Читать книгу The Blue Diamond - Sandra Molnar - Страница 6
2 Eröffnung.
Оглавление»Ach, was mach ich nur?«, nuschelte Sōsuke in sich hinein und seufzte laut. Der mittlerweile Fünfundzwanzigjährige saß am Küchentisch, hatte den Kopf auf der Tischplatte liegen und wartete auf einen guten Rat. Doch der war teuer ...
»Dass du nicht auf Anhieb deine Traumimmobilie bekommst, war doch absehbar«, bemerkte Tamanosuke, der an der Spüle stand und den Abwasch machte.
»Ja. Aber ...« Ein wenig hob Sōsuke den Kopf. »Was soll ich jetzt machen? Was meinst du, Tama?«
Tamanosuke legte das Geschirrtuch beiseite und nahm Sōsuke gegenüber Platz. »Gehen wir das Ganze einfach noch einmal durch. Objekt eins hat was von Fabrik. Objekt zwei wäre zwar ideal, aber nicht erschwinglich und Objekt drei ist zu weit außerhalb. Richtig?«
Sōsuke nickte.
In der vorigen Woche hatte sich Sōsuke mit einem Immobilienmakler getroffen, um nach dem ersten Gebäude für das Blue Diamond zu sehen. Der Makler, Sasuke Hatake, hatte drei Immobilien vorbereitet, von denen die Erste ein Betonkomplex war. Zwar war das Gebäude gut gelegen und auch sehr geräumig, doch war der Innenraum gänzlich ungeeignet gewesen – kalt, grau und ohne viel Tageslicht.
Das zweite Objekt ähnelte dem, dass sich Sōsuke immer vorgestellt hatte; moderner Schnitt, genügend Räume, eine angemessene Größe und viel Tageslicht. Auch an der Lage gab es nichts zu bemängeln. Lediglich der Preis hinderte ihn daran sofort zuzuschlagen.
Zur drittem Immobilie gelangte man nach einer etwa fünfzehn Minütigen Autofahrt, wenn man vom Tokyoter Zentrum aus losfuhr. Das Haus lag nahe einer Wohngegend. Zwar befanden sich im Umkreis noch ein paar kleinere Läden, als Einkaufsmeile konnte man die Straße jedoch nicht bezeichnen. Zudem lag die U-Bahn-Station etwa zehn Minuten entfernt. Das Gebäude selber war in gutem Zustand und hatte eine moderne Fassade. In den zweiten beziehungsweise vierten Stock gelangte man über eine seitlich angebrachte Wendeltreppe. Und auch das Innere konnte sich sehen lassen. Wenn nur die Lage nicht wäre ...
»Wenn du mich fragst«, begann Tamanosuke und sah Sōsuke eindringlich an, »solltest du dich für die dritte Immobilie entscheiden.«
Sōsuke blinzelte einige Male. »Und was, wenn keiner kommt, weil es zu abgelegen ist?«
»Dann müssen wir dafür sorgen, dass es sich herumspricht. Du weißt schon. Mundpropaganda und so. Und hattest du nicht von einer Wohngegend gesprochen? Mit ein bisschen Arbeit wird das schon werden.« Er lächelte zuversichtlich.
»Mundpropaganda«, wiederholte Sōsuke leise, grübelnd. »Das klingt nach einer Möglichkeit. Okay. Danke, Tama!« Nun war auch sein Lächeln wieder zu sehen. »Ah, jetzt hab ich Hunger. Kei war heute dran, oder? Wo steckt der schon wieder?«
Da sich die ›Triple Ke's‹ eine Wohnung teilten, hatten sie sich darauf geeinigt, sich abwechselnd um die Versorgung – das Kochen eingeschlossen – zu kümmern. Auch wenn das oft nicht einfach war, da Sōsuke und Keisuke oft außerhalb unterwegs waren und auch Tamanosuke nicht regelmäßig zu Hause war.
»Der ist mit Saori-chan weg. Wird heute wohl nicht mehr kommen.«
»Dieses Mal scheint es wohl was Ernstes zu sein, was? Na ja, auch gut. Dann gibt es heute wenigstens etwas Genießbares«, schmunzelte Sōsuke und dachte an Keisukes ›Kochkünste‹.
»Jetzt sei doch nicht so gemein. Er gibt sich immerhin Mühe. Und verbessert hat er sich auch.«
»Haha, ich weiß, ich weiß.«
»Dann machen wir uns halt selber schnell was.«
»Okay.«
Nach einem weiteren halben Jahr waren alle Vorbereitungen abgeschlossen und die Eröffnung der ersten Filiale stand unmittelbar bevor.
»Mein Gott bin ich nervös«, gab Sōsuke zu verstehen und fuhr sich durch die Haare. »Haben wir an alles gedacht?«
»Wie oft willst du uns das denn noch fragen?«, entgegnete ihm Keisuke, der sich gerade die Uniform-Weste, die die Mitarbeiter kommend tragen würden, anzog. Die Weste war in einem nicht zu hellem Blau gehalten und an den Nähten mit einem goldenen Streifen versehen. Das Logo war auf Höhe der Brust angebracht und ebenfalls golden. »Es ist alles vorbereitet. Mach dir nicht so viele Gedanken.«
»In gewisser Weise muss ich ihm da zustimmen«, bemerkte Tamanosuke. »Mach dich nicht so fertig. Du hast alles bis ins kleinste Detail geplant. Wird schon schief gehen.«
»Ihr sagt das so leicht ... Apropos. Wo ist eigentlich Akira?«
»Der ist schon vorgefahren. Wollte noch ein paar letzte Zahlen durchgehen, oder so«, antwortete Keisuke, der sich zu guter Letzt noch die Haare zurechtmachte.
