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Chapter Nine – The Wrong Route

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Das Wochenende war für Isa eine einzige Gefühlsachterbahn. Abwechselnd weinte und fluchte sie, kümmerte sich um ihren Bruder, dachte an Patrick und sorgte sich um ihrer aller Zukunft.

Sie versuchte, wütend auf beide zu sein. Aber sie konnte es einfach nicht. Sie liebte sie zu sehr. Außerdem verstand sie ihren Bruder, konnte nachvollziehen, warum er so gehandelt hatte. Obwohl sie gleichzeitig sicher war, dass Patrick sie nicht anlog. Was für ein Dilemma!

Jedes Mal, wenn sie Nando im Bett liegen sah, so schwach und verletzlich, formte sich ein dicker Kloß in Isas Kehle. Sie hasste es, nicht mehr für ihn tun zu können, als Essen zu kochen und ihm das Kissen aufzuschütteln. Das Gefühl, nutzlos zu sein, machte sie krank. Schlimmer war nur, dass Patrick ihre Anrufe und Nachrichten ignorierte.

Vermutlich wollte er es ihnen beiden damit leichter machen, aber Isa musste dringend mit ihm sprechen. Nicht nur, weil der Gedanke daran, ihn niemals wiederzusehen, so sehr weh tat, dass sie glaubte, ihr würde bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust gerissen. Sondern hauptsächlich, weil sie herausfinden musste, was wirklich zwischen den Clubs geschehen war.

Einige Male war sie kurz davor gewesen, Fredo ihre Beziehung zu Patrick zu beichten und ihn um Beistand und Gehör zu bitten. Aber letztlich hatte sie der Mut verlassen. Sie musste es schaffen, dass die Männer diese Sache unter sich klärten, denn in dieser aufgeheizten Atmosphäre wäre es bestimmt nicht hilfreich, wenn sie auch noch von Isas Verrat erfuhren. Sie war sicher, genauso würden sie ihre Liebe momentan bezeichnen: als Verrat an den Bribones. Und Isa fühlte sich tatsächlich gerade mächtig schuldig. Jedes Mal, wenn eine der old Ladys Maisbrot vorbeibrachte, wenn ein Prospect für sie zur Apotheke fuhr, wenn die Member ihr versicherten, sie müsse nur anrufen, sollte sie etwas brauchen ... Das war die andere Seite des Clubs: die Gemeinschaft, die Familie.

»Ich hoffe, sie weiß, dass wir alle für sie da sind«, hatte Maria am Samstag gesagt. Fredos old Lady war gekommen, um ihrem Mann eine Tasche mit Wechselkleidung vorbeizubringen, weil er vorhatte, Nando und Isa zu unterstützen, bis sein Bro und President wieder aufrecht stand.

Isa hatte ihr Gespräch im Flur zufällig belauscht. Und die Worte hatten sich tief in ihre Seele geschnitten.

»Ich wüsste nicht, was ich ohne den Rückhalt der Frauen machen würde.« Marias Mitgefühl war deutlich zu hören gewesen. »Man braucht doch Familie … wieso weist sie den Club nur immer ab?«

»Nach allem, was ihr Vater abgezogen hat, kann ich sie verstehen«, hatte Fredo geantwortet. »Sie kennt nur diese eine Seite, Maria. Aber sie wird irgendwann merken, dass ihr Bruder nicht so ist. Dass wir alle nicht so sind. Lass ihr ein wenig Zeit.«

»Ich möchte mich nicht aufdrängen, aber sag ihr bitte, dass ich für sie da bin.«

»Das weiß sie.«

Nein, das hatte Isa nicht gewusst. Wie viel Unterstützung und Mitgefühl sie erhalten würde, hatte sie nicht gewusst. Sie war in ihr Zimmer gegangen, hatte sich aufs Bett gelegt und war in Tränen ausgebrochen. Weil sie sich so schuldig fühlte. Nicht einmal wegen ihrer Beziehung zu einem Advocate, sondern wegen ihrer Nicht-Beziehung zu den Bribones.

All die bedingungslose Liebe, die sie in dieser furchtbaren Zeit so deutlich spürte, hatte sie nie gewürdigt. Schlimmer noch, sie hatte sie kategorisch abgelehnt.

An diesem Wochenende schwor sich Isa, wiedergutzumachen, was sie bisher versäumt hatte. Sie würde ihre Familie endlich akzeptieren, sie würde sie beschützen, wie sie immer beschützt worden war, und deshalb würde sie alles tun, um diesen Krieg zu beenden.

