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Kapitel 5 – Das Kunstwerk

Juli 1991

Die Tür stand offen. Mit einem lauten „Hallo?“ betrat sie das Atelier von Roman Berger, seines Zeichens Maler und Installationskünstler. Er war ihr von ihrer Freundin empfohlen worden, da sie ihr Interesse an einem Porträt von sich bekundet hatte. „Er wird deine Seele nach außen kehren“, so Brigitta. Folglich schlich sie ins Atelier eines völlig Fremden, der trotz fix vereinbarten Termins offenbar nicht anwesend war und seine Räumlichkeiten unverschlossen hinterlassen hatte.

„Herr Berger!?“ Paula drang zögernd weiter vor und passierte unzählige Bilder und Skulpturen, die nicht unterschiedlicher hätten sein können. Abstrakte Malerei, Gesichter von Menschen, Zeichnungen von wilden Tieren, Gebilde aus Holz – all das befand sich in einem unverschlossenen, riesigen Raum.

„Wer is’ denn des?“ Zwischen zwei Staffeleien tauchte ein älterer Mann mit zerzaustem Haar und Brille auf der Nase auf. Paula war zutiefst erschrocken und versuchte ohne Erfolg, eine verständliche Erklärung abzugeben.

„Brigitta hat … Porträt von mir … Herr Berger?“

„Die entzückende Schriftstellerin!“ Roman Berger schrie den Satz in Richtung der vor ihm an die Wand gelehnten Leinwand. Er hatte eindeutig auf den Termin mit ihr vergessen. „I hob so vü zum Tuan – entschuldigen’s, gnä Frau.“ Mit einem verlegenen Lächeln versuchte der Maler seine Verwirrtheit zu überspielen. Noch bevor er ihr einen vornehmen Handkuss mit den Worten „Küss die Hand, Gnädigste“ erteilte, nahm er sich die Brille von der Nase.

„Herr Berger, es freut mich sehr.“ Paula lächelte, blickte dabei aber in ein erstauntes Gesicht. „Stimmt etwas nicht?“

„Entschuldigen’s bitte. Sie san a Augenschmaus – i hob jo ka Auhnung ghobt. De liabe Brigitta hat so von Ihna gschwärmt, oba sie hod maßlos untatriebn. De Augen, der Mund … und Ihre rote Blusn passt Ihna perfekt. Afoch entzückend!“

So wie Roman Berger die Worte mit seinem ausgeprägten Wiener Dialekt formulierte, klang es über alle Maßen ehrlich in ihren Ohren. Was hätte der in die Jahre gekommene Künstler auch davon, ihr zu schmeicheln, wenn er nicht tatsächlich so empfand? An Aufträgen mangelte es ihm nicht, wie ihr bekannt war. Paulas Gesichtsfarbe änderte sich spürbar, doch sie freute sich auf das Ergebnis und konnte es kaum erwarten, Steffen zum Geburtstag ein Porträt von sich zu überreichen.

„Kumman’s!“ Der Künstler nahm Paulas Hand und führte sie in Form einer Erkundungstour durch sein Atelier. Immer wieder blieb er an ausgewählten Stellen stehen und deutete wortlos auf Porträts bekannter Persönlichkeiten, ohne deren Identität zu erwähnen.

„Oh, ist das etwa…?“ Paula rang um den Namen, der ihr beim besten Willen nicht über die Lippen kam. „Die vom Opernball?“

Roman nickte nur und ergänzte: „Noch ihrm ersten.“

„Und das ist der Skifahrer, oder?“ Wieder bestätigte er ihren Verdacht mit einem energischen Kopfnicken.

„Oh entschuidigen’s, Gnädigste. Woin’s an Kaffee?“

Paula nahm das Angebot gerne an und kam während des Nippens daran langsam in Stimmung.

„Und jetzt gaunz stü“, flüsterte der Künstler – er hatte sie sofort und auf der Stelle malen wollen. Im Schein der Lampe, die ihm Licht für seine Arbeit spendete, funkelte das Rot ihrer Lippen mit dem ihrer Bluse um die Wette und harmonierte mit dem Dunkelbraun ihrer schwungvollen Locken.

Paula sah die Rückseite einer Leinwand vor sich sowie die Augen und einen Teil von Romans Gesicht. Sie unterstand sich, nur eine Sekunde den Blick von ihm abzuwenden. Das Atelier um sie herum blendete sie vollständig aus.

