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Prologue – Pat

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Ich habe nie viel vom Leben erwartet. Wenn du als Katholik in Derry geboren wirst, begreifst du schnell, dass du nichts geschenkt bekommst. Im Gegenteil. Du lernst es zu schätzen, wenn du wenig hast. Denn wer nichts besitzt, kann nichts verlieren. Das war das Motto meiner Familie.

Wir lebten in keiner heilen Welt, sondern in einem vom Bürgerkrieg gebeutelten Land mit tiefen, blutigen Gräben zwischen den Bevölkerungsteilen. Anders als die meisten Menschen interessierten wir uns herzlich wenig für Materielles – was uns antrieb, war die Freiheit.

Mein Vater war ein radikaler Republikaner, ebenso mein Großvater und dessen Vater und vermutlich auch dessen Vater … Das Hauptthema in unserem Drecksloch von Sozialwohnung war also stets Politik: die Unterdrückung der katholischen Iren durch die protestantische, englische Besatzung und der Wunsch nach einem wiedervereinigten Irland. Bereits als Kind wurde mir eingetrichtert, dass es das Wertvollste im Leben war, wenn man das Recht besaß, tun und lassen zu können, was man wollte.

Mit diesem Background ist es wahrscheinlich nicht weiter verwunderlich, dass ich mich später der Real IRA anschloss. Wie meine Familie, meine Freunde und meine Kameraden hielt ich das Karfreitagsabkommen, das ›Friedensabkommen‹ von 1998, für einen faulen Kompromiss, eine Lüge, schlicht Bullshit. Der Kampf war damit nicht beendet, nicht für uns, die wir so lange gelitten und so viele Verluste hatten ertragen müssen.

Dass die ehemaligen Untergrundkämpfer zu Politikern geworden waren, enttäuschte mich maßlos. Was war mit unseren Freiheitskämpfern geschehen? Ich hatte damals noch kein einziges Härchen auf der Brust, aber ich beschloss dennoch, den Kampf für unsere Freiheit niemals aufzugeben. Denn es fühlte sich richtig an.

Mit Anfang zwanzig, ich war schon ein paar Jahre bei der RIRA, galt ich als einer der besten Bombenbauer unserer Gruppe. Leider läuft man, wenn man etwas besonders gut kann, oft Gefahr, dass Leute davon erfahren, die das lieber nicht wissen sollten. Ein solcher war beispielsweise der Spitzel, der sich bei uns eingeschleust hatte, den wir aber glücklicherweise enttarnen konnten, bevor er seine Aussage zu Protokoll gab. Dennoch brachte der Kerl eine Kette von Ereignissen in Gang, die meine gesamte Geschichte verändern sollte.

Eines Abends bastelten mein Kumpel Aiden und ich an einer Autobombe für eben jenen Spitzel. Schließlich musste er von der Bildfläche verschwinden, bevor er etwas ausplaudern konnte. Oder besser gesagt, ich bastelte, während Aiden auf mich einquasselte.

»Dass die Sinn Féin im Parlament hockt, bedeutet einen Scheiß, Mann. Das ändert doch nichts.« Er fuhr sich durch das fransige, blonde Haar und ging vor dem Tisch, an dem ich saß und versuchte zu arbeiten, auf und ab. »Im Grunde läuft alles wie bisher. Was wir hier tun, ist die einzige Möglichkeit, uns gegen das unfaire System zu wehren. Die Drecksprotestanten haben Schiss, dass wir zu mächtig werden. Die wollen, dass wir jetzt die Fresse halten und zufrieden sind. Aber ich tanz nicht nach deren Pfeife, nee, ich nich. Ich schwöre offiziell meine Treue zur 32-Grafschaften-Republik.«

»Alter«, ich sah vom Sprengstoff auf und lachte, »holst du auch mal Luft?«

Aiden blinzelte mich kurz an, ehe er zögerlich in mein Lachen einstimmte. Er redete sich oft in Rage, aber heute klang er fast schon verzweifelt.

»Ist alles okay bei dir?«, fragte ich geradeheraus.

Er atmete tief durch, stützte sich mit beiden Händen auf dem Tisch ab und sah mich schließlich an. In seinen Augen schimmerte die blanke Angst. »Darlene ist schwanger.«

»Fuck.« Das Wort brach aus mir heraus, bevor ich es verhindern konnte. Entschuldigend sah ich zu ihm auf, aber an seinem gequälten Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass ich seinen Gedanken laut ausgesprochen hatte. Das war eine Katastrophe für einen wie uns.

Je mehr du hast, desto mehr kann man dir nehmen – und Aiden hatte jetzt Familie, Menschen, die er beschützen musste, die er mehr liebte als sich selbst. Fuck. Das war exakt das richtige Wort für diese Misere.

Ich stellte mir die Situation furchtbar beängstigend vor. Für normale Männer war sie das schon, aber für uns, die wir einen blutigen Kampf für die Freiheit führten, war es eine Qual.

