Читать книгу Das gefangene Herz der Hexe - Sabrina Kiehl - Страница 7

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Drei

Bei einem flüchtigen Blick auf die Uhr stellte Fee erschrocken fest, dass sie spät dran war. Sie hätte sich doch einen Wecker stellen sollen, denn ihre Meditationsübung hatte viel besser funktioniert, als erhofft. Sie war kurz vor einem Durchbruch, der Noctrius erbleichen ließ, auch wenn ihn schwebende Bergkristalle nicht weiter beeindruckten.

Drei Tage nach seinem unpassenden Vortrag über Artnus war sie immer noch stinksauer auf ihn und freute sich darauf, ihn irgendwann mit ihren neuen Fähigkeiten überraschen zu können. Aber zuerst musste sie einer Schülerin eine Einzelstunde in Kartenlegen geben und sie war ohnehin keine Freundin von diesem Thema, weil die meisten Schüler mit falschen Erwartungen daran gingen.

»Fee!«, rief Noctrius, als sie gerade zur Treppe hinauf in den Wohnbereich des Magus-Gebäudes stürmte. »Warte!«

Widerwillig blieb sie stehen, obwohl sie ihm seit Tagen aus dem Weg gegangen war. »Ich habe einen Termin.«

»Das kann kurz warten«, antwortete er abschätzig.

Genervt drehte sie sich zu ihm um, wohlwissend, dass sie besser nicht wortlos davon stürmen sollte, wenn sie sich je wieder mit ihm versöhnen wollte. Natürlich wollte sie das. Es war ja nicht so, dass sie übermäßig viele Freunde hier hatte.

»Solltest du als Schulleiter nicht Wert darauf legen, dass der Stundenplan eingehalten wird?«

Er winkte gelassen ab. »Bisher hat sich noch keiner über Unterrichtsausfall beschwert, also kannst du dir ein paar Minuten nehmen. Ich erlaube es.« Unvermittelt wurde er ernst. »Warum gehst du mir aus dem Weg?«

Seufzend lehnte sie sich an das Treppengeländer.

»Ich habe einfach keine Lust mehr über meine Abneigung gegenüber Kian oder meine Zuneigung für Artnus zu diskutieren.«

Noctrius blieb dicht vor ihr stehen und nickte unerwartet verständnisvoll. Sollte er wirklich begriffen haben, wie unangebracht seine Bemerkung gewesen war?

»Okay«, überraschend lächelte er von Neuem, als wäre nichts gewesen, »willst du heute zum Essen kommen? Ich will ein neues Pilzrisotto ausprobiere und ich habe einen tollen Wein besorgt.«

Kurz dachte sie an das, was Cornelius angedeutet hatte, dass sie eine Beziehung mit Noctrius beginnen könnte. Sollte sie also besser ablehnen? Allerdings aßen sie schon seit Jahren oft zusammen, ohne dass daraus mehr geworden war. Es war einfach praktisch, weil ihre Wohnungen nebeneinander lagen und sie beide gerne kochten – Noctrius sogar verboten gut.

Es war nichts dabei, wenn sie zusammen aßen.

Allerdings war dienstags Videospieleabend im Safe House der Spürer. Zwar hatte niemand sie eingeladen, aber Fee war schon lange dort Stammgast, weil sie die alten Super-Mario-Spiele mochte. Außerdem würde Artnus dort sein und sie würde sicher eine Gelegenheit finden, alleine mit ihm zu sprechen wegen eines Dates.

»Vielleicht morgen?«, schlug sie freundlich vor, weil es ihr widerstrebte, Noctrius einfach abzuweisen, wenn er sich versöhnlich gab. Sie waren schon so lange befreundet und das sollte nicht an einer dummen Auseinandersetzung zerbrechen.

»Dann sind die Pilze nicht mehr frisch.«

Sie seufzte, diesmal nur innerlich.

Die Spürer würden auch nächste Woche wieder Videospiele spielen und wegen eines Dates könnte sie Artnus genauso gut anrufen oder schreiben. Die Spürer würden Fee ihr Fehlem verzeihen, aber Noctrius wäre vermutlich sehr verstimmt, wenn sie ihn abblitzen ließ, und sie musste fast täglich mit ihm arbeiten.

