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3 Eine Frage des Wollens.

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Langsam neigte sich das Jahr wieder dem Ende zu. Bereits jetzt, Anfang November, bekam man die abgekühlte Luft deutlich zu spüren. Das Blue Diamond lief nun bereits seit über drei Jahren und war auf gutem Wege. Die roten Zahlen längst Geschichte, wenngleich der Profit nicht der Größte war. Dies war ein Punkt, bei dem Sōsuke sich nie hat umstimmen lassen. Für ihn war nicht der Gewinn wichtig – sondern der Mensch selbst.

Da das Blue Diamond gut ging und auch der Kundenstamm stetig wuchs, dachte Sōsuke darüber nach, den Laden zu erweitern. Einige Prognosen und Diagramme hatte er bereits erstellt und aus den Resultaten den Schluss gezogen, dass es auch in nächster Zeit nicht erheblich schlechter werden würde. Eher im Gegenteil. Sie waren auf Siegeskurs. Langsam, aber kontinuierlich wuchs der Laden.

»Du hast aber keine Reserven mehr«, warnte Keisuke und sah zu Sōsuke auf – er saß gerade an der Buchhaltung. »Das wievielte Mal sage ich dir das jetzt überhaupt?«

»Aber wer nicht investiert, kann auch nicht wachsen«, konterte Sōsuke.

»Sag doch auch mal was, Akira!« Wie immer sprach er ihn schroff an – obwohl es nicht so gemeint war. »Red' es ihm aus.«

Der Angesprochene drehte sich zu seinen Freunden um, rückte seine Brille – die nun nicht mehr verspiegelt war – zurecht und gab mit leiser Stimme zu verstehen: »Ich glaube, ihr habt beide recht.«

»Aah. Du bist mir also auch keine Hilfe ...«, seufzte Keisuke und fuhr sich durch die Haare.

»Komm schon, Kei! Lass es uns versuchen.« Ein wenig rüttelte Sōsuke an ihm, während er ihn nahezu bettelnd ansah. Als Inhaber lag es eigentlich an ihm, solche Entscheidungen zu treffen und auch durchzusetzen. Doch da er sehr auf seine Freunde baute – und Keisuke in diesem Fall einfach den besseren Überblick über die Kosten hatte –, holte er meist auch ihre Meinung ein. Ein zu großes Risiko wollte er trotz allem nicht eingehen. Da verzichtete er lieber auf seine Ideen – oder legte sie sich für die Zukunft zurück.

Es dauerte schließlich eine ganze Weile, bis Keisuke sein Einverständnis gab. Unter der Voraussetzung, dass Sōsuke einen Investor fand. Erwartungsvoll war Sōsuke gleich am nächsten Tag auf die Suche gegangen. Doch was sich anfangs einfach anhörte, erwies sich als ungeahnt schwierig. Und so verging einige Zeit ...

»Du willst es nicht verstehen, oder? Vater?« Streng sah der neunzehnjährige Junge seinen Vater an. »Hör auf! Es bringt doch eh keinen Verdienst!«

»Junge. Das wirst du verstehen, wenn du erst einmal älter bist.« Als Leiter einer Import-Export-Firma unterstützte Hiroshi Washi gerne kleinere Firmen, die sich gerade zu etablieren versuchten. Sein Sohn, Yuudai, jedoch hielt das für reine Zeit- und Geldverschwendung. Als zukünftiger Erbe, so sagte er immer, habe er doch auch Mitspracherecht. Dass dem nicht so war, zeigte ihm Hiroshi bei jeder Diskussion neu auf. Mit einem – zu seinem Standardspruch gewordenen – »So ein Sturkopf« verließ der junge Mann das Büro seines Vaters und ging seiner Wege.

Einige Wochen waren vergangen. Bald stand das interne Herbstfest vor der Tür. Auch in diesem Jahr sollte das Blue Diamond prachtvoll geschmückt werden und zu ein paar gemütlichen Stunden einladen.

Während er die Suche nach einem Investor vorübergehend eingestellt hatte, war Sōsuke mit diversen Erledigungen beschäftigt gewesen. Darunter war auch das Besorgen der Dekoration. Er war gerade dabei die neuen Utensilien abzuholen, als es immer windiger wurde.

»Schnell zurück«, sprach Sōsuke zu sich, der mit einer Vielzahl an Schachteln auf dem Arm auf dem Rückweg zum Blue Diamond war.

Da es nicht weit weg war – und er den Weg gut kannte –, störte es ihn kaum, dass er nicht viel Sicht auf die Straßen hatte. Dadurch bemerkte er jedoch nicht, dass ihm jemand entgegenkam, der genauso wenig auf seinen Weg achtete – die Augen lieber auf dem Handy ruhen hatte. Erst als der Zusammenstoß bereits geschehen war und die Schachteln auf dem Boden aufgekommen waren, wurde es ihnen bewusst.

»Tut mir leid, Junge. Hast du dir was getan?« Besorgt sah Sōsuke den jungen Mann an, der ihn wiederum wütend ansah.

»Können Sie nicht aufpassen?«, konterte der Junge barsch und klopfte sich den Dreck von seinem knielangen Mantel. »Achten Sie gefälligst auf die Straße!«

Für einen Moment blieb Sōsuke bei diesen Worten sie Spucke weg. »Hör mal! Du hast genauso wenig aufgepasst, sonst wäre das sicher nicht passiert. Und wie redest du überhaupt mit einem Erwachsenen?« Unhöflichkeit in Person, dachte sich Sōsuke verstimmt.

»Das dürfte Sie reichlich wenig angehen. Außerdem sollten Sie eher aufpassen, wie Sie mit mir reden.« Der Junge setzte ein bedrohliches Lächeln auf und funkelte Sōsuke an.

