Читать книгу Lese-Paket 1 für den Strand: Romane und Erzählungen zur Unterhaltung: 1000 Seiten Liebe, Schicksal, Humor, Spannung - Sandy Palmer - Страница 61

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Drei Stunden später standen sie sich gegenüber im Büro des Chefarztes: Chefarzt Professor Herfurth und sein Oberarzt Dr. Berring. Der Professor war krebsrot im Gesicht vor Zorn. Dr. Berring hingegen wirkte verlegen, ratlos, befangen.

„Und wenn Sie es sich hundertmal nicht erklären können, wie das passiert ist, es durfte nicht geschehen!“, rief der Professor. „Sie mussten vorher Ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen und sich vergewissern, dass es die richtigen Aufnahmen sind. Es interessiert mich nicht, wenn eine Schwester oder eine medizinisch-technische Assistentin Bilder vertauscht. Der Arzt sind Sie! Sie hätten nachsehen müssen! Es ist ein Glück, dass ich dazugekommen bin und ein zweites Glück, dass andere die Verwechslung noch gerade eben rechtzeitig bemerken konnten. Der Patient lebt. Es sind schwere Gehirnschädigungen eingetreten. Das ist selbstverständlich. Und möglicherweise, auch das gebe ich zu, wäre es für ihn eine Gnade gewesen, hätte sein Herz vorhin endgültig ausgesetzt. Aber er lebt. Und es ist durchaus möglich, dass er beim Wiedererwachen gar keine so schweren Schädigungen davongetragen hat, wie wir das jetzt annehmen, weil wir das gar nicht so genau wissen. Um ein Haar also hätte dieser Mann sein Leben verloren. Und das hätten Sie sich auf Ihr Panier schreiben können. Es wäre Ihre Schuld gewesen, Herr Berring, ganz alleine Ihre Schuld. Und ich muss Ihnen noch etwas sagen: Mir fällt die ganze letzte Zeit schon auf, wie unsicher, wie nervös, wie gereizt Sie sind. Dazu möchte ich jetzt endlich mal eine Erklärung. Ich habe Verständnis dafür, dass einer meiner Herren überarbeitet ist. Dann hat er aber die Pflicht, es mir zu sagen, und wenn es sich machen lässt, dann soll er in Gottes Namen ein paar Tage Urlaub nehmen, sich erholen, denn wir können es uns nicht leisten, dass jemand infolge irgendwelcher nervlichen und körperlichen Belastungen diese schwierige Aufgabe nicht erfüllen kann, die hier gestellt wird.“

Hans sah ihn betroffen an. Schließlich sagte er. „Ich gebe zu, dass es mein Fehler ist. Sie haben recht. Ich hätte mich vergewissern müssen, dass die Namen auf den Aufnahmen stimmen. Ich weiß aber nicht, ob ich es unter anderen Umständen getan hätte. Wir verlassen uns aufeinander. Und bisher hat man sich aufeinander verlassen können.“

„Sie sehen aber, dass es immer Ausnahmen von der Regel gibt. Und ich wünsche nicht“, erklärte der Professor entschieden, „dass sich Derartiges nun noch wiederholen kann. Ich habe inzwischen Anweisung erteilt, wie man das System, dass wir hier handhaben, verbessern könnte. Abgesehen davon sprach ich ja eben Ihre schon bereits in letzter Zeit deutlich gewordene Nervosität an. Was ist los mit Ihnen?“

Soll ich ihm alles erklären?, dachte Dr. Berring. Es sieht aus, als wollte ich ihm etwas vorjammern. Auf der anderen Seite hat er mich mit einer Schuld belastet, die mich bedrückt. Ich hätte um ein Haar einen Menschen umgebracht. Aber er wird mich doch nicht verstehen. Ich werde schweigen.

„Ich habe Ihnen eine Frage gestellt. Würden Sie vielleicht darauf antworten?“, sagte der Professor mit einem scharfen Unterton, der Dr. Berrings Widerwillen regte.