»In Ordnung«, lenkte sie schließlich ein, obwohl es schmerzte, ihre Pläne zu ändern. Sie hatte sich auf das Wiedersehen mit Artnus gefreut.

»Dann um acht.« Der Schwarzmagier grinste so freudig, dass es sie ansteckte. Es war wirklich schon lange her, dass sie zusammen gegessen hatten. Und sicher würde es ihrer Freundschaft gut tun, was im Moment bitternötig war.

Wenn sich die Wogen erst einmal geglättet hatten, konnte sie möglicherweise Noctrius davon überzeugen, dass ihre Zuneigung für Artnus gar nicht so problematisch sein musste. Vielleicht war es auch gut, dass sie noch ein paar Tage länger über ihre Gefühle für Artnus nachdenken konnte.

***

Fee hatte sich nicht mehr umgezogen – wozu auch? Noctrius war ihre weißen Kleider sowieso gewöhnt. Und sie hatte es erst kurz vor acht zurück ins Magus-Haus geschafft, nachdem sie mit einigen Schülern ein Schutzgebet im Wald gesprochen hatte.

Es waren tatsächlich immer mehr Schüler, die sich für Schutzzauber begeisterten, obwohl gewöhnlich Noctrius’ Spezialgebiete wie Angriffe und Flüche stärker nachgefragt wurden. Das würde sie ihm sicher gleich unter die Nase reiben, weil sie sich schon oft solche Sticheleien von ihm hatte anhören müssen. Ihre Freundschaft vertrug diese Rivalität, die ohnehin nicht ernst gemeint war. In der Hierarchie stand er höher und Fee rüttelte auch nicht an seiner Position, sie wollte ihm helfen, nicht seinen Platz einnehmen.

Grinsend öffnete er die Tür und herausströmte eine Duftwolke von Zwiebeln, verdampftem Wein und Pilzen.

»Kann ich dir noch helfen?« Es hatte sich so eingespielt, dass sie den Tisch deckte, während er kochte.

»Klar, du kannst unseren Gast bespaßen, solange ich aufpassen muss, dass nichts anbrennt.«

Bei ihm klang das Wort Gast irgendwie nach Störenfried, obwohl Noctrius lächelte und sich scheinbar nicht gestört fühlte.

»Du hattest nichts von einem Gast gesagt«, erinnerte sie ihn etwas verstimmt. Gewöhnlich aßen sie zu zweit und hatten nie darüber gesprochen, diese Runde zu erweitern. Aber hätte sie gewusst, dass Noctrius noch jemanden eingeladen hatte, hätte sie wohl abgesagt, schließlich wäre er dann ja nicht alleine gewesen. Angesichts dieses Gastes war es zudem unwahrscheinlich, dass sie ein klärendes Gespräch über die letzte Auseinandersetzung führen würden.

»War auch eher spontan«, räumte Noctrius ein, als sie ins Wohnzimmer traten.

Zu Fees Entsetzen stand dort Kian am Fenster und genoss die Aussicht zum Gebäude der Hellseher. Warum trug sie den nützlichen Bergkristall nicht in der Handtasche herum?

»Hi, Fee, schön dich zu sehen.«

Sie musste sich auf die Zunge beißen, um nicht zu ehrlich zu antworten.

»Was für eine Überraschung.« Sie sah zu Noctrius, der in die Küche eilte. Es wirkte, als wollte er fliehen, auch wenn er vorgab, das Essen bewachen zu müssen. Zweifellos wusste er, wie verärgert sie war.

Was dachte er sich nur dabei?

Das hier war ein geplanter Überfall, keine spontane Eingebung, zumal Lichtwesen eigentlich von Licht lebten und Kian daher vermutlich nicht einmal Verwendung für Risotto hatte.

»Du scheinst nicht gerade begeistert, mich zu sehen«, stellte Kian gelassen fest, ohne einen Hauch von Schuldbewusstsein, obwohl er bestimmt wusste, dass Noctrius sie belogen hatte.

Mit reichlich Abstand zu ihm setzte Fee sich auf die breite Armlehne von Noctrius’ schwarzem Ledersofa.

