Читать книгу Das gefangene Herz der Hexe - Sabrina Kiehl - Страница 5
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Fee nahm die Anwesenheit des Störenfrieds sogar mit geschlossenen Augen wahr, aber sie öffnete die Augen nicht. Vor ihrem inneren Auge sah sie, wie ein dunkler Schatten sich über ihre imaginäre Blumenwiese legte, und ignorierte ihn. Diese Meditation war eine ihrer Übungen, die sie auf die schwierige Aufgabe der Astralreise vorbereiten sollten, und sie nahm diese Übung sehr ernst.
Von ihrem Chef, dem Schwarzmagier Noctrius erntete sie dafür allerdings eher Spott als Verständnis. Wohl auch, weil er nicht wusste, wozu ihre Meditationsübungen dienen sollten. Vermutlich wäre er neidisch und etwas verständnisvoller, wenn er von ihrem neuesten Projekt wüsste. Aber noch bevorzugte sie es, ihn im Dunkeln zu lassen. Auch er musste nicht alles wissen, zumal er zweifellos ebenso seine Geheimnisse hatte, wie sie.
»Fee«, sprach er sie nun offen und rücksichtslos an, als wäre ihm nicht klar, dass sie ihn längst bemerkt hatte und bewusst nicht reagierte. Aber da er ihr Chef und nicht zuletzt auch ein Freund war, musste sie ihm ein Mindestmaß an Respekt entgegenbringen. Widerwillig öffnete sie die Augen und blickte zu der Gestalt vor sich auf.
Als müsste er allen Angst machen, trug er immerzu schwarz und bevorzugt Leder, gerne kombiniert mit Armbändern mit lebensgefährlich spitzen Nieten. Dieses Bild vervollständigten die langen, glatten schwarzen Haare und die grimmige Miene, mit der er selbst nichtsahnende Menschen beunruhigte. Im Gegensatz zu diesen Leuten, die bereits bei seinem Anblick erzitterten, wusste Fee auch, wozu er imstande war, und das war noch beängstigender. Trotzdem war er einer ihrer engsten Vertrauten und sie musste keine Angst davor haben, dass er seine Fähigkeiten gegen sie einsetzte.
»Entschuldige die Störung«, fuhr Noctrius halbherzig fort, wobei sein Blick abschätzig durch den leeren Unterrichtsraum der Hexenschule schweifte. Ihre Schüler waren längst gegangen, Fee führte diese Meditationsübung alleine durch, was ihren Chef möglicherweise irritierte, schließlich könnte sie auch ungestört in ihrer Wohnung meditieren.
Sie lächelte Noctrius freundlich an. »Schon gut.«
Sie ahnte ohnehin, dass er nicht grundlos hereingeplatzt war, denn sie verband eine respektvolle Freundschaft trotz ihrer unterschiedlichen Ansichten. Daher hätte er sie sicher nicht gestört, wenn es nicht wichtig wäre.
»In einer halben Stunde ist die Versammlung«, erklärte er ernst und sachlich, ganz der Boss aller Hexen und Magier, der sogar Sorge dafür trug, dass Fee ihre Termine nicht vergaß. »Ich hatte den Eindruck, du könntest die Zeit aus den Augen verloren haben«, fügte er in freundschaftlichem Ton hinzu, als er sich zum Gehen wandte.
»Danke.« Sie rappelte sich immer noch lächelnd vom Boden hoch. Ihr Dank war nicht einmal gelogen. Sie hatte über ihre Meditation wirklich die Zeit vergessen und wäre möglicherweise zu spät gekommen. Dabei wurden so banale Dinge wie Pünktlichkeit bei Grey sehr ernst genommen. Obwohl man meinen sollte, dass es für eine Gemeinschaft deren Mitglieder großen Teils nahezu unsterblich waren, nicht wirklich eine Rolle spielte, ob sie pünktlich kamen.
»Bis gleich«, Noctrius verabschiedete sich mit einem lässigen Wink, sodass er ihr doch wieder eher wie der kleine Bruder in der Trotzphase vorkam und nicht wie ihr Chef.
Aber sie wusste, was und wer er war. In der weltumspannenden Organisation Grey, in der sich seit etwa siebzig Jahren Magiewesen zusammenschloßen, war es Noctrius‘ Aufgabe über alle Hexen und Magier zu wachen.
Einst hatte man sich geeinigt, dass jede bei Grey vertretene Spezies ein solches Oberhaupt bestimmte, das die Interessen aller Artgenossen vertreten sollte. Noctrius mit seinen gerade 24 Jahren hatte diese Position bereits seit drei Jahren und fast genauso lange war Fee seine Stellvertreterin. Gemeinsam repräsentierten sie alle Magier und Hexen, im Hauptquartier aber auch weltweit.
Die Versammlungen waren die Gelegenheiten der verschiedenen Spezies, sich untereinander auszutauschen und vor allem Probleme zu diskutieren. Im Grunde hätte Fee die Versammlung gerne geschwänzt, aber ihren Platz darin hatte sie sich hart erkämpft und durfte daher nicht den Eindruck machen, als wollte sie nicht mehr dazugehören.