»Wir sollten auch langsam los, wenn wir nicht noch zu spät kommen wollen.«
Sōsuke stimmte dem nickend zu, sah sich noch einmal um und folgte schließlich seinen Freunden, die bereits zum Wagen gingen.
Es war kurz nach zwei Uhr als die ›Triple Ke's‹ beim Blue Diamond ankamen. Die Eröffnung hatte Sōsuke bewusst auf einen Freitag gelegt, da an diesem Tag etwas mehr auf den Straßen – und vor allem in dieser Gegend – los war. So waren bereits einige Personen unterwegs, von denen so mancher am Neueröffnungsschild stehen blieb.
Zusammen gingen sie die, sich linksseitig befindliche und aus einem Stahlgerüst bestehende, Wendeltreppe hinauf. Die Treppe führte jeweils in den zweiten und vierten Stock; der Dritte und Fünfte waren jeweils nur von Innen zugänglich. Oben angekommen gelangte man in einen gläsern überdachten Flur, der an einen Wintergarten erinnerte. Ins Innere des Gebäudes kam man durch eine hölzerne Tür, die nur drei Schritte von der Treppe entfernt lag. Am hinteren Ende des Flures hatte sich vor den Renovierungsarbeiten noch ein zweiter Eingang befunden. Der war nun durch Holztafeln verdeckt.
»Guten Tag, Kitahara-san«, grüßte eine junge Frau mit hellbraunen Haaren und verneigte sich leicht.
»Hallo, Chef«, grüßte seinerseits ein Mann mit kurzen, schwarzen Haaren.
Beide gehörten nun ebenfalls zum Team. Michiko Kudō und Usagi Etō hatten sich auf eine der Stellenanzeigen Sōsukes hin beworben. Als Fachverkäuferin brachte Michiko einiges an Erfahrung im Umgang mit Kunden mit und würde damit sicher gut dem Job als ›Beraterin‹ – wie Sōsuke es nannte – klarkommen. Usagi hingegen hatte gerade sein Studium für antike Geschichte beendet und somit noch keine Berufserfahrung sammeln können. Da Sōsuke sich aber auf Anhieb gut mit ihm verstanden hatte und der erst dreiundzwanzigjährige aufgeschlossen zu sein schien, stellte er auch ihn als ›Berater‹ ein.
»Hallo ihr beiden«, grüßte Sōsuke freudig. »Dann mal rein in die gute Stube.« Mit diesen Worten öffnete er die Tür. Anschließend betrat die kleine Gruppe den Raum.
Ein paar Schritte von der Tür entfernt befand sich rechtsseitig eine kleine Sitzgruppe, bestehend aus einer schwarzen Ledercouch, zwei Sesseln und einem ovalem Glastisch. Die Wand direkt daneben war eine lange Fensterfront, von welcher etwa die Hälfte der Höhe von einer – von außen angebrachten – Metallverkleidung verdeckt wurde. Trotz dessen gelang genügend Tageslicht ins Innere, da der Raum die Höhe von zwei Stockwerken hatte und somit fast sechs Meter maß. Zu ihrer Linken ragte eine Treppe, die zur Galerie hinauf führte, in den Raum hinein. Sie war ähnlich wie die Treppe draußen aus Metall gebaut und mit Holzstufen versehen. Oben hatte Sōsuke das Büro eingerichtet.
Direkt unter der Galerie stand der S-förmige Tresen, der etwa halb so lang war wie die Lobby selbst. Am unteren Ende und direkt hinter der Treppe war außerdem eine Tür in die Wand eingelassen worden – durch die man nun in den Beraterraum gelangte. Am Kopfende des Tresens ragte eine kleine Mauer in den Raum hinein. Ging man den Gang dahinter entlang, gelangte man zu den sanitären Anlagen. Passend zum Namen war der Großteil der Einrichtung Blau oder Silbern gehalten, was das Konzept untermauern sollte.
»Die Eröffnung ist in einer Stunde. Danke, dass ihr alle da seid!«, gab Sōsuke wieder und blickte dabei in die Gesichter der Runde.
»Aufgeregt, Sōsuke-san?«, hörte man eine Stimme schmunzeln. Derjenige kam von der Galerie herunter und lächelte.
»Akira!« Überrascht drehte sich der Angesprochene um. »Schön das du da bist.«
»Selbstverständlich«, entgegnete der Blonde und gesellte sich zu Sōsuke.
»Dann sind wir ja Vollzählig. Heute erfüllt sich dieser lang gehegte Traum. Und das habe ich euch zu verdanken. Danke für alles und auf gute Zusammenarbeit!«
In der letzten Stunde vor der Eröffnung bereiteten sich Usagi und Michiko auf ihre Aufgabe vor – sie würden sich um die Gäste kümmern und ihnen ihr Gehör leihen. Tamanosuke war für die Rezeption eingeteilt und sortierte ein paar Informationsbroschüren. Akira war wieder ins Büro zurückgegangen. Angetrieben von seinem Wunsch, Sōsuke ebenfalls beistehen zu wollen und dem Vorbild seines Vaters folgend, war er eine Laufbahn als Steuerberater angetreten und kümmerte sich nun gemeinsam mit Keisuke um die Finanzen. Letzterer war für die nächste Zeit außerdem für die Bar eingeteilt worden.
»He, Sōsuke. Probier den mal!« Keisuke hielt seinem Freund ein Glas mit durchsichtiger Flüssigkeit, in der bläuliche Eiswürfel schwammen, entgegen und grinste.