Irgendwie strahlte der Junge etwas Seltsames aus. Er wirkte trotz seines jungen Alters wirklich ... bedrohlich? Es war eigenartig. »Junge, ich hab' keine Zeit für dieses Spiel.« Obwohl es nicht in Sōsukes Natur lag, sich mit jemanden zu streiten, kam er bei diesem Jungen nicht umhin. Da er es eilig hatte, packte er schnell seine Schachteln zusammen und wandte sich zum Gehen.

»Nenn' mich nicht Junge! Ich bin schließlich ...!«

»Bye Bye«, meinte Sōsuke nur noch und bog in die nächste Seitenstraße ein.

Sichtlich empört war der Junge über dieses Verhalten ihm gegenüber. »Wie kann der es wagen so mit mir zu reden? Doch Mumm hat er, das muss ich ihm lassen ...«

Ein wenig ausgelaugt kam Sōsuke einige Minuten später beim Blue Diamond an, stellte die Schachteln auf den Tresen und seufzte schwer.

»Ist etwas passiert, Sōsuke-san?« Akira hatte bereits auf dessen Rückkehr gewartet. Zur Mittagszeit war der Laden geschlossen, daher hielt sich Akira während seiner Mittagspause auch mal in der Lobby des Blue Diamond auf.

Sōsuke sah seinen jüngeren Freund lange an, wobei er sich kurz an jene Tage ihres Kennenlernens erinnerte. »Du warst damals viel süßer«, bemerkte er schließlich leise seufzend. »Und höflicher.«

Akira blinzelte. »Was meinst du?«

»Ach. Ich bin gerade jemandem begegnet, der sich regelrecht mit mir anlegen wollte ... Und im Vergleich zu ihm, warst du wesentlich niedlicher.« Doch davon wollte sich Sōsuke nicht länger runterziehen lassen. »Egal. Sei doch so gut und stell die Kartons weg. Ich habe gleich noch einen Termin.« Schnell war sein Lächeln zurückgekehrt.

Akira sah kurz auf die Schachteln, deren Inhalt er nur erahnen konnte. »Einen Termin?«

»Ja. Wenn es gut läuft, haben wir endlich bald einen Investor!«

Dass er das bereits zum elften Mal von sich gab, erwähnte Akira nicht, stattdessen: »Und zu wem gehst du diesmal?«

»Du hast sicher schon von ›Im-San-Ex‹ gehört?«

»Natürlich. Sieht man auch oft in der Fernsehwerbung«, stimmte Akira ihm zu und hob die Schachteln an. »Dann halte ich dich mal nicht länger auf. Viel Glück.«

»Danke. Bis später dann!«

Ein Gebäude, das zu einer Firma passte, die Weltweit vertreten war, erstreckte sich vor Sōsuke. Es hatte bestimmt zwanzig Stockwerke. Zudem eine große Lagerhalle im Innenhof.

Und das in einer Gegend wie dieser, dachte sich Sōsuke erstaunt. Denn nicht weit von hier entfernt lag sein kleiner Laden, der nach-wie-vor im Zentrum einer Wohngegend stand. Das zeigte einmal mehr, dass der Standort nicht immer ausschlaggebend für ein erfolgreiches Unternehmen war.

»Dann mal los!« Tief atmete Sōsuke ein, ehe er das große Gebäude betrat und sich an der Rezeption ankündigte.

»Sie werden bereits erwartet, Kitahara-san.« Eine junge Frau erklärte ihm den Weg – oberster Stock, am Ende des Ganges.

Ein wenig Nervös verließ Sōsuke den Fahrstuhl und betrat den langen geraden Gang, der ihn zu seinem Gesprächspartner führte. Mit langsamen Schritten näherte er sich dem ihm genannten Raum und stand nicht viel später vor einer dunkelfarbigen Tür. Auf sein Klopfen hin wurde er hinein gebeten. Langsam öffnete Sōsuke die massive Holztür und trat ein.

Ein dunkelhaariger Mann mittleren Alters stand vor einem großen Schreibtisch – üppig ausgestattet mit einer Vielzahl an Büroutensilien – und ging ein paar Unterlagen durch. Diese legte er beiseite, als er Sōsuke eintreten sah. »Sie müssen Kitahara-san sein, nicht wahr? Ich bin Washi Hiroshi. Erfreut, Sie kennenzulernen.« Mit einem freundlichen Lächeln trat er an seinen Gast heran und reichte ihm seine Visitenkarte.

Das Kärtchen nahm Sōsuke dankend entgegen und reichte ihm im Gegenzug seine eigene. »Freut mich auch Sie kennenzulernen, Washi-san.«

»Nun. Bitte, setzen Sie sich doch.« Hiroshi deutete auf einen ledernen Stuhl, der vor dem Schreibtisch stand.

»Vielen Dank.«

Nachdem Hiroshi ebenfalls Platz genommen hatte, sah er Sōsuke neugierig an. »Sie wollten Ihren Laden vergrößern, hatten Sie gesagt?«

Sōsuke nickte. »Ja. Da sich unser Kundenstamm stetig erweitert, wäre es von Vorteil, mehrere Zeitgleich beraten zu können.« Er hoffte inständig, dass es diesmal gut ausging.

»Beraten?«, fragte Hiroshi interessiert nach und hörte sich anschließend die Erläuterungen Sōsukes an. Nachdem dieser fertig war, sah Hiroshi ihn lange an. »Verstehe. Ihr Ziel dabei ist es also, den Alltag ... etwas erträglicher zu machen.«

»Ganz richtig. Und damit das in Zukunft noch reibungsloser funktioniert, würde ich gerne mehr Beraterräume zur Verfügung stellen.« Nervös lächelte er Hiroshi an. Innerlich bat er unzählige Male, dass Washi-san sein Einverständnis gab.

