Читать книгу Biker Tales: In der Liebe und im Krieg - Sandra Binder - Страница 8
Interlude – One Less Brother
ОглавлениеEmma konnte einfach nicht aufzuhören zu weinen. Sie saß auf der Couch im Clubhaus und jedes Mal, wenn sie zur Theke hinüberschaute, wurde sie von einem erneuten Heulkrampf geschüttelt. Sie würde ihn dort nie mehr sehen.
Bea hatte einen Arm um ihre Schultern gelegt, ihr Griff war jedoch so eisern, dass er nicht wirklich beruhigend wirkte. Auch in ihren Augen schimmerten Tränen, aber sie ließ ihrer Trauer dadurch freien Lauf, indem sie immer wieder vor sich hin fluchte und schimpfte.
Keiner von ihnen hatte geahnt, dass das Treffen mit den Bribones auf diese Weise enden würde. Emma hatte Fernando für umsichtiger und versöhnlicher gehalten – immerhin war er ein Familienmensch. Aber er war es gewesen, der eine Schießerei und damit den Krieg angefangen hatte.
Emma atmete tief durch, um den Klumpen, zu dem ihr Herz zusammengeschrumpft war, ein wenig zu lockern. Dann schaute sie zu Scar auf, der sich in dem Moment neben sie setzte und ihr eine Tasse in die Hand drückte. Tee, wie es aussah.
Mit der anderen Hand griff sie nach seinen Fingern und blickte ihm tief in die eisblauen Augen, sagte sich noch einmal, dass er wirklich hier war. Sie schämte sich wahnsinnig für das Gefühl, aber sie war erleichtert, weil er gestern Nacht nach Hause gekommen war. Erleichtert, weil es nicht ihn erwischt hatte.
Er küsste sie sanft auf die Wange und legte ihre ineinander verschlungenen Hände auf ihren Schenkel. Trotz seinen liebevollen Versuchen, sie zu trösten, war ihm die Wut, die er im Bauch trug, deutlich anzusehen. Seine Miene war eine düstere, steinerne Maske.
Emma nippte an dem Tee, ehe sie ihn vor sich auf dem Couchtisch abstellte und sich stattdessen ein Taschentuch nahm, um sich die Tränen vom Gesicht zu wischen und die Nase zu putzen. Dabei fiel ihr Blick erneut auf die Theke, aber sie riss sich zusammen, um nicht wieder loszuheulen.
Sie hatte Woods erst seit einem knappen Jahr gekannt, seither allerdings viel Zeit mit ihm hinter der Bar verbracht. Er war so ein lieber Kerl gewesen. Hilfsbereit, lustig, loyal. Und so jung …
Dass er nicht mehr da war, wollte einfach nicht in ihren Kopf.
Sie schaute zu Everly hinüber, die sich am Stehtisch festkrallte und Woods’ Kutte anstarrte, die über einem Stuhl neben ihr hing. Ihr dunkles Haar war zerzaust, vermutlich hatte sie es heute noch nicht gekämmt, und ihre Wangen waren aschfahl.
Woods hatte sich geirrt. Er war ihr sehr wohl aufgefallen. Aber dieser schüchterne Idiot wollte damit warten, ihr näherzukommen, bis er Member war. Am liebsten würde Emma bei dem Gedanken erneut in Tränen ausbrechen, stattdessen atmete sie durch und wandte sich Scar zu.
»Hat schon jemand mit seiner Mutter gesprochen?«, fragte sie zittrig. Sie wusste, dass Woods ein sehr gutes Verhältnis zu ihr gehabt hatte, obwohl sie auf der anderen Seite des Landes in New Jersey lebte.