»Was ist das?«, fragte Sōsuke skeptisch, nahm das Glas aber entgegen.
»Wir haben uns gedacht, dass ein hauseigener Drink nicht schaden könnte und haben dann den hier zusammengestellt.«
»Aus was?«
»Wodka, Zucker, Eis und Litschisaft«, antwortete ihm Keisuke knapp.
Kurz sah Sōsuke sich den Inhalt an, ehe er einen Schluck davon nahm und positiv überrascht drein sah. »Echt gut!«
»Ja, nicht? Ist eigentlich wie ein Caipirinha, nur eben mit Litschi statt Limette«, erklärte Keisuke weiter. »Und da der Drink so hell ist, und es außerdem zum Namen passt, haben wir die Eiswürfel mit Lebensmittelfarbe eingefärbt.«
»Als Hausdrink, verstehe. Können wir gerne mal versuchen.«
»Gut. Dann bereite ich einen Schub vor!« Damit begab sich Keisuke zurück hinter die Bar, welche am hinteren Ende der Theke war.
Nur noch wenige Minuten bis das Blue Diamond seine Pforten das erste Mal öffnen würde. Im Geiste ging Sōsuke noch einmal alles durch: Die Einrichtung stand, war sauber und bereit eingeweiht zu werden. Die Bar war gut gefüllt und zum Ausschank bereit. Die Flyer waren vorbereitet und das Team auf ihren Plätzen und somit startklar.
Tief atmete der junge Mann durch, sah noch ein letztes Mal in die Gesichter seiner Freunde und Mitarbeiter, ging dann sicheren Schrittes zur Eingangstür und öffnete diese bis zum Anschlag. Anschließend ging er die Treppe nach unten, um die Gäste zu empfangen. Zu seiner Freude warteten bereits ein paar. »Verehrte Damen und Herren! Ich freue mich, Sie herzlich im Blue Diamond willkommen. Kitahara mein Name. Ich freue mich, Sie als Inhaber begrüßen zu dürfen. Wenn Sie mir bitte folgen würden?« Mit einer Handbewegung deutete Sōsuke seinen Gästen, dass der Laden im Obergeschoss zu finden war.
Nach einem kurzen Blickwechsel ging die erste Kundin die Treppe hinauf, dicht gefolgt vom Rest. Als die Gruppe oben ankam, erwartete sie bereits Michiko. »Herzlich willkommen im Blue Diamond«, grüßte sie mit freundlichem Lächeln. »Bitte. Treten Sie doch ein.« Mit diesen Worten führte sie die Gäste ins Innere. Zuletzt betrat Sōsuke den Laden.
Die Männer und Frauen unterschiedlichen Alters sahen sich um, bis Sōsuke und Michiko sie auf ein Glas Sekt einluden. Nachdem die elf Personen angestoßen und die Gläser etwa zur Hälfte geleert hatten, bat Sōsuke seine Gäste an den Tresen vorzutreten. Dort erwartete sie bereits Tamanosuke.
Mit sanftem Lächeln stellte dieser sich vor: »Guten Tag. Ich bin Michida Tamanosuke und stehe Ihnen heute bei allen Fragen zur Verfügung.«
»Dann möchte ich Ihnen eine Frage stellen«, brachte eine Frau mit etwa vierzig Jahren hervor und begab sich an die Spitze der kleinen Gruppe. »Was wird hier genau angeboten?«
Tamanosuke sah die Frauen vor sich an, legte ein paar Informationsbroschüren auf den Tresen und fing zu erklären an: »In erster Linie steht das Blue Diamond dafür, dass man sich von allen Sorgen befreien kann. In dem extra dafür vorgesehenen Raum« – dabei deutete er auf die Tür rechts neben sich – »kann man praktisch über alles reden. Einzig Sie und unser Berater werden davon erfahren. Bei unseren Beratern handelt es sich allerdings nicht um einen Psychologen oder ähnlichem. Niemand wird zu einem Gespräch gezwungen. Wir wollen, dass sie sich wohl fühlen. Daher basiert auch alles auf freiwilliger Basis.«
Tamanosuke hatte in den letzten Tagen lange überlegt, wie er die Funktion beschreiben sollte, aber so überzeugend wie Sōsuke zu reden lag nicht in seiner Natur. Vielleicht, und das dachte er sich öfter, wären Keisuke oder eben Sōsuke für die Rezeption besser geeignet gewesen. Es war zwar nicht so, dass er nicht mit Leuten umgehen konnte – schließlich musste er als Koch auch mit Lieferanten oder Kunden reden. Dennoch hatte er Mühe, sich wirklich mit dieser Aufgabe auseinanderzusetzen.
»Verstehe ich das richtig? Man geht da rein und redet?«, kam es von einer Frau an die dreißig. Sie sah Tamanosuke skeptisch an.
»Ganz recht. Gibt es nicht immer etwas, dass man seinem direkten Umfeld nicht mitteilen möchte? Wir hören Ihnen zu und unterhalten sich mit Ihnen, sofern Sie das wünschen. Außer Ihnen wird niemand davon erfahren; dafür verpflichten wir uns.«
»Dann würde ich es gerne einmal versuchen«, meldete sich eine ältere Dame zu Wort und trat aus der Gruppe hervor.
