Читать книгу Kiosk - Sabine Werz - Страница 7

2

Оглавление

Am nächsten Morgen stehen die Mäusemilchtrinker am Cappuccinoautomaten und reden übers Haarefärben. Das tun sie, weil der Cappuccinoautomat im neuen Drogeriemarkt steht und umsonst Kaffee ausspuckt, sofern man Kunde ist. Der Dachdecker spielt den Kunden sehr engagiert oder »arrangiert«, wie er sagen würde, weil er es nicht so hat mit Fremdwörtern, sie aber der Bildung wegen gern einstreut. Er wirft sich doll in die Brust und deklamiert mit der Verve eines alten Bühnenkünstlers blumige Sprüche zum Thema Haartönungen und Tönungswäschen und Cremefarben, über all das, was er auf die Entfernung so von den Packungen und Werbetafeln im gegenüberliegenden Regal entziffern kann. »Wirklich brillante Farben, und dabei legt sich ein glättender Schutzfilm um das einzelne Haar.«

Das macht er, solange ihn diese Kitteltante beäugt, die nebenan Lidschatten einsortiert, »Outer Space für außergewöhnliche Augenblicke«. Er ist so gut, findet er, daß niemandem auffallen kann, wie schäbig der unrasierte Kalle in seinem zerlöcherten Norwegerpullover, den ölverschmierten Hosen und den vor zwei Tagen hier geklauten Saunalatschen aussieht. Der schmutzige Buddy geht mit seiner eingedrückten Visage einfach als bekloppt durch und muß nicht an normalen Sauberkeitsmaßstäben gemessen werden.

»Buddy hat’s gut, der ist doof«, pflegt Kalle zu sagen, der zu jener Eifersucht neigt, die gewöhnlich Geschwister untereinander hegen.

Der Dachdecker trägt Blaumann und die feste Überzeugung zur Schau, daß sein breites Kreuz imposant auf Frauen wirkt. Er räkelt sich in Richtung Kitteltante, daß ihm die Knochen knacken und sein Bauch sich vorschiebt. Verwegen blinzelt er der Kitteltante zu. Die schießt angewiderte Blicke zurück. Der Dachdecker gerät kurz aus dem Konzept.

»Ich schmier mir doch keine Farbe in die Matte«, empört sich Kalle, als er merkt, daß dem Vordenker der Stoff auszugehen scheint, und Buddy murmelt zuvorkommend »Kafa, kafa«.

»Brauchst keine Farbe für«, wendet sich der Dachdecker vorwurfsvoll an Kalle und Buddy. »Weil da gibt’s jetzt ganz was Neues, Tolles für Männer.« Er kneift die Augen zusammen und studiert eine Reklamepappe. »Also, da kehrste einfach zu deiner natürlichen Haarfarbe zurück, in nur vier Wochen, darauf gibt es die Polyester-Garantie für Farbechtheit und...«

Buddy pustet in seinen Cappuccino, daß es blubbert und der Schaum sein Gesicht benetzt. Fast so wie am Meer, irgendwann war er mal da, er versucht jetzt dahin, hinter seine Gedanken zu kommen.

Die Kitteltante runzelt die Stirn, verschwindet aber Richtung Babynahrung, wo sich ungeöffnete Kartons türmen.

»Dämliches Rascheleisen«, schickt der Dachdecker ihr hinterher.

»Nee, wirklich wahr, keine Ruhe drin in dem Laden«, meint Kalle und nickt energisch. »Ganz was anderes als wie bei Lenchen.«

»Frau Lena, du Drecksack«, korrigiert der Dachdecker streng. Wegen Lena sind sie überhaupt hier. Die hat ihnen nämlich heute morgen eine Art Hausverbot erteilt, na ja den Kredit einstweilen gestrichen, weil der Kwiatkowski auf einer Extrakarte bißchen mehr angeschrieben hat als üblich, was zusammen Schulden von dreihundertzwanzig Mark statt zweihundert macht. Dann hat sie neue Zeiten angekündigt. Lenchen war schlecht gelaunt, weil der Kwiatkowski eine Aushilfe eingestellt hat, die nicht auftaucht und weiblich sein soll. Kennt man doch, daß die Weiber sich untereinander nicht grün sind.