Also räumte sie eilig den Unterrichtsraum auf und sammelte die ausgebrannten Kerzen ein.
Bei diesen Treffen berieten die Ranghöchsten aller Fraktionen von Grey über aktuelle Probleme – beispielsweise überaktive Vampire auf Raubzug, finanzielle Schwierigkeiten oder den Umgang mit den Menschen. Was auch immer diesmal Anlass für die Versammlung war, es konnte kein erhebendes Ereignis werden, aber es wäre falsch, wenn sie die Gelegenheit verstreichen ließ, ihre Meinung einzubringen. Insbesondere in letzter Zeit waren die Versammlungen oft geprägt von Streitigkeiten unter den Fraktionen.
Fee trat hinaus in die Oktobersonne und genoss die Wärme in ihrem Gesicht.
Wie gerne wäre sie jetzt im Wald spazieren gegangen, doch sie musste sich mit dem kurzen Weg vom Gebäude der Magie-Fraktion zum Versammlungshaus begnügen und diesen Weg so gut wie möglich auskosten.
Grey hatte sich ein Hauptquartier aus fünf Gebäuden am Rande eines Naturschutzgebietes aufgebaut, getarnt als private Forschungseinrichtung. Für viele hochrangige Mitglieder von Grey war dieses Areal ihr Zuhause, auch für Fee und Noctrius. Andere Hexen, Magier und Vampire lebten überwiegend versteckt zwischen den Menschen. Für sie als Oberhäupter war die Wohnung im Hauptquartier jedoch verpflichtend, weil sie für ihre Artgenossen immer greifbar sein sollten.
»Hey, Lieblingshexe!«, rief eine vertraute, wohlklingende Stimme hinter ihr, als Fee sich in Bewegung setzte.
Unweigerlich musste sie lächeln, diesmal von ganzem Herzen, statt aus Höflichkeit wie zuvor bei Noctrius.
Freudig drehte sie sich zu Artnus um.
Er sah gut aus, eine schicke graue Hose, ein luftiges, helles Leinenhemd und ein umwerfendes Lächeln. Er hatte seine kurzen, fast braunen Locken wieder nur notdürftig gekämmt und wirkte so natürlich wie kaum sonst jemand bei Grey – vielleicht, weil er Sonderrechte hatte und nicht im Hauptquartier lebte.
Etwas in ihr machte jedes Mal Luftsprünge, wenn sie ihn sah.
»Hi!« Bereitwillig wartete Fee, bis er bei ihr angekommen war. »Musst du auch zur Versammlung?«
Natürlich musste er das, sonst kam er nur selten ins Hauptquartier, obwohl er als Oberhaupt eigentlich dort leben sollte. Egal, wie sehr man hinter seinem Rücken schimpfte, nahm er sich doch beharrlich diese Freiheit heraus. Wer sollte es ihm auch verbieten? Grey hatte keinen Anführer mehr, alle Entscheidungen trafen die Versammlungen demokratisch und bisher niemand darüber abstimmen lassen, ob Artnus ins Hauptquartier ziehen musste.
Er grinste jugendlich, obwohl er sonst so erwachsen wirkte. »Ja, stell dir vor, sie laden mich immer noch ein«, erklärte er sichtlich gut gelaunt, wenngleich er einer der letzten seiner Art war und daher wenig zu lachen hatte. Er war das Oberhaupt der Spürer, einer menschenähnlichen Art, die den Tod einzelner Menschen im Voraus spürte. Ihre Fähigkeit war nicht erblich, Spürer wurden als Kinder von nichtsahnenden Menschen geboren, und das schon seit beinahe zwanzig Jahren nicht mehr. Zum Überfluss wurden die verbleibenden Spürer von einer rätselhaften Krankheit dahin gerafft. Inzwischen waren sie nur noch zu dritt und Artnus mit seinen 29 Jahren war der Älteste.
Er allerdings nahm das mit einer Gelassenheit, für die Fee ihn immer wieder bewunderte. Er lebte friedlich und entspannt mit seinen letzten beiden Artgenossen in einem Haus, in dem es eher wie in einer Studenten-WG zuging, als in einer strengorganisierten Geheimorganisation.
Leider konnte Fee nicht einfach die Fraktion wechseln, obwohl es ihr so vieles erleichtert hätte und sie gerne bei den Spürern leben würde.
»Sag bloß, du wärst traurig, wenn sie dich nicht mehr einladen würden!« Sie zwinkerte ihm zu. Wenn sie sich mit ihm unterhielt, wurde ihr warm ums Herz, wohingegen sie sich sonst bei Grey zunehmend unwohl fühlte.
»Sicher, dann würde ich dich weniger sehen«, erwiderte er ungewohnt offen und Fee wurde unweigerlich rot. Natürlich wusste sie, dass Artnus sie sehr mochte, nicht nur als Freundin. Sie konnte auch nicht bestreiten, dass sie ihn mochte, mehr als alle anderen Männer. Aber diese Zuneigung war aus so vielen Gründen unpassend, das war ihnen beiden klar und bisher hatte er sich immer in Zurückhaltung geübt. Solche Äußerungen kamen selten von ihm und machten sie deshalb nervös.
