Читать книгу Lese-Paket 1 für den Strand: Romane und Erzählungen zur Unterhaltung: 1000 Seiten Liebe, Schicksal, Humor, Spannung - Sandy Palmer - Страница 50

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Dr. Hartmut Timmel war ein Mann Mitte Fünfzig, groß, mit grauen Haaren und einer Stirnglatze. Er streifte die Einweghandschuhe ab, versenkte sie im Abfallkübel und blickte dann auf seine Patientin. „Sie können sich wieder anziehen, Frau Berring“, sagte er und beobachtete aus den Augenwinkeln die schlanke Frau mit dem kupferroten Haar. Sie war eine etwas zerbrechliche Schönheit mit blassem Gesicht und einem Paar leuchtender grüner Augen, unter denen dunkle Ränder lagen, die auch der leichte Puderhauch nicht verdecken konnte. Ein fülliger Mund und eine schmale nervige Nase vervollkommneten dieses rassige Gesicht. Diese Frau war voll erblüht in der Schönheit ihrer fünfunddreißig Jahre. Man sah ihr an, dass sie sich dieser Schönheit bewusst war, da sie in ihren Gesten und Bewegungen die Anziehungskraft ihres Körpers ausspielte. Aber sie war zugleich eine kranke Frau, wie Dr. Timmel eben festgestellt hatte. Die Schwere ihrer Krankheit allerdings kannte er noch nicht. Die Diagnose stand dafür noch nicht fest, aber er war sicher, auch dies bald festgestellt zu haben. Als er sich die Hände wusch, sagte er, ohne zu dem spanischen Schirm zu sehen, hinter dem sie sich ankleidete: „Ihr Gatte weiß doch sicher, dass Sie hier sind?“

Nach einem kurzen Zögern kam die Antwort: „Nein, ich habe noch nicht mit ihm darüber gesprochen. Er war auf einem Kongress in München, und wollte eigentlich gestern Abend schon wieder zurück sein. Aber er hat mich von irgendwo unterwegs angerufen. Und Sie haben sicher auch im Fernsehen gesehen, dass die Autobahn so furchtbar verstopft war. Er hat einfach irgendwo übernachtet, und ich denke, dass er daheim ist, wenn ich nachher nach Hause komme.“

„Wäre es dann möglich, dass er mich einmal anriefe?“

Einen Augenblick war Stille. Dann fragte Ingrid Berring mit einem leicht nervösen Unterton: „Ist denn etwas?“

Dr. Timmel bemühte sich, die Sache so unbedeutend wie möglich erscheinen zu lassen und sagte leichthin: „Ach wo, ich wollte mit Ihrem Herrn Gemahl einmal sprechen. Schließlich kennen wir uns schon lange und da sind ein paar Dinge, die ich schon längst einmal mit ihm bereden wollte. Wir haben uns eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.“

Misstrauisch wollte sie wissen: „Aber das hat mit mir nichts zu tun?“

„Am Rande nur, am Rande“, beteuerte er und trocknete sich die Hände ab. „Da ist eine kleine Geschichte, wie man das eben bei Frauen häufig hat. Ich kann noch nichts Endgültiges sagen, muss die Untersuchungsergebnisse abwarten. Ich habe da eine Gewebeprobe genommen, und wir müssen auch noch eine Röntgenaufnahme machen. Zur Sicherheit natürlich, immer zur Sicherheit, Sie verstehen? Man muss in solchen Dingen immer am Ball bleiben, darf nicht nachlassen, und wenn es noch so klein ist. In der Regel erweist es sich als harmlos.“

Sie hatte sich das Kleid angezogen, trat hinter dem spanischen Schirm hervor und sah ihn erregt an. „Eine Geschwulst?“, fragte sie mit schriller Stimme.

Er hob abwehrend die Hände. „Aber meine Liebe!“, rief er. „Ich sagte Ihnen doch, nur eine Kleinigkeit. Man darf nur nicht nachlässig werden in solchen Sachen. Immer sofort hinterher, das ist meine Devise.“

Sie hatte immer Vertrauen zu ihm gehabt und hatte es auch jetzt. So gab sie sich mit seiner Antwort zufrieden, zog hinten den Reißverschluss ihres Kleides zu, und als sie die Jacke anziehen wollte, half er ihr galant. Sie hatte ihn immer für einen Kavalier der alten Schule gehalten. Das war er sicherlich auch. Oft hatte sie sich gewünscht, Hans wäre ebenso. Auf der anderen Seite hatte Dr. Timmel etwas Undurchdringliches. Hinter sein Lächeln konnte niemand sehen. Sie wusste nicht, was sich hinter der immer gleichmäßig freundlichen Maske verbarg. Da konnte sie in Hans’ Antlitz wesentlich deutlicher lesen. Bei ihm glaubte sie immer zu wissen, woran sie war.

