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ERINNERUNGEN AN MEINE JAHRE
IN BERLIN I.

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Mich zog’s von Abdera nach Athen. Nicht länger wollte ich in Hannover „an der Leine“ angebunden sein. Mich lockte Berlin: „Spree-Athen.“ Ich fürchtete, unter den Philistern entweder einen Windmühlenkampf zu führen oder, was noch schlimmer gewesen wäre, selbst im Sumpfe des Philistertums zu versinken. Hatte ich mich doch nicht völlig dem ständigen „Frosch-Mäuse-Krieg“ entziehen können, der fortwährend innerhalb der Synagogen-Gemeinde geführt wurde. – Ich war ganz gegen meinen Willen in diese Streitigkeiten verwickelt, und wohl oder übel mußte ich mich dem gesellschaftlichen Rhythmus dort anpassen. „Gott soll schützen vor der Provinz“, sagt der alte Jacobi bei Georg Hermann. Das schlimmste aber ist die große Provinzstadt, die sich wer weiß wie großstädtisch vorkommt. Als ob schnurgerade Straßen und höchst korrekt und symmetrisch angelegte Schmuckplätze es ausmachten. Über die Architektur dieses Hannover ließe sich vieles sagen, – aber dazu ist hier nicht die Gelegenheit. Da hatte der Geheimrat Professor Haase von der Technischen Hochschule, der als eine Art Felix Dahnsche Wotangestalt durch die Straßen der Haupt- und Residenzstadt wandelte, einen neuen Stil erfunden, eine Art neuer gotischer Backsteinarchitektur, deren groteske Abscheulichkeit bei jedem Fremden baß Verwunderung erregte und die er mit dem an sich nicht unschönen niedersächsischen Stil zu verschmelzen suchte. Die Hannover­aner freilich waren auf diesen ihren Stil höchst stolz. – Hübsch war der Stadtwald, die Eilenriede, die freilich mehr Parkcharakter hatte und in der die Stadtverwaltung Orgien der Bevormundung und Ordnung feierte. Alle Bänke hatten Inschriften wie „Für Erwachsene“, „Nur für Kinder“, „Nicht für Kindermädchen“. – Doch gab es dort eine Reihe netter Gartenwirtschaften, zu denen man im Sommer schon in aller Frühe hinausfuhr. In meiner Junggesellenzeit radelte ich täglich mit meiner Schwester schon um halb sieben dorthin, um nur nicht jenen – vorsorglich kalendarisch nicht festgelegten – Tag zu versäumen, an dem den Stammgästen gratis Erdbeeren mit Schlagsahne verabfolgt wurden. Dieser Stadtwald lag im Osten der Stadt, anschließend an das vornehme Wohnviertel. Beiläufig bemerkt, ist es wohl die einzige Stadt, in der das Villenviertel im Osten liegt, – sonst gilt ja immer der Westen als vornehm, – warum, ist mir nie aufgegangen. (Vielleicht deshalb, weil man im Westen länger schlafen kann?) – Am andern Ende der Stadt, im Westen, führte die 2 km lange Herrenhäuser-Allee vorbei an dem alten Welfenschloss, umgebaut zur Technischen Hochschule, zum Herrenhäuser Park, dessen langweilige Taxus­hecken-Anlagen, nach Versailler Muster angelegt, an vergangene Herrscherpracht erinnerten. Gegen­über dem Welfenschloss aber, an der anderen Seite der Allee, lag der Georgen-Garten, eine schöne englische Parkanlage, und dort in der Kaffeewirtschaft trafen sich nachmittags, beson­ders am Sabbat-Nachmittag, eine Anzahl jüdischer Honorationen. Es war, man denke, eine Wirtschaft mit biblischer Bedienung. Dort servierten freilich nur eisgraue alte Damen den Kaffee. Erfreulicherweise gab es aber in der Stadt auch anders geartete Lokalitäten mit weiblicher Bedienung, in denen eben jene Stützen der Gemeinde zwar gern verkehrten, aber nach Möglichkeit vermieden, sich zu begrüßen oder zu erken­nen. Ich freilich machte mir immer ein besonderes Vergnügen daraus, wenn ich etwa im „Bienenkorb“ solche Würdenträger fand, sie mit besonderer Herzlichkeit laut zu begrüßen, was nicht immer mit gleicher Herzlichkeit erwidert wurde.

Sabbat war der Synagogenbesuch unerlässlich, und nachher, zwischen zwölf und eins, setzte die große Besuchsparade ein. Mit langem Gehrock und unvermeidlichem Zylinderhut auf dem Kopf, am Arm die festtäglich gekleidete Frau, wandelte man die Straßen entlang, um die pflichtschuldigen Besuche zu absolvieren. Und es wurde da genau Rechnung geführt. Auch ich und meine Frau konnten uns diesem Brauche nicht entziehen, so stumpfsinnig diese Besuchstouren auch waren. Bis ich dann endlich auf eine erlösende Idee kam: Wir zogen, vorschriftsmäßig adjustiert, los, aber versteckten uns bald in irgendeinem Hauseingang und beobachteten die vorüberziehenden Paare. Wie wir nun ein solches Paar entdeckten, dem wir solchen Besuch „schuldig“ waren, suchten wir schleunigst die betreffende Wohnung auf, um mit dem Ausdruck unseres lebhaften Bedauerns, die Herrschaften nicht getroffen zu haben, unsere Karten abzugeben. So konnten wir uns dann oft an einem Vormittag einer großen Schuldenlast entledigen.

