselnd in einem düsteren Verlies gehockt oder in der prallen Sonne an der Hofmauer gehangen.«

»Die anderen Gefangenen – sind sie tot?«

»Einige. Ein paar retteten sich, indem sie Haikta-Ummar anflehten, ihm dienen zu dürfen. Ich hätte es selbst beinahe getan, denn die Hitze brachte mein Blut schier zum Kochen. Die ägyptischen Soldaten haben dort nichts zu sagen. Haikta-Ummar gibt ihnen Posten, völlig harmlose, wie etwa das Bewachen von Lagerräumen; andere zieht er zu treuen Gefolgsleuten heran. Aber ich weiß, dass sie zur Maat beten, Merenre möge ein guter, willensstarker Horus sein.«

»Das ist er nicht, jedenfalls noch nicht, das weißt du sicher.«

»Ja.« Ipui sah sie durchdringend an. Die Tage im Gefängnis schienen ihn nicht nur körperlich um einige Jahre älter gemacht zu haben. »Angebunden im Hof hörte ich so manches«, fuhr er mit angestrengter Stimme fort. »Dass der Horus eine starke, junge, schöne und vor allem aufsässige Sachmet-Priesterin zur Frau nimmt, zum Beispiel. Und dass sie sich nicht scheut, einen Bogen in die Hand zu nehmen und Haikta-Ummar anzugreifen. Die Aamu haben die Feder der Maat zu Boden getreten, sagen sie. Wenn nicht Merenre die Feder wieder aufhebt, dann wird sie es tun, die Sachmet-Priesterin.«

Neith stieg aus dem Teich und schlang sich das Tuch um den Körper, das Taket ihr hinhielt. Sie setzte sich vor Ipui, schob einen Arm aus dem Tuch und berührte die verkrusteten Striemen um seine Handgelenke. »Taket, bring noch Bier und Salben und Leinenstreifen zum Verbinden. Ach, Ipui, du bist erwachsen geworden, seitdem du beschlossen hast, für Ägypten zu kämpfen. Leider hielt dein Können mit deinem Mut nicht Schritt.«

»Das ist wahr«, brummte er. »Ich hätte es besser lassen sollen. Aber was soll ich jetzt tun? Ich kann nicht in den Tempel zurückkehren. Ich muss in die Stadt, irgendwo unterkriechen.«

»Weil meine Bestechung ans Licht kommen wird?«

»Wird sie es denn nicht?«

Sie dachte kurz nach. »Ich fürchte, doch. Wie sollte dein Verschwinden wohl unbemerkt bleiben? Haikta-Ummar wird wissen wollen, wo du bist. Dann wird er die fraglichen Leute auspeitschen lassen, darunter natürlich auch den Aufseher, der dann mit ängstlicher Hast erzählt, wer für dich bezahlte. Und dann wird der verfluchte Aamu zu Merenre rennen und meine Bestrafung fordern. Ja, und dann wird es das erste Kräftemessen zwischen ihm und mir geben. Oder, wenn du so willst, das zweite.«

»Warum hast du ihn angeschossen?«

Neith überlegte einen Moment, warf den Kopf zurück und lachte. »Weil ich nicht richtig gezielt habe!«

Ipui fiel hustend in ihr Lachen ein. »Es ist wahr, du bist die Hoffnung der Maat!«

Taket war mit dem Gewünschten zurück, kniete neben ihm und begann seine Hände mit einer Salbe aus zerstoßenen Weihrauchkügelchen einzureiben. Neith salbte inzwischen seinen feuerroten Rücken, was ihm einen Schmerzenslaut entlockte. »Jetzt solltest du gehen«, sagte sie. »In die Stadt, wie du es gesagt hast. Ich weiß nicht, ob du jemals wieder in den Tempel zurückkehren kannst, aber ich lasse es dich wissen.« Sie ging ins Haus zurück, wo sie wartete, bis er fort war.