»Ich bin einfach nicht in der Stimmung, um schon wieder zu streiten«, gab sie ehrlich zurück, denn sie war durchaus in der Stimmung, ihn zu vergraulen. Er hatte kein Recht, sich in ihr Privatleben zu drängen. Selbst, wenn sie versuchte, Verständnis aufzubringen für Noctrius’ Hoffnung auf eine Partnerschaft mit den Lichtwesen, war das hier einfach zu viel. Zumal sie mit Artnus und den Spürern sicher einen unbeschwerteren Abend hätte verbringen können. Wahrscheinlich hätte sie sogar Artnus beim Autorennen geschlagen.

»Wir müssen ja nicht zwangsläufig streiten«, schlug Kian lächelnd vor, »wir hatten einen schlechten Start, aber es muss ja nicht so bleiben.«

Er sah tatsächlich reumütig aus. Und leider hatte er ein so einnehmendes Lächeln, dass es sie irgendwie versöhnte. Sie konnte nicht leugnen, dass er in einer Situation war und unter einem Druck stand, wie sie es sich gar nicht vorstellen konnte.

Weil er diesmal nicht so stark leuchtete, wirkte er gleich viel menschlicher und vor allem sympathischer. Wahrscheinlich trugen auch seine legere, hellgraue Hose und sein schwarzer Kaschmirpullover dazu bei, dass er weniger übernatürlich wirkte.

»Ich glaube nicht, dass wir Freunde werden können«, antwortete sie ehrlich, auch weil sie gar keine Lust auf einen Neubeginn hatte. Bisher hatte Kian sich ihr gegenüber nie von einer Seite gezeigt, die eine Freundschaft mit ihm erstrebenswert scheinen ließen.

»Ich würde mich aber freuen, wenn wir es vesuchen.« Er lächelte charmant und hoffnungsvoll.

Fee biss die Zähne zusammen, bevor sie der Versuchung erlag, ihm offen zu sagen, was sie alles mehr freuen würde, als mit ihm befreundet zu sein. Er war überheblich und von sich selbst eingenommen, so gar nicht der Typ, mit dem sie Zeit verbringen wollte.

»Fee, ich weiß, du denkst nicht gut von mir, aber ich wäre wirklich froh, wenn ich hier ein paar Freunde hätte.«

Nun spürte sie einen Hauch von Mitleid – mehr nicht.

»Du hast doch deine Leute.«

Immerhin gab es noch mindestens zehn Lichtwesen, da würde er gewiss ein paar Freunde haben. Schließlich hatten sie ihn als König demokratisch gewählt und das sicher nicht nur, weil er der Jüngste war.

Noctrius kam wieder herein, mit zwei Gläsern Wein in der Hand, die er ihnen umgehend überreichte »Trinkt schon mal, vielleicht hält euch das davon ab, euch die Köpfe einzuschlagen, bevor das Essen fertig ist.«

Fee verkniff sich den Hinweis, dass ein Glas Weißwein nicht ausreichen würde, um sie mit Kian zu versöhnen. Ein ganzer Weinberg würde nicht ausreichen.

»Ich kann dich auch in der Küche ablösen«, bot sie großzügig an. Aber Noctrius war bereits auf dem Rückzug.

Grinsend antwortete er: »Dir ist doch schon längst klar, dass ich dieses Essen nur arrangiert habe, damit ihr beide euch aussprecht. Also versuch jetzt nicht, dich zu drücken, bring es hinter dich.«

Dieser Verräter!

Sie blieb mit offenem Mund zurück, nicht etwa weil er das so direkt zugab, sondern weil Kian alles gehört hatte. Als Freund gestand sie Noctrius so einige Freiheiten zu, jedoch sicher nicht das Recht, sie so vorzuführen.

Widerwillig drehte sie sich wieder zu Kian. Sie erwartete ein schadenfrohes Grinsen, aber er schien genauso vor den Kopf gestoßen wie sie.

Langsam kam er näher und hob sein Glas. »Auf einen guten Neubeginn?«, schlug er versöhnlich vor.

Mitspielen und Lächeln war wohl der einfachste Weg.

Zögernd stieß sie mit ihm an und nahm einen großen Schluck von dem Wein.

Der schmeckte leider nicht annähernd so gut, wie das, was sie sonst von Noctrius’ Weinvorrat gewohnt war. Sogar etwas bitter. Sie musste unbedingt nachsehen, was für ein Wein das war, damit sie nie aus Versehen eine Flasche davon kaufte. Widerlich.