Mir drohten noch andere Gefahren. Ich konnte mich in Hannover nicht den ehrenvollen Anforderungen entziehen, zu allen möglichen Gelegenheiten Carmina oder Festspiele zu machen oder gar den üblichen „Damentoast“ zu halten. Bei­läufig will ich einer jetzt wohl entschwundenen Sitte gedenken: Es war zu jener Zeit bei jedem Diner üblich, daß, wenn der Hauptgang, die traditionelle Pute oder Gans, serviert wurde, der bedienende Geist, dem Wink der Hausfrau folgend, den Braten vor den als Opfer ausersehenen Gast hinstellte, und voll schreckhafter Erwartung folgten alle Herren dem Gang des dienstbaren Geistes, bis dann das unglückliche Opfer sich sofort erheben und nun den Übergang von der Gans zum Damentoast finden mußte, wobei es oft schwer war, alle leichten Assoziationen auszuschalten. Und zu solchem Opfer wurde ich immer wieder ausersehen: ich war in Gefahr, so etwas wie ein „Bratenbarde“ zu werden und in unserem Kreise in den Ruf zu kommen wie seinerzeit der demokratische Reichstagsabgeordnete Albert Traeger, mit dem mich übrigens noch eine andere Schicksalsgemeinschaft verband. Er hatte so wie ich eine furchtbare Handschrift, und so kam es, daß einmal das Amtsgericht ihn ersuchte, doch in seiner Unterschrift den Buchstaben „g“ deutlicher zu machen. Darauf sandte er dem Gericht einen großen Bogen voll säuberlich geschriebener „g“s ein mit der Bitte, sich gegebenenfalls zu bedienen. – Etwas Ähnliches war mir einmal geschehen, als das Amtsgericht Niendorf mir wegen unleserlicher Unterschrift einen Antrag zurücksandte. Ich legte dagegen Beschwerde ein und bat gleichzeitig, mir den Namen des unterschreibenden Richters mitzuteilen, den ich nicht entziffern konnte. Meine Beschwerde hatte übrigens Erfolg, und auf drei Folioseiten hat das übergeordnete Landgericht auseinandergesetzt, daß anhand des beigedruckten Stempels es nicht schwierig gewesen wäre, meinen Namen zu entziffern, wobei mit preußischer Gründlichkeit jedem einzelnen Strich meiner kalligraphischen Handschrift nachgegangen wurde.

Besonders viel herangezogen wurde ich zu Vereinsfestlich­keiten. Da gab es einen von meiner Mutter ins Leben gerufenen „Verein ehemaliger Religionsschülerinnen“ (das männliche Pendant wurde allgemein „Verein ehemaliger Tefillinleger“ genannt), einen jüdischen Kegelklub und jenen von mir schon erwähnten von Mendel Zuckermann geleiteten „Verein zur Förderung jüdischen Wissens“, – und so gern ich mich auf dem Pegasus tummelte, machte mir diese equestrisch poetische Übung wenig Spaß. Etwas ganz anderes war es, wenn ich in Berlin für die Zionistische Vereinigung oder den Turnverein Bar-Kochba später heitere Stücke schreiben konnte.

Also: Ich beschloss, Hannover den Rücken zu kehren und nach Berlin zu übersiedeln, zumal Alfred Klee, der vor dem Staatsexamen stand, drängte, mich mit ihm zu assoziieren. Übrigens gravitierte schon damals meine Praxis immer mehr nach Berlin, und nicht selten hatte ich vor einem dortigen Gericht zu tun. So geschah es einmal, als ich in einer an sich unbedeutenden Sache eine Verteidigung wegen Verletzung des Briefgeheimnisses führte, als ich eine bezeichnende Episode erlebte: Gerade damals war der imposante neue Justizpalast in Moabit eröffnet, und als ich den blitzblau, „in Neuheit funkelnden Verhandlungssaal“ betrat, steuerte ein sehr liebenswürdiger junger Kollege auf mich zu, um mir mitzuteilen, die Anordnung der Sitze für die Verteidiger, nämlich Klappsitze angeschlossen an die Anklagebank, hielten die Berliner Kollegen für standesunwürdig, und als Zeichen des Protestes setzten sie sich auf herbeigeschaffte Stühle. Er bat mich, mich dieser Demonstration anzuschließen. Dieser mein freundlicher Mentor war niemand anders als Karl Liebknecht, und es ist für mich eine amüsante Erinnerung, daß ich ihn, mit dem ich später öfter zu tun bekam, bei solcher Gelegenheit kennen lernte, bei dem noch harmlosen Kampf gegen die Mächtigen der Erde.

