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III.

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Ich war also wieder in Berlin, und damit auch im zionistischen Milieu, nicht mehr vereinsamt in übelwollender Umgebung, sondern ich fand hier einen großen Kreis von Gesinnungsfreunden. Das Zentrum zionistischen Lebens war damals das „Café Monopol“ am Bahnhof Friedrichstraße und blieb es auch noch lange Zeit, bis später nach dem Ersten Weltkrieg, dem Zuge nach Westen folgend, auch die sonst nach Osten tendierden Zionisten zum Kurfürstendamm – erst in das alte „Café des Westens“ und dann in das „Romanische Café“ – übersiedelten. Damals aber wußte jeder von auswärts kommende Zionist, daß, wenn er seine Schritte ins „Monopol“ lenkte, er zu jeder Tageszeit dort Gesinnungsfreunde traf und alles Neue aus der zionistischen Welt und allen zionistischen Klatsch erfahren konnte. Das gelesenste und begehrteste Blatt war dort die gelbe „Welt“, das offizielle zionis­tische Organ. (Franz, der Oberkellner, der neben dem schönen Eduard die Gäste betreute, später die leitende Seele im „Romanischen Café“, pflegte zu fragen, wenn die „Welt“ begehrt wurde: „Die Welt am Sabbat“ oder die „Welt am Montag“? – In jedem Falle war es, „nicht die Welt, in der man sich langweilt“. Damals thronte dort als „ruhender Pol in der Erscheinungen Flucht“ die gewichtige Gestalt von Bertha Meierowicz, der Administratorin der „Jüdischen Rundschau“. (Böswillige behaupteten, daß der Name für das große deutsche Geschütz, die „Dicke Bertha“ im Hinblick auf sie gewählt wäre.)

Die zionistische Vereinigung für Deutschland entwickelte sich hauptsächlich infolge der organisatorischen Tüchtigkeit von Arthur Hantke, der Bodenheimer im Amte folgte, als der Sitz der Organisation nach Berlin verlegt wurde. Die Versammlungen der Berliner Zionistischen Vereinigung wurden immer mehr Ereignisse im jüdischen Leben Berlins, was zum großen Teil das Verdienst von M. A. Klausner war, der unermüdlich in allen größeren Versammlungen als Gegenredner auftrat.

Eine besonderes charakteristische Figur unter den deutschen Zionisten war der Bankier Hans Gidon Heymann, eine urwüchsige Persönlichkeit, in seinem Auftreten eher an einen ostelbischen Junker erinnernd. Seine geradezugehende ehr­liche Art machte ihn ebenso sympathisch, wie seine mimosenhafte Empfindlichkeit und seine brüske Art der Reaktion gegnerischer Ansicht gegen­über die Arbeit mit ihm erschwerte. Es ging kaum eine Tagung vorüber, in der er nicht an die Rampe trat, um mit mühsam unter­drückter Erregung, aber in feierlicher Betonung jedes Wortes, die Erklärung abzugeben: „Ich bitte zur Kenntnis zu nehmen, daß ich mit diesem Moment aus der Zionistischen Organisation für Deutschland austrete.“ – Man nahm diese Mitteilung stets mit Fassung entgegen, denn man wußte aus Erfahrung, daß er schon wenige Minuten danach, als ob nicht geschehen wäre, sich eifrig wie je an der Arbeit beteiligen würde.