„Es wird nicht wieder vorkommen. Ich werde mich mehr auf alles konzentrieren.“

Der Professor schlug mit der Faust auf den Schreibtisch, dass die Utensilien, die darauf standen, herumsprangen. „Es geht doch gar nicht um diesen Vorfall von jetzt. Es geht um alles. Haben Sie zu Hause Schwierigkeiten?“

Dr. Berring nickte. „Ich habe eine kranke Frau.“

„Was ist mit Ihrer Frau? Davon weiß ich ja gar nichts.“

„Warum soll ich Sie damit belasten?“, erwiderte Dr. Berring. „Sehen Sie, Sie sind jetzt vier Wochen lang in Urlaub gewesen. Ich bin die ganze Zeit hiergeblieben. Ich hätte mir auch einen Urlaub gewünscht, hätte ihn vor allen Dingen meiner Frau gewünscht. Ein letzter Urlaub. Aber so, wie die Dinge liegen, wird sie aus der Klinik nicht mehr herauskommen. Vielleicht als sogenannter Pflegefall für eine kurze Zeit.“

Der Professor war einen Augenblick lang geneigt, aus der Haut zu fahren, weil ihm Hans den Urlaub vorgeworfen hatte, aber jetzt sah er doch etwas betroffen auf Hans und sagte: „Mein Gott, was ist denn das? Eine Geschwulst?“

Hans nickte. „Viel zu spät. Keine Vorsorgeuntersuchung, nichts. Mir hat sie gesagt, sie hätte sie gemacht. Aber nun ist alles zu spät. Ich bin Arzt geworden, ich habe so viele operiert, schwierige Operationen gemacht, aber meiner eigenen Frau kann ich nicht helfen. Ich muss zusehen, wie sie unaufhaltsam diesem Graben entgegengeht, in den wir alle einmal fallen. Aber sie ist noch zu jung dafür.“

Der Professor schwieg. Er sah Hans etwas betreten an, strich sich dann übers Kinn und meinte: „Hören Sie, ich sehe ein, dass alles etwas zu viel für Sie wird. Einmal machen Sie die Untersuchungen zusammen mit den Leuten, die da aus Frankfurt gekommen sind und zum anderen liegt die ganze Aufgabe hier in der Unfallchirurgie noch vor Ihnen. Das ist zu viel. Ich kann Sie zwar schlecht entbehren, aber ich würde doch vorschlagen, dass Sie vielleicht für eine Zeitlang diese Geschichte mit den Leuten aus Frankfurt machen, aber hier im Operationssaal zunächst einmal das Feld räumen. Das ist kein Rausschmiss, ganz im Gegenteil, es soll ein halber Urlaub sein, wenn man es so nennen will. Ich hoffe, Sie sehen darin eine Lösung, mit der ich Ihnen helfen will.“

Dr. Berring nickte zwar, sah es aber durchaus nicht als eine Lösung an, die ihm helfen sollte. Er hatte begriffen. Der Professor, so dachte er, möchte mich für eine Zeit loswerden, glaubt nicht, dass ich unter den gegebenen Umständen noch in der Lage bin, mit sicherer Hand das Skalpell zu führen. Er hat mich suspendiert, das heißt, er hat mich aus dem OP geschickt, damit ich nicht noch mehr Unheil anrichten kann, als bereits geschehen ist

„Ich meine es wirklich gut mit Ihnen“, erklärte Prof. Herfurth.

Hans nickte, und als er dann ging, hatte er das Gefühl, von allen verlassen zu sein. Erst wollte er zu Ingrid gehen, aber wenn sie ihn in dieser Verfassung sah, würde er ihr bestimmt keine Stütze sein können. Trotzdem beschloss er, sie zu besuchen, ging ins Arztzimmer, zog sich den Kittel aus, hängte ihn in seinen Stahlschrank und wollte sich im nebenan befindlichen kleinen Waschraum noch einmal die Hände waschen, als ein junger Assistenzarzt und eine junge Medizinalassistentin das Arztzimmer betraten. Die beiden bemerkten gar nicht, dass jemand nebenan im Waschraum war und sprachen laut miteinander.

„... uns hätte er vielleicht etwas erzählt. Aber nun ist es ihm selbst einmal passiert, dem großen Meister aller Dinge“, sagte die Medizinalassistentin gerade.

Dr. Berring hob den Kopf und lauschte. Er hörte das Schlagen von einer der Stahltüren von den Kleiderschränken und die Stimme des Assistenzarztes, der erwiderte: „Der Arbeiter ist doch sowieso verloren. Der hat dieses Stahlstück ins Hirn bekommen. Wenn der wirklich wieder aufwacht, dann bleibt er womöglich gelähmt oder ist sprachgestört oder zumindest geistig defekt. Vorausgesetzt, er erwacht überhaupt noch einmal. Ich weiß nicht, ob“

„Das sagst du“, erwiderte die junge Medizinalassistentin, „aber du musst einmal hören, was die Schwestern sagen. Er ist ja sonst immer so streng, so genau! Kein Fehler darf gemacht werden! Und neulich ist er abgerutscht mit dem Skalpell. Da hätte er einem Patienten fast die Aorta durchschnitten. Lass es dir einmal von den OP-Schwestern erzählen.“

„Das ist doch alles Klatsch. Die übertreiben doch“, sagte der Assistenzarzt.