Schon im Vorfeld hatte Sōsuke dem Älteren ein paar Unterlagen zukommen lassen, auf denen er den Nachweis erbrachte, dass das Geschäft schwarze Zahlen schrieb. Diese ging Hiroshi noch einmal durch und lächelte zuversichtlich. »Das sieht doch sehr gut aus, Kitahara-san. Ich denke, ich werde das Blue Diamond unterstützen.«

Sōsuke horchte bei diesen Worten auf. »Vielen Dank!«, gab er überschwänglich zu verstehen und stand auf.

Hiroshi tat es ihm gleich und mit einem Händedruck besiegelten sie den Beschluss.

Nachdem die Formalitäten erledigt waren, verabschiedete sich Sōsuke mit einer tiefen Verbeugung und verließ anschließend das Büro. Blind vor Freude bemerkte er daher nicht, dass ihm jemand entgegenkam. Im letzten Augenblick sah er den Jungen zwar, doch war ein Zusammenstoß unausweichlich. Ein paar Schritte torkelten beide zurück, fingen sich aber wieder. »Tut mir leid! Ist dir was– «

»Sagen Sie, können Sie nicht nach ...«, schimpfte der Schwarzhaarige mit den Mandelaugen los, als ihm auffiel, mit wem er gerade sprach. »Sie? Was machen Sie denn hier?« Er verstand nichts mehr. Wer war das und was hatte er hier zu suchen?

Just in diesem Moment fiel auch Sōsuke auf, mit wem er es zu tun hatte. »Bist du nicht der von heute Morgen?«, fragte er dennoch nach. Auch er verstand nicht so recht, was der Andere hier tat.

»He! Ich hab' dir zuerst 'ne Frage gestellt!« Wütend funkelte er den Größeren an und vergaß dabei ganz die Etikette.

Sōsuke war das ›du‹ keineswegs entgangen, doch ignorierte er dieses fürs Erste. »Wenn du es unbedingt wissen willst? Ich hatte einen Termin bei Washi-san.«

Daraufhin sah Yuudai ihn irritiert an. »Bei meinem Vater?« Er überlegte kurz, schien dann aber einen Geistesblitz zu haben. »Ah, verstehe. Sie haben ihn also auch um Geld gebeten.« Man konnte deutlich die Verachtung aus seiner Stimme heraushören. »Wohl auch in den Miesen, was?« Abfällig sah Yuudai den Älteren an und verschränkte die Arme vor der Brust. Da es inzwischen nicht selten vorgekommen war, dass Kleinunternehmer mit Schulden um ›Unterstützung‹ baten, fiel seine Haltung denjenigen gegenüber dementsprechend aus.

Sōsuke wurde aus dem Jungen nicht schlau. Im Gegenteil. Je mehr dieser sagte, desto verwirrender wurde er. Aber eins war ihm klar geworden: Der Junge musste Washi-sans Sohn sein. »Mit dieser Annahme liegst du falsch. Im Gegenteil! Wir wollen erweitern, weil wir Plus machen!«

Dies konnte und wollte Yuudai nicht so wirklich glauben. »Ist das so?«, fragte er und musterte Sōsuke ausgiebig. »Kommt mir nicht so vor, als wären Sie jemand, der ...«

»Jetzt ist aber Schluss, Junge!«

Eine laute, raue Stimme unterbrach den Jungen mitten in seinem Satz, woraufhin sich Sōsuke und Yuudai umdrehten.

»Vater?«, fragte Yuudai beinahe kleinlaut.

»Was willst du schon wieder hier?« Streng sah der Vater seinen Sohn an und noch bevor dieser auf die gestellte Frage antworten konnte, fuhr der Mann fort: »Egal. Ab mit dir. Wir reden später.«

»Jawohl ...«, antwortete Yuudai nur und ging an seinem Vater vorbei, direkt in dessen Büro. Einmal drehte er sich noch um und schenkte Sōsuke einen missbilligenden Blick, ehe er schließlich ging.

»Verzeihen Sie bitte. Er kommt ganz nach seiner Mutter.«

»Ah, nicht doch. Es ist ja nichts passiert.« Wobei sich Sōsuke durchaus über dessen Einstellung wunderte ...

Nach diesem Zwischenfall machte sich Sōsuke anschließend auf den Heimweg, während Hiroshi in sein Büro zurückging, wo er bereits erwartet wurde.

Tief seufzte der Mann, als er seinen Sohn dort an seinem Schreibtisch sitzen sah. »Junge, Junge. Was machst du nur immer für Faxen?«

»Und du? Du bist viel zu nachgiebig, Vater!« Der Sohn drehte sich um und sah seinen Vater lange an. »Du kannst es nie sein lassen.«

»Wie ich dir schon oft sagte: Wenn du älter bist, wirst du das verstehen.«

Oft genug, grummelte Yuudai im Stillen und dachte wieder an Sōsuke zurück. Aber der Typ ... Der hat Mut, sich mir entgegenzustellen.

Wenige Tage später stattete Hiroshi Washi zusammen mit seinem Sohn Yuudai dem Blue Diamond einen Besuch ab. Zum einen wollte er sich einen Eindruck von Sōsukes Laden machen. Und zum anderen wollte er ihm zeigen, dass es sich durchaus lohnen konnte, wenn man in kleine Firmen investierte. Zu Beginn hatte Yuudai gar nicht mitkommen wollen, doch änderte dieser seine Meinung, nachdem er erfahren hatte, wer der Geschäftsführer war. So war er regelrecht Feuer und Flamme; schließlich konnte er es nicht auf sich sitzen lassen, dass ihm jemand derart Kontra gab!