»Sehr gerne«, erwiderte Tamanosuke lächelnd und reichte ihr ein kleines, noch unbeschriebenes Buch sowie einen Stift. »Wenn ich kurz um Ihren Namen bitten dürfte?«
Sie nahm den Stift in die Hand und setzte ihren Namen in die erste Zeile. »Und nun?«
»Wenn Sie mir bitte folgen würden.«
Lediglich zwei Schritte musste man gehen um zum Beraterraum zu gelangen. Tamanosuke klopfte an die hölzerne Tür an, hinter der Usagi bereits auf ihn wartete. »Etō-san? Darf ich dir Harukaze-san vorstellen?«
Kaum hatten die beiden den Raum betreten, kam Usagi auf sie zu. »Guten Tag und herzlich willkommen«, grüßte er überschwänglich und breit freudig grinsend. »Mein Name ist Etō Usagi und ich bin ihr heutiger Berater. Es freut mich außerordentlich Sie kennenzulernen.« Dabei verbeugte er sich.
»Die Freude ist ganz meinerseits«, erwiderte Harukaze und lächelte zurück.
»Dann lasse ich euch mal allein«, bemerkte Tamanosuke leise und verließ den länglichen Raum, um sich anschließend um die weiteren Gäste zu kümmern.
Usagi hatte sich nickend von seinem Kollegen verabschiedet, bevor er sich einen Augenblick später wieder seiner ersten Kundin zuwandte. »Bitte setzen Sie sich doch, Harukaze-san«, bot Usagi und deutete auf die lederne Eckcouch, die im hinteren Teil des Zimmers einen Platz gefunden hatte.
»Sehr gerne. Vielen Dank.« Mit langsamen Schritten ging sie auf das Möbelstück zu und nahm dann auf dem dazugehörigen Sessel Platz.
Nachdem sie saß, näherte sich Usagi einer kleinen Vitrine und reichte ihr ein Glas, welches er vor ihr auf dem Glastisch abstellte. »Möchten Sie etwas trinken? Wasser, Saft ...«
»Danke. Dann hätte ich gerne etwas Wasser.«
Aus einem kleinen Kühlschrank, der in die Vitrine eingelassen worden war, holte er eine Flasche Wasser. Gekonnt schenkte Usagi ihr die Flüssigkeit ein und stellte die frisch geöffnete Flasche auf einer Ablage ab.
»Nun. Wie funktioniert das jetzt?«, fragte Harukaze und sah Usagi gespannt an.
»Eigentlich ganz einfach, meine Werte. Sie reden, ich höre zu. Wenn Sie wünschen, können wir uns auch unterhalten. Ganz wie Ihnen beliebt«, erklärte Usagi lächelnd.
»Und das Thema spielt keine Rolle?«
»Reden Sie über das, was Ihnen gerade in den Sinn kommt.«
»Was mir in den Sinn kommt ...?«
Usagi sah der Frau an, dass sie nicht so recht wusste, worüber sie reden sollte, also beschloss er etwas nachzuhelfen: »Wie wäre es, wenn Sie mir etwas über sich erzählen?«
»Über mich? Nun. Ich bin in Fukuoka geboren und als Jüngste von drei Schwestern aufgewachsen. Um das Geschäft meiner Eltern fortführen zu können, habe ich eine Ausbildung zur Näherin gemacht.« Sie lächelte sanft.
»Das klingt interessant. Was für ein Geschäft führten Ihre Eltern?«
»Einen Kimono-Handel. Es ist kein großer Laden, aber er existiert schon seit vielen Generationen.«
Usagi spitzte die Ohren. »Dann haben Sie sicher einen Kimono, der Ihnen ganz hervorragend steht. Vielleicht habe ich ja mal die Ehre Sie darin zu sehen?«
Die Frau senkte verlegen den Kopf. Da sie nicht mehr die Schlankeste oder Jüngste war, hatte sie bedenken. »Lieber nicht.«
»Wieso denn nicht?«, fragte Usagi nach. »Sie sind eine sehr attraktive Frau. Ihnen steht ein Kimono sicher ausgezeichnet.«
»Meinen Sie das ernst? Ich und attraktiv?« Skeptisch sah sie ihn an. »Nicht einmal mein Mann sagt das.«
»Aber natürlich. Und ich bin sicher nicht der Einzige, der es so sieht. Garantiert auch Ihr Mann.«
Harukaze war von diesen Worten geschmeichelt und senkte daraufhin verlegen den Kopf. »Vielen Dank.«
Aufgeschlossen lächelte Usagi. »Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mich hier im Kimono besuchen kommen würden.«
»Ich werde darüber nachdenken«, antwortete Harukaze und sah Usagi eine kurze Weile an. »Wollen Sie mir nicht auch etwas von sich erzählen? Sie sind noch so jung und haben sicher noch viel vor.« Ihr Lächeln kehrte zurück.
»Über mich?« Überrascht sah Usagi die Frau an. Damit hatte er nun nicht gerechnet.
»Wieso denn nicht? Ich bin sicher, dass sie spannenderes zu erzählen haben als ich«, meinte sie weiter und nahm einen Schluck ihres Wassers.
»Spannenderes? Na ja, das ist wohl Ansichtssache«, lachte der Jüngere auf. »Ich habe gerade mein Studium für Geschichte der Antike beendet und war auf Jobsuche. Leider hatte ich lange nicht viel Glück dabei. Bis ich Kitahara-san getroffen habe.«
»Er ist der Inhaber, richtig?«
Usagi nickte. »Ja. Kitahara-san hat es nicht gestört, dass ich keine Berufserfahrung oder ein passenderes Studium habe. Er meinte, dass es wichtiger sei, das zu machen, das einem Spaß macht und erfüllt. Für ihn ist es das Blue Diamond, wissen Sie?« Er machte eine kurze Pause und nippte an seinem – bereits dastehenden – Glas Wasser. »Kitahara-san ist ein sehr enthusiastischer Mensch, der nicht so schnell aufgibt. Mit seiner optimistischen Art steckt er alle an. Ich kann noch viel von ihm lernen, obwohl er nicht viel Älter ist.«
»Er scheint ein bemerkenswerter Mann zu sein.«
»Das ist er«, bestätigte Usagi Harukazes Aussage.