Am Abend saß sie wieder im Garten, diesmal wahrhaft königlich gekleidet. Von ihrer schweren Perücke hingen kleine goldene Ankh-Kreuze. Einen Goldreif wie die Königin besaß sie, die zweite Frau, jedoch nicht. Man hatte zwei Korbstühle mit großen, lotosförmigen Lehnen auf den Rasen gestellt. Sonst gab es nur Matten, auf die sich die Gäste setzen konnten; so mussten sie zu Merenre und seiner Frau aufblicken. Ihm war seine Freude an all der Ehrerbietung anzusehen; er trug ein gold-blau gestreiftes Nemes-Kopftuch und all den Goldschmuck mit Stolz. Itriri war nicht anwesend. Wahrscheinlich wusste sie gar nichts von diesem kleinen Fest, obwohl sie das Treiben vom Dach ihres Hauses hätte beobachten können. Spätestens morgen würde die ganze Residenz wissen, wie sehr er seine Königin missachtete.

Teti trat vor, in einem überaus engen Kleid, das ihren geschmeidigen Körper aufs Vollkommenste zur Geltung brachte. Sie kniete vor Merenre und küsste seine in weißen Ledersandalen steckenden Füße. Dann beugte sie sich zu Neiths Füßen herüber, so weit, dass sie fast flach auf dem Boden lag. Sie drückte die Lippen auf Neiths rechten Fußrücken.

»Ich grüße dich, Herrin, Königin, Geliebte des Horus«, hauchte sie. Neith stieß die Zehen gegen ihre Schulter.

»Bist du von allen guten Göttern verlassen, Teti?«, rief sie. Merenre lachte.

»Du bist jetzt die mächtigste Frau im Reich, oder etwa nicht?« Beifall heischend blickte Teti zu ihm hoch. Ein Ptah-Priester ging vor ihm in die Knie. Merenre dankte ihm für die Huldigung, indem er ein Nicken andeutete, und der Priester richtete sich wieder auf, wobei er Teti mit sich zog. Sie drehte sich zu ihm um und zupfte an seiner Perücke.

»Pi-Ha«, sagte sie, »du kannst den Göttern dafür danken, dass mein Mondblut so früh floss, andernfalls säße ich an des Pharaos Seite. So aber tanze ich weiterhin für die Göttin und muss mich mit dir begnügen.«

Der Priester lachte und umfasste ihre Mitte. Auch Merenre schien diese Äußerung zu erheitern. »Ich habe mich nicht in Neith verliebt, weil sie Hathors Kuhgehörn auf dem Kopf trug. Aber du besitzt einen schönen Körper; vielleicht füge ich dich meinem Harem hinzu. Würde dir das gefallen?«

Teti seufzte. »O Pi-Ha«, sie vollführte mit der gepflegten Hand eine königlich wirkende Geste, »könntest du es ertragen, mich zu verlieren?«

Pi-Ha lächelte gequält; Merenre war sichtlich erfreut über die Verwirrung, die er geschaffen hatte. Er neigte sich Neith zu. Seine großen, von blauem und goldenem Puder überschatteten Augen drangen in ihr Inneres und verrieten seine Vorfreude auf die kommende Nacht. Teti und Pi-Ha mussten gehen, denn andere warteten, um ihre Aufwartung zu machen. Sabu-Tjeti, der Hohepriester des Ptah, kam und kniete auf den Matten nieder. Neith sah ihn jedoch nur aus den Augenwinkeln, denn Merenre hatte ihren Kopf näher zu sich gezogen, um sie begierig zu küssen. Als sie wieder aufrecht saß und nach Atem rang, bemerkte sie die Erheiterung in Sabu-Tjetis Miene. Sie erinnerte sich daran, wie er gesagt hatte, sie solle sich nicht mehr vor ihm verneigen. Nun war er es, der vor ihr kniete, und es erschreckte sie, wie selbstverständlich sie es empfand. Abrupt erhob sie sich und schritt an den versammelten Menschen vorbei. Merenre rief hinter ihr her, aber er folgte ihr nicht. Neith wählte einen der gepflasterten Wege, der sich zwischen Hennabüschen verlor. Hier stand nur einer der aamuritischen Wachen; sein Anblick weckte ihren Zorn. Sie befahl ihm, zu verschwinden, aber er schaute nur verständnislos und rührte sich nicht.