»Ach was«, antwortete sie, während sie die verräterische Röte in ihrem Gesicht mit Willenskraft bekämpfte, »du kannst mich jederzeit besuchen, das weißt du.«
Er tat es auch, mindestens einmal pro Woche kam er vorbei und das, obwohl er und seine Artgenossen sonst einen großen Bogen um das Hauptquartier machten.
Artnus’ fast schwarze Augen strahlten bei dieser Beteuerung, indessen bewegte Fee sich langsam auf das Versammlungsgebäude zu. Der Spürer ging dicht an ihrer Seite, gerade mit ausreichend Abstand, dass er sie nicht berührte. Durchaus denkbar, dass es anders wäre, wenn sie nicht im Hauptquartier, sondern im Safe House der Spürer wären. Dort hätte Artnus vielleicht einen Arm um ihre Schultern gelegt, hier jedoch war er vorsichtig mit derartigen Gesten, weil man nie wusste, wer einen beobachtete.
»Du solltest mal wieder rauskommen«, begann er plötzlich, »wir könnten ins Kino gehen oder Eis essen.«
Verwirrt starrte sie ihn an, denn ins Safe House lud er sie oft ein, aber in die Stadt?
»Du meidest doch die Menschen«, entgegnete sie irritiert, schließlich hatte er das selbst entschieden. Artnus war überzeugt, dass die tödliche Krankheit der Spürer durch ihre Todesahnungen ausgelöst wurde, die wiederum nur bei einer Begegnung mit Menschen auftraten. Deshalb ging er Letzteren aus dem Weg. Da er der einzige Spürer über 25 war, schien seine Theorie nicht so abwegig.
»Einmal wird schon gehen.« Er zuckte gelassen mit den Schultern. »Du bist fast nur noch hier, das kann dir auf Dauer nicht gut tun.«
Fee sah sich zwischen den vier großen Gebäuden um. Von außen wirkten sie wie Büro- oder Laborgebäude, von der Außenwelt abgeschottet durch einen blickdichten Zaun. Die Gebäude lagen an den vier Ecken des Grundstücks und waren allesamt mehr als fünf Stockwerke hoch.
Sie gehörten den verschiedenen Fraktionen von Grey, die darin zentrale Einrichtungen für ihre Mitglieder unterhielten. Größtenteils waren die Gebäude allerdings Wohnhäuser, für diejenigen Mitglieder, die dort leben wollten oder mussten, auch Fee lebte in einer Zwei-Zimmerwohnung über der Hexenschule.
Daher hatte Artnus nicht ganz Unrecht, sie verbrachte in den letzten Monaten tatsächlich fast ihre gesamte Zeit im Hauptquartier.
»Ich könnte am Wochenende zu euch ins Safe House kommen. Ich bringe ein paar Filme und Popcorn mit«, schlug sie bereitwillig vor. Sie mochte die Spürer und ihr Domizil. Die Spürer haderten zwar ständig mit der Angst vor der tödlichen Krankheit, aber sie führten ein friedliches Leben ohne Magie und Machtkämpfe.
Artnus nickte, während sie am Gebäude der Vampir-Fraktion vorbeigingen.
»Eigentlich dachte ich eher, wir könnten mal etwas zu zweit unternehmen«, gab er zögernd zu. Offenbar hatte er gehofft, das wäre ihr klar.
Wieder spürte Fee die Hitze in ihren Wangen.
Ein Date.
Artnus wollte sie nach einem Date fragen und überschritt damit die Grenze, die sie beide bisher immer respektiert hatten. Die Grenze, die sie stillschweigend vereinbart hatten wegen all dieser Bedenken – der Angst vor der Krankheit, den fast zehn Jahren Altersunterschied und der Tatsache, dass sie zu verschiedenen Fraktionen gehörten.
Fee schluckte schwer und sah auf das vor ihnen liegende Gebäude der Hellseher.
Sie wollte Artnus keine Abfuhr erteilen. Sie mochte ihn viel zu sehr und unter anderen Umständen hätte sie nicht einmal gezögert, doch es waren keine anderen Umstände. Zudem hatte sie die Liebe mit gutem Grund aus ihrem Leben verbannt. Dafür war dort kein Platz, weil sie viel zu tief in Noctrius’ Machtkämpfe verstrickt war. Sie war nicht nur seine Stellvertreterin, sie war vor allem das Oberhaupt aller Mitglieder, die sich ausschließlich weißer Magie widmeten. Dadurch machte Fee sich nicht gerade beliebt, auch nicht bei ihrem Boss.
»Sollen wir nach der Versammlung zusammen essen?«, schlug sie unsicher vor. Es wäre natürlich kein richtiges Date, weil Artnus oft bei ihr aß, wenn er zu Terminen im Hauptquartier war. Aber immerhin konnten sie dann in Ruhe sprechen. Im Grunde musste er ja selbst wissen, dass sie kein Paar sein konnten.
»Von mir aus gerne. Dawn ist heute mit Kochen an der Reihe, da vergeht sogar Rosa der Appetit«, Artnus überging ihre Abfuhr lächelnd, als wäre nichts gewesen.