„Großortig“, lobte Roman seine neue Muse immer wieder. Eine so attraktive Frau hatte er schon lange nicht mehr in seinen Räumlichkeiten begrüßen dürfen. Er konnte sich nicht daran erinnern, je ein ähnlich ansprechendes Gesicht einer jungen Dame auf einer Leinwand verewigt zu haben.

„Brigitta hod erzöht, dass du Biacha schreibst.“ Roman versuchte, eine Konversation in Gang zu bringen, um die herrschende Stille zu durchbrechen.

„Das ist richtig“, antwortete Paula mit so wenig Mimik wie möglich, um den Maler nicht von seinem Pinselschwung abzulenken. „Mein erster Roman, ‚Nebel über dem See‘, wurde schon veröffentlicht und hat sich sehr gut verkauft. Mein zweiter, ‚John Beauclair‘, ist gerade in der Postproduktionsphase. Ich denke, auch er könnte erfolgreich werden.“

„Großortig!“ Paula überlegte, ob er damit auf das eben Gesagte reagierte oder sich selbst für seine Darstellung ihrer Züge auf der Leinwand gelobt hatte.

Der Zeiger einer Wanduhr, die ebenso selbst gebastelt aussah wie alles andere im Atelier, zeigte 18:52 Uhr an. Konnte es sein, dass sie bereits seit drei Stunden in ihrer Position verharrte, ohne einen Anflug von Langeweile, körperlichen Beschwerden oder Durst zu verspüren? Roman verhielt sich in ihren Augen erstklassig. Er gab ihr mit seinen Kommentaren immer wieder das Gefühl, eine Inspiration zu sein, was es ihr erleichterte, weiterhin stillzusitzen. Steffen würde begeistert sein, wenn er in der darauf folgenden Woche das Porträt in Händen hielt. Wo er es wohl aufhängen würde?

„Des woa’s! Wir haum’s!“ Der Maler war am ganzen Körper verschwitzt. Obwohl mindestens 45 Jahre älter als Paula, fand sie ihn trotz seiner zeitweisen Verwirrtheit nicht unattraktiv. Lag das an der Vielzahl an netten Worten, mit welchen er sie in den letzten Stunden überhäuft hatte? Paula liebte Komplimente über ihr Äußeres und empfand diese nicht selten als sinnlichen Reiz.

„Derf i vorstön? De einzigortige, wundervolle und entzückende Paula Hogitsch.“ Roman nahm sie an der Hand und führte sie auf die andere Seite der Leinwand. Sie war überwältigt. Sollte das etwa sie sein? Hatte er in nur drei Stunden dieses Porträt von ihr erschaffen? Paula fehlten die passenden Worte.

„Du brauchst nix sogn. Es woa mia a Voiksfest. A Muse wie du hod si scho laung nimma in mei Atelier vairrt.“

Sie bemerkte, wie sie der Künstler lächelnd anblickte, doch sie schaffte es kaum, ihren gebannten Blick vom Gemälde abzuwenden und sich anständig zu bedanken.

Paula wollte Steffens Geburtstag ganz besonders gestalten und seine miserable Laune der letzten Tage durch eine gelungene kleine Feier vertreiben. Eine Sachertorte, seine Lieblingsmehlspeise, stand im Kühlschrank bereit, und das Geschenk befand sich eingepackt auf dem Tisch. Jetzt lag es an ihr, ihn aus dem Bett zu bekommen, womit einem schönen Tag zu zweit nichts im Weg stand. Die Anstrengungen der letzten Wochen mussten ihm mehr zu schaffen gemacht haben, als sie angenommen hatte. Es war Mittag, und Steffen schlief immer noch.

Sie versuchte, ihn vorsichtig aufzuwecken, indem sie sanft über seinen Arm strich. Er erwachte sogleich, erwiderte ihr Lächeln aber nur mit einem müden Blick. „Alles Gute zum Geburtstag!“ Paula wollte sich einmal mehr zu ihm ins Bett kuscheln, doch Steffen drehte sich von ihr weg, stand auf und bewegte sich ins Bad. Seine Laune hatte sich nicht gebessert.

„Ich hoffe, es gefällt dir. Ich hab es vorige Woche machen lassen.“ Paula nahm ihn an der Hand und führte ihn vor die Leinwand – so, wie es der Maler nach Fertigstellung des Werks mit ihr gemacht hatte. Vorsichtig zog sie das Tuch Millimeter für Millimeter nach oben, bis das Gemälde vollständig enthüllt war.