Usagis Offenheit führte dazu, dass das folgende Gespräch ins Rollen kam. So erzählte sie von ihren Kindern, die den Ernst des Lebens nicht genug nahmen und von ihrem Gatten, der sich immer mehr zurückzog. Usagi hörte ihr aufmerksam zu und konnte sich ihre Situation bildlich vorstellen. Schließlich gab er ihr den Rat, mit allen offen zu reden. »Und wenn sie nicht einsichtig sein sollten«, fügte er hinzu, »kommen Sie einfach wieder her. Dann haben eben wir beide unseren Spaß.« Frech lächelte er dabei, meinte sein Angebot aber doch ernst. Die beiden sahen einander an und lachten kurz auf. »Vielen Dank für das Gespräch, Harukaze-san.«
»Ich habe zu danken.« Sie verneigte sich noch kurz, ehe sie sich erhoben und gemeinsam das Zimmer verließen.
»Und beim nächsten Mal im Kimono. Einverstanden?« Usagi öffnete ihr die Tür und ließ seinem Gast den vortritt.
»Ach, Sie Charmeur«, lachte sie auf und trat hinaus.
Während Usagi und Harukaze ihr Gespräch führten, unterhielten sich Sōsuke, Tamanosuke, Keisuke und Michiko mit den übrigen Gästen. Besonders Keisuke hatte seinen Spaß. Er stand an der Bar und schenkte mit Freuden die bestellten Getränke aus. Nicht zuletzt war seine offene Art von Vorteil.
Tamanosuke, der praktisch neben ihm stand, beobachtete ihn jedoch skeptisch. Als Sōsuke an den Tresen kam, meinte er zu diesem gewandt: »Ob es wirklich eine gute Idee war, Kei hinter die Bar zu stellen?«
Sōsuke war die Stimmung keineswegs entgangen. »Tja ...« Er und Tamanosuke kannten den Dunkelblonden mittlerweile gut und wussten, dass dieser gerne mal etwas mehr Alkohol zu sich nahm. Da er sich deswegen mit den Getränken auskannte, hatte Sōsuke den Vorschlag gemacht, ihn für die Bewirtung einzuteilen. Im Nachhinein fragten sie sich, ob es eine gute Entscheidung war. Offenbar hatte er nicht nur seinen Gästen etwas angeboten ...
Nachdem auch der letzte Kunde seine Bestellung bekommen hatte, gesellte sich Keisuke zu Tamanosuke und Sōsuke dazu – hatte er doch mitbekommen, worum es bei den beiden ging. »Sagt mal«, begann er und sah seine Freunde streng, beinahe tadelnd, an. »Ihr habt immer noch kein Vertrauen in mich, oder?« Keisuke fühlte sich hintergangen. Wie konnten seine engsten Freunde nur so von ihm denken, wo er doch sein Bestes gab!
»Aber nein. So war das doch nicht gemeint, Kei«, versuchte Tamanosuke die Situation zu beruhigen.
»Genau. Natürlich vertrauen wir dir. Es ist nur ...«, meldete sich auch Sōsuke zu Wort und sah von Keisuke zu Tamanosuke.
»Ja? Ich höre.«
»Na ja. Vertrauen ist gut. Aber manchmal ist Kontrolle eben doch besser.« Sōsuke sagte dies ohne wirklichen Ernst, weswegen er kurz auflachte.
»Pah. Tolle Freunde habe ich da«, meinte Keisuke gespielt beleidigt, drehte sich um und ging an seinen Platz zurück.
Sōsuke beobachtete ihn noch einen Augenblick, ehe er sich wieder seinen Gästen widmete – die zum Teil mit Michiko plauderten. Einige von ihnen hatten bemerkt, wie Harukaze wieder zurückgekommen war und von ihrem Gespräch mit Usagi erzählte. Eine Frau mittleren Alters und ein Mann in den dreißigern traten daher an Tamanosuke heran.
»Entschuldigung? Ich würde es auch gerne einmal versuchen«, meldete die Frau sich schließlich zu Wort.
»Ich ebenfalls.«
Während Tamanosuke die Namen der beiden entgegennahm, gesellte sich Sōsuke kurz zu Keisuke, um bei diesem ein paar der Litschi-Drinks zu ordern. Diese waren nach wenigen Minuten fertig. Dekoriert mit kleinen blauen Schirmen aus Papier servierte Sōsuke seinen Gästen die Getränke. Die anfängliche Skepsis der Kunden schlug nach erstem Probieren in Euphorie um. Die Erleichterung darüber stand Sōsuke förmlich ins Gesicht geschrieben.
»Es scheint gut anzukommen«, bemerkte Keisuke, der nun neben Sōsuke stand. »Ganz wie erwartet.« Breit lächelte er und wandte sich an die am Tisch stehenden Personen: »Wissen Sie, dass er bis zuletzt befürchtet hat, dass sein Konzept nichts wäre?«
»K-Kei!«, versuchte Sōsuke seinen Freund zu unterbrechen, doch war dem das egal.
»Ist doch wahr«, neckte Keisuke ihn weiter.