»Wir müssen dem Lenchen mal ’ne Freude machen. Die hat’s ja nicht leicht seit der Sache mit dem Jakob. So was geht aufs Gemüt«, erklärt der Dachdecker und füllt sich den Becher nach. Kalle nickt. »Und ob.«

Buddy ist noch am Meer mit der Cappuccino-Gischt. Der Dachdecker schaut auffordernd in die Runde. Er hält viel von gemeinsamer Beschlußfassung. Kalle denkt sehr angestrengt nach, während er hinter seinem Rücken einen Verpoorten aus dem Regal hebt – der Weinbrand ist zu weit weg – und unter seinen Pullover in den Hosenbund schiebt. Das kneift bißchen und ist kalt am Hintern, wird aber gehen.

»Muß das jetzt sein«, tadelt der Dachdecker, dem an einer ernsthaften Konferenz gelegen ist. Er hat seine Zeit schließlich nicht gestohlen, es wird was von ’ner Baumaßnahme vom Krahwinkel auf dem Kattenbug gemunkelt, direkt beim Kiosk, da muß er noch nachhaken. Im Gegensatz zum arbeitsscheuen Kalle ist er mehr die ehrliche Haut, und Schwarzarbeit gibt’s satt, wenn der Krahwinkel baut.

»Is doch nur gut für Frau Lena, wenn wir das Geschäft hier bißchen schädigen«, verteidigt Kalle seinen Beutezug. Der Dachdecker zieht drohend die Brauen zusammen. Es gefällt ihm nicht, wenn einer von den Jungs den Gewitzten markiert, weil er nun mal der Denker ist.

Kalle prüft, ob die Flasche stramm in der Hose sitzt, dann hebt er abwehrend und beschwichtigend die Hände. »Peace, Mann, is okay. Wie wäre es mit einem schönen Fest so in Gedenken an den Jakob, ist doch fast ein Jahr her, daß er abmarschiert ist. Ist ja auch bald Ostern.«

Der Dachdecker schüttelt den Kopf. »Nee, unsere Begräbnisfeier hat dem Lenchen auch schon nicht gefallen. Du weißt ja, wie so was ausarten kann.«

Kalle nickt traurig, dabei war es so gut gemeint gewesen. Tagelang sind die drei damals mit einer organisierten Malteser-Büchse den ganzen Kattenbug auf und ab marschiert, in jedes Haus, in jedes Geschäft, sogar in die Kneipen und haben Spenden gesammelt für einen Kranz mit großer Schleife. Dabei hat der Dachdecker dann rührende Reden über den Jakob gehalten und dessen Güte. In der Bierschwemme »Beim Fährmann« war einer frech geworden und hat Ruhe verlangt, da hat der Dachdecker mal hinlangen müssen, wobei ihm die Tränen in den Augen standen wegen Jakobs Güte und Warmherzigkeit, die der Welt fehlen wird.

Es war ein ordentliches Sümmchen zusammengekommen. Das ja auch für den Kranz hätte reichen können, wenn ihnen dann nicht die prachtvolle Idee mit dem Fest gekommen wäre. »Das hätte der Jakob so gewollt«, befand der Dachdecker damals und hat bei Kwiatkowski sehr viel Landhauskorn und Bier gekauft, heimlich, weil Lenchen nichts davon merken sollte, der Überraschung wegen, und weil sie als Frau ohne Phantasie vielleicht doch den Kranz schöner gefunden hätte.

Aber statt ’nem Kranz vom Kattenbug gab es halt lecker zu trinken in der Metzgerei beim Dachdecker. Der hatte dafür auch noch mal seine Rede vom Jakob und seiner Güte poliert. Und Kalle hatte einen Tapeziertisch mit den Flaschen aufgestellt und paar Birkenzweige dazwischengelegt.

War es ihre Schuld, daß da nicht alle hinwollten, die gespendet hatten, um an Jakob zu gedenken? Und hatten sie vielleicht diese abgerissenen Thekenpisser vom »Fährmann« eingeladen, die sich nur besaufen und den Streit fortsetzen wollten?

»Nee, die waren wirklich pittoresk«, sagt der Dachdecker heute noch, wenn er sich an die Prügelei erinnert, die Bullen, die ganze Aufregung. Er meint pietätlos. Darum wird der Gedanke vom Jahresfest jetzt schnell verworfen, zumal das Geld dazu fehlt.