Am frühen Abend betraten sie das Blue Diamond und waren vom ersten Eindruck erstaunt. In der Lobby befanden sich gut und gerne zehn Personen. Viele unterhielten sich angeregt und schienen gut gelaunt. Hiroshi trat einen weiteren Schritt vor, da öffnete sich eine abgelegene Tür. Aus dem angrenzenden Raum kamen wiederum zwei Personen, wobei eine von ihnen zum Personal zu gehören schien. Die Andere – ein Kunde, wie Hiroshi annahm – bedankte sich einige Male und gab kund, wie gut das getan hätte. Während Hiroshi das ganze Positiv betrachtete, fragte sich Yuudai was in dem Zimmer gemacht wurde.

»Ah. Washi-san! Guten Abend.« Mit aufgeschlossenem Lächeln kam Sōsuke auf seine neuen Gäste zu. »Schön, dass sie vorbeischauen und willkommen im Blue Diamond.«

»Guten Abend«, grüßte der Ältere freundlich. »Wie ich sehe, ist heute ja einiges los. Das ist schön zu sehen.«

Dass ein Geschäft unter der Woche gut besucht war, konnte man durchaus als Voraussetzung für eine Investition sehen. Zwar war dies für Hiroshi kein ausschlaggebender Grund, doch war es schön zu sehen.

»Jetzt vor Weihnachten sind wir oft ausgebucht«, erklärte Sōsuke. »Zum neuen Jahr hin wollen die meisten etwas ihrer Last loswerden und den Stress mindern, wissen Sie?« Er lächelte sanft, blickte in die Gesichter der Besucher und wandte sich dann wieder Hiroshi zu. »Und eben dafür sind wir da.«

»Was soll der Quatsch? Sind wir hier etwa in der Kirche oder was?« Bis eben hatte Yuudai das Gespräch der beiden gekonnt ignoriert, doch war es ihm bei dem Inhalt nun nicht mehr möglich gewesen. Mit mürrischem Gesicht trat er dann hinter seinem Vater hervor und sah Sōsuke scharf an.

»Nein, keineswegs«, antwortete Sōsuke auf die Provokation, ließ sich jedoch nicht weiter darauf ein. »Es stimmt zwar, dass das hier ein wenig was von einer Beichte in der Kirche hat, aber es ist keine. Wir reden mit unseren Gästen, wenn diese das wollen und versuchen sie dann bestmöglich zu beraten und zu unterstützen.«

Skepsis lag in Yuudais Blick. »Klingt ziemlich hochtrabend.«

Langsam hatte Sōsuke das Gefühl bei diesem Jungen auf Granit zu beißen. Natürlich war das Konzept des Blue Diamond etwas Extravagant, aber wenn es so schlecht wäre, wie Yuudai behauptete, würde der Laden nicht mehr existieren. »Weißt du was, Junge? Versuch's doch mal und bilde dir deine eigene Meinung darüber. Solche Vorurteile bringen dich im Leben nicht sehr weit. Sie sind doch sicher einverstanden, Washi-san?«

Dem Vater war natürlich nicht entgangen, dass zwischen den Zweien eine Art Rivalität lag. Es war ein wirklich ungewohnter Anblick. Selten bot man seinem Sohn so lange Kontra. Ein wenig amüsiert hatte Hiroshi die Szenerie beobachtet und stimmte Sōsuke schließlich freudig zu. »Bitte. Nur zu.«

»Du glaubst doch nicht, dass ich wirklich ...!«, protestierte Yuudai aufgebracht, wurde aber alsbald wieder unterbrochen:

»Yuudai.« Ermahnend sah Hiroshi seinen Sohn an. »Wo sind nur deine Manieren?« Nicht nur, dass er charakterlich nach seiner Mutter kam, schien er auch ihre Verhaltensweisen zu kopieren ... »Entschuldigen Sie ihn«, meinte er daraufhin an Sōsuke gewandt.

»Ah, nicht doch. Und? Wollen Sie es versuchen?«

»Ich denke schon. Yuudai sollte es sich wirklich erst einmal ansehen, bevor er es verurteilt.« Aus dem Augenwinkel heraus sah er den Jungen an, der von dieser Idee keineswegs erfreut schien.

»Schön«, bemerkte Sōsuke lächelnd und drehte sich um. »Tama! Etō-san hat gerade Zeit, oder?«

Der Angesprochene sah auf. »Hat er. Aber ich wollte Akai-san gerade ...«

»Kannst du sie fragen, ob sie nicht noch etwas warten kann? Washi-kun hier würde es gerne ausprobieren.«

»H-Hey!« Doch so sehr Yuudai auch zu widersprechen versuchte, wurde er weiterhin übergangen.

Nachdem Sōsuke Tamanosuke die Lage erklärt hatte, fragte Letzterer Frau Akai, ob sie denn ein wenig warten könnte. Die junge Frau hörte sich den Grund an und war daraufhin einverstanden.

Tamanosuke gab Sōsuke Bescheid, der sich gleich darauf wieder an den jungen Washi wandte. »Okay. Dann komm mal eben mit, Washi-kun«, meinte er noch und ging bereits vor.

Doch Yuudai schien noch immer nicht bereit dafür. Stattdessen sah er mit vor der Brust verschränkten Armen gen Fensterfront.

Hirsohi hatte keine Lust mehr auf dieses Benehmen. »Du gehst da jetzt rein«, sagte er streng.

»Warum sollte ich? Wer zwingt mich denn dazu?«

»Ich. Und jetzt geh!« Hiroshis Stimme war etwas lauter geworden und auch sein Blick war nicht mehr der freundlichste.

