Читать книгу Lese-Paket 1 für den Strand: Romane und Erzählungen zur Unterhaltung: 1000 Seiten Liebe, Schicksal, Humor, Spannung - Sandy Palmer - Страница 65

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Auf den Inseln des ewigen Frühlings stürmte es. Teneriffa, das Urlaubsparadies, zeigte sich von seiner hässlichen Seite. Der Wind peitschte das Meer, und die Wogen schlugen hoch auf den Strand. Sandschleier prasselten wie Hagelkörper an die Betonwände des Hotels, gegen die Scheiben und flogen durch jede Ritze, wurden vom fauchenden Sturm bis in die Zimmer geweht.

Ingrid Berring saß unten im Foyer des Hotels, hatte sich eine Decke um Beine und Unterleib gehüllt und schlürfte den Tee, den ihr der Kellner eben gebracht hatte. Dr. Berring wollte nur ein kurzes Telefongespräch führen. Jetzt kam er aus der Zelle, ging zu seiner Frau und fragte, während er sich zu ihr herabbeugte: „Möchtest du nach oben gehen, oder sollen wir drüben in den Speisesaal ...“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe keinen Hunger. Ich möchte nichts essen.“

„Nie möchtest du etwas essen“, erwiderte er, obgleich er ganz genau wusste, dass dies eine Begleiterscheinung der Medikamente war, die sie einnehmen musste.

„Du siehst blendend aus“, meinte er anerkennend. Und tatsächlich sah sie längst nicht mehr so blass aus wie noch vor Tagen. Eine leichte Frische überzog ihr Gesicht. Aber noch immer wirkte es etwas aufgedunsen. Und auch ihr Haar hatte bei weitem die einstige Schönheit verloren. Trotz der Bemühungen des Hotelfriseurs machte es einen strähnigen, ja fast ungepflegten Eindruck. Aber auch das war eine Folge der Chemotherapie.

Sie lächelte dankbar zu ihm auf und sagte dann: „Ach, lass mich doch hier sitzen. Oder willst du unbedingt, dass ich etwas esse? Ich habe gar keinen Appetit, ich möchte nicht.“

„Nein. Wenn du nicht möchtest, dann bleib hier. Ist es dir hier auch warm genug?“

„Ich fühle mich großartig. Lass mich einfach so sitzen.“

„Und du willst tatsächlich, dass ich alleine essen gehe? Dann bleibe ich lieber hier.“

„Ich bitte dich, geh! Ich weiß, dass du einen Bärenhunger hast Du bist auch den ganzen Tag herumgelaufen, während ich gesessen habe.“

„Aber du wolltest ja, dass ich hinausgehe. Mir tut das Wetter gut. Diesen scharfen Wind habe ich gern. Er ist mir lieber als sie Sonne.“

Sie nickte lächelnd und sah ihn an wie einen Jungen, wie ein Kind, mit dem man nachsichtig sein musste. Und in demselben Ton sagte sie: „Nun geh! Iss bitte! Wir sehen uns nachher.“

Er wollte schon gehen, aber sie hielt ihn am Handgelenk fest und blickte ihn flehend an. „Küss mich, bitte! Küss mich!“

Er genierte sich etwas, dies vor allen Leuten zu tun, doch dann beugte er sich zu ihr herab und küsste sie auf den Mund. Sie griff mit ihren Händen nach seinem Hals, als wollte sie ihn festhalten. Und diese Hände waren knochig und dürr geworden. Er spürte das bei dieser Berührung. Dann aber gab sie ihn frei, und er ging, lächelte ihr noch einmal zu und verschwand dann im Speisesaal.

Sie sah ihm nach, blickte dann in die Runde und bemerkte, dass die meisten anderen Gäste, die hier wegen des schlechten Wetters in der Halle gesessen hatten, nun aufbrachen und dem Ruf des Gongs folgten, der zum Essen rief.