»Vielleicht«, sagt der Dachdecker zögernd, als müsse er seine eigenen Gedanken belauschen, »vielleicht versuchen wir es diesmal mit ’nem Kranz.«

Gut möglich, daß ihn der Anblick von rosa und himmelblauen Stoffblumenkränzen, die für »nur 14,99« zwischen Plastikostereiern, Plüschhasen und Eiermalfarben hängen, auf die Idee gebracht haben. Kalle tut begeistert. »Tolle Sache, nee du, also ehrlich, echt gut.« Er macht eine Pause, zerknickt entschlossen seinen Kaffeebecher und sagt: »Aber den läßt Buddy mitgehen, ich hab keine Lust, mir wegen so’m Tussi-Schrott von den Bullen Gelenkschmuck einzufangen.«

Buddy hat sich tief hinter sein eingedrücktes Gesicht zurückgezogen, wohin ihm niemand folgen kann. Das sieht sehr trostlos aus, kann ja keiner wissen, daß er am Meer angelangt ist. Der Dachdecker zuckt resigniert mit den Achseln, da kann man nichts machen, Buddy muß auch mal ran.

»Ein Kumpel biste nicht grade, Kalle«, sagt er mit einem Anflug von Gerechtigkeitssinn und in Angedenken an Jakobs Güte, während Buddy geduckt zu den Kränzen schlurft und den Kopf schief legt, um sie eingehend zu betrachten. Er tut gern, was man ihm sagt. Die rosa Maiglöckchen gefallen ihm, aber die himmelblauen Margeriten sind auch nicht schlecht. Sein Kopf geht hin und her.

»Äh, was willste?« Kalle hebt die Stimme, baut sich mit dem Rücken zu Buddy hin auf und markiert Randale. »Die wesentlichen Sachen besorg doch wohl immer noch ich, oder?«

»Da gibt’s nix, für um stolz drauf zu sein«, kontert der Dachdecker. »Wenn ich heute den Job für uns auftue, gehen wir zum Ausgleich was kaufen hier. Ist nur gerecht, denk an Jakob und seine Güte, das müssen wir uns was kosten lassen. Da is Geld nicht zu schade für.«

»Kaufen? So’n Quatsch. Was solln wir denn hinterher mit zwei Kränzen?« fragt Kalle kiebig.

»Quatsch Kränze, Jacobi von mir aus«, rüffelt der Dachdecker. »Den Eierbrei in deiner Hose kannste alleine saufen, schon mal von Cholerasterin gehört?« Buddy streichelt hinter den Rücken der beiden die Maiglöckchen.

»Schnaps kaufen geht nicht«, sagt Kalle, »wegen Lenchen. Das wäre treulos, wo die sich hier nich mal um die Kundschaft kümmern.«

»Jetzt langt es aber«, geht die Kitteltante, die sich von der Babynahrung her angeschlichen hat, dazwischen. »Führen Sie Ihre Auseinandersetzung gefälligst vor der Tür.« Sie streckt die Hand vor und packt Kalle beim Ärmel. Der Dachdecker pumpt die Lungen auf: »Erlauben Sie mal, wir sind mitten in einer Kaufentscheidung, und Sie ...«

»Kaufentscheidung! Daß ich nicht lache! Ihr klaut wie die Raben, seit wir aufgemacht haben. Meint ihr, ich bin von gestern?«

»Nee, von vorvorgestern.«

Sie zerrt an Kalles Ärmel. Ein seltsamer Tanz entsteht, weil Kalle sich an ihre Brust wirft, sie ihn wegstößt, er sie wieder an sich ranzieht. So gelangen beide wie in einem schlechten Schieber zur Schwingtür, die eine Kollegin mit angewidertem Blick aufhält.

»Sehen Sie denn nicht, was mein Freund an seinen Füßen trägt, sehen Sie das nicht?« brüllt der Dachdecker, der gemessenen Schrittes gefolgt ist, als sei er der entrüstete Tanzlehrer.

Kalle hat sich, als er zu fallen droht, von seiner Tanzpartnerin gelöst, des Verpoorten wegen. Jetzt steht er draußen und zieht mit zärtlicher Fürsorge den Hosenbund hoch und kratzt sich im Schritt.

»Das an dem seinen Füßen sind Saunaschlappen aus Ihrem Saftladen«, zundert der Dachdecker noch aus dem Laden. »Zu Neunmarkneunundneunzig. Das ist auch Geld, da haben wir lange für gearbeitet. Und Sie gehen so mit den Kunden um. Wer ist eigentlich hier Geschäftsführer?«

»Ich«, sagt die Kitteltante und schaut sich nach dem dritten Halunken um. Buddy spaziert freundlich nickend zur Tür hinaus. »Schö Ta.«

Der Dachdecker verweilt auf der Schwelle. »So wie Sie hier die Geschäfte führen, prophezeie ich Ihnen einen baldigen Konsens.« Er meint Konkurs, was der Kitteltante egal ist.