Vielleicht war es gerade die junge, glückliche Liebe des Spürer-Pärchens Rosalie und Dawson, die Artnus neuerdings auf die Idee für ein Date brachte. Es war durchaus verständlich, wenn das Liebesglück, das er nun täglich vor Augen hatte, Sehnsüchte in ihm weckte. Das konnte Fee gut nachvollziehen, denn ihr ging es nicht anders.
»Dann gib den beiden Bescheid, damit sie dich nicht vermissen.«
Er schüttelte den Kopf. »Das werden sie nicht. Ich habe ihnen schon gesagt, dass es später werden könnte.«
Fee seufzte, weil er sie damit an die bevorstehende Diskussion erinnerte. »Denkst du, die Versammlung wird so lange dauern?«
Gequält sah sie auf das Versammlungsgebäude zwischen dem Haus der Seher und dem Haus der Lichtwesen.
Artnus zuckte mit den Schultern. »Wer weiß.«
Von der Seite musterte Fee ihn nachdenklich. Wusste er, warum sie an diesem Nachmittag zusammengerufen wurden?
»Fee!«, brüllte Noctrius ungeduldig vom Eingang. »Du bist spät dran!«
Der Schwarzmagier verschränkte die Arme vor der Brust und wartete, bis sie bei ihm ankamen. Natürlich galt sein vorwurfsvoller Ton in erster Linie der Tatsache, dass sie mit Artnus gesprochen hatte. Die Feindschaft der beiden Männer hatte eine neue Intensität erreicht, seit Noctrius die Lebensführung der Spürer überwachte. Ein Recht, das er sich herausgenommen hatte, nachdem Artnus vorgeschlagen hatte, die letzten Spürer von Grey zu lösen, damit sie ihre letzten Monate in Frieden verbringen konnten. Für Noctrius war das offenbar so etwas wie Hochverrat, dabei hatte er davor wenig Interesse an den Spürern gezeigt.
Artnus ging wortlos an dem Magier vorbei, Fee lächelte lediglich besänftigend.
»Du hast später noch genug Zeit, mit dem Todgeweihten zu flirten«, grummelte Noctrius, während er ihnen in den Versammlungssaal folgte. Fee entschied sich, nicht auf seine Andeutung einzugehen.
Auch ihr Boss war einer der Gründe, warum sie besser keine Gefühle für Artnus haben sollte. Noctrius würde eine Beziehung mit dem Spüreroberhaupt nicht dulden und sie machte sich nicht vor, dass das keine Rolle spielte. Deshalb hätte Fee sich tatsächlich gewünscht, dass die Spürer sich von Grey lossagten, dann hätte sie einen Grund weniger, ihre Gefühle zu unterdrücken.
Diesmal erwartete sie nur eine kleine Runde im Saal, bestehend aus den wichtigsten Vertretern der Fraktionen: Vampiroberhaupt Cornelius mit seinem engsten Vertrauten, Lichtwesenkönig Kian, Artnus als Oberhaupt der Spürer, Noctrius und Fee als Repräsentanten der Magier. Bei wirklich großen Diskussionen kamen noch weitere Auserwählte aus den einzelnen Gruppen hinzu, auch wenn diese kein Stimmrecht hatten.
Gerade, als alle ihre Plätze in dem parlamentsähnlichen Saal eingenommen hatten, öffnete sich die Tür erneut. Steven, der Vertreter der Hellseher trat alleine und wortlos ein.
Überrascht sah Fee zu Artnus, der ihr gegenüber und viel zu weit entfernt zum Flüstern saß. Er schien ihr Erstaunen zu teilen. Die Hellseher nahmen so gut wie nie an Versammlungen Teil, da sie ohnehin im Voraus wussten, was gesprochen und beschlossen wurde. Daher hätte sie Artnus gerne gefragt, was er über die Anwesenheit des Sehers dachte.
Neben sich sah Fee Noctrius, der dem Hellseher zur Begrüßung zunickte und nicht sonderlich erstaunt schien. Warum auch? Noctrius hatte seine Ohren überall und musste gewusst haben, das Steven zur Versammlung kam.
Der Magier räusperte sich. »Da wir vollzählig sind, sollten wir anfangen.«
Erneut verwirrt folgte Fee seinem Blick zum Lichtwesenkönig Kian. Diese stumme Kontaktaufnahme war neu.
Bei ihr genügte schon der Anblick des Lichtwesens, um sie innerlich zittern zu lassen. Kian war groß, schlank und sportlich, sodass er bei Menschen gut als Model durchgehen könnte, wenn er sich ihnen je zeigen würde. Wenn man ihn länger betrachtete, musste man allerdings auch das übernatürliche Stahlen bemerken, als ob seine Porzellanhaut von innen heraus leuchtete. Es war das Licht, von dem diese Wesen sich ernährten, das ihn so strahlen ließ, zumindest sagte man das. Seine goldblonden Haare machten es auch nicht besser. Obwohl Lichtwesen den Menschen auf den ersten Blick sehr ähnelten, strahlten sie so offensichtlich übernatürliche Macht aus, dass es sogar Fee gruselte. Nicht zuletzt wurde sie unruhig, weil die Lichtwesen so wenig über ihre Natur und ihre Fähigkeiten preisgaben, nicht einmal Gegenüber anderen Mitgliedern von Grey.