»Ist das nicht verständlich?« Ein Mann Anfang dreißig sah mit aufgeschlossenem Lächeln zu den beiden Männern. »Ein neues Geschäft zu eröffnen erfordert immer sehr viel Hingabe und Ausdauer. Es ist sicher nicht einfach, sich allen Widrigkeiten zu widersetzen. Ich finde das durchaus bewundernswert.« Nachdem er den Satz beendet hatte, stellte der Mann sein Glas auf den Tisch neben sich. »So wie ich das hier einschätze, ist es etwas Neues. Und viele Menschen meiden das Neue. Es erfordert viel Mut, sich der Gesellschaft zu widersetzen und trotz aller Schwierigkeiten eben diesen ersten Schritt zu wagen. Ich finde es wirklich bemerkenswert, was Sie erreicht haben, Kitahara-san«, fuhr der Mann fort.
Da weder Keisuke noch Sōsuke auf solche Worte vorbereitet waren, fehlten ihnen die Worte. Lediglich ein gerührtes »Vielen Dank« konnte Sōsuke zum Ausdruck bringen.
In der Zwischenzeit hatte Tamanosuke den nächsten Kunden an Usagi weitervermittelt. Die junge Frau war mit aufgeschlossenem Lächeln an ihn herangetreten und stellte sich als Mai Iwaki vor. Nachdem sich auch Usagi vorgestellt hatte, bot er ihr einen Sitzplatz sowie etwas zu trinken an – ein Ritual, das er fortan bei jedem Kunden anwenden würde.
Wie auch bei Harukaze erklärte er seiner Kundin, was der Sinn dieser Unterredung war. Anders als sein erster Gast, war Mai wesentlich offener auf diesen Service zu sprechen und so fing sie bald an sich ihrem Gegenüber zu offenbaren:
»Und dann hat er vor meinen Augen eine andere geküsst! Ich fasse es immer noch nicht! Wie konnte er nur?« Wütend griff sie nach ihrem Glas, aus welchem sie dann einen kräftigen Schluck nahm. »Als ob er mir egal wäre. Hallo? Ich kenne ihn schon ewig und er weiß auch was ich fühle. Also wieso?« Ratlos sah sie Usagi an.
Der junge Mann ließ die Situation zuerst auf sich wirken, ehe er den Mund öffnete und ihr riet, ihn persönlich darauf anzusprechen. »Und wenn er nicht einsichtig ist, wären Sie wohl besser dran, wenn Sie ihn vergessen. Ich kenne mich zwar nicht besonders gut mit so was aus, aber ich denke, dass Sie etwas Besseres verdient haben.« Sanft lächelte er.
Mai stellte das Glas ab und lehnte sich etwas zurück. »Ich denke nicht, das er mir zuhören wird, so stur wie er ist ...«
»Das sind doch die meisten Männer, nicht?«
Eine kurze Pause folgte. »Stimmt auch wieder. Männer und ihr Stolz. Oder? Ist doch so.«
»Zugegeben.«
»Hach. Wie konnte ich nur an so einen geraten?« Sie seufzte schwer. »Ob ich mich vielleicht doch nach jemand anderem umsehen sollte? Ein Paar sind wir schließlich nicht ...«
»Sie sollten sich nicht zu einer Liebe zwingen. Genießen Sie doch ihr Single-Leben, solange es geht. Irgendwann treffen Sie bestimmt Ihren Traumprinzen.«
Mai sah auf und erblickte das frohe Gesicht Usagis. »Stimmt. Man kann nie wissen.« Sie lächelte. »Danke. Ich denke, das hilft mir weiter.«
»Nichts zu danken«, antwortete er.
»Sagen Sie, Etō-san. Haben Sie denn eine Freundin?«
Der junge Mann blinzelte irritiert. »Wieso fragen Sie?«
»Nun«, begann sie und nahm eine gerade Haltung an. »Sie scheinen mir ein netter Typ zu sein.«
Bei diesen Worten verstand Usagi den Sinn hinter ihrer Frage. Ein sanftes Lächeln untermauerte seine Worte: »Danke vielmals, aber ich bin zur Zeit noch ganz gerne Single.«
Enttäuscht sank Mai daraufhin zusammen und seufzte. »Schade. Die guten Männer sind nie zu haben ...«
»Tut mir sehr leid.«
»Ach was. Ist doch nicht Ihre Schuld.«
»Gibt es noch etwas, worüber Sie sprechen möchten?«
Während Usagi dies fragte, nahm Mai einen Schluck Wasser zu sich. Nachdem sie das Glas wieder abgestellt hatte, sah sie ihn lange an. »Hm. Lassen Sie mich mal überlegen. Doch, es gibt sogar etwas.« Sie beugte sich etwas vor und strich sich durch ihre langen Haare. »Ich habe vor kurzem ...«
Und dann erzählte sie noch ein paar unglaubliche Geschehnisse, die sie in letzter Zeit zu verfolgen schienen – beinahe, als wäre sie vom Unglück verfolgt. Selbst Gebete sollen nicht helfen.
Etwas unschlüssig sah Usagi seine Kundin an; wusste im ersten Moment nicht, was er darauf genau antworten sollte. »Wissen Sie ...«, begann er dann und sah sie aufrichtig an. »Ich bin mir sicher, dass das nur eine Phase ist. Vielleicht will man Sie auf etwas aufmerksam machen? Bestimmt steckt da mehr dahinter als Sie glauben.«
Als sie seine Worte vernahm, wurde sie etwas ruhiger. »Meinen Sie wirklich?« Mai klang skeptisch, aber sie würde den Rat fürs Erste annehmen und abwarten. Vielleicht hatte Usagi ja Recht und es würde sich alles von alleine aufklären.
Das weitere Gespräch dauerte nicht mehr lange an. Dankend verabschiedeten sich die beiden voneinander und traten aus dem kleinen Zimmer heraus.