»Laßt euch hier bloß nicht mehr blicken, sonst hole ich die Polizei. Ich weiß genau, wie der da an die Saunalatschen gekommen ist.« Sie schubst den Dachdecker auf den Bürgersteig.

»Das ist eine böswillige Verleumdung und Beleidigung, ich zeige Sie an«, erklärt der Dachdecker der Glastür, die zufällt. Die Scheibe zittert.

»Kann ich mal vorbei?« fragt Rose Quittländer und schiebt dem Dachdecker ihren Einkaufsrollwagen in die Hacken.

»Sehn Sie nicht, daß ich hier um meine Rechte als Verbraucher kämpfe?« schnauzt der Dachdecker. Zwei resolute alte Schachteln gehen nun wirklich zu weit, Kalle grinst schon ganz verschlagen, während er den Eierlikör in seiner Hose streichelt. Die Quittländer guckt nur böse und droht mit dem Sonderangebotszettel, den sie zusammengerollt wie einen Regenschirm in der Linken hält.

»Schö Tach«, grüßt Buddy aufgeräumt, während sie im Laden verschwindet.

»Laß das«, herrscht ihn der Dachdecker an, »die alte Schabracke hat keinen schönen Tach verdient.« Er schlendert zum Halteverbotsschild an der nächsten Ecke, lehnt sich mit verschränkten Armen an und wartet auf seine Kumpel.

»Und?« sagt Kalle, als Buddy ankommt. Buddy greift in die Taschen seines Mantels und zieht zwei Beutel Ostergras hervor.

»Wasn das?« Kalle stöhnt.

»Nu laß ihn doch«, sagt der Dachdecker. »Vielleicht kann Lenchen das im Laden brauchen.« »Zum Eierlegen?«

»Paß bloß auf du«, droht der Dachdecker ihm. »Buddy, das ist doch nicht alles, oder?«

Buddy öffnet seinen Mantel und holt einen Kranz hervor. Er hat sich für die Maiglöckchen entschieden, weil er die schon mal in Balkonkästen vorne an den Festungshäusern gesehen hat. Nur nicht in dieser Farbe.

»Rosa«, stöhnt Kalle wieder. »Scheiße, der Jakob war doch ein Junge. Dem können wir doch keinen rosa Schleifchenscheiß aufs Grab legen.«

»Ich hab gleich gesagt, du sollst das machen«, klagt der Dachdecker. »Der Buddy ist nunmal ein Depp.« Buddy guckt wieder von fern. Da kann man nichts machen, weiß der Dachdecker und klopft ihm die Schulter.

Eine verschlafene blonde Frau mit Hund biegt um die Ecke. Der Dachdecker nimmt Haltung an. »Fräulein?«

Ein mißtrauischer Seitenblick und: »Ich hab keine Mark, bin selber pleite.«

»Fräulein, was denken Sie von mir. Ich hab nur ’ne Bitte. Schaun Se mal meinen Kumpel hier, der hat sich beim Einkauf in dem Drogeriemarkt da vergriffen. Er wollte eigentlich ’nen blauen Kranz, und nu is er rosa.«

»Dann tauschen Sie ihn um.«

»Nee, geht nich. Die wollen unsereins nicht mehr bedienen, weil wir keinen Kassenbon haben. Buddy ist schusselig. Aber so’m netten Fräulein wie Sie tauschen die das bestimmt um.«

»Gegen Geld?« fragt Karla spöttisch.

Der Dachdecker plustert sich auf. »Aber erlauben Sie mal. Hier geht es doch nicht um Geld. Das ist ein Geschenk fürn toten Freund. Den Jakob vom Kiosk. Den kennen Sie doch, oder? Kennt jeder, der von hier kommt.«

»Ich komm nicht von hier«, sagt Karla schroff und geht weiter, besinnt sich, dreht sich um und entreißt dem Dachdecker grob den Kranz. »Geben Sie her, ich versuch’s. Aber was heißt Geschenk, wo Ihr Freund doch tot ist?«

»Is für seine Frau, das Lenchen«, erklärt der Dachdecker.

»Für aufs Grab vom Jakob«, korrigiert Kalle, weil das Fräulein so nett ist und der Dachdecker nicht alles, was Spaß macht, für sich allein haben soll. Karla ist schon durch die Schwingtür, den Kranz hält sie achtlos in der Rechten, der Hund springt nach den Schleifen.

Kiosk

Подняться наверх