Einige der Gäste waren auf die Szene aufmerksam geworden und drehten sich daher zu den beiden Männern um. Frau Akai, die gerade einen Platz auf der Sitzgruppe ergattern konnte, erhob sich wieder und trat an die zwei heran. Da sie bereits erfahren hatte, worum es ging, wandte sie sich direkt an Yuudai: »Ich habe gehört, dass du ... sehr skeptisch sein sollst.«

Obwohl sie ihn herzlich anlächelte, blieb er weiterhin verstimmt. »Was dagegen?«

Im ersten Moment war sie fast etwas schockiert über dieses Verhalten. Im nächsten wurde ihr klar, dass auch der Junge wohl einfach nur gestresst war. »Hör mal. Ich versteh' dich gut. Ich habe dem hier auch lange nicht getraut. Aber meine Freundin hat es mir und unseren Freunden so oft empfohlen, dass ich es einfach versucht habe. Und es war kein Fehler.«

Seine Neugierde wurde scheinbar geweckt, da Yuudai Frau Akai nun eindringlich ansah. Doch gerade als er etwas sagen wollte, kam Sōsuke zurück.

»Okay, Washi-kun. Etō-san wartet schon. Komm.«

Dass er jetzt nicht mehr auskam, war dem Jungen nun klar. Eigentlich hatte er immer noch wenig Lust dazu. Bevor er sich aber weiter von den ›Erwachsenen‹ belehren lassen musste, spielte er lieber mit.

Zusammen mit Sōsuke betrat Yuudai das kleine Zimmer. Dort wurden sie gleich von Usagi in Empfang genommen und nicht viel später saßen sie auf der Ledercouch.

»Okay. Du bist also Washi Yuudai-kun? Möchtest du etwas trinken? Wir haben ...«

»Sagen Sie mir einfach, wie das jetzt ablaufen soll«, unterbrach Yuudai Usagi schroff und schlug die Beine schwungvoll übereinander.

Geradezu perplex sah Usagi den Jungen daraufhin an. Eben wegen dieser Verhaltensweisen hatte er ältere Menschen lieber. »Wir reden.«

»Nur?«

»Wenn du das so sehen willst. Aber ja, nur.«

Einen genervten Seufzer stieß Yuudai aus, als er das hörte. »Und das ist alles?«

»Das ist alles. Vielen hilft es mit Fremden über seine Probleme zu reden. Dafür sind wir da.« Usagi lächelte ihn an und hoffte, mit dieser Erklärung seine Meinung ändern zu können. Er ahnte aber bereits, dass das schwierig werden könnte.

»Was soll daran toll sein, mit Fremden über die eigenen Probleme zu diskutieren?«

Schwierig war gar kein Ausdruck. »Nun. Es fällt einem oft leichter, wenn man sich jemandem anvertraut, den man nicht kennt.« Usagi verstand, dass er sich gerne mit Erwachsenen anlegte. Ob Yuudai sich bewusst war, dass er sich damit großen Ärger einhandeln konnte?

»Und wer versichert mir, dass niemand davon erfährt?«

Eine berechtigte Frage, die im Blue Diamond schon des Öfteren gefallen war. Natürlich wusste Usagi sofort eine Antwort darauf. Da er aber ein wenig genervt war, antwortete er anders als üblich: »Sag du es mir.«

Das freundliche Lächeln Usagis ließ Yuudai kalt, die Antwort aber nicht. Schön, dachte er sich und schloss für einen Moment die Augen. Dann wollen wir doch mal sehen, was er so drauf hat. Siegessicher lächelte Yuudai sein Gegenüber an. »Also gut. Dann erzähle ich Ihnen eben etwas.«

Über den plötzlichen Sinneswandel konnte Usagi nur staunen. »Na dann, nur zu.«

Sekunden verstrichen, in denen Yuudai sich zu sammeln schien. Dann unterbrach er die Stille mit ernster Stimme: »Der Freund eines Freundes eines Bekannten von mir hat einen selbstständig arbeitenden Vater. Und dieser Freund ist alles andere als einverstanden mit dem Firmenkonzept des Vaters. Irgendwann will er die Firma erben, aber ...« Er stockte.

Usagi sah ihn lange an. »Ein Freund also?« Skepsis lag in seiner Stimme. Nicht nur, dass der Freund erfunden klang, kannte er die Geschichte Yuudais bereits von Sōsuke. Scheinbar vertraute er ihm kein Stück.

»Der Freund eines Bekannten. Wenn Sie es wissen wollen, er heißt Masamune und ich bin ihm schon begegnet!« Yuudai schien bemerkt zu haben, das Usagi ihm seine Geschichte nicht ganz glaubte.

»Okay, okay. Aber das mit dem Vater ist doch nicht ihm passiert. Nicht wahr?«

Augenblicklich hielt der Junge inne. »Hat der Typ etwa was ausgeplaudert?« Wut lag in seinen Augen. »Ha! Ich wusste ja, dass man hier niemandem trauen kann. Das war's. Ich gehe!« Schon war er aufgestanden und wandte sich zum Gehen.

»Warte bitte! So war das doch nicht gemeint«, versuchte Usagi zu erklären und stand ebenfalls auf. »Ich habe das wirklich nur am Rande mitbekommen. Mir ist gesagt worden, dass du eine Meinungsverschiedenheit mit deinem Vater hättest ... Willst du nicht darüber reden?« Er lächelte ihn beschwichtigend an und hoffte, Yuudai zum Bleiben überreden zu können.

Yuudai blieb stehen, hielt den Türgriff aber noch umklammert. Das mit der Meinungsverschiedenheit stimmte ja. Und ein Geheimnis war es im Endeffekt auch nicht. Trotzdem hatte er bedenken sich jetzt, hier, bei diesem Fremden darüber auszulassen.