Während der Unterhaltung hatten Sōsuke und Keisuke sich mit dem Großteil der Gäste unterhalten. Auch Michiko und Tamanosuke waren mit Kunden in Gespräche vertieft, sodass Usagi und Mai nicht gleich bemerkt wurden. Da die Tür einen Laut von sich gab, bemerkte sie Tamanosuke bald und kam den Zweien gleich näher.
»Ich hoffe, es war zu Ihrer Zufriedenheit, Iwaki-san?«, fragte Tamanosuke und näherte sich ihr.
»War es. Vielen Dank. Es stimmt. Wenn man mit jemandem redet, den man nicht kennt, ist alles viel leichter«, gab sie zu verstehen und lächelte.
»Das freut uns zu hören. Wenn Sie möchten, servieren wir Ihnen noch einen Drink«, bot Tamanosuke an und zeigte in Richtung Bar.
Mai überlegte nicht lange und stimmte gleich zu. »Ein Drink wäre jetzt genau das Richtige!«
Am späten Abend kamen zwei Gäste in den Laden, auf die Sōsuke bereits gewartet hatte: Eiji und Miyako. Freude strahlend kam er auf seine Familie zu und drückte sie kurz, ehe er sie herumführte und ihnen ebenfalls etwas zu trinken anbot.
„Das hast du gut gemacht, mein Sohn. Ich bin stolz auf dich“, sprach der Vater, der seinen Sohn herzlich anlächelte.
„Ganz toll gemacht, Bruderherz!“ Miyako kam ihm wieder näher und drückte sanft seine Hand.
Feuchte spiegelte sich in Sōsukes Augen wider, als er dies hörte. „Danke, Vater, Miyako.“
Der Abend nahm weiter seinen Lauf und gegen Mitternacht war auch der letzte Gast verabschiedet. Sōsuke hatte den Herren noch zur Tür begleitet, welche er dann schloss. Seufzend drehte er sich um und lehnte sich an eben diese Türe an. »Geschafft«, brachte er leise hervor; ein zufriedenes Lächeln huschte über sein Gesicht.
»Klasse Abend, würde ich sagen. Ist ja alles super gelaufen!« Keisuke kam seinem Freund mit einem breiten Grinsen und einem Drink in der Hand näher. »Gut gemacht.«
»Nein. Das war nun wirklich nicht mein Verdienst«, gab er zu verstehen und nahm das ihm gereichte Getränk an. »Das haben wir im Team geschafft.« Er wandte sich nun auch den anderen zu, welche sich versammelt hatten. »Leute, Danke! Ohne euch wäre das alles niemals möglich gewesen.«
»Das gilt aber auch für dich, Sōsuke-san.«
Die Anwesenden drehten sich alle nach der Stimme um. Akira, der den Tag über außerhalb zu tun hatte, kam von draußen herein und gesellte sich zu der Gruppe hinzu. »Schließlich warst du es doch, der diesen Laden eröffnen wollte. Gratuliere. Du hast es geschafft!« Er lächelte den Älteren herzlich an.
Sōsuke war von diesen Worten so gerührt, dass er ganz verlegen wurde. »Danke, Akira. Danke euch allen!« Sōsuke sah in die Gesichter seiner Freunde und Mitarbeiter, ehe er allen noch einen Feierabenddrink anbot.
Später an diesem Abend lagen bereits alle im Bett, doch an Schlaf war für Sōsuke nicht zu denken. Immer wieder wiederholte er den Tagesablauf. »Hoffentlich wird es auch in Zukunft so gut laufen«, sagte er sich, schob sich die Decke über den Kopf und schloss die Augen.
Am nächsten Tag wurde die Pforte zum Blue Diamond bereits um zehn Uhr geöffnet. Sōsuke hatte nach langen Recherchen versucht, passende Öffnungszeiten zu schaffen und war bemüht, seine Mitarbeiter nicht zu lange arbeiten zu lassen. Mit maximal zehn Stunden am Tag – inklusive ausreichender Mittagspause – wäre der Laden aber lange genug geöffnet, um ausreichend Service bieten zu können. Mehr war zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich, da dafür die Ressourcen fehlten. Er selbst hielt sich dabei nur selten an seine eigenen Regeln. Mit der ›Ausrede‹ dass er als Chef einfach noch viel zu tun hatte, konnte ihm aber auch keiner Wiedersprechen. Zum Ausgleich sorgten seine Freunde und Mitbewohner dafür, dass Sōsuke wenigstens genug aß und schlief.
Nervös wie am ersten Tag wartete Sōsuke auf die Kundschaft. Doch schien die heute auszubleiben. Vier Personen, darunter ein gestriger Kunde, hatten bisher den Laden betreten.
»Mach dir mal keinen Kopf.« Tamanosuke war an den anderen herangetreten und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. »Wir müssen einfach etwas Werbung machen. Schließlich ist das hier nicht die Innenstadt.«
»... Meinst du?« Man sah Sōsuke an, dass er Zweifel hatte.
»Ja. Ich werde Morgen noch ein paar Flyer verteilen, wenn ich einkaufen gehe. Es ist nur eine Frage der Zeit.«
»Okay ...«, gab Sōsuke zögerlich zu verstehen. »Ich schau mal schnell nach Akira. Wenn was ist, hol mich einfach.«
»Ja.«
So wandte sich Sōsuke von seinem rothaarigen Freund ab und stieg die Treppe hinauf. »Akira? Alles klar bei dir?«
Der Angesprochene drehte sich um und erblickte den nervös drein sehenden Sōsuke. »Sicher. ... Ist etwas passiert? Kommt ja nicht oft vor, dass du rauf kommst, wenn Gäste da sind.«
Der Ältere staunte, wie sich sein Freund seit Schultagen verändert hatte. Wenn er an die Zeit an der Oberschule zurückdachte, als er Akira das erste Mal getroffen hatte, war es, als stünde jemand ganz anderes vor ihm. »Du hast dich wirklich verändert«, nuschelte Sōsuke und schmunzelte.