„Ich schreibe Ihnen hier etwas auf. Das können Sie zwischenzeitlich einnehmen, damit diese kleinen harmlosen Beschwerden weggehen. Wir sehen uns dann in zwei Tagen wieder. Bis dahin habe ich auch die Ergebnisse der Untersuchung, und wir können dann in aller Ruhe über alles sprechen.“

Als sie sich verabschiedete, bat er sie noch einmal, sie möge doch ihren Mann bitten, ihn anzurufen. Und er fügte hinzu: „Sie wissen ja, er ist sehr schwer zu bekommen. Immer unterwegs. Deswegen wäre es nett, wenn er mich anriefe. Ich habe es schon so oft vergeblich versucht, noch vorige Woche. Aber dann habe ich es aufgegeben.“

Die Tatsache, dass er berichtete, auch schon in der vorigen Woche angerufen zu haben, beruhigte sie. Jetzt, so dachte sie, bin ich sicher, dass es mit der Untersuchung gar nichts zu tun hat, dass er wirklich mit Hans aus ganz anderen Gründen hat sprechen wollen. Und mit diesem Gefühl verließ sie die Praxis, ging hinunter zu ihrem Wagen und fuhr dann nach Hause.

Unterwegs dachte sie an Hans, und sie fragte sich, ob er ihr etwas aus München mitgebracht hatte. Für seinen Beruf interessierte sie sich wenig. Sie hatte ihre Welt, ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen, ihre Hobbys wie Reiten und Tennis, dann ihre geliebten Teestunden mit Freundinnen oder Besuche in der Oper, im Schauspielhaus, alles Dinge, die ihr sehr viel bedeuteten. Auch auf ihr Äußeres hatte sie immer sehr großen Wert gelegt. Das dunkelblaue Kleid, das sie jetzt trug, ließ den Schmuck besonders zur Geltung kommen. Und Schmuck bedeutete ihr viel, so viel, dass sie inständig hoffte, Hans hätte ihr irgendeine dieser kostbaren Kleinigkeiten aus München mitgebracht.

München, dachte sie, da bin ich auch lange nicht mehr gewesen. Es wäre himmlisch, wenn er mich mitgenommen hätte. Aber er ist immer da auf diesen entsetzlichen Kongressen, und ich sitze den lieben langen Tag allein herum und muss warten, bis er dann am Abend endlich Zeit für mich hat. Sie hasste diese Kongresse. Was da vor sich ging, war ihr schleierhaft, und sie hatte nie den geringsten Versuch gemacht, das zu ergründen, ebenso wenig wie sie wissen wollte, was ihr Mann in der Klinik tat. Sie war in ihrer ganzen Ehe zweimal bei ihm im Krankenhaus gewesen, und schon die Atmosphäre schockierte sie. Nein, der Beruf ihres Mannes bedeutete ihr nichts. Das war seine Welt, und sie hatte die ihre.

Aber daran dachte sie nicht, als sie vor dem Haus, in dem sie wohnte, anhielt. Es war ein modernes dreigeschossiges Haus mit Eigentumswohnungen, die seinerzeit vor vier Jahren sehr kostspielig gewesen waren, da diese Häuser hier in unmittelbarer Nähe des Stadtwaldes auf teuerstem Grund standen. Dieses Köln Lindenthal war eine bevorzugte und recht teure Wohngegend. Aber darüber hatte sich Ingrid Berring nie Gedanken gemacht. Es war für sie irgendwie selbstverständlich, dass sie repräsentativ wohnte. Allerdings wollte sie von einem Einfamilienhaus irgendwo am Rande der Stadt oder gar außerhalb nichts wissen. Sie liebte den Luxus, aber auch die Bequemlichkeit und wollte sich nicht um Heizung und dergleichen Dinge kümmern. Andererseits schätzte sie kein Personal in der Wohnung, von der Putzfrau, die am Vormittag ein paar Stunden kam, abgesehen.