Drüben am Empfang las der Portier in einer Zeitung. Er hob nicht einmal den Kopf, als Ingrid Berring aufstand und ein wenig zittrig in den Beinen auf den Eingang zuging. Erst als die schwere Glastür geöffnet war und ein eisiger Windhauch hereinfuhr, da blickte der Portier auf, aber er las weiter, als sich die Tür hinter Ingrid schloss.

Ingrid achtete nicht auf den Sturm, der ihr Haar zauste, wie er das Kleid an den Körper presste. Sie ging diesem Sturm entgegen, sie ging auf das Meer zu. Draußen war kein Mensch. Die wenigen Ziersträucher, die sich vor dem Hotel am Rande des Strandes befanden, bogen sich im Sturm. Als Ingrid den Strand selbst erreicht hatte und ihre Schuhe im Sande einsanken, blieb sie stehen, streifte sich mit den Fußspitzen die Schuhe von den Füßen und ging dann durch den Sand auf die Mole zu, die weit ins Meer hineinreichte und an der sich die Wogen brachen.

Das Donnern der anrollenden Wellen, die an den gigantischen Steinen der Buhne zerstoben, übertönte jedes andere Geräusch.

Ingrid blickte über die Schulter zurück zum Hotel. Niemand folgte ihr. Sandschleier wehten auf die Gebäude zu, und das Meer tobte. Sie hatte diese lange zweihundert Meter weit ins Meer reichende Buhne erreicht, kletterte unter Schmerzen im Unterleib auf sie herauf, balancierte dann über die Steine. Auf der anderen Seite der Mole befand sich der Yachthafen. Von diesem Steinwall geschützt, konnten die schweren Wogen den im bedeutend ruhigeren Hafenwasser liegenden Booten nichts anhaben. Eine zweite halbkreisförmige Mole ließ nur einen kleinen geschützten Zugang zum Yachthafen frei.

Ingrid ging ein Stück weiter und hatte Mühe, auf der Höhe der Mole zu bleiben und nicht vom Sturm weggerissen zu werden. Dann kletterte sie auf der anderen Seite herunter, erreichte den Steg, an dem eine ganze Reihe von Booten festgemacht war. Und hier lag auch das Motorboot, was Dr. Berring gemietet hatte. Doch seit Tagen waren sie nicht mehr gefahren.

Es war nicht der erste Urlaub, den sie hier verbrachten und es war nicht das erste Mal, dass Ingrid mit einem Boot umging. Sie machte das Motorboot los, ging an Bord, startete den Motor und als das Boot schon ablegte, warf sie einen Blick zum Land hin. Da entdeckte sie den alten Bootswärter, der in seiner gelben Regenkleidung näherkam, etwas zu rufen schien und mit den Händen herumfuchtelte, als wollte er Ingrid davon abhalten, mit dem Boot zu fahren. Und er deutete auf den roten Sturmball, der gesetzt war an der Sturmwarnanlage drüben am Strand.

Ingrid lachte nur, beschleunigte die Drehzahl des Motors, wendete und fuhr dann mit dem Boot in rascher Fahrt auf den kleinen Eingang des Hafens zu. Sie duckte sich tief hinter die Windschutzscheibe, beschleunigte noch mehr und fuhr dann, als sie aus dem Hafeneingang heraus war, den tobenden Wellen entgegen. Die packten, schüttelten das Boot, warfen es hoch. Doch Dr. Hans Berring hatte ein sehr seetüchtiges kleines Schiff ausgesucht, und das Meer vermochte nicht, das Boot umzuwerfen.

Sie fuhr weiter. Immer den anrollenden Wellen entgegen. Eine Wasserflut überschüttete Ingrid, ergoss sich ins Boot, aber sie konnte den Kurs halten, brachte es fertig, dass ihr Boot nicht querschlug, sondern sich in die Wogen hineinbohrte; einmal ganz unten im Wellental war, angehoben wurde wie in höchste Höhe, um wieder talwärts zu schießen.

Aber dann schlug ein Brecher von oben wie eine Wand auf das Boot herab.

