Читать книгу Schwur des Schicksals - Samantha James - Страница 8
4. Kapitel
ОглавлениеAber jetzt habe ich Euch ...
Sein dunkles Gesicht mit den Bartstoppeln, sein kühles Lächeln, die seidenweiche Stimme – all dies jagte einen Schauer über Merediths Rücken und eiskalte Ströme durch ihre Adern. Aber seine Worte ließen sich nicht bestreiten – er hatte ihr nichts angetan.
Tapfer erwiderte sie seinen Blick. »Habt Ihr ihn gesehen?«
»Wen?«
»Meinen Vater. Ihr behauptet, er habe zu den Angreifern gezählt. Ich muss es wissen. Nun? Habt Ihr ihn gesehen? Denn ich schwöre Euch – niemals würden meine Clansmänner ein so schreckliches Blutbad anrichten. Und Vater würde es nicht dulden.«
Bevor Cameron antwortete, schien eine halbe Ewigkeit zu vergehen. »Von Angesicht zu Angesicht sah ich ihn nicht. Aber ich kenne den Schlachtruf der Munros, die Farben ihres Plaids. Und Red Angus’ Haar ist unverwechselbar.«
»Also wollt Ihr einen Irrtum nicht einmal in Erwägung ziehen – die Möglichkeit, dass jemand über die MacKays herfiel und versuchte, die Tat den Munros in die Schuhe zu schieben?«
»Nein, denn ich weiß, wer die Schuld daran trägt.« Camerons Lippen bewegten sich kaum. »Und an Eurer Stelle würde ich es dabei bewenden lassen.«
Ihre Finger gruben sich in die Handflächen. Plötzlich schrie alles in ihr nach Freiheit. »Nur weil ich eine Frau bin, habt Ihr mich besiegt. Nur weil ich schwach bin und Ihr stark seid ... Wäre ich ein Mann, hättet Ihr nicht gewagt, Hand an mich zu legen. Ein elender Schurke seid Ihr!«, fuhr sie erbost fort, denn das Feuer, das in ihrer Brust aufgeflammt war, ließ sich nicht so leicht löschen. »Der schlimmste Abschaum auf Erden! Ich verachte Euch!«
Da stand sie vor ihm, auf nackten, schmutzigen Füßen, hoch aufgerichtet. Verblüfft starrte er sie an. Vorerst fand er keine Worte. Sie verachtete ihn und hielt ihn für einen Schurken? Wie konnte sie es wagen, ein Urteil über ihn abzugeben, dieses frömmlerische kleine Ding, das noch nicht einmal eine Nonne war? Und wieso behauptete sie immer wieder, er würde sich irren und die Munros seien nicht schuld am Tod der MacKays?
Doch er verbarg das Ausmaß seines Zorns. Den durfte er nicht zeigen – sonst würde die Lady ihre Dreistigkeit allzu bitter bereuen. »Seid Ihr jetzt fertig?«, fragte er so ruhig, wie er sich keineswegs fühlte.
Einige Sekunden verstrichen, jeder suchte in den Augen des anderen Entschlossenheit und Willensstärke abzuschätzen. Während Cameron die zusammengepressten Lippen seiner Gefangenen musterte, erwartete er einen weiteren Gefühlsausbruch. Aber sie schwieg.
»Nun, ich halte Euer Schweigen für ein Ja.« Er pfiff nach seinem Pferd, das davongetrottet war, um zu grasen. »Beenden wir das Gespräch. Nur eins will ich noch betonen«, fügte er hinzu und stieg auf. »Wärt Ihr ein Mann, würdet Ihr schon längst unter der Erde liegen.«
Sobald er die Fersen in Fortunes Flanken grub, trabte der Hengst davon. Diesmal drosselte Cameron das Tempo nicht und nahm keine Rücksicht auf die junge Frau, die ihm zu Fuß folgte. Mit voller Absicht geschah es nicht – er war einfach nur zu wütend.