Schlechter Wein, fragwürdige Gesellschaft – es konnte nur noch besser werden.

»Du bist wohl kein Weinfan«, stellte Kian lächelnd fest.

Fee war tatsächlich ganz dankbar, dass er ein Thema wählte, das weniger konfliktträchtig war.

»Zumindest nicht von diesem Wein.«

Allerdings trank sie mit Artnus des Öfteren gerne das eine oder andere Glas, allerdings hatte der bei der Weinauswahl definitiv ein besseres Händchen als Noctrius.

Noch ein Grund, warum sie jetzt bei den Spürern sein sollte, statt sich mit Kian herumzuschlagen.

»Noctrius meinte, diesen Wein hätte er geschenkt bekommen«, erklärte Kian ruhig und verwirrte Fee damit unweigerlich.

»Bist du schon lange mit Noctrius befreundet?«, platzte sie irritiert heraus, weil sie bisher nichts von einer geschenkten Weinflasche gewusst hatte – und sie stand Noctrius eigentlich sehr nahe, weil sie nebeneinander wohnten und die Wände dünn waren. Aber sie wusste nicht einmal, wer Noctrius etwas schenken sollte. Dem Wein nach Jemand, der ihn nicht besonders leiden konnte.

»Ich würde nicht sagen, dass wir Freunde sind, aber es tut gut, Jemanden außerhalb meiner Leute zu haben.«

Er klang einsam und traurig. Um sich ihre Irritation darüber nicht anmerken zu lassen, trank Fee hastig noch einen Schluck. Diesmal entgleisten ihr zumindest nicht die Gesichtszüge – ob sie sich im Laufe des Abends an diesen Wein gewöhnen konnte? Vermutlich ebenso wenig wie an Kian als Teil ihres Freundeskreises.

»Ich dachte, ihr bleibt eher unter euch.«

So war es immer gewesen, seit sie Grey beigetreten war. Die Lichtwesen nahmen zwar an Versammlungen teil, lebten sonst allerdings zurückgezogen im Haus von Vitalis, der Lichtwesen-Fraktion, deshalb wusste kaum einer etwas über ihre Gewohnheiten und ihre Art zu leben.

Bitter lächelte Kian. »Da will mich gerade keiner haben.«

Seine unerwartet ehrlichen Worte ließen einen Stich durch ihr Herz gehen. Wie sehr musste es schmerzen, so ausgeschlossen zu werden von denjenigen, für die man sich so einsetzte?

»Das tut mir leid«, versicherte sie ehrlich, »du hast doch nichts falsch gemacht.«

Er trank einen Schluck und schien tatsächlich Gefallen an dem fürchterlichen Wein zu finden. Vielleicht könnte sie ihm auch den verbleibenden Inhalt ihres Glases anbieten, aber dazu standen sie sich definitiv nicht nahe genug.

»Das sehen meine Leute anders. Sie haben mich zum König gemacht, damit ich unser Fortbestehen sichere, und ich habe versagt.«

Schnell trank sie noch einen Schluck, bevor sie sich wieder zu gefährlichen Äußerungen hinreißen ließ. Diesmal war der Geschmack durchaus erträglich – wahrscheinlich töte der Wein nach und nach ihre Geschmacksnerven ab.

»Du hast dein Bestes gegeben, mehr kann keiner verlangen«, beteuerte sie wahrheitsgemäß.

Kian lächelte diesmal natürlicher. »Es ist nett von dir, dass du mich trösten willst, obwohl du mich eigentlich nicht leiden kannst.«

Nein, es war eher gruselig, und doch meinte Fee jedes Wort, so wie sie es gesagt hatte. Auch Kian hatte es nicht verdient, dass man ihn für unausweichliche Ereignisse verantwortlich machte.

»Ich habe nichts gegen dich«, sprudelte es aus ihr heraus, obwohl sie sich dessen gar nicht sicher war. Bisher hatte sie zumindest keinen guten Eindruck von ihm und zu wenig Sympathien für ihn, um daran etwas ändern zu wollen.

Bevor sie in die Verlegenheit kam, darauf antworten zu müssen, kehrte Noctrius zurück. Geschickt balancierte er drei Teller mit dampfendem Risotto zum Tisch. Der Duft lockte Kian und Fee gleichermaßen herbei.