»Danke, Noctrius«, begann Kian leise mit seiner dünnen Stimme. »Ich habe um diese Versammlung gebeten, weil ich euch leider mitteilen muss, dass heute Morgen Alana verstorben ist«, verkündete er ruhig und sachlich den Tod seiner Lebensgefährtin, ohne auch nur ansatzweise Gefühle zu zeigen.
Noch etwas, das die Lichtwesen so unheimlich machte, sie zeigten selten Emotionen – um nicht zu sagen, nie.
Ein Raunen ging durch die Reihen, weil sie alle wussten, dass mit Alanas Tod das Schicksal der Lichtwesen besiegelt war. Bisher war es nur eine unausgesprochene Befürchtung gewesen, jetzt war es Gewissheit.
»Das bedeutet, unserem Volk steht in absehbarer Zukunft das Aussterben bevor«, ergänzte Kian unnötigerweise, obwohl allen die Bedeutung seiner Worte klar war. Sie waren schließlich der engste Kreis von Grey.
Die Lichtwesen waren eines der ältesten Völker, wie alt genau wusste keiner zu sagen. Im Gegensatz zu den meisten Magiewesen war ihre Natur erblich, was lange Zeit ihren Fortbestand gesichert hatte. Allerdings war Alana die letzte lebende Lichtwesenfrau gewesen, nach ihrem Tod konnten keine Lichtwesen mehr geboren werden.
»Willkommen im Club«, erwiderte Artnus ohne große Anteilnahme. Das Aussterben der Spürer war eine allgemein akzeptierte Tatsache, löste aber lange nicht solche Spannung aus, wie sie nach Kians Mitteilung im Saal herrschte.
»Der Verlust der Lichtwesen ist ein harter Schlag«, erklärte Noctrius ernst, »das hätte man verhindern müssen.«
»Wir haben alles versucht«, beteuerte Kian für seine Art erstaunlich betroffen – betroffener als bei der Verkündung von Alanas Tod. Es war kein Geheimnis, dass er sie nie geliebt hatte, er war lediglich der jüngste Lichtwesenmann und hatte für Nachwuchs sorgen sollen. Erfolglos. Alana hatte nie ein Kind geboren.
»Manche Dinge sind eben nicht zu ändern«, versuchte Fee es beschwichtigend.
»Mit der heutigen Technik und dem Wissen um Genetik, hätte man diese Dinge ändern können«, widersprach Vampiroberhaupt Cornelius vorwurfsvoll, dabei betrauerte er wohl kaum den Verlust der Lichtwesen, mit denen die Vampire schon lange zerstritten waren. Eher fürchtete er wohl die Folgen für Grey. Die Lichtwesen waren einer der Gründe, warum sogar Magier und Vampire außerhalb von Grey Respekt vor der Organisation hatten und ihre Weisungen befolgten. Sobald es keine Lichtwesen mehr gab, würde Grey an Einfluss verlieren.
»Gegen das Schicksal ist auch die moderne Technik machtlos«, pflichtete Artnus Fee immer noch gelassen bei.
Natürlich regte sich auf allen Seite Widerstand, den Fee nur halbherzig anhörte, weil alle Diskussionen doch nichts mehr ändern würden. Indessen sah sie zu Steven, der die Unterhaltung nicht wirklich verfolgte, stattdessen starrte er sie an.
Bisher hatte sie nie einen Seher befragt, weil es ihr albern schien. Die Zukunft zu kennen, bedeutete nicht, dass man sie ändern konnte. Stevens Starren allerdings machte sie neugierig. Hatte er ihr etwas zu sagen? Sah er vielleicht genau in diesem Moment ihre Zukunft vor sich?
»Wie geht es nun weiter?«, hakte Cornelius nach, mehr an Steven als an Kian gewandt.
Der Seher jedoch machte keine Anstalten, zu antworten. Natürlich nicht. Ihr Wissen teilten die Seher nur zurückhaltend, um ihrer – wie sie sagten – großen Verantwortung gerecht zu werden.
»Wir werden Grey weiterhin nach Kräften unterstützen«, versicherte Kian ruhig, »wir sind aktuell zehn, die meisten von uns sind zwar alt, können aber sicher noch hundert Jahre leben. Bis dahin muss keiner außerhalb von Grey etwas von unserer Situation erfahren.«
Fee seufzte erleichtert, weil diese Aussicht die meisten im Saal beruhigen sollte. Lichtwesen konnten sehr alt werden, durchaus tausend Jahre und mehr. Wie alt Kian und seine Artgenossen bereits waren, wusste keiner genau, aber offenbar noch jung genug. Zumindest Fee, Noctrius, Steven und Artnus würden das Aussterben wohl nicht mehr erleben. Bei den Vampiren war es schwer, abzusehen, weil auch sie nicht offen über ihr Alter sprachen. Tendenziell waren sie sehr viel älter als man vermuten wollte.
Fee atmete erleichtert auf, als sich die Runde endlich auflöste, natürlich ohne eine Maßnahme gegen das Aussterben der Lichtwesen zu finden.