Nach einer Weile lichtete sich der Wald. Schäfchenwolken warfen Schatten auf die Landschaft. Sperlinge flogen mit dem Wind dahin. In hellem Gelb und saftigem Grün erhoben sich die Hügel.
Ein leiser, schmerzlicher Laut drang in Camerons Ohr. Sofort zügelte er sein Pferd und drehte sich zu Meredith um. »Braucht Ihr Hilfe?«
Statt zu antworten, warf sie ihm einen vernichtenden Blick zu und ging weiter. Was immer ihr widerfahren war – sie hatte sich offensichtlich davon erholt.
»Wie Ihr wünscht«, sagte er kühl und betrachtete sie noch eine Zeit lang. Eine Schönheit, hatte er letzte Nacht gedacht. Doch dieses Wort wurde ihr nicht einmal annähernd gerecht. Im hellen Tageslicht sah sie hinreißend aus, trotz der schmutzigen Wange und der staubigen Haare, die glanzlos bis zu den schmalen Hüften hinabhingen. An manchen Stellen zeigte sich verlockende rosige Haut unter dem zerrissenen Kleid. Einer Munro hätte er solche Reize wirklich nicht zugetraut; seiner Meinung nach ließ sich Merediths Zauber nicht mit dem bösen Blut in ihren Adern vereinbaren.
Als er sie hinken sah, verlangsamte er Fortunes Hufschläge. Immer wieder fühlte er sich versucht, die Lady in seinen Sattel zu heben – immer wieder widerstand er diesem Impuls. Warum bat sie ihn nicht darum? Warum stapfte sie so beharrlich dahin, die kleine Närrin?
Am Ufer des Flusses, der sich durch ein enges Tal wand, sank sie auf ein Knie. Das Gesicht verzerrt, streckte sie eine Hand aus, um ihren Sturz abzufangen. Aber sie erhob sich sofort wieder. Hätte Cameron in eine andere Richtung geschaut, wäre ihm der Zwischenfall gar nicht bewusst geworden.
Diesmal zauderte er nicht. Er schwenkte sein Pferd herum, stieg ab und ging zu ihr.
Beim Anblick seiner düsteren Miene streckte sie abwehrend einen Arm aus. »Halt!«
»Setzt Euch«, befahl er.
Statt zu gehorchen, wich sie zurück. Da packte er ihren Ellbogen, zog sie zu sich heran und ergriff ihre Schultern. Er glaubte, sie würde sich wehren. Doch sie kapitulierte und ließ sich im Gras am Rand der Uferböschung nieder. »Warum starrt Ihr mich so an?«
Wie zornig er wirkte, wusste er nicht. Genügte ein finsteres Gesicht, um die Lady gefügig zu machen? »Zeigt mir Eure Füße!«, verlangte er in strengem Ton und kauerte sich auf seine Fersen.
»Nicht nötig.«
Hastig versuchte sie, die Füße unter ihrem Rock zu verstecken. Aber Cameron war schneller und hielt ihren Schenkel fest, dicht über dem Knie. Als sie sich losreißen wollte, verstärkte er den Druck seiner Finger, und sie erstarrte. Hatte er sie bis in die Tiefen ihrer frommen Seele erschreckt? Wie er voller Genugtuung feststellte, färbten sich ihre Wangen feuerrot. Sehr aufschlussreich – ein Blick, eine Berührung, und schon erlahmte Merediths Widerstand.
Mit einer freien Hand umfasste er ihre wohlgeformte Wade und hob ihren Fuß. Wie Seide fühlte sich ihr Fleisch an. Sie zuckte zusammen, aber sie wehrte sich nicht.
Die Stirn gerunzelt, untersuchte er erst den einen Fuß, dann den anderen und fand seine Vermutung bestätigt. An einigen Stellen bluteten die aufgeschürften Sohlen. Jetzt verflog das Triumphgefühl. Wie hatte sie die Schmerzen so lange ertragen? Er verfluchte sie –und sich selbst. Verdammt, warum hatte er ihren qualvollen Fußmarsch zugelassen?