Eben hatte Ingrid noch mit schriller, überschnappender Stimme gesungen. Das, was sie da herausforderte, kam aber mit einer gewaltigen Kraft, brodelnd und kochend, schäumend und donnernd auf sie zu. Mit der Urgewalt des Meeres wuchtete diese riesige Woge von oben senkrecht auf das Boot, als wollte sie es zerschlagen.

Mit einem Male fühlte sich Ingrid vom Steuer, an das sie sich geklammert hatte, losgerissen, gegen den Boden geschleudert, und etwas traf hart und schmerzend ihren Rücken. Zugleich aber ergoss sich diese Wasserflut auf sie und das Bootsdeck. Es war, als geriete sie unter eine Zentnerlast. Sie schluckte Wasser, konnte nichts mehr sehen, spürte, wie sie herumgewirbelt wurde, und mit einem Mal prallte sie mit dem Kopf gegen einen harten Gegenstand. Sie sah noch, wie das Boot sich steil aufrichtete, als wollte es wie eine Rakete vom Meer aus zum Himmel aufsteigen. Dann aber wurde Ingrid von der Meereskraft herabgezogen wie in einen schwarzgrünen Schlund, aus dem es kein Entrinnen gab. Als ihr die Sinne schwanden, da spürte sie nicht mehr, wie sie gegen den Rumpf des Bootes geschleudert wurde. Das Boot, das jetzt gekentert war, kieloben, quer zur Richtung der Wogen trieb, auf die Wellenkämme stieß, wieder ins Tal hinabsank und nun - ein Spielball der Wellengewalt - zurück zum Land getrieben wurde.

Und ebenso erging es Ingrid.

Dr. Hans Berring war vom Portier darauf aufmerksam gemacht worden, dass seine Frau zum Hafen gegangen war. Irgendeine Ahnung schien der alte Mann doch gehabt zu haben, und Hans befand sich bereits am Strand, als er den alten steifbeinigen Bootswärter sah, der vergeblich versucht hatte, Ingrid zurückzuhalten. Das Boot selbst und seine Insassin konnte Hans vom Hoteleingang aus nicht mehr entdecken. Aber nun lief er zum Strand hinunter, rannte hinüber zum Hafen, und der Bootswärter, der ihm entgegenblickte, schien ihn erkannt zu haben, winkte. Und der Wind, der von See her kam, wehte Geräuschfetzen von Motorenlärm des Bootes in die Ohren Dr. Berrings. Er lief, obgleich er im weichen Sand einsank und bei jedem Tritt ganze Wogen des feinen Sandes hochgerissen und vom Wind davongetragen wurden. Doch was kümmerte ihn das jetzt!

Als er die glitschige Mole erreichte, oben war und dann erkannte, wie Ingrid bereits durch die Hafeneinfahrt gefahren und von den ersten schweren Brechern gepackt worden war, meinte er, das Herz müsste ihm stehenbleiben. Er konnte nur noch zuschauen. Aber er lief weiter, rannte über die Mole hinweg zur Hafeneinfahrt hin. Er sah das Boot jetzt nicht mehr! Es war wie verschlungen von der See. Doch dort! Da tauchte es auf! Ganz oben auf einem Wellenberg sah er es tanzen wie eine Nussschale. Unmittelbar danach war es wieder verschwunden.

Er lief weiter, bis es kein Weitergehen mehr gab, bis er am Ende der Mole stand. Und er musste sich festklammern, damit ihn der Sturm nicht bis ins Hafenbecken zurücktrieb. Hilflos musste er zusehen, wie da draußen immer wieder das Boot auftauchte, das verloren war, so sicher wie der Wind die Wogen peitschte.

Es kam, was kommen musste. Mit einem Mal sah er das Boot kieloben, da war es auf den Wellen. Wie es tanzte, war es nichts weiter als ein Spielzeug in der Urgewalt des Meeres.

Ingrid!, dachte er entsetzt. Wo ist Ingrid?