Akira sah ihn daraufhin mit großen Augen an und lächelte. »... Ja. Und das habe ich vor allem dir zu verdanken, Sōsuke-san.«
»Meinst du?«, konnte Sōsuke nur fragen. »Aber eigentlich war es dein eigener Wille.«
»Nun ja«, murmelte Akira verlegen und senkte seinen Kopf. »Aber ... sag mal ...«, begann er schließlich und sah den anderen fragend an. »Warum bist du nun hier? Gibt es unten nichts zu tun?« Dass er damit einen wunden Punkt traf, ahnte Akira nicht.
Sōsuke nickte auf die Frage hin verlegen, ehe er den Blick abwandte. »Ja, na ja ... also ...« Er wusste nicht so wirklich, was er nun sagen sollte. Deprimiert senkte er den Kopf. »Heute ist weniger los als gehofft ...«, murmelte er und setzte sich auf den freien Stuhl.
Selbstzweifel?, dachte sich Akira erstaunt und musste sich ein Grinsen verkneifen. »So habe ich dich noch nie erlebt, Sōsuke-san.«
»Das ist aber nicht witzig«, gab der Jungunternehmer, ein wenig beleidigt, wieder.
»Ich denke, dass sich alles erst noch einspielen muss. Mach dir nicht zu viele Sorgen.« Akira lächelte seinen Freund aufmunternd an und reichte ihm einen Stapel Papier. »Wenn du das dann bitte noch unterschreiben würdest.« Sōsuke nahm den Stapel entgegen und überflog kurz, was auf den Blättern geschrieben stand, ehe er unterzeichnete. »Danke.«
»Gibt es sonst noch etwas zu tun?«
Akira überflog kurz seinen Schreibtisch, welcher im rechten Eck der Galerie lag, schüttelte dann aber den Kopf.
Ein weiterer Schreibtisch befand sich auf der schräg gegenüberliegenden Seite. Zudem wurde ein kleiner, halbrunder Tisch im freien Eck platziert. Auf diesem fanden eine Kaffeemaschine und das nötige Zubehör ihren Platz.
Sōsuke näherte sich der gläsernen Wand, welche dieses Galerie-Büro umfasste und blickte nach unten. Ein leiser Seufzer entwich ihm. »Viel mehr Kunden sind scheinbar immer noch nicht gekommen ...«, brummte er, als er dann doch jemanden am Eingang stehen sah. Und irgendwie kam ihm diese Person bekannt vor. »Ich schau mal runter, Akira«, gab er zwar noch zu verstehen, wartete aber keine Antwort mehr ab. Schnell war er wieder unten angelangt und freute sich über den neuen Gast. »Hatake-san! Schön, Sie zu sehen.«
»Guten Tag, Kitahara-san!« Hatake war ihm einen Schritt entgegengekommen und lächelte freundlich zurück. »Ich dachte mir, ich sehe mir Ihren Laden mal an. Sie haben wirklich was nettes daraus gemacht.«
»Danke. Kommen Sie. Ich führe Sie ein wenig herum.«
»Wenn ich daran zurückdenke ...«, murmelte Sōsuke und leerte seinen Mojito. »Ich hatte echt Bammel, ob das was wird.«
Nach einem langen Arbeitstag hatte Akira den Älteren auf einen Drink eingeladen und so saßen sie nun in einer kleinen Bar. Akira, der eher selten zum Alkohol griff und deswegen nur ein Light-Bier bestellt hatte, blickte seinen Freund neugierig an. »Sōsuke-san, ich glaube, du hast genug getrunken.« Drei kleine Gläser waren zwar eigentlich nicht viel, doch vertrug Sōsuke nicht jeden Tag was. »Lass uns lieber gehen.« Akira stand auf und warf sich schon einmal seine Jacke über den Arm, während er seinen Freund zum Gehen bewegen wollte.
»Ist gut, ist gut. Immer langsam«, grummelte Sōsuke und raffte sich langsam vom Barhocker auf.
Am Anfang war es wirklich nicht absehbar gewesen, ob der Laden Erfolg haben würde oder nicht. Die ersten Wochen waren sehr schleppend gelaufen und ein fester Kundenstamm schien auch nicht in Aussicht. Erst mit der richtigen Werbung, konnte Sōsuke seinen Laden anpreisen. Auf dem örtlichen Straßenfest war es ihnen möglich gewesen, auf sich aufmerksam zu machen. Seine drei Freunde hatten während des Festes zusammen mit ihm hunderte Flyer verteilt und die Leute auch direkt darauf angesprochen. Dass diese Aktion schlussendlich etwas gebracht hatte, zeigte sich in den darauffolgenden Tagen und Wochen. Und wie Tamanosuke lange zuvor schon gesagt hatte, trug die Mundpropaganda ihren Teil zusätzlich dazu bei. Täglich wurden es mehr Kunden; einige kamen danach regelmäßig.
Für Sōsuke, der des Öfteren nervös im Laden auf und ab gegangen war, war der erste Schritt getan.
Das Blue Diamond war folglich in aller Munde und Sōsuke seinem großen Traum so nah wie nie zuvor.