Ihr Gegenüber sah sie Artnus, der ihr freudig zulächelte und sie so an die sehr viel aktuelleren Probleme in ihrem Leben erinnerte. Wie sollte sie ihm nur schonend beibringen, dass sie keine Beziehung wollte, wenn sie davon nicht einmal selbst überzeugt war?
»Fee«, Noctrius’ Stimme ließ sie aufsehen, als Artnus bereits herüber kam, »du hast doch sicher ein paar Minuten«, bat der Schwarzmagier zuckersüß, allerdings mit dem Gesichtsausdruck eines Befehlsgebers.
Sie stand auf, um wenigstens körperlich mit ihm auf Augenhöhe zu sein, wenn er auch im Rang immer über ihr stehen würde.
»Ich bin mit Artnus verabredet.«
Sofort sah sie den Zorn in den Augen ihres Chefs.
»Brauchen die Spürer deine Hilfe im Safe House?«, hakte Noctrius nach und machte so unmissverständlich klar, dass nur dienstliche Verpflichtungen für ihn eine akzeptable Antwort wären.
»Nein, wir wollen zusammen essen«, antwortete sie ehrlich und in dem Wissen, dass Artnus inzwischen fast bei ihnen angelangt war, er wirkte ernst. Vielleicht ahnte er, dass Noctrius ihr gemeinsames Abendessen kippen wollte. Allerdings war die Stimmung zwischen den beiden ohnehin schon so angespannt, dass man sie besser nicht alleine in einem Raum lassen sollte.
»Das könnt ihr ein andermal«, erwiderte Noctrius sachlich.
»Artnus will sicher so schnell wie möglich seine Gefolgschaft über die Versammlung informieren.«
Der Spürer postierte sich dicht neben ihr, eine Hand in der Hosentasche und sichtlich genervt. »Nicht nötig, eigentlich möchte ich jetzt mit Fee essen.«
Die beiden Männer starrten einander böse an.
Fee ahnte, wie es in Artnus brodelte, nicht nur wegen des Abendessens, sondern wegen früherer Auseinandersetzungen. Allerdings spürte sie auch, dass Noctrius seine Kräfte sammelte. Er war ein geborener Magier, folglich strömte die Zauberkraft durch seinen Körper wie Blut, und er war durchaus bereit, mit dieser Kraft andere zu verletzen. Sogar sie als Hexe hatte dem nicht viel entgegenzusetzen, weil ihre Kraft auf der Anrufung höherer Mächte beruhte, die ihr die Unterstützung auch versagen konnten.
»Es ist ja nicht so, dass du in den nächsten Stunden gleich stirbst, ihr werdet euch sicher nochmal wiedersehen«, gab Noctrius kalt und gehässig zurück.
Diese Anspielung auf seinen drohenden Tod reizte Artnus erst recht, und Fee war sicher, dass der Schwarzmagier einen Angriff des Spürers provozieren wollte. Aber er hätte keine Chance in einem Kampf, in dem es zweifellos nicht um körperliche Stärke gehen würde. Er durfte nicht nur wegen eines gemeinsamen Essens eine lebensgefährliche Konfrontation riskieren.
Hauchzart legte Fee eine Hand auf seinen Oberarm. »Wir holen das nach«, versprach sie leise und sie sah in seine dunklen Augen, gewöhnlich stand darin eine gewisse Weisheit, im Moment war es eher Weißglut. Er wollte sich provozieren lassen und den alten Streit mit Noctrius erneut austragen.
»In Ordnung«, murmelte er widerwillig, als seine Vernunft wieder die Oberhand gewann. »Pass auf dich auf.«
Fee lächelte ihn beschwichtigend an.
Sie verstand, dass er nicht gut auf Noctrius zu sprechen war, allerdings nicht, warum er ständig Angst um sie hatte, als wäre sie ein hilfloses Kind und nicht eine erfahrene Hexe. Dennoch respektierte sie diese Sorge als Zeichen seiner Zuneigung und seines Verantwortungsbewusstseins. Er hätte nicht diese Position innerhalb Greys, wenn er nicht stets um seine Freunde besorgt wäre. Er schützte seine Leute, wie es seine Aufgabe war, und irgendwann hatte er beschlossen, dass sie ebenfalls dazu gehörte.
»Mach ich«, versicherte sie und Artnus wandte sich zum Gehen, ohne Abschied von Noctrius.
»Dass er immer so tun muss, als wollte ich dich bei lebendigem Leib fressen«, knurrte der verächtlich, aber Fee spürte, wie er sich entspannte, weil sein Kontrahent sich zurückzog und er gewonnen hatte.
»Es könnte helfen, wenn du ihn freundlicher behandeln würdest.«
Noctrius winkte ab. »Ich bin nicht auf seine Freundschaft angewiesen.« Freundschaftlich fasste er sie am Arm und setzte sich in Bewegung. »Ich finde allerdings, wir sollten uns jetzt mit den Lichtwesen gut stellen. Du weiß selbst, wie verschlossen sie normalerweise sind. In ihrer aktuellen Unsicherheit können wir sie vielleicht als neue Verbündete gewinnen.«
Fee seufzte genervt. »Du klingst schon wieder, als wären wir im Krieg gegen irgendwen.«
Noctrius war ständig auf der Suche nach Verbündeten und Macht, dabei sollte Grey eigentlich eine Gemeinschaft sein, in der jeder den anderen unterstützte. Schöne Theorie.
