Читать книгу Lese-Paket 1 für den Strand: Romane und Erzählungen zur Unterhaltung: 1000 Seiten Liebe, Schicksal, Humor, Spannung - Sandy Palmer - Страница 66

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Hans blickte auf sie herab, sah in ihr überirdisch schönes Gesicht, dessen Haut transparent wirkte. Es war, als hätte ein begnadeter Künstler diesen Kopf in einer nicht zu übertreffenden Schönheit geformt. Das war nicht Ingrid, wie Hans sie kannte. Die Frau, die hier aufgebahrt war, schien eine Fremde zu sein. Und doch war es Ingrid.

Er hatte sich, seit er wusste, welches Schicksal sie erwartete, immer vorzustellen versucht, wie es sein würde, wenn es einmal soweit war, was er dann empfände. Aber es war ihm nie gelungen, sich das richtig auszumalen. Und nun stand er allein in diesem Raum, den, die Hotelleitung zur Verfügung gestellt hatte. Kerzen waren aufgestellt worden, die Totenfrau hatte Ingrid hergerichtet. An einen Unfall erinnerte äußerlich nichts mehr. Sie lag da, als schliefe sie. Nein, verbesserte sich Hans, als er diese Überlegung anstellte, sie schläft nicht. Es ist, als sei sie eine Kopie, als läge da nicht die Ingrid, die er kannte, sondern eine andere.

Merkwürdig, dachte er, warum stelle ich mir das vor? Es ist Ingrid, ich weiß es. Ich müsste eigentlich Schmerz empfinden, wahnsinnige Trauer. Wir haben fast zehn Jahre zusammen verbracht. Und dennoch trennten uns Welten. Wir haben zehn Jahre nebeneinanderher gelebt. Im Grunde gab es erst ganz zuletzt, hier im Hotel, in diesen letzten Tagen so etwas wie ein Verständnis. Sie spielte nicht mehr ihre Rolle, sondern hatte sich ihm so gezeigt, wie sie war.

Es hätten zehn schöne Jahre sein können, überlegte er.

In seiner Rechten hielt er den Brief, den man in dem Sessel gefunden hatte, von dem aus Ingrid zu ihrer allerletzten Reise angetreten war. Er riss das Kuvert auf, zog den Brief heraus, faltete ihn mit einem Ruck auseinander und las:

„Lieber Hans!

Wenn du diesen Brief liest, bin ich irgendwo draußen im Meer, und ich weiß, dass ich nicht zurückkehren werde.

Verzeih mir, lieber Hans, wenn du dadurch Ungelegenheiten bekommen solltest. Ich weiß, dass es immer Ärger mit Behörden und dergleichen gibt, aber ich nehme an, du verstehst mich. Wir sind fast zehn Jahre Mann und Frau gewesen. Wirklich verstanden haben wir uns im Grunde erst die letzten Tage. Ein Verstehen, was über die körperliche Liebe hinausgeht, was mehr ist als ein Zusammensein, ein gegenseitiges Erdulden, und dennoch, ich bin ehrlich genug, um zu sagen, dass ich dich eigentlich nie geliebt habe. Als wir heirateten, war es mir sehr wichtig, einen Mann zu haben, den man vorzeigen kann.

Heute weiß ich, welch ein Unsinn das ist. Aber damals bedeutete es mir sehr viel. Es hat mir noch vor Monaten etwas bedeutet. Aber dann, seit ich weiß, was mit mir los ist, denke ich in vielen Dingen völlig anders, denn ich ahnte schon im Krankenhaus, woran ich leide, und ich danke dir für deine Mühe, die du dir gegeben hast, mir vorzuspielen, mein Leiden sei bedeutungslos. Ich bin auf dein Spiel eingegangen und wollte nicht, dass die kurze Zeit, die uns noch bleibt, getrübt wird. Klage Hartmut Timmel nicht an, dass er ehrlich zu mir war, als ich ihn darum gebeten habe. Ich musste es versprechen, es nie zu verraten, dass ich es von ihm weiß. Ich habe mein Leben lang dieses Versprechen gehalten. Jetzt wo du diese Zeilen liest, werde ich nicht mehr sein.

Lieber Hans, du warst zu schade für mich. Ich wollte, ich hätte das früher erkannt. Ich gebe zu, dass ich die meiste Zeit unserer Ehe geglaubt habe, ich müsste dich erleiden, ich brächte ein Opfer. In Wirklichkeit warst du derjenige, der Opfer gebracht hat. Ich bin sicher, du wärst mit einer anderen Frau wirklich glücklich geworden, mit mir bist du es höchstens in den letzten Tagen gewesen. Ich danke dir für das, was du seit Bekanntwerden meiner Krankheit getan hast, wie du dich um mich bemühtest, seit ich operiert wurde. Ich weiß, wie schwer es dir gefallen sein muss, ich weiß auch, dass es meine Schuld ist, wenn du mich nicht lieben konntest. Du hast es oft genug versucht und bist an meiner Gefühlskälte abgeprallt. Und nun, jetzt erst, wo ich dir Liebe hätte geben können, wo ich auf einmal begriff, was du wert bist, da war es mir von meinem Zustand her nicht mehr möglich, dir das zu erfüllen, was ich dir all die Zeit hätte erfüllen können. Ich gehe, weil ich nicht das Ende erleben möchte, was mir sicher ist. Verzeih mir! Vergiss mich! Doch wenn du an mich denkst, dann sieh mich, wie ich hier in diesen unseren letzten gemeinsamen Tagen gewesen bin.

Deine Ingrid

Er spürte, wie seine linke Hand zitterte, empfand auch wieder den Schmerz in seiner anderen Hand. Ihm wurde flau im Magen, und die Knie drohten ihm nachzugeben. Abrupt wandte er sich um und ging hinaus. Der Page, der dort draußen stand, um ungebetene Besucher abzuhalten, blickte Hans scheu an.

Hans ging hinaus, verließ das Hotel und setzte sich draußen im immer noch heulenden Sturm auf eine Bank. Die Kälte fuhr durch seine Kleidung und ließ ihn frieren, aber er starrte hinaus auf die kochende See, als spürte er das alles gar nicht mehr.

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