»Syd hat sie angerufen.« Scar fuhr sich durch die Haare. »Sie will, dass die Beisetzung hier stattfindet und hat um Hilfe gebeten.«
»Die arme Frau …«
»Verdammt, er konnte keiner Fliege was zuleide tun.« Beas Stimme bebte vor Zorn. Sie schüttelte schnaubend den Kopf. »Dieser scheiß Wichser knallt ihn einfach ab. Ohne mit der Wimper zu zucken. Wie kann man so ein Arschloch sein? Scheiße!«
Wie anders die Menschen doch mit ihrer Trauer umgingen. Während Emma sich gern zusammenrollen und stundenlang heulen würde, fluchte Bea am laufenden Band und sah aus, als wollte sie irgendetwas kurz und klein schlagen. Und Scar war still wie immer und … schüttelte kaum merklich den Kopf.
Emma stupste ihn mit dem Ellbogen an. »Worüber denkst du nach?«
»Es passt nicht«, murmelte er und massierte sich die Stirn. »Was Ramirez getan hat, überraschte uns alle. Er ist eigentlich nicht so.«
»Man kann sich gewaltig in den Menschen täuschen«, gab Bea zu bedenken.
»Passiert mir äußerst selten.«
Bea erwiderte seinen durchdringenden Blick, dann ließ sie sich in die Couch zurückfallen und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie konnte im Moment offenbar nicht über Hintergründe nachdenken, sondern wollte wütend sein, brauchte es vermutlich sogar, um nicht zusammenzubrechen.
Emma nippte erneut an ihrem Tee und rief sich Fernando Ramirez’ Gesicht ins Gedächtnis. Als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte – es war auf einer Party der Clubs –, dachte sie: Verdammte Scheiße, ist dieser Typ heiß. Sie erinnerte sich, als wäre es gestern gewesen.
Nando hatte etwas Raubtierhaftes an sich, wie er so aufrecht an der Tür gestanden und die Lage sondiert hatte. Seine Ausstrahlung war gefährlich, seine Bewegungen geschmeidig, seine Gesichtszüge scharf und klar, wie gemalt. Er war ein umwerfend gutaussehender Mann, der Emma durch seine Haltung stets ein wenig an einen Baron aus früheren Zeiten erinnerte, aber davon ließen sich schließlich keine Rückschlüsse auf seinen Charakter ziehen.
So richtig kennengelernt hatte sie ihn nie, nur von ihm gehört. Die Jungs sagten über ihn, er rede wenig, und wenn, dann eher leise. Aber er war bisher immer loyal an ihrer Seite gestanden, sobald etwas anlag, und hatte dafür nie eine Gegenleistung erwartet. Von Isa wusste sie, dass er ein liebevoller Vater war und so oft es ging, mit der Familie zusammen sein wollte.
Wieso hatte er den Advocates Frieden angeboten und ihnen immer wieder geholfen, wenn er in Wahrheit den Krieg geplant hatte? Das ergab keinen Sinn, da musste Emma ihrem Freund recht geben.
»Was machen die nur so lange?« Bea lehnte sich wieder nach vorn und schielte an Emma und Scar vorbei in Richtung Nebenzimmer.
»Es ist nicht leicht zu entscheiden, wie es weitergehen soll«, meinte Scar und folgte ihrem Blick. »Jetzt geht es nicht mehr nur um uns, sondern um unsere Familien, um die Stadt, das ganze Gebiet.«
Emma knabberte an einem Fingernagel – eine Gewohnheit, die sie eigentlich längst abgelegt hatte. Syd, Blaze und Pat waren seit Stunden im Nebenzimmer und diskutierten das weitere Vorgehen. President, VP und Sergeant-at-Arms entschieden letztlich, welche Optionen sie den Membern zur Abstimmung anbieten sollten. Sofern es überhaupt eine gab …
Wenn Syd eine Möglichkeit fand, die Demokratie zu umgehen, würde er es tun, so viel stand fest. Emma schauderte, als sie sich an seinen Gesichtsausdruck erinnerte. Die türkisfarbenen Augen hatten förmlich gelodert, und trotz seiner Versuche, es zu verstecken, war sein Grinsen nur zu deutlich gewesen. Er hasste die Mexikaner mit brennender Leidenschaft. Mit Woods’ Tod hatte er einen schlagenden Grund für seine Rache an ihnen.