Bevor ich aber nun meinen Beschluss ausführte, konnte ich meine Hannoverschen Juden noch sehr damit ärgern, daß ein zionistischer Delegiertentag dort arrangiert wurde. Die Tagung war an sich nicht bedeutungsvoll, aber immerhin reichte die Tatsache, daß dort das nationale jüdische Banner erhoben wurde, aus, um die hannoverschen Juden gehörig zu ärgern. Und es erschienen dann in hannoverschen Zeitungen, besonders im „Hannoverschen Kurier“, erboste Zuschriften, worin versichert wurde, daß der Zionismus in Hannover nie Wurzel schlagen würde. Hierbei will ich etwas nachholen: Bei allen Kongressen, die ich besuchte, hatte ich für hannoversche Zeitungen die Berichterstattung übernommen, und meine Berichte gelangten auch im wesentlichen unverstümmelt zum Abdruck. Nachträglich kam dann immer eine nichts weniger als wohlwollende Kritik der Kongresse. Auf jenem hannoverschen Delegiertentag von 1906 hatte Dr. Hans Mühsam einen damals recht radikal anmutenden Antrag gestellt dahingehend etwa, daß die deutschen Juden als „Nationale Minorität“ organisiert werden sollten. Der Antrag wurde damals einstimmig abgelehnt. Das hinderte aber Herrn Rabbiner Dr. Heinemann Vogelstein nicht, eine überaus scharfe polemische Schrift gegen den Zionismus erscheinen zu lassen, die im wesentlichen auf dem Mühsamschen Antrag beruhte. Er ging in dieser Schrift so weit, zum Boykott gegen die Zionisten, insbesondere gegen alle dem Zionismus freundlich gesinnten Rabbiner, seine Kollegen aufzufordern. Ich antwortete darauf mit dem schon erwähnten Artikel in der „Welt“ – „Sturmgeselle Vogelstein“. Der Zufall fügte es, daß ich kurz nach Erscheinen jener Broschüre in Berlin in einem Hotel mit Vogelstein zusammentraf. Er stutzte erst, war am Anfang etwas grimmig, aber dann plauderten wir ganz freundlich miteinander. Er gehörte zu jenen Männern, die sachliche Differenzen nicht ins persönliche Verhältnis übertragen.

Meinen bewährten Bürovorsteher August Quante nahm ich mit nach Berlin. Er hat sich dort glänzend eingelebt, wenn ihm auch der Unterschied zwischen der wirklichen und der fiktiven Großtadt erst allmählich aufging. Ich erinnere mich, daß, als er zum ersten Mal das große Warenhaus von Wertheim besichtigte, er mir anerkennend berichtete: „Das ist wirklich ein hübscher Laden.“ – Ich habe übrigens, wie ich bei der Gelegenheit bemerken will, immer die Ansicht vertreten, daß nichts so charakteristisch für Berlin war wie die großen Waren­­­häuser, ganz abgesehen davon, daß der große Bau des Wertheim-Palastes am Potsdamer Platz, erbaut von dem jüdischen Architekten Messel, wohl das schönste Erzeugnis moderner Architektonik in der Reichshauptstadt war. Ich erinnere mich noch der bescheidenen Anfänge von Wertheim in der Rosenthaler Straße, und wie zu Beginn man sich genierte, dort einzukaufen, so daß das Warenhaus Tüten ohne Auf­druck der Firma benutzte, um die Käufer nicht zu kompromittieren. Und als Tietz begann, übertrug sich diese Abneigung gegen Warenhäuser auf diese Firma in noch größerem Maße. Als Tietz in der Leipziger Straße seinen Palast erbaute und über dem Portal vier imposante Frauengestalten schwebten, nannte der Berliner Volkswitz diese „die fünf Sinne – denn der Geschmack fehlt.“ – Dabei eine nette Episode: Einer russischen Dame, die bei uns zu besucht war, schilderte ich die Größe von Tietz, indem ich den alten Witz erzählte: Tietz hat eine zoologische Abteilung. Da ist kürzlich ein Tiger ausgebrochen und hat 14 Tage Verkäuferinnen gefressen, ohne daß man den Abgang merkte. – Das hörte unsere Köchin, ein altes Faktotum des Hauses, setzte ihr Tablett auf den Tisch und sagte: „Das glaube ich nicht.“ – Auf meine Frage, warum nicht, sagte sie: „Ein Tiger frißt doch nur Gras.“

Naturgemäß hatten wir noch eine Reihe Abschiedsbankette mitzumachen, aber schließlich war es doch soweit, und zu Anfang Dezember 1906 fuhr ich nach Berlin, um meine Niederlassung dort zum 1. Januar vorzubereiten.

Erinnerung an meine Jahre in Berlin

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