»Es ist immer besser, vorbereitet zu sein, Fee«, beteuerte er, wie so oft, »mit unserem Bisschen Zauberei beeindrucken wir nicht einmal die Vampire. Mit den Lichtwesen als Partner, sähe das anders aus.«
Zu Gunsten dieser paranoiden Ränkeschmiederei hatte sie den Artnus versetzt! Vermutlich hätte sie doch nicht nachgeben sollen.
Noctrius zog sie quer durch den Raum zu dem Lichtwesenkönig, der gerade mit Steven plauderte. Er drehte sich zu ihnen um, als hätte er damit gerechnet, dass sie kamen.
Er lächelte und wartete, bis sie nahe genug für ein Gespräch waren.
»Kian«, begann Noctrius geradezu freundschaftlich, »ich dachte, du solltest unsere liebe Felicitas einmal persönlich kennenlernen.«
Sofort reichte der Lichtwesenkönig ihr die Hand. Sie fühlte sich warm und weich an. Unwillkürlich verflog alle Müdigkeit, die Fee nach dem langen Tag verspürte, sie könnte glatt eine Runde joggen – was sie nie tat.
»Fee reicht vollkommen«, hastig entzog sie ihm ihre Hand. Natürlich wusste sie, was die besondere Kraft der Lichtwesen war und zugleich der Grund, warum man ihnen so große Macht nachsagte: Die Lichtwesen schenkten Lebenskraft durch Berührung. Gehört hatte sie viel darüber, allerdings nie die Folgen am eigenen Leib erfahren, bis jetzt. Ein kurzer Händedruck hatte auf sie die Wirkung wie mehrere Energydrinks.
»Entschuldige, ich hätte dich vorwarnen sollen«, Kian lächelte immer noch und sie sah zum ersten Mal in seine Augen. Sie waren nicht nur smaragdgrün, sondern auch durchzogen von einem feinen Muster aus goldenen Linien.
»Schon gut«, sie verschränkte die Arme vor der Brust, um ihm nicht versehentlich nahezukommen. Nicht, dass er ihr schadete, aber diese pure Macht war beängstigend. Die Kraft Leben zu schenken, was könnte es Machtvolleres geben?
»Fee erkennt gerade, warum wir das Aussterben der Lichtwesen nicht so einfach hinnehmen können«, erklärte Noctrius sichtlich amüsiert und sie bemühte sich, angesichts der schieren Macht ihres Gegenübers doch gelassen zu wirken. Dabei würde sie lieber davon rennen. Kian machte ihr mehr Angst als ein wütender Noctrius und eine Meute hungriger Vampire zusammen.
»Noctrius vergisst, dass wir wohl gar keine Wahl haben, als das Schicksal der Lichtwesen anzunehmen«, widersprach sie an Kian gewandt, in der Hoffnung, dass er neben purer Macht auch die Weisheit hatte, ihre Worte zu verstehen.
Seine Augen schienen dunkler zu werden, sodass das Gold darin noch mehr auffiel. Es schien wie das unendlich verzweigte Wurzelwerk eines Baumes, faszinierend und eindrucksvoll.
»Viel Spaß mit ihr!«, verkündete Noctrius gönnerhaft, bevor er davon stapfte. Gerade wie ein Zuhälter, der einem Freier eine Nutte überlässt! Über diesen Abgang würden sie sicher noch sprechen.
Nie hätte Fee ihr Abendessen mit Artnus verschoben, wenn sie gewusst hätte, dass Noctrius sie derart vorführte. Als Chef war das vielleicht halbwegs tragbar, aber sie waren vor allem Freunde und da war dieses Verhalten absolut unangebracht.
»Nimm es ihm nicht übel«, beschwichtigte Kian sie sanft mit einer Stimme, die ihre Wut unweigerlich verrauchen ließ, obwohl sie dazu gar nicht bereit war. Ein weiteres Talent der Lichtwesen? Gefühle beeinflussen? Die Vorstellung war gruselig.
»Ich hatte ihn darum gebeten, uns bekannt zu machen.«
Damit hatte Kian ihre Aufmerksamkeit zurück, allerdings nicht gerade ihre Sympathie. Er hätte sie besser direkt angesprochen, als auf diesem Umweg zu einem Gespräch zu kommen.
Sie sah zu ihm auf, dabei spürte sie unweigerlich eine wohlige Wärme, die sein Strahlen auf ihrer Haut hinterließ. Ihr Gesicht kribbelte und bestätigte so, was sie schon die Wärme ahnen ließ, dass die Lichtwesen ihre Energie auch ohne Berührung teilen konnten. Eine neue Erkenntnis, die sie nicht so bald vergessen würde. Es war immer gut, zu wissen, wozu die Anderen imstande waren.
»Warum?«, fragte sie unsicherer, als es ihr lieb war, denn gerade einem so unberechenbaren Wesen gegenüber hätte sie sich lieber selbstbewusst gegeben.
