Читать книгу Lese-Paket 1 für den Strand: Romane und Erzählungen zur Unterhaltung: 1000 Seiten Liebe, Schicksal, Humor, Spannung - Sandy Palmer - Страница 44

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Sie war von strahlender Schönheit. Alles, was sie sich gewünscht hatte, war ihr bisher zugefallen: Geld, ein begehrenswerter Mann, hohes Ansehen. Aber jetzt lag sie auf dem Operationstisch. Der Chirurg arbeitete ruhig und sicher. Unterleibsoperation! Doch plötzlich stockte er, als das eigentliche Operationsfeld vor ihm lag. Um Himmels willen, dachte er, ist da noch etwas zu machen? Ist es nicht viel zu spät?

Dr. Berring nahm das Gas weg. Irgendetwas bewegte sich da vorne. Er konnte es im Scheinwerferlicht nicht deutlich sehen, zumal es in Strömen regnete. Aber dann gewahrte er eine Gestalt, ein Mensch im Regenmantel, der mit einer funzligen Lampe, die man nur mit Mühe erkennen konnte, winkte. Die Reifen des schweren Wagens rauschten auf dem nassen Asphalt. Dr. Berring bremste und sah jetzt deutlich, dass es sich um eine Frau handelte, die dort am Rand der ziemlich schmalen Waldstraße stand und winkte.

Als der Wagen Dr. Berrings zum Stehen kam, entdeckte Dr. Berring etwas Helles neben der Straße, und zugleich blitzte es dort auf, reflektierte das Scheinwerferlicht an irgendeinem verchromten Gegenstand.

Die Frau ging vorne am Wagen vorbei. Sie trug einen hellen Trenchcoat, den Kragen hochgeschlagen, das blonde Haar hing ihr völlig durchnässt bis auf die Schultern. Einen Augenblick nur sah er das Gesicht. Ein hübsches Gesicht, klar, schmal, mit ausdrucksvollen Augen, in denen sich, einen kurzen Augenblick nur, das Scheinwerferlicht brach. Geblendet wurden diese Augen schmal. Sie schien unsicher zu sein, kam dann aber an seine Seite.

„Ist Ihnen etwas passiert?“, rief Dr. Berring.

Mit einer dunklen, klangvollen Stimme erwiderte ihm die Frau: „Ich bin in den Graben gerutscht. Mir ist nichts passiert. Aber jetzt sitzt der Wagen da drin, und ich komme nicht heraus.“

„Sind Sie allein?“, fragte Dr. Berring, als er schon die Tür öffnete, um auszusteigen.

„Ich bin ganz allein. Es ist eben erst passiert, vor ein paar Minuten. Dieser Regen! Ich habe mir die ganze Kleidung verdorben. Am Wagen ist gar nichts, jedenfalls habe ich noch nichts gefunden.“

Dr. Berring ging nach hinten, öffnete den Kofferraum und nahm die Handlampe heraus. Dann ging er nach vorn zu der jungen Frau, die zu jenem hellen Fleck deutete, den er vorhin schon entdeckt hatte. Er leuchtete in diese Richtung, und das Licht fiel auf einen kleinen hellen Fiat mit Frankfurter Kennzeichen. Der Wagen steckte in einem tiefen Morast, war aber nicht beschädigt. Es würde nicht leicht sein, ihn dort herauszubekommen.

Die junge Frau sagte: „Wenn Sie mich nur mitnehmen würden bis zum nächsten Ort. Vielleicht kann ich einen Kranwagen bekommen. Ich kann mich über mich selbst ärgern. Ich bin von der Autobahn heruntergefahren, weil dort alles verstopft war. Heute Vormittag bin ich von Salzburg weggefahren und jetzt spät am Abend erst hier. Diese Stauungen waren furchtbar, jetzt zum Ferienende.“

Dr. Berring nickte. „Mir geht es ebenso. Ich bin allerdings erst heute Nachmittag losgefahren und zwar erst in München. Ich hatte völlig vergessen, dass die Urlaubszeit zu Ende geht und alles nach Hause strebt. Das Radio hatte ich auch erst angestellt, als ich in einem Stau drin hing. Aber was machen wir jetzt? Hier ist alles wie tot. Kennen Sie diese Strecke überhaupt?“

„Nein, das ist auch noch so eine Angst, die ich habe, dass ich irgendwo hingerate, wo ich nicht mehr weiterfinde.“

„Machen Sie sich keine Sorgen. Ich kenne diese Strecke. Aber jetzt geht es erst mal um Ihren Wagen. Ich glaube, wenn ich mein Seil nehme und Sie mit Ihrem Fahrzeug etwas mithelfen, dann kommen wir schon raus. Probieren wir es einfach!“

„Glauben Sie wirklich?“, fragte sie zweifelnd.