Er stand auf und nahm einen Leinenstreifen aus der Satteltasche, die an Fortunes Flanke hing. Dann stieg er durch dichten Farn zum Fluss hinab und tauchte den Lappen ins Wasser. Meredith unternahm keinen Fluchtversuch. Als er zurückkam und vor ihr niederkniete, schluckte sie unsicher.
Behutsam wusch er das Blut und den Schmutz von ihren Füßen. Dann zog er seinen Dolch aus der Scheide. Meredith rang nach Luft. Aber sie rückte nicht von ihm weg. Die Fingerspitzen im Schoß aneinander gelegt, beobachtete sie ihn. Zum ersten Mal fielen ihm ihre kleinen, zierlichen Hände auf.
In einer Ferse steckten mehrere Dornen. Mit der Spitze des Dolchs begann er, sie zu entfernen. Sie stöhnte leise, doch sie protestierte nicht.
»Warum habt Ihr nichts gesagt?«, fragte er brüsk. »Wärt Ihr bloß mit mir geritten!« Abrupt hob er den Kopf und schaute sie an.
Wider Erwarten wich sie seinem Blick nicht aus. »Ich hatte beschlossen, zu gehen.«
Nie zuvor war ihm ein so störrisches Geschöpf begegnet. »Ein ziemlich alberner Entschluss.«
Wie schon so oft, reckte sie ihr Kinn. »Ich hin keine dumme Gans.«
»Was denn sonst? Oder wollt Ihr mir erzählen, wie unser Erlöser mit blutenden Füßen sein Kreuz trug –und dass Ihr seinem Beispiel folgen wollt?«
»Was?«, rief sie empört. »Ihr wagt es, Ihn zu verhöhnen?«
»An unseren Herrn glaube ich ebenso wie Ihr, Lady.
Aber nach meiner Ansicht sind Menschen, die sich selbst martern, arme Narren.«
Aus ihren Augen schienen Funken zu sprühen. »Allmählich begreife ich, warum Ihr Euch nicht an Ihn wendet, wenn Ihr Rat nötig habt. Aber einen MacKay würde er wahrscheinlich sowieso zurückweisen – insbesondere einen von Eurer Sorte.«
Camerons Kinnmuskeln spannten sich an. Diese unverschämte Hexe! Nicht nur seinen Clan beleidigte sie, sondern ihn persönlich. Hatte er die falsche Frau entführt? Das war nicht jenes scheue Mädchen, das ihm mehrere Leute beschrieben hatten. O nein, immer wieder reizte sie ihn bis zur Weißglut, wozu sich kein Mann erkühnen würde – es sei denn, er war lebensmüde.
Trotzdem bezähmte er seinen Zorn, stand auf und hob Meredith hoch, wie einen Vogel aus seinem Nest. Dann stieß er einen Pfiff aus. Die Ohren gespitzt, trabte Fortune zu ihm. Cameron setzte seine Gefangene auf den Rücken des Rappen und schwang sich hinter ihr in den Sattel.
»Jetzt werdet Ihr reiten«, entschied er. Vielleicht merkte sie, dass er die Grenzen seiner Geduld erreicht hatte, denn sie widersprach nicht – zumindest vorerst nicht.
Ein paar Meilen weit folgten sie dem Ufer, bevor er sein Pferd zügelte und die Lage sondierte. An dieser Stelle war der Fluss ziemlich breit. Felsblöcke ragten aus den Wellen.
Gewöhnlich plätscherte das Wasser seicht dahin. Aber in der letzten Woche hatte es häufig geregnet, und in diesem Frühsommer war der Strom stärker angeschwollen als üblich, aber nicht über die Ufer getreten. Auf dem Weg nach Connyridge hatten ihn Cameron und seine Männer mühelos durchquert, und es würde ihm auch jetzt gelingen.