Mit einem Male sah er sie. Da vorn, in den Wellen trieb sie, wurde hochgerissen, versank in der Tiefe, tauchte wieder auf! Und mit rasender Geschwindigkeit trieb das Meer sein Opfer auf die wellenbrechenden Steine der Mole zu. Dort würden sie den Körper der jungen Frau zerschlagen.

„Nein!“, schrie Hans, „Nein!“ Und dann riss er sich die Jacke herunter, starrte auf diesen Körper, der da in den Wellen trieb, der immer rascher näher kam und war entschlossen zu verhindern, dass das Meer die hilflos treibende Frau gegen die Steine schlug, sie dort tötete. Denn der Gedanke, dass sie vielleicht schon tot sein konnte, der kam ihm nicht.

Als er meinte, dass sie nahe genug war, da stürzte er sich ins Wasser, versuchte gegen das tobende, donnernde Meer anzukommen, aber die Woge packte ihn, drohte ihn selbst gegen die Molensteine zu schleudern.

Geschickt tauchte er, versuchte den Wogenschlag zu unterschwimmen, und plötzlich sah er ein Paar Beine vor sich, griff zu, umschlang mit seiner Rechten Ingrids Körper und versuchte sie heil auf die Mole zu bringen. Aber in diesem Augenblick hatte das Meer das Boot wie ein Geschoss gegen die Mole geschleudert. Unter einem donnernden Knall, einem Splittern, einem Prasseln zerfiel es in Stücke. Und dann geschah es!

Wie ein riesiges Schwert wurde das losgerissene Dollbord von einer Welle gepackt und mit furioser Gewalt nach unten geschleudert. Hans sah dieses Dollbord wie einen überdimensionalen Hockeyschläger auf sich herabkommen. Vergeblich versuchte er auszuweichen. Da schmetterte dieses eisenbewehrte Holzbord auf seine rechte Hand, mit der er Ingrid umkrampft hielt.

Hans schrie auf vor Schmerz. Er hatte das Gefühl, alles in ihm sei urplötzlich gelähmt. Der Schmerz war so stark, dass es ihm bis ins Herz hineinstach. Für eine Sekunde lang verlor er jede Kontrolle, und sofort überwand ihn die Macht der See, riss ihn hoch, schleuderte ihn auf die Mole zu, und auf der Höhe einer Woge stürzte er hinab auf diesen schmalen Steg.

Doch jetzt rettete ihn Ingrid. Rettete ihn mit ihrem Körper. Sie dämpfte seinen Aufschlag, als sie unter ihn zu liegen kam. Aber schon wollte ihn die See zurückreißen, wollte ihn mitnehmen. Doch plötzlich waren die Hände des Alten da, packten zu, rissen ihn und Ingrid ein Stück weiter landwärts, brachten sie beide in Sicherheit.

Fast irrsinnig vor Schmerzen richtete sich Hans auf, blickte auf Ingrid. Und an ihrer eigenartigen Kopfhaltung erkannte er, dass ihr niemand mehr hatte helfen können, dass sein Opfergang ihr Leben nicht gerettet hatte.

Er hörte den Alten auf spanisch nach einem Arzt rufen. Und jetzt blickte Dr. Hans Berring auf seine rechte Hand, auf seine zerschmetterte rechte Hand.

Es geschah wie in Trance, dass er ins Hospital gebracht wurde, dass man seine Hand verband, sie schiente, sie in die Binde hängte. Sie wollten ihn in der Klinik lassen, aber er verweigerte das.

Gegen Abend ließen sie ihn gehen, nachdem er eine schmerzstillende Spritze bekommen hatte. Jemand aus dem Hotel begleitete ihn, jemand, den er nicht kannte, und der ihm vorhin schon geholfen hatte. Aber alles war für Hans wie im Traum. Ingrids Tod, und die Verletzung seiner Hand.

Eine Verletzung, von der er auf Anhieb wusste, dass diese Hand womöglich nie mehr wiederherzustellen war. Doch noch hatte er etwas Hoffnung. Noch war er viel zu gelähmt von Ingrids Schicksal.

Und am Abend dann trat er in den Raum, in dem sie aufgebahrt war.

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