Manchmal glaubte sie fast, dass Noctrius mit Magie nachhalf, um solche Gerichte zu zaubern, vermutlich war er aber einfach nur ein guter Koch.

»Fee, trink deinen Wein aus, der passt nicht zum Essen«, befahl der Schwarzmagier in seinem üblichen Befehlston und sie stellte fest, dass Kian sein Glas bereits geleert hatte.

Widerwillig setzte sie an und trank den Rest, in einem großen Schluck war es ganz okay und so hatte sie es hinter sich.

»Der Wein passt vermutlich nur zu sich selbst«, raunte Kian ihr verschwörerisch zu, und sie ertappte sich dabei, wie sie schmunzeln musste – über etwas, das Kian gesagt hatte! Das war geradezu ein historisches Ereignis.

Noctrius maß sie beide mit einem abschätzigen Blick.

»Setzt euch!«, befahl er, vermutlich gekränkt, weil sein toller Wein bei ihnen keinen Anklang fand, vielleicht verzichtete der daher auf die Höflichkeiten eines Gastgebers.

Sie gehorchten ohne Widerspruch, obwohl es Fee erstaunte, dass Kian sich von Noctrius diesen Ton bieten ließ. In der Hierarchie waren die beiden gleichgestellt, sodass keiner von ihnen dem anderen Befehle erteilen durfte. Doch statt sich über die herrische Art ihres Gastgebers zu beschweren, kostete Kian das Essen.

»Ich hätte nie gedacht, dass du so gut kochen kannst«, lobte er sichtlich erstaunt, was wieder bestätigte, dass er noch nicht lange mit Noctrius befreundet sein konnte.

»Jeder hat ein Hobby und ich bin froh, wenn ich nicht nur für mich koche. Fee isst regelmäßig hier.«

Es behagte ihr irgendwie nicht, dass Noctrius so offen über ihre gemeinsamen Essen sprach, am Ende verstand Kian das als Einladung, öfter zu kommen. Allerdings war es inzwischen ohnehin seltener geworden, dass sie zusammen aßen.

»Es bietet sich an«, rechtfertigte sie sich und wurde von Kian dafür aufmerksam gemustert.

»Du darfst gerne auch jederzeit vorbeikommen«, versicherte Noctrius zu allem Überfluss, »Fee wird dich schon nicht umbringen.«

Zumindest an diesem Abend nicht, sie hatte immer noch Mitleid, weil er so wenig Freunde hatte, ja sogar regelrecht ausgegrenzt wurde. Aber dieses Mitgefühl würde sicher nicht ewig halten.

»Vielleicht solltet ihr beide mal einen Männerabend machen«, schlug sie freundlich vor, um von Noctrius’ Äußerung abzulenken.

Sie sah, wie Kian nickte, und war erleichtert, doch sofort schüttelte Noctrius den Kopf. »Das wäre nicht das, was Kian will. Er will dich kennenlernen, Fee, nicht mich.«

Der verboten leckere Reis blieb ihr im Hals stecken und sie sah verwirrt zu Kian, der peinlich berührt lächelte, statt abzustreiten, dass es so war.

Noctrius grinste amüsiert. »Tu jetzt nicht so schokiert, es muss dir doch aufgefallen sein, dass er nur einen Vorwand sucht, um mit dir zu reden.«

Und wie sollte sie Kian nun schonend klar machen, dass sie nichts von ihm wollte? Warum tat Noctrius ihr das an?, sie nun in dieser Runde damit zu konfrontieren? Das hätte er ihr doch auch gut unter vier Augen sagen können, damit sie sich überlegen konnte, wie sie damit umgehen wollte.

»Du musst wissen, Kian, die gute Fee hat eigentlich nur Augen für einen gewissen Spürer, obwohl sie weiß, dass sie mit ihm nicht zusammen sein kann. Deshalb will sie nichts von anderen Männern wissen.« Noctrius lachte beinahe, während er sich so entspannt über ihr Liebesleben ausließ.

Sie spürte Kians mitleidigen Blick auf sich.

Mitleid von dem, den sie gerade noch bemitleidet hatte!