*

Am Montag ging Isa wie gewohnt zur Arbeit. Nando hatte sie zwar gebeten, es nicht zu tun, aber sie hatte ihrem Bruder klargemacht, dass sie nicht tagelang in diesem Haus hocken und sich sorgen konnte. Das ertrug sie nicht. Dazu kam, dass sie ständig ihr Handy anstarrte, in der Hoffnung, Patrick würde doch noch zurückrufen. Nein, sie musste raus, etwas anderes sehen, auf andere Gedanken kommen.

Das klappte ganze dreißig Minuten lang.

»Stimmt es?« Pru stürmte in Isas Büro. Sie wirkte aufgekratzt, und hektische rote Flecken zierten ihre Wangen. »Gibt es einen Rockerkrieg?«

»Pst!« Isa wedelte mit der Hand, bis ihre Kollegin endlich die Tür hinter sich schloss. »Estás loca?«

»Die werden es sowieso bald alle erfahren.« Sie griff nach dem Stuhl in der Ecke, stellte ihn vor Isas Schreibtisch und ließ sich darauf fallen. »Spätestens, wenn ein paar finstere Typen mit AKs und Uzis hier einmarschieren.«

»Woher hast du das?«

»Ich bin die Tochter eines Polizisten.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich höre Dinge.«

Isa lehnte sich auf ihre Unterarme und hob eine Braue. Pru sprach nie mehr als nötig mit ihrem Vater, das wusste sie. Die beiden hatten ein schwieriges Verhältnis, und früher hatte Isa erst geglaubt, Pru hatte sich nur mit ihr angefreundet, um ihren Vater zu ärgern.

»Du hast wieder den Polizeifunk angezapft«, nahm Isa an. »Was haben sie gesagt?«

»Jemand will Schüsse gehört haben. Daraufhin hat die Streife Patronenhülsen, Reifen- und Blutspuren im Grenzgebiet zwischen Advocate- und Bribon-Gebiet gefunden.« Pru hob die Mundwinkel, aber ihr Lächeln wirkte nicht gerade amüsiert. »Ich bin nicht Sherlock Holmes, kann mir allerdings denken, was los ist.«

Isa ließ den Kopf hängen. Damit wurde die Polizei zu einem weiteren Beteiligten des Krieges. Oft drückten die Beamten beide Augen zu, wenn es um die Bribones ging, einige von ihnen standen immerhin auf der Gehaltsliste des Clubs, aber einen Krieg konnten sie nicht einfach ignorieren.

»Was ist passiert, Isa? Gab es Streit? Wurde jemand ernsthaft verletzt?«

Isa schaute in die besorgten Augen ihrer Freundin und konnte ihre Verzweiflung plötzlich nicht mehr zurückhalten. Sie vergrub das Gesicht in den Händen und schluchzte auf.

»Hey, was ist denn?« Pru kam hinter den Schreibtisch und schloss Isa in die Arme. »Geht es Nando gut?«

»Er wird wieder.« Sie löste sich vorsichtig von ihrer Freundin, holte zitternd Luft und wischte sich die Tränen von den Wangen. »Es gab eine Schießerei. Mein Bruder wurde angeschossen.«

»Scheiße!«

»Der Frieden zwischen Advocates und Bribones besteht nicht länger. Sie sind wieder Feinde, und es wird Krieg geben.« Einmal angefangen, konnte sie nicht mehr aufhören zu reden. Was sie quälte, musste endlich raus. »Und ich liebe einen von ihnen.«

Pru schob die Brauen zusammen. »Wie? Einen von wem?«

»Den Advocates. Patrick gehört zu ihnen.«

Jetzt war es raus. Die Bombe war geplatzt, und der Detonation folgten eisiges Schweigen und unangenehmer Stillstand.

Pru starrte Isa eine gefühlte Ewigkeit an, dann blinzelte sie, als erwachte sie aus einem Traum. »Nein«, hauchte sie. »Ich glaube, ich muss mich setzen.«

»Bitte.« Isa deutete auf den Stuhl, und Pru folgte ihrer Anweisung.

»Nein«, sagte sie wieder und hielt sich an den Armlehnen fest. »Du … du hast etwas mit einem Advocate? Du?« Sie lachte auf. »Das ist … also das … Wie ist das denn passiert?«

Isa konnte lediglich mit den Schultern zucken. Vermutlich war es ein Fehler gewesen, Pru davon zu erzählen, dennoch fühlte sie sich jetzt um Tonnen leichter.