Leichtfüßig sprang er aus dem Sattel und zeigte zu einer Lichtung am anderen Ufer. »Dort übernachten wir.«
Merediths Blick folgte der Richtung seines ausgestreckten Fingers. Dass ihr die idyllische Szenerie keineswegs beruhigend erschien, konnte er nicht ahnen. »Da drüben? Auf der anderen Seite?«
»Aye.«
»Dann – müssen wir den Fluss durchqueren.« »Aye.«
»Gibt es keine Brücke?«
Cameron hielt ihre Bedenken für einen neuen Beweis ihres Eigensinns. »Nein. Der Fluss verläuft von Ost nach West. Und wir müssen nordwärts reiten.«
»Können wir nicht bis morgen warten?«
»Nein.«
»Aber – das Wasser ist viel zu tief.«
»Oh, das sieht nur so aus.«
»Und wie kommen wir hinüber?«, versuchte sie einen letzten Einwand zu erheben. »Müssen wir ...« Ihre Stimme bebte. »Müssen ... wir schwimmen?«
»Ihr bleibt auf Fortune sitzen und ich führe ihn durch den Fluss.« Die Zügel in der Hand, watete Cameron in die Fluten.
Nachdem er ein Drittel der Strecke zurückgelegt hatte, glitt plötzlich der Grund unter seinen Füßen davon. Der Strom war tiefer als erwartet. Fluchend trat Cameron Wasser. Fortune warf seinen Kopf in den Nacken und verdrehte die Augen. Nach einem leisen Zuspruch seines Herrn beruhigte sich das große Tier.
Doch der Fluss wurde immer tiefer. Bald konnte auch der Rappe nicht mehr stehen und begann zu schwimmen. Ein kurzer Blick nach hinten verriet Cameron die wachsende Angst seiner Gefangenen. Leichenblass hielt sie sich an der Mähne fest. Das Wasser reichte ihr bis zu den Hüften.
Und dann geschah es. Die Strömung verstärkte sich und trieb den Hengst seitwärts. Wiehernd verdoppelte er seine Anstrengungen – zu spät für Meredith. Aus den Augenwinkeln sah Cameron eine hektische Bewegung, ein Schrei erklang, und das Wasser spritzte hoch in die Luft.
Bevor sie unterging, kreischte sie noch einmal. Sekunden später tauchte sie zwar wieder auf, die Augen jedoch voller Panik. Erst jetzt erkannte Cameron, was hinter ihrem Widerstreben gesteckt hatte, und schwamm zu ihr.
Aber die Strömung riss sie aus seiner Reichweite. Auf diese Weise würde er niemals zu ihr gelangen.
So schnell wie möglich schwamm er zum Ufer und watete aus dem Wasser, rannte flussabwärts und behielt Meredith im Auge. Könnte sie schwimmen, würde sie sich, um an der Oberfläche zu bleiben, von der Strömung tragen lassen. Aber sie kämpfte dagegen an. Mit beiden Armen schlug sie um sich, von hohen Wellen hin und her geworfen.
An einer Biegung sprang Cameron über einen umgestürzten, bemoosten Baumstamm. Beinahe verlor er das Gleichgewicht, aber sein Fuß fand im Schlamm Halt, und er eilte weiter. Inzwischen hatte er Meredith überholt und sie würde bald in einen ruhigen Nebenarm des Flusses treiben. Er holte tief Luft, sprang ins Wasser und tauchte direkt neben ihr auf. Kurz bevor sie erneut untergegangen wäre, griff er nach ihr und zog sie an sich.
Krampfhaft umschlang sie seinen Nacken, mit glasigen Augen starrte sie ihn an. »Lasst mich nicht ertrinken!«, flehte sie.
»Keine Bange, ich lasse Euch nicht los«, versprach er, die Lippen dicht an ihrem Ohr. »Hört mir zu. Haltet Euren Kopf über Wasser und wehrt Euch nicht gegen mich.«
Mit zehn Schwimmzügen erreichte er das Ufer. Er trug Meredith die grasbewachsene Böschung hinauf, zu seinem Hengst. Von den Schwierigkeiten der beiden Menschen unbeeindruckt, blickte Fortune nur kurz von dem Strauch auf, dessen Blätter er gerade fraß.