Usagi bemerkte die Pause. »Jeder hat anfänglich Skepsis. Das ist ganz normal. Aber es hilft wirklich. Es ist ganz erstaunlich. Du musst es nur versuchen.« Er kam dem Jungen ein wenig näher. »Willst du dich nicht doch wieder setzen und mir davon erzählen?«

Ein kaum hörbares Seufzen entwich Yuudai. Langsam löste er seine Hand vom Türgriff. Er wollte ihn doch austesten. Und da er sowieso Bescheid wusste, konnte er jetzt eigentlich auch weitermachen. Oder? Leise Zweifel beschlichen ihn dennoch. Wenn er ihm alles verriet – also auch die ›pikanten‹ Details ... Konnte er ihm dahingehend trauen, dass er es auch wirklich für sich behielt – so wie sie es hier anpriesen? »Und nichts wird ausgeplaudert?« Yuudai drehte sich wieder zu dem Älteren um und sah diesen scharf an.

»Nicht ein Wort«, versicherte Usagi und nickte ihm zudem bestätigend zu.

Da Yuudai nichts zu verlieren hatte, machte er kehrt und nahm wieder Platz. »Wehe mein Vater erfährt davon!«, drohte er dennoch.

»Keine Sorge.« Für einen kurzen Moment schwieg Usagi dann. »Verstehst du dich nicht gut mit deinem Vater?«

Auf diese Frage war der Junge nicht vorbereitet, daher antwortete er nicht sofort. »Eigentlich schon. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass er mich zur Weißglut bringt!« In dem zuerst unsicheren Blick war wieder Wut zu erkennen.

»Wegen des Firmenkonzepts?«, fragte Usagi nach, stand auf und holte eine Flasche Wasser aus dem kleinen Kühlschrank. Diese reichte er an seinen Gast weiter.

Yuudai nahm die Flasche mit einem kaum hörbarem »Danke« an. Er war noch immer überrascht, dass Usagi sich das anfängliche Gespräch gemerkt zu haben schien. »Obwohl wir eine Import-Export-Firma haben, die lediglich normale Umsätze macht, investiert er in alle möglichen Firmen, die kein Schwein kennt!« Etwas in Rage öffnete Yuudai die kleine Wasserflasche, die er noch immer in der Hand hielt, und nahm einen kräftigen Schluck aus dieser. »Wenn es wenigstens bodenständige Firmen wären, würde ich ja nichts sagen. Aber so ...!«

Usagi sah den Jugendlichen an, während er nachdachte. »Darf ich dir eine Frage stellen?«

Nach einem weiteren Schluck Wasser wirkte Yuudai wieder gefasster. »Nur zu.«

Ein weiterer Stimmungswechsel? Usagi wurde aus dem Jungen einfach nicht schlau. »Du sagtest eben, dass ›ihr‹ eine Firma habt. Bist du denn auch Inhaber?«

»Das nicht. Noch nicht. Aber Erbe. Und als Erbe habe ich sehr wohl Mitsprachrecht! Oder etwa nicht?« Yuudai sah ihn herausfordernd an und hoffte die richtigen Worte zu hören. Seine Hoffnung aber wurde jäh zerschlagen.

»Ich fürchte, die Rechtslage sieht das ein wenig anders, Yuudai-kun.«

Dass er gleich eine derart herbe Antwort bekam, brachte den Jugendlichen etwas aus dem Konzept. »Was ...?«

»So genau kenne ich mich da auch nicht aus. Stattdessen möchte ich dir einen Rat geben.«

Erst solche Töne schwingen, dann nichts wissen und jetzt nur ein Rat? Mit wem hatte er es hier nur zu tun ...? So langsam hatte Yuudai auch keine Lust mehr und das sah man seinem entnervten Gesicht an.

»Hör zu. Sprich doch einfach noch mal mit deinem Vater und versuch' ihm diese Gedanken mitzuteilen.«

»Als ob ich das nicht schon versucht hätte«, gab er nuschelnd zu verstehen. Wie oft er es schon mit ihm besprochen hatte, konnte Yuudai gar nicht mehr sagen. »Er ist zu stur und hört mir nie wirklich zu. Meint, ich sei noch ein Kind und so. Pah.«

Das liegt wohl in den Genen?, dachte Usagi bei sich und beugte sich etwas vor. »Vielleicht bist du es bisher einfach falsch angegangen? Sprich in Ruhe mit ihm und versuch' mal, es aus seiner Sicht zu sehen.«

»Aus seiner Sicht? Glauben Sie etwa, er hätte es mir nicht schon unzählige Male erklärt? Dass ich es nicht verstehe oder so? Von wegen!« Aufgebracht lehnte er sich zurück und setzte seine Beine wieder auf dem Boden ab. »Mir sind die Beweggründe durchaus klar. Aber ich habe etwas dagegen, das ganze Kapital zu verschwenden!«

Usagi bemerkte leichte Sorge im Blick seines Gegenübers, was ihn wirklich überraschte. »Kann es sein, dass du dir Sorgen um seine Zukunft machst?«

Bei dieser Frage geriet Yuudai ins Stocken. »N-Nein, ich ...«

»Verstehe. So ist das also«, meinte Usagi und lachte leise auf. »Sag. Was hast du deinem Vater bisher gesagt?«

Irgendwie nahm dieses Gespräch plötzlich eine unschöne Wende. Dass der Ältere ihn sofort durchschaut hatte, gefiel ihm gar nicht. Wie kam er da jetzt nur wieder raus? »Was ich ...? Na, dass es unklug sei und er sich nicht übernehmen solle. Dass er es überschätzt ... Dass er das Geld lieber anderswo investieren sollte!« So wie das hier lief, würde Yuudai bald wirklich alles preisgeben. Aber das ging doch nicht! Er war doch nicht freiwillig hier! Geschweige denn, dass er dieses Gespräch gewollt hatte ... Er musste es bald beenden, bevor noch andere Themen angesprochen wurden. »Wenn das so weitergeht, bleibt für mich nichts mehr ...!«, sagte er dann und knirschte mit den Zähnen.