»Nein, ernsthaft, erzähl mir, wie ihr euch kennengelernt habt.« Ihre Augen blitzten vor Neugier auf. »Ich meine, das erklärt so manches. Aber … oh, Mann!«

»Ich weiß nicht, es war nicht geplant.«

»Na, darauf wette ich.«

»Er hat meine Freundin Emma einmal zu einem Treffen mit mir gefahren, und daraufhin haben wir uns mehr oder weniger zufällig ein paar Mal gesehen.« Isa zuckte wieder mit den Schultern. »Keine Ahnung, auf einmal waren wir in diesem Motel in der Wüste, und er hat mir gesagt, dass er mich liebt.« Mit ihrem Blick flehte sie um Verständnis. »Es ist irgendwie passiert. Vielleicht war ich vorübergehend unzurechnungsfähig.«

»Oder verliebt.« Pru grinste.

»Kommt aufs Gleiche raus, schätze ich.«

»Heilige Scheiße.« Pru lachte laut auf. »Wie verrückt!«

»Findest du das etwa witzig?«

»Nein, ganz und gar nicht.« Sie gluckste. »Ich weiß nicht, wieso ich lachen muss. Wahrscheinlich, weil das absolut irre ist und deshalb überhaupt nicht zu dir passt.« Sie sprang auf, kam erneut zu Isa hinter den Tisch und setzte sich auf die Kante. »Wie ist er so?«

»Groß und weiß.«

Pru lachte erneut auf. »Wow, geiler Typ. Nach deinen Erzählungen kann ich ihn mir lebhaft vorstellen.«

»Hörst du mir nicht zu? Er ist ein Advocate.« Isa seufzte. »Es tut schon weh, an ihn zu denken, wie könnte ich dir da von ihm erzählen?« Wieder kamen ihr die Tränen, trotzig wischte sie sie fort. Was war nur los mit ihr? Sonst war sie nicht so eine Heulboje.

»Es tut mir so leid, Chica.« Pru streichelte sanft mit einer Hand über ihre Wange. »Aber es muss dir doch von Anfang an klar gewesen sein, dass es nicht für die Ewigkeit ist, wenn du dich in einen von denen verliebst.«

»Ich habe immer geglaubt, dass nicht alles für die Ewigkeit sein muss.«

Pru legte den Kopf schief und lächelte sie traurig an. »Nein, das ist, was ich glaube. Du hast dir meine Überzeugung nur ausgeliehen.«

Sie hatte recht. Isa hatte Prus Art zu lieben ausprobiert - und sehr schnell für nicht passend befunden. »Ich habe geglaubt, dass unsere Verbindung die Freundschaft der Clubs vertiefen, ein besseres Verständnis und größeres Vertrauen schaffen könnte.«

Pru nickte. »Utopisch, aber dass klingt schon eher nach dir. Und was willst du jetzt tun?«

Isa lehnte sich in ihrem Bürostuhl zurück und massierte sich die Stirn. »Die Männer erzählen unterschiedliche Geschichten, und ich muss herausfinden, welche wahr ist. Ich vermute, dass dieser Krieg aus Missverständnissen entsprungen ist. Aber dazu müsste ich mit Patrick sprechen, der mich komplett ignoriert.«

»Hast du nicht eine Freundin dort? Kannst du ihr vertrauen?«

Richtig, Emma. In der Aufregung hatte Isa sie völlig vergessen. »Egal, was die Männer umtreibt, sie wird immer meine Freundin sein.«

»Na, dann rede doch mit ihr.«

Wahrscheinlich war Emma ebenso ratlos wie sie, aber Isa konnte über ihre Freundin an Patrick rankommen. Ob sie dabei von ihrer Beziehung erfuhr, spielte nun, da sie vorbei war, ohnehin keine Rolle mehr. »Danke, Pru.«

»Halt mich dafür einfach auf dem Laufenden, ja?« Sie zwinkerte ihr zu. »Ich würde gern wissen, wann ich den Kopf einziehen muss.«

»Geht klar.«

»Ich wünsche dir, dass du mit deinem großen Weißen glücklich werden darfst.« Grinsend stand sie auf. »Ich will den Kerl unbedingt kennenlernen, der den sonst so kühlen Kopf von Isabella Ramirez verdreht hat.«

»Du würdest ihn mögen.« Isa lächelte, obwohl ihr nicht im Geringsten danach war. »Patrick ist der lustigste Mensch, den ich kenne. Mit ihm zusammen zu sein ist leicht.«

Einmal mehr liefen ihr Tränen über die Wangen. Von dem kühlen Kopf war derzeit nichts zu sehen, Isa hatte vielmehr das Gefühl, sie quoll vor Emotionen über. So durcheinander war sie noch nie zuvor gewesen.