Geräuschvoll legte sie das Besteck beiseite.

»Du gehst zu weit, Noctrius!« Zornig stand sie auf.

»Spiel bloß nicht die Zicke, nur weil ich dir die Wahrheit sage! Du weißt, dass ich Recht habe.«

Fee ignorierte ihn und stapfte zur Tür.

»Warte!«, hörte sie Kian hinter sich rufen, schlug allerdings bereits die Tür zu. Zum Glück hatte sie keinen weiten Heimweg, sie musste ja nur eine Tür weiter und würde dank der dünnen Wände Noctrius vermutlich weiterhin lästern hören.

Mit vor Wut zittrigen Fingern steckte sie den Schlüssel ins Schloss. Sie nahm aber auch zur Kenntnis, dass Kian ihr gefolgt war. Natürlich gab Noctrius sich nicht die Blöße, ihr zu folgen und sich zu entschuldigen, er schickte lieber seinen neuen Freund.

»Warte, bitte.« Er trat näher und legte ihr eine Hand auf den Arm, noch bevor sie aufgeschlossen hatte. Ihre Haut kribbelte unter seiner Hand, als seine Energie in ihren Körper strömte.

Diesmal allerdings war es angenehm, irgendwie beruhigend und wohlig warm. So angenehm, dass Fee innehielt.

»Er hätte das nicht sagen sollen«, setzte das Lichtwesen hinzu, als würde das irgendetwas besser machen. Noctrius hatte eines ihrer intimsten Geheimnisse ausgeplaudert und sich über ihre Gefühle lustig gemacht.

Aber schweren Herzens musste sie anerkennen, dass Kian selbst nicht gerade gut weggekommen war. Er war sicher ebenso wenig begeistert davon, dass Noctrius sein Interesse an ihr so offen angesprochen hatte.

Widerwillig drehte sie sich zu dem Lichtwesen um. Im halbdunklen Hausflur verströmte er wieder dieses unnatürliche Licht. Dadurch machte er die Umgebung irgendwie schöner, wie der warme Schein einer Kerze.

»Du musst ihn nicht zu verteidigen, Kian, er weiß, was er tut.« Und Noctrius musste mit den Konsequenzen seines Handelns leben, auch wenn es bedeutete, dass Fee ihn mit einem schwebenden Bergkristall angriff – vor allem aber hatte er ihre Freundschaft gerade aufs Spiel gesetzt. Auch insgesamt hatte er sich in letzter Zeit viel herausgenommen, etwa als er sie über Artnus belehrte. Nun war er definitiv zu weit gegangen.

»Allerdings, das weiß er«, pflichtete Kian ihr leise bei, wobei er immer noch grundlos ihren Arm festhielt, sodass sie permanent dieses sanfte Kribbeln auf ihrer Haut spürte. »Ehrlich gesagt, bin ich ihm deshalb gar nicht böse.«

Fee sah verwirrt zu ihm auf, während sie sich mit dem Rücken an die geschlossene Wohnungstür lehnte.

»Das solltest du aber, er hat dich gerade genauso vorgeführt wie mich.«

Sie sah in seine leuchtenden Augen, grün mit einem feinen Muster aus goldenen Linien darin. Geradezu magisch und sehr zu ihrem Bedauern wunderschön. Er war insgesamt ein attraktiver Mann, groß, sportlich, mit makellos ebenmäßiger, heller Haut und goldblonden Haaren. Das seltsame Strahlen war bei näherer Betrachtung auch gar nicht gruselig, eher beruhigend.

»Das hat er, aber er hat auch erreicht, dass ich endlich einmal alleine mit dir bin, ohne dass du wütend auf mich bist. Dafür muss ich ihm dankbar sein.«

Noctrius hatte ja bereits angedeutet, dass Kian sich zu ihr hingezogen fühlte. Vielleicht wäre das unter anderen Umständen ja sogar etwas Schönes, immerhin war Kian entgegen dem ersten Eindruck ganz nett.

»Du hast doch gehört, was Noctrius gesagt hat, ich bin in Artnus verliebt.« Fee staunte selbst über ihre Worte, die eigentlich nicht gerade er zu hören bekommen sollte, und die sich so unglaublich gut anfühlten, weil es die Wahrheit war. Trotzdem war es Kian gegenüber unfair.