Blaze hatte wie sein Pres vor wilder Energie gestrotzt und den Anschein gemacht, als wäre er zu allem bereit, im Gegensatz zu Pat. Müde und niedergeschlagen war er hinter den beiden hergetrottet und hatte gewirkt, als wollte er am liebsten ganz woanders sein. Emma konnte ihn gut verstehen. Sie fühlte sich ebenso, wie er ausgesehen hatte.
Sie war erst zu den Advocates gekommen, als die Clubs schon Frieden geschlossen hatten, aber sie konnte sich noch an Zeitungsartikel und Fernsehberichte erinnern, die von dem Rockerkrieg berichteten. In Vegas hatten damals bürgerkriegsähnliche Zustände geherrscht. Es gab blutige Überfälle auf Member und deren Angehörige, Schießereien auf offener Straße, Drive-bys am helllichten Tag.
Emma schüttelte sich. Es konnte doch keiner wirklich wollen, dass sie dahin zurückgingen? Und dann auch noch wegen einer Lappalie wie einer einbehaltenen Drogenlieferung. Fernando müsste nur seine Schulden begleichen, wieso reagierte er stattdessen derart über?
Emma war so in ihre Gedanken versunken gewesen, sie hatte nicht gemerkt, dass Syd im Raum stand, ehe er die Stimme erhob.
»Wir befinden uns im Krieg, Ladys und Gentlemen.« Er schaute durch die Runde, erwartete offenbar Widerworte, rang sie jedoch von vorneherein mit seinem durchdringenden Blick nieder. »Ihr werdet mir wohl alle zustimmen, wenn ich sage, wir müssen uns und unsere Lieben beschützen. Den Mutterclub habe ich bereits informiert, die Ghosts und die Devils sind unterwegs, um uns beizustehen. Jetzt gilt es, Stärke zu zeigen.«
B, der mit grimmiger Miene neben ihm stand, nickte bedeutungsvoll. »Wir brauchen Schlafplätze für unsere Supporter. Wer jemanden aufnehmen kann, meldet sich nachher bitte.«
»Die Bohnenfresser sind uns voraus«, erzählte Syd. »Sie und ihre Supporter patrouillieren seit Tagen durch die Gegend. Ich sage euch, die haben das von langer Hand geplant.«
»Wird höchste Zeit, dass wir reagieren«, warf Smitty ein und schlug mit der Faust in seine Handfläche.
Zustimmendes Raunen ging durch den Raum. Emma sah sich in den Reihen ihrer Familie um und konnte nicht fassen, was hier gerade geschah. Sie nickten einfach ab, was der Pres sagte.
»Die Ladys gehen jetzt bitte und bereiten alles vor«, Blaze winkte Bea zu sich und legte einen Arm um ihre Schultern. »Bringt die Familien zusammen, schickt weg, wen ihr wegschicken wollt. Aber verliert keine Zeit. Die Lage ist ernst.«
Emma blinzelte und versuchte den B in ihm zu erkennen, den sie kannte. Aber es gelang ihr nicht. Er hatte sich entschieden – dafür, an Syds Seite zu stehen und diesen blutigen Krieg zu führen.
Erst jetzt merkte Emma, wie sehr sie sich gewünscht hatte, dass die Advocates einfach aufgeben und den Bribones ihr Gebiet überlassen würden. Aber so funktionierte die Welt, in der sie lebten, eben nicht.
Sie stand auf und ging langsam auf den Nebenraum zu. Die Männer bemerkten sie nicht, sie waren viel zu sehr damit beschäftigt, ihrer aller Untergang zu planen. Alle bis auf einen.
Vorsichtig schielte Emma in den Raum, wo Pat, das Gesicht in die Hände vergraben, am Tisch saß. Er wirkte besiegt. Und das war nur passend.
Emma setzte sich neben ihn auf einen Stuhl, da hob er den Blick und sah sie aus traurigen, müden Augen an. Er wollte anscheinend nicht an Syds Seite stehen, musste es aber wohl oder übel – sonst wäre er die längste Zeit ein Advocate gewesen.
»Das ist ein Fehler«, raunte er und warf einen kurzen Blick in den Flur.