Sie wollte auch keine Kinder. Sie wusste, dass Hans wie verrückt auf Kinder war. Aber sie fürchtete um die formvollendete Schönheit ihres Körpers, um die Festigkeit ihrer Haut. Sie wollte kein Kind. Und sie wollte auch kein Kind aufziehen. Im Grunde machte sie sich überhaupt nichts aus Kindern. Schon der Gedanke, ein kleines Kind auch saubermachen und trockenlegen zu müssen, erfüllte sie mit Entsetzen. Außerdem fürchtete sie, viele Dinge dann nicht mehr tun zu können, die sie so sehr liebte.

In einer gelösten Stimmung betrat sie das Haus und freute sich jetzt schon auf das, was ihr Hans, wie sie glaubte, mitgebracht hatte. Schon im Treppenhaus hörte sie Geigenspiel. Das konnte nur Hans sein. Er spielte Violine, und wenn sie auch seine Musik nicht besonders schätzte, so wusste sie doch von Kennern, dass er ein Virtuose auf diesem Instrument war. Sie persönlich schätzte die klassische Musik allerdings nicht und hielt sich lieber an Schlager und Operetten. Der Opernbesuch war für sie in erster Linie ein gesellschaftliches Ereignis.

Als sie dann oben eintrat und die Tür hinter sich schloss, brach das Violinenspiel jäh ab. Die Tür zum Wohnzimmer war geöffnet. Auf dem Flur stand der Koffer von Hans. Die Geige in der Linken, den Bogen in der Rechten, trat er in die Tür, blickte ihr entgegen, lächelte. Er hatte seine Krawatte abgebunden, den Kragen seines hellgrauen Hemdes geöffnet, die Ärmel hochgekrempelt und sich Jeanshosen angezogen. Sie hasste es. wenn er in diesem Aufzug in der Wohnung herumlief. Sie gab auf Äußerlichkeiten sehr viel und empfand es als eine Herabsetzung ihrer Person, wenn er anderswo wie aus dem Ei gepellt war, zu Hause aber lässige Kleidung trug. Er allerdings hatte sich daran nie gestört, und sie musste sich zähneknirschend die Jahre ihrer Ehe damit abfinden.

Er wandte sich um, legte Geige und Bogen auf den Sessel, kam nun zu ihr auf den Flur zurück und ging ihr lächelnd entgegen. „Du bist eine strahlende Schönheit“, sagte er. „Du wirst immer hübscher.“

Sie betrachtete ihn kritisch und missbilligte insgeheim seinen Aufzug. Aber sie zwang sich dazu, zu ihm nett zu sein. Und als er sie küsste, ertrug sie es wie eine Pflicht.

Er spürte die Ablehnung und meinte auch den Grund zu kennen. Aber heute war es ihm irgendwie leicht. Und auch für ihn selbst war diese Begrüßungszeremonie wirklich nur eine Pflicht gewesen, die er sich und ihr gerne erspart hätte. Ihm fiel ein, worauf sie sicher wartete, und er sagte: „Ich habe dir eine Kleinigkeit mitgebracht. Sie liegt drinnen.“

Und nun folgte das übliche Spiel, das er schon kannte. Auch das wiederholte sich jedes Mal, als sei es ein fest geprobtes, immer wieder geübtes Ritual, das schon Bestandteil ihrer Ehe geworden war.

„Oh Liebling!“, rief sie, machte sich von ihm frei, stürmte erwartungsvoll ins Wohnzimmer auf den großen runden Marmortisch zu, der in der Mitte stand und wo er jedes Mal sein kleines Präsent hinlegte. Und wie auch die anderen Male kam dann ein freudiges „Oh“ und „Ah“, und kurz darauf musste Hans die Brosche, die es diesmal war, bewundern. Sie hatte sie sich angesteckt, drehte und wendete sich vor dem Spiegel damit, und Hans sagte pflichtschuldig: „Du siehst großartig aus.“

„Es ist himmlisch. Ich habe mir eine solche Diamantbrosche immer schon gewünscht. Es ist meine dritte. Aber die hier ist die schönste.“ Sie fiel ihm um den Hals, küsste ihn, und er ertrug es wie ein Mann.

Die nächsten Minuten war sie völlig mit sich und ihrer Brosche beschäftigt, so dass er in Ruhe Violine und Bogen in den Kasten tun und die Noten wegstecken konnte.