Eine Zeitlang habe ich als Vorsitzender der Ortsgruppe Berlin die Versammlungen geleitet. Ich muß gestehen, daß ich gerade an der Leitung stürmischer Versammlungen ein großes Vergnügen wohl mehr sportlicher Art empfand. Es ist wohl die Leitung einer Versammlung, in der sich widerstrebende Elemente befinden, in gewissem Sinne mit der Leistung eines Orchesterdirigenten zu vergleichen, nur muß eben der Präsident verstehen, auch die opponierenden Elemente, die Gegenreden sowohl wie die Zwischenrufe und etwaigen Radautöne doch dem Ensemble sich eingliedern zu lassen. Es gab interessante Gegner genug, Männer wie Motzkin, Schmarjahu Levin, Martin Buber, Berthold Feiwel, neben den eingesessenen Berliner Stars Klee, Loewe, Friedemann. Ein besonderes Vergnügen machte es mir, wenn jener vielfach erwähnte Gegner unserer Sache, M. A. Klausner, auf der Tribüne erschien und zumal, wenn es ein Rededuell zwischen ihm und Heinrich Loewe gab. Man erzählt, – ich erinnere mich persönlich nicht an diesen Vorfall, daß Klausner einmal Loewe persönlich angriff – etwa mit den Worten: Es ist ein Mann im Saal, dessen Existenz ich für das größte Unglück für uns deutsche Juden halte, – und daß Loewe schlagfertig dazwischen rief: „Sie vergessen sich!“ – Als ich Klausner einmal wegen seiner Ausfälle zur Ordnung zu rufen gezwungen war, erhielt ich andern Tags von ihm einen Brief, in dem er sich wegen seines Verhaltens entschuldigte und mich sogar ob meiner korrekten Art der Versammlungsleitung bekomplimentierte, damit freilich eine Werbung für seine Organisation verbindend. – Auch in den internen Versammlungen gab es interessante Redeschlachten. In jenen Jahren war der „Kulturkampf“ noch nicht vorbei, dessen Auftakt auf dem V. Kongreß ich [im ersten Band der Erinnerungen] geschildert habe. Von ortho­doxer Seite wurde insbesondere eine heftige Polemik gegen die Entwicklung des Schulwesens in Palästina geführt. Insbesondere dagegen, daß an dem dortigen Gymnasium Bibelkritik getrie­ben wurde. In einer solchen Versammlung trat nach den konservativen Rednern, deren Hauptver­treter Hermann Struck war, auch Adolf Friedemann als Beschützer der religiösen Tradition auf. Nun kam Adolf Friedemann aus den Kreisen der Berliner Reform und war nichts weniger als gesetzestreu. Gerade aber zurück von einer Reise nach Palästina, die er in Gesellschaft von Hermann Struck gemacht hatte, stand er wohl noch unter dem Einfluß seines Freundes. Levin erwiderte. Nachdem er mit Struck sich auseinandergesetzt hatte, wandte er sich der Abrechnung mit Friedemann zu, indem er nach seiner Art eine Geschichte erzählte: „Vor einiger Zeit“, sagte er, „habe ich auf einem Rummelplatz in der Elsässer Straße eine Bude besucht, in der Neger wilde Schwerttänze aufführten. Als ich kürzlich vorüberkam, war das früher so besuchte Etablissement leer. Ich fragte den traurig vor seiner Bude stehenden Besitzer, woher das komme, worauf dieser antwortete: ‚Ja, in der Lothringerstraße hat sich eine Konkurrenz aufgemacht. Die Neger dort schreien und springen und lärmen noch mehr als meine. Der Unterschied ist nämlich der: meine Schwarzen sind echt, und jene sind gar nicht wirklich schwarz‘.“

Auch bei den Assimilanten herrschte lebhafter Betrieb. Es hatten wohl gerade die zionistischen Erfolge dort aufstachelnd gewirkt. Besonders das Angebot der englischen Regierung Uganda betreffend lenkte die Aufmerksamkeit auch fernstehender Kreise auf die zionistische Bewegung. Nun konnte wohl nicht mehr geleugnet werden, daß sie ernst genommen wurde. Man mußte so auch ein Gegengewicht gegen die Brüsseler Konferenz schaffen. Der „Hilfsverein der deutschen Juden“ (Dr. Paul Nathan) und „Die Deutsche Konferenzgemeinschaft der Alliance Israélite Universelle“ (M. A. Klausner), die sich schwer bekämpften, konkurrierten um die Gunst der deutschen Juden. Es wurde eine sogenannte Notabelnkonferenz einberufen, die nun im Gegensatz zu den demokratischen Veran­staltungen der zionistischen Kongresse die Elite der deutschen Judenheit, insbesondere die Elite des deutsch-jüdischen Kapitals, vereinen sollte. Ich schrieb damals eine Tannhäuser-Parodie, zu der Salomon Hildesheimer die Melo­die machte, und in der jene Veranstaltung gehörig persifliert wurde. Da wurde bei dem Sängerstreit von den betreffenden Parteigängern die deutsche Hymne oder die Marseillaise gesungen, und als dann „der Sünde fluchbeladener Sohn“, nämlich der Zionist, die jüdische Melodie anstimmte, wurde er schmählich hinausgewiesen, und Tannhäuser, der sich eine Zeitlang in dem Venusberg bei der Venus Itoisia verirrt hatte, kehrte reumütig auf dem Wege, der zur War(t)burg führte, zurück, und die Stäbe der ruhelos umherirrenden Schnorrer- oder Pilgerschar schlugen, in den Boden des Heimatlandes gepflanzt, aus und wurden fruchttragend. Hildesheimer hatte es wundervoll verstanden, alle möglichen Schlagermelodien kontrapunktisch mit Wagnerischen Motiven zu verbinden.