Kian lächelte. »Du weißt doch sicher, dass du hier so etwas wie eine Legende bist. Die begabteste Hexe, die Grey je hatte.«
Genervt zuckte Fee mit den Schultern, weil sie dieses Gerede nicht mehr hören wollte und doch fast jeden Tag hörte.
Im Gegensatz zu Magiern, denen ihre Fähigkeiten in die Wiege gelegt wurden, zogen Hexen ihre Kraft schlicht aus dem gekonnten Umgang mit höhere Mächten. Letztlich bedeutete das, dass Fee nicht besonders talentiert war, sie war einfach nur eine Streberin.
»Trotzdem nur eine Hexe«, betonte sie ruhig, weil im Grunde Noctrius viel beeindruckendere Tricks drauf hatte. Nicht zuletzt, weil sie sich konsequent der weißen Magie verschrieben hatte und daher niemandem Schaden zufügen durfte. Wenn sie wollte, könnte sie vielleicht auch Elektroschocks austeilen wie Noctrius, aber es verstieß gegen ihre Grundsätze. Immer wieder drängte man sie, davon Abstand zu nehmen – was war eine Hexe schon wert, wenn sie nur meditierte, betete und Schutzzauber ausführte?
Kian lächelte sie unbeirrt an. »Man sagt, du hättest ein besonderes Verständnis für die Magie.«
Das sagte man tatsächlich und Fee hatte keine Ahnung, warum. Sie hielt sich nur an ihren Glauben von einer großen mütterlichen Göttin, der Natur, und vielen kleinen Göttern als Teile dieser Göttin.
Offenbar hatte sie einen guten Draht zur Göttin, aber sie war den geborenen Magiern wie Noctrius trotzdem weit unterlegen.
»Kann sein.«
Über die Schulter sah sie zum Ausgang. Der Saal hatte sich bis auf sie und Kian vollständig geleert und sie wollte auch fort. Dieses Gespräch behagte ihr nicht, weil es nur darauf rauslaufen konnte, dass sie einen Zauber finden sollte, um das Aussterben der Lichtwesen zu verhindern. Weder kannte sie einen, noch schien es ihr angebracht, sich in diese Dinge einzumischen. Ihr guter Draht zur Göttin basierte auch darauf, dass Fee nie versuchte, sich über das Schicksal zu stellen.
»Ich kann aber nichts für dich tun«, erklärte sie entschlossen und offenbar überraschte sie Kian damit, sogar sein Leuchten schien schwächer zu werden.
»Aber ...«, begann er, bevor Fee ihn unterbrach.
»Mit meinem ach-so-großen Durchblick sage ich dir, dass man manche Dinge einfach akzeptieren muss. Am Schicksal kann man nicht rütteln. Frag die Seher, frag die Spürer, sie alle haben sich oft damit auseinander gesetzt und es letztlich akzeptiert.«
Scheinbar hatte sie einen wunden Punkt erwischt, Kian wirkte richtig bedröppelt. Er könnte ihr fast leidtun.
»Meine Leute sind noch nicht bereit, das zu akzeptieren.«
Ein wenig verstand Fee das sogar. »Ihr seid doch alle so alt und angeblich so weise, wie kann es dann sein, dass Artnus und die Spürer euch in diesem Punkt voraus sind? Ihr müsst wenigstens nicht mit dem baldigen Tod durch eine schmerzhafte Krankheit rechnen. Wahrscheinlich lebt ihr noch länger als die meisten von uns.«
Artnus’ Gelassenheit im Umgang mit den düsteren Aussichten seiner Art hatte Fee immer beeindruckt. Und nun sollte sie eigentlich mit ihm beim Abendessen sitzen, statt mit Kian über unveränderliche Dinge zu diskutieren. Das wäre tausendmal sinnvoller als diese Unterhaltung.
Noctrius lag wohl daran, dass sie sich mit Kian gut stellte, vielleicht sogar, dass sie ihm falsche Hoffnung machte, aber Fee würde sich darauf nicht einlassen. Er sollte seine neuen Bündnisse alleine knüpfen, ohne sie und ohne falsche Versprechungen.
Lieber begleitete sie die Spürer in den Tod. Die hatte wenigstens längst ihren Frieden mit der Situation gemacht. Auch wenn sie Angst vor jener Krankheit hatten, verschwendeten sie ihre Zeit nicht mit sinnlosen Kämpfen. Sie lebte ihr Leben, so gut es ging. Deswegen half Fee ihnen gerne, obwohl es oft nur darum ging, Leiden durch die richtigen Kräuter zu lindern.
»Ihr solltet euch ein Beispiel an den Spürern nehmen!«
Vielleicht konnte sie Artnus einholen, bevor er das Gelände verließ.
»Gute Nacht, Kian!«, verabschiedete sie sich entschlossen und eilte hinaus.
Von Artnus war nichts mehr zu sehen und sie wollte ihn nicht anrufen, damit er zurückkam. Im Hinblick auf seine Frage nach einem Date, wäre es ein falsches Signal, auch wenn sie jetzt einen Freund gebrauchen könnte, bei dem sie sich über Kian und Noctrius beklagen konnte.