Traurig lächelte er sie an. »Das wissen hier fast alle. Und du bist schon so lange in ihn verliebt, dass du es ihm längst gesagt hättest, wenn du es wolltest. Wie Noctrius vorhin gesagt hat, willst du das gar nicht, weil du weißt, dass es falsch wäre.«

Seine Finger streichelten ihren Arm, als wollte er sie trösten. Die Berührung fühlte sich alles andere als unangenehm an, obwohl sie es sollte.

»Woher willst du wissen, was ich will?«, entschlossen schüttelte sie seine wohltuende Hand ab. Es behagte ihr nicht, in welche Richtung sich dieses Gespräch bewegte, und wie wohl sie sich plötzlich mit ihm fühlte. Warum hatte sie nicht längst das Bedürfnis, zu fliehen?

»Ich weiß es nicht«, gab er zu, »aber ich kann dir eine Alternative anbieten.«

Dieses Gespräch bewegte sich in eine ganz gefährliche Richtung. Obendrein stand Kian inzwischen so dicht vor ihr, dass sie seine Körperwärme und den magischen Lichtschein deutlich spürte, ohne dass er sie berührte.

Seine Nähe fühlte sich so viel besser an, als sie sollte. Fee könnte sich zwar problemlos an ihm vorbeischieben und weglaufen, aber sie hatte keinen überzeugenden Grund dazu. Eigentlich wollte sie sonst nicht mal mit ihm in einem Raum sein, doch jetzt fühlte sie sich bei ihm sicher und geborgen, obwohl er sie immer mehr in die Ecke drängte.

»Und diese Alternative bist vermutlich du«, brachte sie mit trocknem Mund heraus.

»Ist das denn so schlimm?« Behutsam strich er mit einer Hand durch ihr rotbraunes Haar. »Ich jedenfalls würde es gerne ausprobieren.«

»Ich denke nicht, dass ich daran interessiert bin.« Zumindest fiel es ihr leicht, das zu sagen, doch sie sollte sich nun auch endlich gegen seine Annäherung wehren und ihn wenigstens etwas auf Distanz bringen.

Aber wieder sie tat nichts.

Irgendetwas an Kian gab ihr ein unbeschreiblich gutes Gefühl, das sie im Moment nicht einordnen konnte, allerdings genoss.

Seine Hand schob ihr nun vorsichtig eine Haarsträhne hinters Ohr. Eine derartig vertraute Geste hätte Artnus sich nie herausgenommen und dafür respektierte sie ihn. Trotzdem fühlte sich Kians Berührung gut an.

Seine Handfläche schmiegte sich behutsam an ihre Wange, warm und erstaunlich beruhigend. Es fühlte sich richtig und zugleich falsch an. Die Berührung war richtig, aber der Mann war der Falsche, zumindest sollte er eigentlich der Falsche sein, fühlte sich aber richtig an.

Während sie noch mit sich und diesen verwirrenden Gefühlen rang, neigte Kian sich zu ihrem Gesicht herab, so langsam, dass sie mühelos hätte entkommen können.

Ein dummer Teil von ihr war neugierig auf das, was kommen musste, und wie es sich anfühlte.

Seine Lippen berührten ihre einen Moment nur hauchzart, als rechnete er mit Gegenwehr, aber sie wehrte sich nicht. Ungeachtet aller verwirrenden Gedanken fühlte es sich richtig an.

Der Kuss wurde fester, entschlossener, nicht unangenehm. Noch nicht einmal, als seine Zunge zwischen ihren Lippen hindurch glitt, leistete sie Widerstand. Es fühlte sich so unwahrscheinlich gut an, als hätte sie ihr ganzes Leben auf diesen Kuss gewartet.

Dabei müsste es anders sein. Sie war sich so sicher gewesen, dass es nur einen Mann in ihrem Leben gab, und der war nicht Kian.

Vielleicht hatte sie Artnus nie gesagt, dass sie ihn liebte, weil es gar nicht wahr war. Vielleicht hatte sie sich diese Gefühle nur eingebildet, weil sie ihn nicht abblitzen lassen wollte.

Solange Kian sie küsste, konnte sie kaum glauben, dass sie jemals einen anderen geliebt haben könnte.

Das gefangene Herz der Hexe

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