Unsicher blieb Cameron stehen. Seine schöne Gefangene umklammerte immer noch seinen Hals, mit weichen Armen, und schmiegte sich an seine Brust, als wäre er die Erfüllung all ihrer Träume.
Ihren unregelmäßigen Atemzügen entnahm er, welch schreckliche Angst sie ausgestanden hatte. Doch er spürte, wie sie sich allmählich beruhigte.
»Lady«, murmelte er und lächelte schwach, »wenn Ihr Euch umseht, werdet Ihr erkennen, dass die Gefahr überstanden ist. Glaubt mir, Ihr werdet nicht ertrinken.«
Ihr Scheitel streifte sein Kinn, als sie den Kopf hob. »Oh«, hauchte sie und rührte sich noch immer nicht.
Die dunklen Brauen hoch gezogen, räusperte er sich und verlagerte ihr Gewicht von einem Arm auf den anderen.
Erst jetzt merkte sie, wo sie sich befand. Entsetzt stemmte sie sich gegen seine Brust, und er stellte sie auf die Füße, wider Willen gekränkt. Warum musste sie ihre Abneigung so deutlich zeigen?
Schwankend ging sie zu einer alten Eiche und setzte sich unter die ausgebreiteten Äste. Ihre Beine hätten sie vermutlich keinen Schritt weiter getragen.
»Warum habt Ihr mir verschwiegen, dass Ihr nicht schwimmen könnt?«, fragte er und folgte ihr.
Schweigend wich sie seinem Blick aus.
»Antwortet, Mädchen!« Sein Ton duldete keinen Widerspruch.
»Warum? Weil Ihr mich ohnehin schon für schwach und unfähig haltet«, erklärte sie fast unhörbar. »Hätte ich die Wahrheit gesagt, wäre ich in Eurer Achtung noch tiefer gesunken.«
Nachdenklich betrachtete er ihr Gesicht. Also war es ihr Stolz gewesen, der sie an einem Geständnis gehindert hatte. Ihren Stolz verstand er, ihre Dummheit nicht.
Mittlerweile erstreckten sich abendliche Schatten über dem Land, eine schwache Brise kam auf, und Cameron sah seine Gefangene zittern. Beide waren bis auf die Haut durchnässt. Über Merediths Rücken hing das Haar wie ein glänzender Wasserfall, das Kleid klebte an ihrem Körper. Solche Unannehmlichkeiten würden Cameron nicht stören. Oft genug hatte er im kalten Regen geschlafen. Nur einige Sekunden lang erwog er, der Lady das triefnasse Kleid auszuziehen. Dann wäre ihr wärmer. Doch sie hatte ihn ohnedies schon zum schlimmsten Abschaum auf Erden erklärt. Und in dieser Meinung wollte er sie nicht bestärken. Hastig entfachte er ein Feuer. Während er noch einen Zweig in die lodernden Flammen warf, knurrte sein Magen. »Wir müssen essen«, verkündete er. »Wenn ich Euch allein lasse – versprecht Ihr mir, nicht zu fliehen?«
Wieder keine Antwort. In ihren Augen entdeckte er jenen Ausdruck, den er allmählich hasste. Wie lange würde er ihren rebellischen Geist noch ertragen müssen? Wäre sie doch ertrunken ...
»Wenn Ihr nach Connyridge zurückkehren wollt, müsst Ihr den Fluss durchqueren«, betonte er.
Schaudernd beteuerte Meredith: »Ich bleibe hier.«
Cameron lächelte dünn. Hatte er mit dieser Bemerkung tatsächlich ihre Fügsamkeit erzwungen? Doch darauf wollte er sich nicht verlassen. In aller Eile sammelte er ein paar Beeren und wilde Rüben, die ihnen an diesem Abend genügen mussten.
Bei seiner Rückkehr zum Lagerfeuer entdeckte er Meredith nicht sofort. Fluchend beschleunigte er seine Schritte, dann atmete er auf. Sie lag am Boden, zur Seite gewandt, und schlief tief und fest, eine Hand in die Richtung der wärmenden Flammen ausgestreckt.