Solche parodistischen Aufführungen wurden Jahr für Jahr veranstaltet. Die Texte schrieb ich gemeinsam mit Lazarus Barth und Hildesheimer (G.M.B.H. – Gronemann mit Barth und Hildesheimer), und letzterer, der unter dem Spitznamen „Pom“ ging, machte die Musik dazu (C’est la Pom qui fait la musique.)

Meine zionistische Tätigkeit rief mich oft nach Köln zu Sitzungen des deutschen Zentralkomitees oder auch des Aktions­komitees, das David Wolffsohn leitete. Die Sitzungen fanden gewöhnlich in dem Hotel Disch statt, und dort tauchte auch regel­mäßig einer der ständigen Besucher der Kongresse auf, der seltsame junge Gelehrte Dr. Waldenburg. Dieser, ein Nachfolger Galls, hatte sich auf das Messen von Schädeln verlegt und schien im Begriff, eine neue Disziplin zu schaffen. Er hatte einen seltsamen Apparat konstruiert, den er unerbittlich jedem, der ihm in den Weg lief, auf den Kopf stülpte, um dann gewissenhaft die gewonnenen Meßresultate aufzuschreiben. Dieser Apparat hatte die Tücke, daß man sich von ihm nicht selbst befreien konnte. – Ich erinnere mich noch des Dr. Hahn aus Paris, wie er auf einem Kongreß entrüstet herumlief und allen Leuten zeigte, welche Wun­den ihm an seinem kahlen Schädel Waldenburgs Maschine beigebracht hätte. – Einmal kam ich in einem Nebenraum des Hotels Disch dazu, wie Schmarjahu Levin unter diesem Apparat stöhnte. Eiligst holte ich einige Damen herbei, – Frau Bodenheimer, Frau Weizmann – und schmiedete mit ihnen ein Komplott. Sie verwickelten Waldenburg, der ein sehr höflicher Mann war, in ein Gespräch, und er setzte in seiner überaus langsamen Sprechweise seine Methoden auseinander, während sie ihn langsam und unmerk­lich aus dem Zimmer leiteten. Levin fluchte und schrie vergeblich um Hilfe, in den Klammern jenes furchtbaren Appa­rates, bis schließlich Waldenburg sich doch seines Gefangenen erinnerte. – Übrigens hatte Waldenburg seinerzeit eine höchst gelehrte Broschüre veröffentlicht, betitelt „Die isocephale Rassen­theorie bei Hallig-Friesen und taubstummen Juden“. Er hatte sich zu Studienzwecken monatelang auf einer Hallig-Insel in der Nordsee niedergelassen, um durch Schädelmessen bei der Friesischen Bevölkerung, den typischen Germanen, Material für seine Theorie zu finden, daß nämlich der entartete jüdische Schädel ungefähr auf derselben Stufe stände wie der beste deutsche. Er war überzeugt, daß dieses Buch in keinem jüdischen Hause fehlen würde. Aber diese Erwartung erfüllte sich kaum, trotzdem jenem Werk ein gewaltiger Stammbaum einer friesischen Bauernfamilie als besondere Anziehung beigegeben war.