„Hör zu, Paula.“ Steffen trat zurück und stellte sich hinter das Bild. „Ich kann das nicht mehr. Ich muss weg, es geht mir nicht gut.“

Sie verstand kein Wort. War es ihm unmöglich, mit einer Silbe oder nur einem Kommentar sein Geschenk anzusprechen?

„Ich hab’s mir schon längere Zeit überlegt. Heute ist vielleicht nicht der passende Tag, aber ich ertrage es einfach nicht mehr.“ Steffen schaffte es nicht, ihr in die Augen zu sehen. „Ich verlasse dich, Paula. Ich packe heute noch meine Sachen und ziehe aus. Es tut mir leid.“

Mit diesen Worten kehrte er ins Schlafzimmer zurück. Sie hörte, wie er anfing, seine Sachen im Koffer zu verstauen. Paula hielt wie versteinert inne und verstand die Welt nicht mehr. Handlungsunfähig fixierte sie die Initialen R.B. auf der rechten Unterseite des Gemäldes, die langsam größer wurden und schließlich verschwammen. In ihrem Kopf war schon seit Wochen angekommen, dass Steffen gehen würde, ihr Herz andererseits hatte es nicht akzeptieren wollen.

Das Wochenende darauf verließ sie zum ersten Mal wieder ihre Wohnung. Sie packte das Porträt, das sie seit Steffens Geburtstag nicht mehr anzusehen vermochte, ohne in Tränen auszubrechen, in ein Tuch und brachte es in ein Antiquitätengeschäft auf der Gumpendorfer Straße im 6. Bezirk, an dem sie auf dem Weg zu ihrem ersten Arbeitsplatz täglich vorbeigegangen war. Bot man ihr kein Geld dafür an, würde sie es dennoch dort deponieren. Sie ertrug es nicht mehr, es weiterhin anzublicken. Es erinnerte sie zu sehr an ihn.

„Grüß Gott!“ Paula rief ins Geschäft hinein, obwohl sie weit und breit keinen Mitarbeiter sichtete. Während sie auf eine Ansprechperson wartete, glitten ihre Augen über die zahlreichen Ausstellungsobjekte – von Vasen angefangen, Skulpturen, Kisten, Gemälde und Geschirr bis hin zu sperrigen Einrichtungsgegenständen. Es war einer jener Läden, in denen zwar kein Kunde Struktur erkannte, ein Mitarbeiter aber immer genau im Bilde darüber war, wo welcher Gegenstand lag.

„Entschuldigen Sie“, von der Galerie meldete sich eine männliche Stimme. „Bitte, kommen Sie nur“, forderte er sie auf, mit ihrem Bild in der Hand zu ihm nach oben zu kommen. Ohne lange Einleitung erklärte Paula ihm, ihr mitgebrachtes Werk verkaufen zu wollen.

Der Mann in seinen Fünfzigern, mit einem Arbeitskittel bekleidet, entfernte das Leintuch vom Bild, nahm seine Lesebrille aus seiner Brusttasche heraus und setzte sie bedächtig auf die Nase, um es eingehend zu mustern.

„Sind Sie das etwa?“ Er sah ihr kurz und prüfend in die Augen, bevor er die Kasse öffnete und ihr einen anständigen Preis für das Gemälde bezahlte. „Es ist hervorragend“, sagte er dann und hielt die bemalte Leinwand ins Licht, während er lächelnd ihr Abbild betrachtete. „Wer ist denn dieser R.B.?“

„Roman Berger.“ Sie schloss die Augen und war einen kurzen Moment lang wieder seine Muse. Ein derart warmes Gefühl, wie es der verrückte Maler in ihr hervorgerufen hatte, war ihr noch von keinem Mann vermittelt worden. Von den schmeichelnden Komplimenten zehrte sie auch jetzt noch, was sie die Trennung von Steffen leichter verschmerzen ließ.

„Hervorragender Künstler“, nickte der Antiquitätenhändler anerkennend. Paula nahm das Geld und schlenderte wie in Trance in ihre Wohnung zurück. An diesem Tag beschloss sie, ihren Heimatbezirk hinter sich zu lassen.

Der Kunstsammler war fasziniert von der Schönheit der jungen Dame. Jahrelang erfreute er sich selber in seinen eigenen vier Wänden an jenem sinnlichen Porträt, bevor er es eines Tages ins Schaufenster stellte und zum Verkauf freigab.

Wort für Mord

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