»Wirkt sich … das irgendwie aus?« Ich wusste nicht recht, wie ich es sonst formulieren sollte.

Er zuckte mit den Schultern und schüttelte gleichzeitig den Kopf. »Für die da draußen bin ich ein Terrorist. Will ich, dass mein Kind so aufwächst? Will ich, dass es … im schlimmsten Fall … ohne mich aufwächst?«

Wir sahen uns in die Augen, und obwohl ich mir deswegen wie der größte Scheißkerl vorkam, war ich in diesem Moment heilfroh, nicht er zu sein und seine Entscheidungen treffen zu müssen. Liebe verpflichtete. Aiden musste nun tun, was das Beste für seine Familie war.

Ich stand auf, legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte diese freundschaftlich. Keine Ahnung, was ich dazu sagen sollte. Ich hatte niemanden, musste auf keinen achten oder Rücksicht nehmen – und ganz ehrlich, ich war darüber noch nie so glücklich gewesen wie in diesem verdammten Augenblick.

Ich konnte Aiden ansehen, dass er mit sich und seinem Leben haderte. Er glaubte an unseren Kampf, aber er wusste, dass es vernünftiger war, ihn für seine Familie aufzugeben. Am liebsten hätte ich ihm geraten, dass er die beiden in die Republik schicken sollte, ahnte jedoch, dass das falsch war, also hielt ich einfach meine Klappe. Ich kannte mich mit so was nicht aus. Bisher hatte ich keine Frau getroffen, mit der ich länger als ein paar Wochen verbringen wollte.

Meine große Liebe war die Freiheit.

»Komm jetzt, lass uns den Schweinehund hochjagen.« Aiden löste sich von mir, schnappte sich seine Jacke und deutete auf die Treppe, die vom Keller nach oben führte. »Ich geb dir nachher bei O’Sheas einen aus.«

Ich freute mich nicht gerade darauf, das Gespräch fortzusetzen, weil ich der wohl ungeeignetste Kerl überhaupt dafür war. Aber Aiden war mein Kumpel, natürlich wollte ich für ihn da sein. Und egal, wofür er sich letztlich entscheiden würde, ich würde es akzeptieren und ihn unterstützen. Es war sein Leben, nicht meins.

Also nickte ich, packte unsere Bombe vorsichtig ein und folgte ihm nach oben. Wir verließen sein Haus, gingen zum Auto des Spitzels und koppelten den Sprengstoff mit der Zündung. Alles lief glatt, keiner bemerkte uns. Wir waren bereits auf dem Weg zum Pub, als der schreckliche Unfall passierte.

Aiden hatte sich erneut in Rage geredet. Er gestikulierte wild, sprach laut und schaute nicht auf die Straße, als er sie überqueren wollte. Ich sah den Laster wie in Zeitlupe auf ihn zurasen, aber ich konnte nicht reagieren. Hilflos sah ich dabei zu, wie mein bester Freund vom Kühler erwischt und mitgeschleift wurde. Die blutige Spur auf dem Asphalt war noch Tage später zu sehen.

Letztlich starb er nicht in seinem Kampf für die Sache, sondern weil ein verfluchter Siebentonner ihn gerammt hatte. Was für ein unnötiger, sinnloser Tod.

Ein paar Tage später stand ich neben der schwangeren Darlene am Grab. Aidens Freundin war nicht nur seelisch zerstört, sie wusste nicht, was sie machen, wo sie hin und wie sie sich und das Baby ohne den Hauptverdiener über Wasser halten sollte. Ihre Verzweiflung zerriss mir das Herz.

Während sie neben mir schniefte und schluchzte, nahm ich mir vor, niemanden je in diese Lage zu bringen. Ich wollte mich und mein Leben keiner Frau aufbürden, um sie am Ende allein und traurig zurückzulassen. Mir war es lieber, frei zu bleiben und auch keinem anderen Menschen die Freiheit zu nehmen.

Die Bullen hatten zwar keine Beweise mehr nach dem Tod des Spitzels, im Visier hatten sie mich dennoch, daher beschloss ich, mich für eine Weile zu verdrücken. Ich ging in die USA und landete zunächst in einer Art Auffanglager für geflohene IRA-Kämpfer. Da ich schon damals eine einschüchternde Statur besaß und nicht auf den Mund gefallen war, übernahm ich rasch eine Aufgabe, und zwar die als Mittelsmann zwischen RIRA und den Advocates. So traf ich auf Syd, der wohl Mitleid mit mir hatte und mir einen Job und das Hinterzimmer des Clubhaus’ zum Pennen anbot. Auf diese Weise kam ich aus dem Matratzenlager raus, das ich mir mit ungefähr zwanzig Iren teilen musste. Und weil Syd und ich schnell merkten, dass wir einen Draht zueinander hatten, wurde ich bald vom Mittelsmann zum Member und richtete mir schließlich ein neues Leben in Wolfville ein.