„Ich bin schon eine ganze Weile hier“, sagte er. „Zu essen ist sicher nichts vorbereitet?“

„Nein“, rief sie über die Schulter zurück, während sie sich immer noch im Spiegel betrachtete. „Ich dachte, wir gehen irgendwohin. Ich bin beim Arzt gewesen, bei Dr. Timmel. Da fällt mir gerade ein, er wollte sich mal mit dir unterhalten, hätte schon vorige Woche immer versucht, dich zu erreichen.“

Hans stutzte. Er hatte doch vorige Woche mit ihm gesprochen. Über den Kongress hatten sie geredet.

„Und er hat mich nicht erreicht?“, fragte er.

„Nein, du bist nie zu kriegen, sagte er. Du möchtest ihn anrufen. Er hätte so einige Dinge mit dir zu besprechen.“

Er hat mich angerufen, hat mich nicht erreichen können? Da stimmt doch etwas nicht. Ich habe doch mit ihm gesprochen, unmittelbar vor meiner Abfahrt, hatte ihm noch vorgeschlagen, dass wir gemeinsam in einem Wagen fahren, dass es für beide Teile noch etwas unterhaltsamer ist und außerdem nicht ein jeder die ganze Strecke allein fahren müsste. Aber er hatte abgelehnt, wollte diesen Kongress gar nicht besuchen. Was sollte jetzt dieser Hinweis? Nun gut, er würde es erfahren. Nachher, dachte Hans, werde ich ihn anrufen.

Ingrid kam wieder aus dem Schlafzimmer herausgetänzelt. „Gehen wir etwas essen?“, fragte sie.

„Können wir nicht hierbleiben? Ich würde ein paar Steaks grillen. Dann, könnten wir ...“

Sie sah ihn entrüstet an. „Warum gehen wir nicht weg? Wir könnten in die City fahren und dort schön essen, heute, wo du endlich einmal auch mittags da bist. Sonst kommst du doch immer erst abends und hast schon in der Klinik gegessen.“

Ihm missfiel es, sich wieder umziehen und in die City fahren zu müssen. Er wollte am liebsten hierbleiben. Außerdem kannte er die Ansprüche seiner Frau, nur in besten Lokalen zu speisen, und dazu hatte er heute keine Lust. Er wollte sich gehenlassen können und einmal so, wie er war, und ohne große Formalitäten essen.

Aber dann dachte er: Vielleicht ist es ganz gut so. Hier zu Hause wird sie mich womöglich mit Fragen bombardieren.

Er hatte schon überlegt, ob er in die Klinik fahren sollte. Er brauchte heute dort noch keinen Dienst zu tun. Aber es wäre eine Art Flucht gewesen, eine Flucht vor unbequemen Fragen. Denn, obgleich er es nicht zugeben wollte, empfand er doch ein schlechtes Gewissen vor Ingrid. Dieser Abend gestern in diesem kleinen Gasthof, zusammen mit Heidi ... Du lieber Himmel, ich kenne noch nicht einmal ihren Namen, habe keine Adresse, nichts. Einen Frankfurter Wagen fährt sie. In einer Stadt von weit mehr als einer halben Million Einwohner soll ich sie finden. Wenn ich Narr mir wenigstens die Nummer notiert hätte. Aber selbst das habe ich vergessen.

„Gehen wir nun oder gehen wir nicht?“, fragte Ingrid.

Er betrachtete sie. Ich habe eine schöne Frau, dachte er, eine phantastisch schöne Frau. Aber irgendwie kommt sie mir wie eine Puppe vor. Alles, was sie tat, wirkte perfekt, aber doch immer ein wenig einstudiert. Ich möchte sie einmal erleben, wie sie richtig ist, wenn sie diese Puppenmaske fallen lässt. In unserer ganzen Ehe ist das ein, zweimal geschehen, mehr nicht. Es waren wirklich nur Momente. Sie hat sich phantastisch in der Gewalt. Sie spielt immerzu eine Rolle. Sie wäre die perfekte Schauspielerin geworden.

„Also gut“, erwiderte er, „gehen wir. Ich ziehe mich um.“

Überrascht, dass er so schnell nachgab, sah sie ihn an. „Ich habe dich noch gar nicht gefragt, wie es war“, rief sie ihm nach, als er ins Schlafzimmer ging, um sich umzuziehen.