Für den Geist oder Ungeist, der in sogenannten liberalen Kreisen damals herrschte, ist wohl nichts bezeichnender als die Affäre des Rabbiners Emil Cohn. Emil Cohn, einer der wenigen zionistischen Rabbiner, hatte an einer Gedächtnisfeier für Herzl teilgenommen und wurde deshalb vor den Vorstand der Gemeinde zitiert. Als er das Recht der Rede- und Meinungsfreiheit für sich als Rabbiner in Anspruch nahm, erklärte ihm der Vorsitzende der Gemeinde, Herr Jacobi, brüsk: „Sie stehen bei uns in Lohn und Brot“ und bestritt ihm das Recht eigener Meinung. Da Cohn sich weigerte, sich zu unterwerfen, wurde er entlassen. Es setzte, und nicht nur bei den Zionisten, ein Sturm der Entrüstung ein, der auch in der nichtjüdischen Presse sein Echo fand. Franz Oppenheimer trat für den gemaßregelten Rabbiner ein, und sogar Maximilian Harden glossierte in einem Artikel „Rabbi Cohn“ das seltsame Verhalten der so reaktionären „Liberalen.“ In der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde gab es eine Interpellation. Der Syndikus der Gemeinde, Herr Justizrat Lilienthal, versuchte den Standpunkt des Vorstandes zu rechtfertigen. Unter anderem sagte er, – und diese Äußerung scheint mir charakteristisch für die seltsame Einstellung jener Zeit: „Herr Rabbiner Cohn, sagt, daß er über die Persönlichkeit Dr. Herzls gesprochen habe, ohne den Zionismus hervorzuheben. Kann man sich vorstellen, daß jemand über Kaiser Friedrich III. spricht, ohne über seine Stellung zum Antisemitismus zu sprechen?“ Diese merkwürdig kleinliche Auffassung, daß die Judenfrage auch für die Nichtjuden etwas so ungeheuer Wesentliches sei, hat sich bis in unsere Tage erhalten. Wenn die größten und schwierigsten Fragen der Weltpolitik auf der Tagesordnung stehen, glauben wir kleine jüdische Gemeinschaft sehr oft, daß unsere Angelegenheiten für die anderen ebenso wichtig sind wie für uns, während doch unser kleines Schiffchen neben den gewaltigen Riesenschiffen verschwindet. Ich muß da immer an eine Episode aus meiner Kindheit denken: Da wechselten wir die Wohnung, und als die Riesenkerle von Packern die gewaltigen Möbelstücke in den Wagen schoben, kam unser Kinderfräulein mit einem kleinen Fläschchen heran, reichte es den Riesen herüber: „Ach, bitte, sehen Sie doch zu, daß das Fläschchen nicht umfällt.“

Unter den Veranstaltungen, die wir in Ausnutzung der Affäre Cohn machten, ist mir eine Versammlung in der Viktoria-Brauerei in besonderer Erinnerung. Als Redner trat dort M. A. Klausner, unser erbitterter Gegner auf, der es aber in diesem Fall für seine Pflicht hielt, gegen jenen Vorstoß gegen die Gewissens- und Meinungsfreiheit aufzutreten. Der so überaus charakteristische Beginn seiner Rede ist mir wörtlich im Gedächtnis geblieben. Er sagte: „Es ist hier in Berlin schon feststehende Übung geworden, daß immer, wenn ein Apostel des Zionismus erscheint, ich nach ihm die Rednertribüne betrete, um ihn zu bekämpfen. Wieder ist ein Apostel des Zionismus aufgetreten in der Person des Herrn Syndikus Lilienthal; denn niemand kann den Zionisten jemals solch gute Propagandamittel liefern, wie es seine Rede getan hat. Als ich ihn hörte, erinnerte ich mich eines Vorkommnisses aus meiner Kindheit: damals erschien in meinem Heimatort in einer Schwurgerichtsverhandlung ein berühmter Verteidiger aus Berlin. Er hielt ein glänzendes Plädoyer, das mich aber einigermaßen befremdete. Ich wagte es, nach der Verhandlung an ihn heranzutreten und ihn zu fragen, wie es nur käme, daß er in seiner Rede über das Thema wenig gesagt hätte, sondern seine Redekunst über alle möglichen ganz außerhalb liegenden Dinge sich hätte verbreiten lassen. Der berühmte Advokat sagte mir: ‚Lieber junger Freund, es kam mir heute vor allem darauf an, die Herren Geschworenen mewulwel zu machen.‘ – „Ich sehe“, schloß Klausner diese Periode, „daß diese Tradition von Herrn Justizrat Lilienthal mit Erfolg fortgesetzt wird.“

Erinnerung an meine Jahre in Berlin

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