Lautlos kniete er neben ihr nieder und legte ihren Arm auf ihre Hüfte, damit sie sich nicht versehentlich verbrannte.
Ihre Augen blieben geschlossen. Offensichtlich ist sie völlig erschöpft, dachte er. Kein Wunder ... Vielleicht hatte sie im Kloster manchmal bis in die Nacht hinein gearbeitet. Doch der ungewohnte lange Fußmarsch und das gefährlich Bad im Fluss mussten ihre Kräfte überstiegen haben.
Unwillkürlich strich er eine feuchte Haarsträhne aus ihrer Stirn, und ein seltsames Gefühl stieg in ihm auf. Zärtlichkeit? Erbost schüttelte er den Kopf und zog seine Hand zurück.
Empfand er etwa plötzlich das Bedürfnis, die Lady zu beschützen? Eine Munro? Nur weil sie eine Frau war – schwach und unfähig, wie sie selbst erklärt hatte?
Behutsam drehte er sie auf den Rücken und musterte ihr Gesicht im Mondschein. Lange seidige Wimpern verbargen die Augen, die wie ein Sommerhimmel geleuchtet hatten, und warfen Schatten auf die milchweißen Wangen. Als sein Blick zu ihrer vollen, sinnlichen Unterlippe glitt, erwachte ein heißes Verlangen in ihm. Viel zu deutlich erinnerte er sich an ihre weichen Brüste, die sich an ihn geschmiegt hatten, an seinen Arm, um ihre schlanke Taille geschlungen.
Fast schmerzhaft wuchs seine Begierde. Er holte tief Atem und verbannte die Schwellung, die zwischen seinen Schenkeln pulsierte, aus seinen Gedanken. Eine innere Stimme erinnerte ihn an die Kette, die in seiner Satteltasche steckte. Die Augen zusammengekniffen, musterte er Merediths zerbrechliches Handgelenk, das jetzt in der verlockenden Vertiefung zwischen ihren Brüsten lag. Nein, in dieser Nacht musste er sie nicht fesseln. Sie schlief. Und er sah keinen Grund, sie zu wecken.
Nachdem er ein paar Beeren gegessen hatte, streckte er sich neben ihr aus. Sofort drehte sie sich auf die Seite und drückte sich an ihn. Wie versteinert lag er da, all seine Muskeln verkrampften sich. An seiner Schulter spürte er ihren Kopf, und ihr warmer Atem kitzelte seinen Hals.
Entschlossen setzte er sich auf und breitete sein Plaid über die Lady. Mit einem ironischen Lächeln verspottete er sich selbst und diese unschuldige Verführerin. Verlangen. Zärtlichkeit. Hatte er den Verstand verloren?
In sicherem Abstand legte er sich wieder hin, und es dauerte sehr lange, bis er einschlief.
In sein Plaid gehüllt, erwachte Meredith und blickte zu einem leuchtend blauen Himmel auf. Die Vögel zwitscherten melodisch und flatterten zwischen den Wipfeln der Bäume umher. Aber sie nahm die Schönheit des Tages nicht wahr, sondern war nur von einem einzigen Gedanken beherrscht – er hatte sie mit seinem Plaid zugedeckt.
Reglos lag sie neben der Asche des Feuers, ihre Finger in die warme Wolle gegraben. An dem weichen Stoff hing immer noch Camerons Geruch – nicht unangenehm, nach Holz und Leder, sehr männlich.
Warum?, fragte sie sich. Sie verstand seine Fürsorge nicht. Niemals hätte sie damit gerechnet. Am letzten Abend war seine Miene so kalt gewesen, so unnahbar. Allein schon sein Anblick hatte den Wunsch in ihr heraufbeschworen, sich zu bekreuzigen. Und doch – wie sanft er ihre wunden Füße gewaschen hatte, die sie allein ihrem Starrsinn verdankte ...
Und sie wäre hilflos ertrunken, hätte er sie nicht gerettet. Jetzt schuldete sie ihm ihr Leben.