Sie warf einen Blick zurück. Sykomoren und Büsche verdeckten die Sicht auf die kleine Gesellschaft im Schatten des Hauses. Dahinter war die Sonne nicht mehr zu sehen; ihr Schein rötete die Wolken. Von den anderen unbeobachtet standen Teti und ihr Priester engumschlungen im Schutz einer Sykomore. Tetis Hand war bereits auf dem Weg unter seinen Schurz. Neith schlug einen Bogen, um zum Fest zurückzukehren. Es war töricht und unhöflich gewesen, einfach fortzulaufen. Aus der Richtung des Weges, der zum Tor der Umfassungsmauer führte, kam ihr eine Sänfte entgegen. Neith erkannte Merit-Sachmet, die sofort den Befehl zum Anhalten rief. Die Träger halfen ihr heraus. Merit-Sachmet hatte ihre beste Perücke aufgesetzt. Die Amulette um ihren Hals klirrten, und sogar um ihre Fußgelenke lagen silberne Kettchen.

»Liebe Neith, es tut mir leid, dass ich so spät komme«, rief sie ihr zu. »Aber weshalb läufst du allein hier herum? Solltest du nicht an des Pharaos Seite sitzen?«

Neith lief zu ihr und umarmte sie. »Herrin, ich wollte nur einen Augenblick für mich sein. Aber es ist schön, dass du jetzt da bist.«

Merit-Sachmet hielt sie auf Abstand und betrachtete sie ausgiebig. »Du bist jetzt deiner Herkunft gemäß eine Edeldame. Und früher oder später bist du die Königin. Wer sonst wäre es wert, ihren Stirnreif zu tragen?«

Neith verblüffte diese Offenheit. »Du vergisst Itriri.«

»Zweifelst du daran, dass du früher oder später ihren Platz einnehmen wirst? Was hält sie denn jetzt dort, an Merenres Seite? Nur ihre Herkunft. Doch Merenre wird sie eines Tages beseitigen. Nun schau nicht so entsetzt. Ich spreche nur aus, was du doch längst gewusst hast, nämlich dass er mit ihr nicht anders verfahren wird als mit ihrer Mutter und seinem Bruder.« Merit-Sachmet klopfte auffordernd auf Neiths Hand. »Du hast mir immer noch nicht erzählt, was Sachmets Auge dir gezeigt hat.«

Neith erstarrte flüchtig. Die Erinnerungen kamen schnell und deutlich, aber nichts davon war für andere Ohren bestimmt, schon gar nicht die seltsame Äußerung von Anubis: Sie starb am Tag deiner Krönung … Was half es Merit-Sachmet, wenn Neith es ihr sagte? Alt war sie ohnehin, und wer mochte wissen, wann der Tag kam, an dem sie, Neith, Königin wurde?

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich alles verstanden habe, was die Göttin mir gezeigt hat.«

»Irgendwann wirst du es verstehen«, erwiderte Merit-Sachmet unbeeindruckt. »Sag, liebst du ihn?«

»Ich weiß nicht.« Neith blickte zu Merenre hinüber, der jetzt am Teich stand, die Hände an den Seiten. Das Gold auf dem Stoff seines Kopftuches glänzte im Abendlicht. Er glich keineswegs jenen Männern, von denen sie früher geträumt hatte. Sie mochte ihn, und er erregte sie, aber liebte sie ihn wahrhaftig? Du solltest es tun, dachte sie, denn du wirst niemals einen anderen Mann haben.

Herrin zweier Länder

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