»Für dich?« Usagi wusste nun sicher, dass er die Firma erben wollte. Wenn er so darüber nachdachte, glaubte er zu ahnen, warum sich der Junge so aufregte. »Verstehe. Du willst also die Firma deines Vaters weiterführen. Das hätte ich nicht von dir ...«

»Weiterführen?«, unterbrach Yuudai den Anderen harsch, legte die Beine erneut übereinander und beugte sich vor. Dann hob er die rechte Hand und zeigte mit der Handfläche auf Usagi. »Von wegen weiterführen. Das Geschäft mag ja nicht schlecht laufen, aber auf Dauer ist das nichts. Ich habe andere Pläne. Und wenn er nicht bald einlenkt, muss ich zu anderen Methoden greifen.« Yuudais Lippen umspielte mit einem Male ein geradezu gefährliches Grinsen.

Usagi schluckte. Dieser Junge war wirklich seltsam. Er wurde einfach nicht schlau aus ihm. Vielmehr konnte er einem richtig Angst machen – und das war erst recht beunruhigend. »Andere ... Methoden?«, fragte er und war schon auf die Antwort gespannt, als es an der Tür klopfte und das Gespräch damit unterbrochen wurde. »Ja, bitte?«

Langsam wurde die Holztür geöffnet und Tamanosuke trat ein. »Entschuldigt die Störung, aber darf ich euch bitten, das Gespräch zu beenden? Ist das okay für euch? Wir möchten Akai-san nicht länger warten lassen.«

Da dieses Treffen spontan zustande gekommen war, war es nicht verwunderlich, dass sie unterbrochen wurden. Dass Frau Akai den Jugendlichen vorgelassen hatte, war sehr zuvorkommend gewesen.

»Okay. Sind gleich fertig«, gab Usagi seinem Kollegen zu verstehen, während Tamanosuke die Tür wieder schloss, und wandte sich wieder an Yuudai. »Entschuldige, dass wir hier aufhören müssen. Aber wenn du möchtest, kannst du jederzeit wieder vorbeikommen.«

Auf diese Aussage hin verzog Yuudai missbilligend das Gesicht. »Das glaube ich nicht.« Dann stand er auf, stellte die leere Wasserflasche auf dem Glastisch ab und ging ein paar Schritte Richtung Ausgang. Blieb auf halber Strecke aber noch kurz stehen, wandte sich dem Älteren zu und verbeugte sich – der Etikette wegen – verabschiedend von diesem. Schließlich verließ er den Raum.

»Ein komischer Junge«, seufzte Usagi, während er seinem Gast hinterher sah, räumte dann die Wasserflasche weg und bereitete sich auf Frau Akai vor.

Mit einem »Vater, wir gehen« war der Besuch des Blue Diamond beendet. Zwar hatte Hiroshi noch etwas länger mit Sōsuke reden wollen, doch bestand Yuudai darauf sofort zu gehen. Nach einer kurzen Diskussion hatte der Vater schließlich eingelenkt. Bevor sie den Laden verließen, versicherte der Vater, dass er ein anderes Mal wiederkommen werde, während der Sohn lediglich mit der Zunge schnalzte und bereits nach draußen ging.

Ein paar Wochen später, als der Besuch längst vergessen war, wurde Yuudai von ein paar Kommilitonen eingeladen. Einer von ihnen habe einen tollen neuen Laden entdeckt und wolle nun alle dorthin mitnehmen. Eher widerwillig war er mitgegangen. Für ihn waren solche Treffen reine Zeitverschwendung. Wäre er nicht so lange genervt worden, wäre er nie mitgekommen.

So kam es, dass er an einem Samstagabend in der Stadt herumstand und auf seine Mitstudenten wartete. Gegen achtzehn Uhr, nachdem alle eingetroffen waren, führte sie der Weg in einen abgelegenen Stadtteil. Schon nach den ersten Metern – kaum den Bahnhof verlassen – ahnte Yuudai wohin es ging. Nur zu gut kannte er diese Gegend; schließlich war hier auch die Firma seines Vaters nicht weit. Und wenn er sich richtig erinnerte, gingen sie gerade wirklich in diese Richtung.

Das war doch jetzt ein schlechter Scherz, oder? Gerade erst hatte er den Laden und das Erlebnis von dort vergessen, da wurde er wieder hingebracht?

»Stopp mal!«, rief Yuudai aus, blieb stehen und runzelte die Stirn. »Da geh ich nicht rein!«

Seine Freunde waren ebenfalls stehen geblieben und sahen Yuudai fragend an. »Wieso? Kennst du den Laden denn?«

»Leider ja.« Er seufzte genervt.

»Ach komm schon. Wird sicher lustig! Und die Drinks sind echt super!«

»Bitte, Yuu-chan.« Eines der beiden Mädchen, das zur Gruppe gehörte, sah ihn mit großen, bittenden Augen an.

Yuudai erwiderte den Blick zwar, konnte seine schlechte Laune jedoch nicht verbergen. Er hasste Gruppenzwang. Und er hasste es, wenn man ihm lächerliche Kosenamen gab – ganz gleich von wem, und war das Mädchen noch so hübsch.

»Sei doch kein Spielverderber, Yuudai-kun. Du hast versprochen mitzugehen«, bemerkte das andere Mädchen mit herausfordernden Tonfall.

»Komm schon. Den Mädels zuliebe«, grinste sein bester Freund.

Yuudai spürte einen Klaps auf seiner Schulter, sah seinen ›besten Freund‹ lange an und seufzte erneut. Er hasste es, weil ein entkommen nur selten möglich war. »Wenn's denn wirklich sein muss ...«, stöhnte er schließlich und ließ sich in sein Verderben ziehen.