Emma nickte. Sie stand auf und schloss die Tür, ehe sie sich wieder neben ihm niederließ. »Was können wir tun?«
Er zuckte mit den Schultern. »Syd hat lange auf diesen Moment gewartet, darauf, dass Ramirez einen Fehler macht. Er wusste, dass es heute so weit sein würde.«
Emma schüttelte ungläubig den Kopf. »Wie kommst du darauf?«
»Em, er hat die Devils und die Ghosts gestern schon informiert.« Er griff nach ihrer Hand, aber er war derart angespannt, dass seine Berührung kaum beruhigend wirkte. Mit tiefer Verzweiflung blickte er ihr in die Augen. »Er wollte, dass es so kommt und hat es herausgefordert. Die Wahrheit ist, solange Syd unser President ist, wird es nie wirklich Frieden geben.«
Emmas Herz klopfte rasend schnell gegen ihre Rippen. Was wollte Pat damit sagen?
»Ich hab es so satt«, flüsterte er, ehe sie nachhaken konnte. »Er reitet uns alle in die Scheiße und findet das auch noch gerecht und richtig so.«
Emma schüttelte ungläubig den Kopf. Wenn Pat so redete, ihr einen derart tiefen Einblick gewährte, dann musste er das Vertrauen in seinen Pres endgültig verloren haben. »Aber … wieso macht B dabei mit?«
»Weil er es nicht besser weiß.« Pat schnaubte und raufte sich die Haare. »Syd war immer gut zu ihm. Er ist für B wie ein Vater. Fuck, er respektiert ihn, schaut zu ihm auf, und ich kann es verstehen, B hat schließlich nur die Hälfte von der ganzen Scheiße mitgekriegt, die Syd bisher abgezogen hat.« Pat verzog das Gesicht zu einer abfälligen Grimasse.
Emma hatte ihn noch nie so gesehen, und seine Verzweiflung bescherte ihr eine Mordsangst. Sie war kaum mehr fähig, einen klaren Gedanken zu fassen.
»B ist loyal«, fuhr Pat fort. »Er trägt alles blind mit, was Syd befiehlt, weil er ihm vorbehaltlos vertraut – was glaubst du, wieso er ausgerechnet ihn zum VP gemacht hat? Obwohl B einer der klügsten Typen ist, die ich je kennengelernt habe, sieht er nicht, dass er von demjenigen verarscht wird, an den er am allermeisten glaubt. Und ich kann es ihm nicht sagen, denn ich habe keinen einzigen beschissenen Beweis. Nur mein Wort. Und das steht gegen Syds.«
Emma spürte, wie eine Träne über ihre Wange rollte. Sie konnte sie nicht wegwischen, sie konnte sich überhaupt nicht bewegen. Es war, als hätte sie ihren Körper verlassen und wäre nur noch eine unbeteiligte Beobachterin, so surreal kam ihr das alles vor.
Was ist da noch, wollte sie fragen, denn sie spürte, dass noch mehr in Pat rumorte. Aber sie hatte Angst vor seiner Antwort und brachte die Worte daher einfach nicht raus.
»B ist jung.« Pat lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Wenn man so einen Krieg noch nie mitgemacht hat, kann man leicht von Ehre und Vergeltung sprechen.«
»Was sollen wir jetzt tun?« Emmas Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
»Keine Ahnung.«
»Aber irgendwas müssen wir doch machen. Wir können das doch nicht einfach geschehen lassen.«
»Ich weiß es nicht, Emma!« Er schrie sie an. Das hatte er noch nie getan. »Ich habe keine Ahnung, was wir tun sollen, verstehst du das? Oder soll ich es dir aufschreiben?«
Sie schüttelte den Kopf und einmal mehr brach sie in Tränen aus.
Vorsichtig nahm Pat sie in die Arme und streichelte ihr über den Rücken. »Tut mir leid«, murmelte er. »Ich bin nur absolut ratlos und hasse das.«
Emma nickte. Das konnte sie sehr gut nachvollziehen.