So lief es eben – irgendetwas ergab sich immer, man musste nur ein wenig Vertrauen haben. Aber am Ende kam alles, wie es kommen sollte.

Die meisten Leute verstanden meine Art zu denken nicht. Wie konnte ich glücklich sein, in einem Wohncontainer, die meiste Zeit über nicht wissend, von wem ich meinen nächsten Lohnscheck erhalte? Ich fragte mich jedoch, wieso mir zu meinem Glück eine bestimmte Quadratmeterzahl oder ein Flachbildfernseher fehlen sollten. Kam doch eh nur scheiße in der Glotze. Außerdem ist es in Wahrheit so, dass die Dinge, die du besitzt, am Ende vielmehr dich besitzen. Auch Besitz ist eine Sucht.

Ich hatte ein Dach überm Kopf, ich hatte Kleider am Leib und Essen im Kühlschrank. Arbeit gab es immer irgendwo, und solange ich mir mein Bike und Sprit leisten konnte, war alles in Butter. Ich hatte den Club, ich hatte kein Problem damit, mir morgens im Spiegel in die Augen zu sehen und – das Wichtigste von allem – ich hatte meine Freiheit. Ich war zufrieden, obwohl mir die Leute einreden wollten, ich sollte es nicht sein. Vor allem die Mädels …

Keine Ahnung, woran es lag, aber irgendwie machte ich auf die meisten Frauen den Eindruck, dass ich aus meinem einsamen, lieblosen Dasein gerettet werden müsste. Dabei machte ich nie ein Geheimnis daraus, dass ich mit den Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts nur eine gute Zeit verbringen wollte, aber kein Mann für eine feste Sache war. Dennoch glaubten mir die wenigsten. Sie dachten, wenn ich sie erst einmal kennenlernte, würde mich das umstimmen. Tja, und am Ende war ich dann derjenige, der Ohrfeigen kassierte, weil sie sich selbst etwas vorgemacht hatten.

Ich glaube, im tiefsten Inneren hat mich die Sache mit Aiden immer blockiert. Seine Überlegungen, sein früher Tod, der Anblick von Darlene auf seiner Beerdigung … Ich wollte das alles nicht.

Doch dann kam diese Frau, die mich überraschend mitten ins Herz traf. Isabella war so tough, hatte diese Art von tiefen, dunklen Augen, bei denen man sofort die dahinter verborgenen Geheimnisse ergründen will. Sie verstellte sich nicht, um mir zu gefallen, sie war echt. Und sie hatte kein Interesse daran, mich zu retten oder zu verbiegen. Sie sah mich, wie ich wirklich war, sie respektierte mich, wie ich wirklich war, und mehr noch, sie beneidete mich für meine Art zu leben.

Ich hatte mich rettungslos in diese Frau verliebt, schon bevor ich überhaupt kapierte, was da eigentlich gerade mit mir geschah. Und obwohl das Ganze scheiß kompliziert hätte sein müssen, fühlte es sich mit ihr einfach nur leicht an. Als müsste es genau so sein.

Zum ersten Mal in meinem Leben gab es da etwas, das mir wichtig war, das ich unbedingt behalten wollte. Etwas, das ich nie gewollt hatte, aber das sich jetzt ganz anders anfühlte als gedacht. Isa war keine Bürde. Durch sie verstand ich auf einmal, dass Liebe nicht das Ende der Freiheit bedeutete. Sie war vielmehr ein Teil davon. Der Teil, der mir bisher zu meinem Glück gefehlt hatte. Und als ich das begriff, verlor ich sie auch schon.

Ich hatte wochenlang ein ungutes Gefühl gehabt. Als ich jedoch Ramirez’ Gesicht sah, an dem Abend, an dem die Clubs sich trafen, da wusste ich, dass es Krieg geben würde. Dann zog der Idiot seine Knarre, und ich hätte ihn am liebsten gepackt, geschüttelt und angebrüllt, weil er damit alles zerstörte, was ich mir die vergangenen Wochen aufgebaut hatte: Meine Beziehung zu seiner Schwester und die Freiheit, lieben zu dürfen, wen ich wollte. Er entriss mir diesen einen neuen, wichtig gewordenen Teil von mir, der schon fest mit mir verwachsen war, und ließ mich blutend zurück.

Ich hatte immer daran geglaubt, dass alles so kommen würde, wie es kommen musste. Bis zu diesem Tag. Ich konnte es schlichtweg nicht akzeptieren, dass die Frau, die mir die Welt bedeutete, plötzlich mein Feind war.

Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie ich diese Scheiße wieder hinbiegen sollte. Aber ich musste es schaffen. Ich wollte Isabella nicht verlieren; ich hatte sie doch erst gefunden.

Ich würde dafür kämpfen, dass wir zusammen frei sein konnten, das schwor ich mir. Und wenn es mich den Kopf kostete.

Biker Tales: In der Liebe und im Krieg

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