Wie hatte sie ihn genannt? Einen elenden Schurken, den schlimmsten Abschaum auf Erden. Sie erschrak über ihr Verhalten. So durfte sich eine Dienerin des Herrn nicht benehmen. Unfassbar, dass solche Worte über ihre Lippen gekommen waren ... Dafür müsste sie den Allmächtigen sofort um Verzeihung bitten. Die Hände gefaltet, begann sie zu beten.
Doch sie kam nicht weit, von einer neuen Erkenntnis verwirrt. An ihrem Handgelenk hing keine Kette. Vertraute ihr Cameron MacKay? War er so sicher gewesen, sie würde nicht flüchten? Wahrscheinlich, weil er sie für einen Feigling hielt. Ärgerlich erinnerte sie sich an seine Erklärung, sie müsse den Fluss durchqueren, um Connyridge zu erreichen.
Langsam wandte sie den Kopf zur Seite. Er lag auf dem Rücken, eine Hand über der Brust. Offenbar schlief er, und so konnte sie sein Gesicht in aller Ruhe betrachten. Er war älter als sie, aber immer noch jung. Und es ließ sich nicht leugnen – obwohl abscheuliches MacKay-Blut in seinen Adern floss, sah er großartig aus. Trotz der Bartstoppeln entdeckte sie ein Grübchen in seinem Kinn, das ihm ein jungenhaftes Aussehen verliehen hätte, wäre er glatt rasiert gewesen. Unsinn, nichts an diesem Mann wirkte jungenhaft. Von Kopf bis Fuß strahlte er eine männliche Kraft aus, der sie nicht gewachsen war.
Aber jetzt schlief er.
Und Fortune stand ganz in der Nähe, unter dem nächsten Baum.
List und Tücke passten nicht zu ihrem Wesen. Und es war verwerflich, solche Methoden anzuwenden. Trotzdem hoffte sie, der Himmel würde ihr verzeihen, denn es war reine Verzweiflung, die sie dazu trieb.
Und so betete sie um göttlichen Beistand. Sie musste fliehen, solange sich eine Gelegenheit bot. Eine zweite würde sie vielleicht niemals finden. Ihre Angst vor dem Wasser hielt sie nicht zurück. Natürlich würde sie den Fluss nicht durchqueren, sondern auf einem sicheren Umweg nach Connyridge reiten.
Doch sie hatte sich geschworen, ihr Kruzifix zurückzugewinnen. Und bei Gott, das würde sie tun. Es war ihr liebster Schatz – ihr einziger Schatz. Diesen kostbaren Besitz würde sie niemandem überlassen – Cameron MacKay schon gar nicht.
Nervös biss sie in ihre Lippen. Die Kette mit dem Kreuz hatte er in seine Tunika gesteckt. Darunter musste sich eine verborgene Tasche befinden. Sie legte das Plaid beiseite. Dann rückte sie vorsichtig näher zu ihm und schob ihre Finger in den Ausschnitt seiner Tunika.
Wie warm er sich anfühlte ... Beinahe hätte sie ihre Hand zurückgezogen. Sie musste ihre ganze Willenskraft aufbringen, ehe ihre Finger weiter hinabglitten. Als sie gekräuseltes Haar streifte, wurde ihr Mund trocken. Waren alle Männer so dicht behaart?
Er rührte sich nicht. Gleichmäßig hoben und senkten tiefe Atemzüge seine Brust. Wäre es nicht so gefährlich gewesen, einen Laut von sich zu geben, hätte sie erleichtert geseufzt.
Doch sie freute sich zu früh. Erfolglos tastete sie nach ihrem Kruzifix. Wo mochte es nur sein? Beeil dich, ermahnte sie sich und bekämpfte ihre Angst. Wenn er erwachte und herausfände, was sie da tat ... Sein Zorn würde sie wie ein Blitzschlag treffen.
Während sie diesem beängstigenden Gedanken nachhing, musterte sie sein Gesicht. In ihrer Kehle blieb ein Schrei stecken, denn ihre schlimmste Befürchtung bewahrheitete sich.
Cameron MacKay war erwacht. Und sie schien seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu genießen.