*

Nach der Arbeit bummelte Isa über den Bürgersteig in Richtung Parkplatz, genoss die Sonne auf ihrem Gesicht und atmete die warme Luft ein. Sie erlaubte sich ein klein wenig Hoffnung.

Es gab Opfer auf beiden Seiten, ja, aber noch war es nicht zu spät, um das Verhältnis zu kitten. Niemand wollte diesen Streit, und sicherlich würden sich alle, wenn auch zähneknirschend, auf einen Kompromiss einlassen. Falls Isa die Wahrheit aufdeckte. Und wenn diese nicht noch schlimmer war als die jetzige Annahme.

Sie setzte sich in ihr Auto, zog das Handy aus ihrer Handtasche und wählte Emmas Nummer an. Es klingelte ungefähr ein Dutzend Mal, ehe das Gespräch endlich angenommen wurde.

»Hallo?« Selbst diesem einen Wort war die Überraschung ihrer Freundin anzuhören.

»Hola.« Isa holte tief Luft. »Kannst du reden?«

»Warte einen Moment.« Es raschelte, und ein dumpfes Murmeln erklang im Hintergrund. Dann hörte Isa eine sich schließende Tür. »Scheiße, Isa, wie geht es dir?«

»Wesentlich besser als meinem Bruder«, scherzte sie lahm. Da am anderen Ende der Leitung betretenes Schweigen herrschte, fügte sie hinzu: »Er wird es überleben.«

»Dann geht es ihm wiederum wesentlich besser als Woods.«

Isa spürte einen Stich im Herzen, und einmal mehr schossen ihr die Tränen in die Augen. Der Name sagte ihr nichts, aber der Mensch, den ihr Bruder auf dem Gewissen hatte, der Mensch, der von seinem Club geliebt worden war, kam ihr nun realer vor. Gewaltsam schluckte sie den Kloß in ihrer Kehle runter und räusperte sich. »Es tut mir so wahnsinnig leid.«

»Mir auch.« Emma klang verzweifelt. »Was sollen wir nur tun? Lässt sich dein Bruder irgendwie umstimmen?«

»Lässt sich dein President umstimmen?«

Zur Antwort machte Emma ein Geräusch, das sich wie eine Mischung aus Schnauben und Lachen anhörte. Sie ahnte wohl ebenfalls, dass hier etwas nicht stimmte.

»Hör zu, dieses Mal muss ich dich um einen Gefallen bitten.« Isa räusperte sich noch einmal. »Können wir uns treffen?«

»Was? Du weißt schon, was gerade auf den Straßen los ist, oder?«

Isa trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad des Impala und schaute auf die Straße, wo just in diesem Augenblick zwei Motorräder um die Ecke bogen. Am Color erkannte sie die Mitglieder eines Supporterclubs der Bribones. Sie schwieg, bis sie am Parkplatz vorbeigefahren waren und die lauten Motorengeräusche nicht mehr in ihren Ohren dröhnten.

»Leih dir einen unauffälligen Wagen«, schlug Isa vor, die sich an den knallroten Honda Civic erinnerte, den Emma fuhr. »Ich kenne einen relativ abgelegenen Treffpunkt. Komm morgen Abend um halb sechs dort hin.«

»Was? Wohin, Isa? Und wie soll ich …?«

»Patrick kennt den Ort.« Isas Herz klopfte wie ein Vorschlaghammer gegen ihre Rippen. »Ich muss euch beide sehen.«

»Patr... Patrick? O’Reilly?«, stotterte Emma, und ihre Stimme überschlug sich beinahe vor Entsetzen.

»Es ist wirklich wichtig, Emma. Bitte lass mich nicht hängen.«

»Was? Moment, was …«

Isa beendete das Gespräch, warf das Handy auf den Beifahrersitz und fuhr sich mit beiden Händen durch ihre Haare. Hoffentlich brachte ihre Freundin Pat dazu, mitzukommen. Aber selbst wenn nicht, so würde sie wenigstens Emma auf ihre Seite ziehen und mit ihr herausfinden können, was wirklich abgelaufen war. Und dann mussten sie es nur noch schaffen, diese sturen Outlaws von der Wahrheit zu überzeugen.

Isa seufzte. Leichter ging wohl nur ein Kamel durch ein Nadelöhr …

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