„Wie soll es gewesen sein?“

„Ich meine nicht, was ihr da besprochen habt. Das interessiert mich nicht.“

Natürlich interessiert es dich nicht, dachte er. Es hat dich noch nie interessiert. Und er fragte: „Und was meinst du?“

„Ich meine“, erwiderte sie, „ob du nette Leute getroffen hast. Oder seid ihr abends nicht einmal nett ausgegangen oder dergleichen? Weißt du noch, als wir damals in Schwabing waren? Verrückt, diese Kneipen, was?“

Er lächelte grimmig vor sich hin. Er kannte ja ihre Einstellung Menschen gegenüber, die ihre Haare lang wachsen ließen, die Bärte trugen, oder die, wie es seinerzeit viele Mädchen in Schwabing getan hatten, kurz geschürzt durch die Straßen gelaufen waren. Ingrid wertete solche Leute mit einem Pauschalurteil ab und gab sich nie Mühe, nur den Versuch zu machen, auf Andersdenkende einzugehen.

Er stockte in seinen Gedanken und dachte: Warum beurteile ich sie so negativ? Möchte ich mich vor mir selbst rechtfertigen? Will ich mir etwa klarmachen, dass ich mich von ihr trennen sollte?

Will ich mich denn von ihr trennen?, überlegte er. Ja, ich will es. Ich will von ihr weg. Ich möchte Heidi ... eine Frau, die mein ganzes Denken beherrscht, von der ich, das weiß ich genau, nie mehr loskommen werde. Eine Frau, die im Grunde eine Fremde für mich ist! Ich muss wahnsinnig geworden sein, dass ich so etwas überhaupt in Erwägung ziehe. Vielleicht bilde ich mir alles nur ein. Ich kann doch nicht von mir behaupten, jemand zu lieben, jemand zur Frau nehmen zu wollen, den ich gerade ein paar Stunden gekannt habe. Das ist doch schizophren.

Wenig später war Hans umgezogen, und sie fuhren in die Stadt, gingen in eins der besten Lokale, aßen, und Ingrid genoss es, ob ihrer Schönheit bewundert und von vielen Männern beobachtet zu werden.

Die Unterhaltung während des Essens war ziemlich einsilbig. Ingrid erzählte dann von einer Freundin deren Ehe. Aber beides interessierte Hans nicht, weil er die Freundin nicht besonders schätzte, nur als sehr oberflächlich kannte und der Mann ihn nicht interessierte. Während Ingrid erzählte, lehnte sich Hans im Stuhl zurück, und er wirkte so, als lausche er gebannt den Worten seiner Frau. In Wirklichkeit beobachtete er sie. Bei dieser Gelegenheit fiel ihm auf, dass er sie wohl die ganze letzte Zeit nicht mehr so intensiv angesehen hatte, wie dies jetzt der Fall war. Ihm fielen die dunklen Ringe unter den Augen auf. Er merkte, dass sie unter ihrem Makeup offensichtlich blass war. Das Rot auf ihren Lippen wirkte stärker aufgetragen, als er es sonst bei ihr kannte. Er beobachtete ihre Hände. Sie wirkten schmaler, feinnerviger als sonst. Vielleicht ist es auch Einbildung, dachte er. Da kam ihm der Gedanke. Als Ingrid mit der Geschichte fertig war, fragte er sie: „War das heute bei Kollege Timmel eine Routineuntersuchung oder ...“

„Das ist kein Gespräch bei Tisch“, erwiderte sie.

„Wir sind doch mit dem Essen fertig. Mein Gott, hast du irgendwelche Beschwerden?“

„Na ja, da ist schon was. Es tut manchmal weh. Er sagt, da wäre auch etwas, eine Kleinigkeit. Ich muss in den nächsten Tagen noch einmal hin - dass du auch jetzt davon anfangen musst!“

Sein Blick wurde noch kritischer. Und da sie ihn nicht ansah, fiel ihr auch nicht auf, wie er sie betrachtete. „Was sind das für Beschwerden?“, wollte er wissen.

„Ach, nun hör doch auf! Er wird es dir schon sagen. Du willst ihn ja ohnehin noch anrufen, oder nicht?“

„Doch, doch. Aber ich hielt es nicht für eilig. Der Anruf hat doch mit dir nichts zu tun, oder?“

„Das hatte ich anfangs aber gedacht, doch er sagte, er hätte vorige Woche immer wieder versucht, dich zu erreichen und hat dich nicht erreicht.“

„Ja, ich war viel unterwegs“, behauptete Hans, obgleich er ja wusste, dass er noch vor seiner Abfahrt mit Dr. Timmel gesprochen hatte. Also ist es doch ihretwegen, dachte er, und er war ein viel zu erfahrener Chirurg, um nicht zu wissen, welche Möglichkeiten da vorliegen konnten. Wenn ihn Timmel deswegen anrufen wollte ...

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