Ganz wie befürchtet war ihr Ziel das Blue Diamond. Kaum dass das Gebäude in Sichtweite war, verzog Yuudai das Gesicht. Sobald sich 'ne Gelegenheit bietet hau ich ab, sagte er sich und betrat zum zweiten Mal ungewollt diesen beinahe Unheil bringenden Laden.

»Hier ist aber ganz schön was los«, bemerkte eines der Mädchen, als sie den gut besuchten Laden überblickte. Die Sitzgruppe war belegt, ebenso die Stehplätze. Und alle unterhielten sich ausgelassen.

»Keine Sorge. Ich habe natürlich vorher reserviert. Kudō-san wird sich dann um uns kümmern.« Ein schelmisches Grinsen deutete darauf hin, dass es sich bei ›Kudō-san‹ um eine hübsche Frau handeln musste. Der Student zögerte auch nicht lange und ging direkt an die Rezeption, um die siebenköpfige Gruppe anzumelden.

Während Tamanosuke sich um die jungen Gäste kümmerte, sah sich Yuudai die Leute um ihn herum genau an. Zu seiner Erleichterung schienen weder der Inhaber noch der Andere da zu sein. Vielleicht war es aber auch so, dass sich ... Wie hieß er noch? ... Etō in dem Zimmer befand. Wenn dem so war, würde Yuudai sofort gehen – ganz egal was die anderen sagten.

»Schau doch nicht immer so finster, Yuu-chan. Irgendwann hast du ganz tiefe Stirnfalten«, dabei deutete sie auf seine verengten Augenbrauen und grinste frech.

»Hör auf, mich so zu nennen.«

»Wieso das denn?«

»Es ...«, begann Yuudai, wurde dann aber von einer herantretenden Frau unterbrochen.

»Guten Abend und willkommen im Blue Diamond. Ich bin Kudō Michiko und heute für Sie zuständig.« Sie lächelte freundlich, als sie sich leicht verbeugte.

Gruppentreffen waren im Blue Diamond nicht alltäglich, da die eigentlichen Beratergespräche so nicht durchführbar waren. Wenn sich daher mehrere Personen anmeldeten, wurde alles etwas offener gestaltet. Zudem blieben den Gästen pauschal zwei Stunden Zeit.

Michiko nahm die Bestellung der Getränke auf, gab diese dann an Keisuke weiter und führte die Gruppe in den Beraterraum. Damit für alle genügend Platz war, hatte man eine weitere kleine Sitzgruppe hinzu gestellt. Gleich nachdem die sieben Platz genommen hatten, wurde die Tür erneut geöffnet. Michiko hatte bereits auf Keisuke gewartet und nahm ihm nun das Tablett mit den georderten Getränken ab. Er schloss die Tür hinter sich, während sich Michiko ihren Gästen widmete.

Es dauerte nicht lange, bis eine nahezu ausgelassene Stimmung herrschte. Die Studenten unterhielten sich angeregt mit der hübschen Beraterin und untereinander, während sie ihre bunten Drinks – natürlich ohne Alkohol1 – tranken. Einzig Yuudai hielt sich zurück und brachte sich kaum ein. Er betrachtete das Treiben und die – teils sinnlosen – Gespräche, als er nicht mehr umhin kam und das Wort ergriff: »Wenn ihr meine Meinung hören wollt...«, begann er und sagte jedem seiner Begleiter, was er zu den jeweiligen ›Problemen‹ dachte.

Erstaunt, wie perplex wurde Yuudai daraufhin angesehen. Das Schweigen blieb nicht von langer Dauer, da gleich Kontra gegeben wurde: »Halt dich raus, du Spielverderber! Kudō-san ist doch dafür da!«

Ob das nun abwertend gemeint war oder nicht, konnte Michiko nicht feststellen, aber dafür etwas anderes: Der Junge hatte – trotz seiner mentalen Abwesenheit – auf Anhieb die richtigen ›Ratschläge‹ genannt; wenngleich in der falschen Tonlage. Vielleicht aber auch nur, weil er sie kannte. Ihr kam kurz der Gedanke, dass er sich für den Beraterjob eignen könnte, verwarf diesen aber gleich wieder – nicht nur wegen seines Alters ...

In guter Gesellschaft konnte die Zeit wie im Fluge vergehen. So waren die zwei Stunden im Nu vorüber. Die kleine Gruppe bedankte sich und verabschiedete sich von Michiko, die es ihnen gleich tat. Zusammen verließen sie den kleinen Raum. Inzwischen war es in der Lobby weniger gut besucht als zuvor und damit um einiges ruhiger.

Yuudai war das egal. Ihn hielt hier nichts mehr. Er wollte einfach nur noch nach Hause. Dicht gefolgt von seinen Kollegen verließ er alsbald das Blue Diamond. Er ahnte nicht, dass das nicht sein letzter Besuch sein würde.

Sōsuke kam gerade von einem Termin zurück zum Blue Diamond, als er Yuudai in der Ferne gehen sah. Wundern tat ihn das nicht, da die Firma seines Vaters ja praktisch in der Nachbarschaft lag. Erst später erfuhr er, dass der Junge wieder Gast gewesen war. Nebenbei hatte Michiko auch erwähnt, dass in ihm wohl ein Talent schlummere. Das konnte sich Sōsuke aber nur schwer vorstellen. Nachdem sich der Student ihm gegenüber so verhalten hatte ... Aber wie hieß doch es so schön?

»Der Schein kann trügen.«

Vielleicht war da ja doch etwas dran. Er ahnte nicht, dass der verwöhnte Junge eines Tages ebenfalls Teil seines Teams sein würde.

Etwa eine Woche später unterzeichnete Sōsuke die letzten Unterlagen, die Hiroshi ihm vorgelegt hatte. Damit war alles unter Dach und Fach und Geldsorgen rückten vorerst in weite Ferne.

1 Japaner sind erst mit 20 Volljährig

The Blue Diamond

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