„Jedenfalls hat ihn der Chef jetzt in die Wüste geschickt. Und wenn ein Mann so mit den Nerven runter ist wie der Oberarzt, so wurde das auch Zeit. Dr. Faber ist jedenfalls kommissarischer Oberarzt geworden, und mit dem kann man ganz anders reden als mit Berring; der spielt sich ja bloß auf.“

„Ich weiß nicht, was du hast“, sagte der Assistenzarzt. „Wir sind mit ihm immer sehr gut ausgekommen. Er ist ein fabelhafter Mensch, ein erstklassiger Chirurg. Ich habe gehört, dass es seiner Frau nicht gutgeht. Sie soll in der gynäkologischen Abteilung liegen. Was Genaues weiß ich nicht."

„Ach, das sind doch Ausreden“, meinte die junge Assistentin. „Und wenn schon. Dann muss er seinen Job eben dran geben. Muss anderen Platz machen, wenn er nicht mehr kann. Ein Arzt sollte nicht so empfindlich sein.“

Die Tür knarrte, wurde von außen zugeschlagen, und Dr. Berring hörte nicht mehr, was die beiden dann weiter auf dem Flur sprachen. Aber er spürte, dass ihm der kalte Schweiß ausbrach. Erschüttert blickte er auf sein Spiegelbild, das er über dem Waschbecken sah.

In die Wüste geschickt, murmelte er. Wahrscheinlich haben sie recht. Er hat mich in die Wüste geschickt. Ein ganz winziger Fehler, eine winzige Nachlässigkeit, und alles das, was du vorher geleistet hast, was sie an dir gerühmt haben, ist einen Dreck wert. Und jetzt soll ich mit diesen Leuten aus Frankfurt reden, soll mit ihnen eine Forschungsserie vorbereiten. Und irgendwann dann wird man ihnen erzählen, was sich hier ereignet hat, und sie werden mich höflich, aber mit einem inneren mitleidigen Grinsen behandeln. Nein, ich werde nicht mit ihnen reden, ich werde nichts mit ihnen tun, ich werde in Urlaub gehen. Ich habe noch vom vorigen Jahr zwei Wochen und den von diesem Jahr, und wenn sie Ingrid herauslassen, fahre ich mit ihr zusammen irgendwohin. Irgendwo werden wir noch einmal so leben, als läge die Zukunft noch vor uns. Und vielleicht könnte ich es anders machen, könnte ihr helfen, die furchtbaren letzten Wochen nicht erleben zu müssen.

Er dachte an Heidi. Immer, wenn er an sie dachte, war es, als würde alles in ihm aufgewühlt. Aber zugleich empfand er ein Schuldgefühl Ingrid gegenüber, das ihn lähmte, das seine Phantasie regelrecht auslöschte, so dass er sich nicht einmal vorzustellen wagte, wie er sie in Erinnerung hatte.

Als er zehn Minuten später drüben in der Frauenklinik war, traf er an der großen Pforte seinen alten Freund Dr. Hartmut Timmel.

„Hallo, alter Junge, wie geht’s dir?“, rief Dr. Timmel, der gerade aus dem Lift getreten war und offensichtlich das Haus verlassen wollte.

Sie begrüßten sich, und Hans fragte: „Wie geht es ihr?“

Dr. Timmels Gesicht wurde sehr ernst. „Wir können so gut wie nichts machen“, sagte er. „Die Medikamente, die sie braucht, hat sie, die Dosis an Bestrahlungen können wir nicht mehr überschreiten, die Nebenwirkungen haben schon deutlich eingesetzt. Ich glaube, lieber Hans, es wäre vielleicht am besten, wenn wir sie nach Hause entlassen. Das ist das, was sie sich wünscht. Und noch etwas wollte ich dir sagen: Ich habe den Verdacht, dass sie durchaus weiß, was mit ihr los ist.“

„Wie lange, glaubst du, hat sie noch?“, fragte Hans.

„Im günstigsten Falle sechs Monate. Aber wie gesagt, die Sache schreitet bei ihr trotz der Bestrahlungen und trotz der chemotherapeutischen Mittel fast unaufhaltsam fort, und zwar viel schneller, als das normalerweise der Fall ist. Aber das hat man oft bei jungen Menschen, dass es da besonders schnell geht. Und sie ist ja noch relativ jung, vor allen Dingen viel zu jung für ihr Schicksal.“

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