„Wir werden uns etwas Mühe geben. Probieren können wir es ja. Und wenn es nicht geht, nehme ich Sie halt mit bis irgendwohin, wo es einen Schleppwagen gibt.“

Sie wischte sich über die Stirn, rieb sich die Regentropfen aus den Augen und sagte: „Es ist furchtbar. Ich bin fix und fertig. Den ganzen Tag dieser Kriechverkehr, und jetzt das hier. Ich war etwas zu schnell gefahren, um wieder aufzuholen. Nun hab ich die Quittung.“

Er war schon zu seinem Wagen gegangen, öffnete den Kofferraum, holte sein Schleppseil heraus und sagte dann: „Ich werde es an Ihrem Wagen befestigen. Wir müssen ihn rückwärts herausziehen.“

„Lassen Sie nur! Stellen Sie den Wagen zurecht. Ich mache das schon. Aber ich glaube, es wäre am besten, wenn wir irgendeine Blinklampe aufstellen, damit uns nicht einer hier hereinfährt“, erklärte sie.

Sie brauchten ein paar Minuten, dann waren alle Vorbereitungen getroffen. Er hatte den Wagen schräg auf der Straße stehen, das Seil war angehängt, und sie saß in ihrem Fahrzeug und startete den Motor. Und dann zeigte sich, dass die große PS-starke, schwere Limousine die nötige Kraft besaß, um den kleinen Fiat aus dem Graben herauszuziehen. Zusammen mit einer ganzen Ladung Schlamm und Grasballen gelangte der kleine Wagen auf die Straße. Der Regen war noch stärker geworden. Dr. Berring stieg aus, ging mit eingezogenem Kopf nach hinten, um das Seil zu lösen. Als das geschehen war, leuchtete Dr. Berring zum anderen Ende des Seiles hinüber, das hinten an dem kleinen Fiat befestigt war. Die junge Frau kauerte sich, wollte es lösen, aber sie schaffte es nicht. Die Schlinge war so fest, dass sie sie nicht aufbekam.

Trotz der Nässe auf der Straße kniete sich Dr. Berring hin, löste die Schlinge und hob das Seil auf. Der Schein der Lampe fiel jetzt auf Schuhe und Beine der jungen Frau. Schlanke, bestrumpfte Beine waren das, die in sportlichen braunen Schuhen steckten, das heißt, braun war wohl die Grundfarbe der Schuhe, jetzt waren sie ebenso wie die Strümpfe mit Lehm besudelt. Sogar der Mantel der jungen Frau war schmutzig, und ebenso wie Dr. Berring war die junge Frau völlig durchnässt.

Sie sahen sich einen Augenblick an. Die junge Frau lachte und sagte: „Herzlichen Dank! Jetzt komme ich allein zurecht. Vielen, vielen Dank für Ihre Mühe!“

„Ich mache Ihnen einen Vorschlag“, erklärte er. „Wir beide sind triefend nass. Sie selbst sagten eben, dass Sie fix und fertig sind. Wie weit wollen Sie denn noch fahren?“

„Ich hoffte, hier auf Umwegen wenigstens bis Nürnberg zu kommen. Dort habe ich eine Bekannte. Weiter als Nürnberg wollte ich nicht fahren. Bis nach Frankfurt, das wäre mir zu weit. Dazu bin ich einfach zu erschöpft. Und ganz sicher ist die Autobahn zwischen Frankfurt und Nürnberg ebenso verstopft, wie sie das zwischen Salzburg und hier gewesen ist.“

„Damit müssen wir rechnen. Mein Vorschlag geht dahin: Ich kenne diese Gegend hier. Ich bin früher, vor vielen Jahren einmal hier gewesen. Es gibt ein Stück entfernt einen kleinen Gasthof. Ich hoffe, dass man dort noch übernachten kann, und morgen früh sieht die Welt schon etwas anders aus. Was halten Sie davon?“

Er konnte ihr Gesicht nicht deutlich genug sehen, aber er hörte ihre dunkle, ein wenig rauchige Stimme sagen: „Ich glaube, dass es ein guter Vorschlag ist. Wie weit ist es?“

„Sieben, acht Kilometer schätze ich. Ich fahre voraus. Folgen Sie mir nur! Hoffentlich ist an Ihrem Wagen nichts dran?“

Sie fuhr ein Stück, und außer der Tatsache, dass sie eine dicke Schmutzspur hinterließ, war nichts am Fahrzeug zu beanstanden. Der Wagen lief einwandfrei. Dr. Berring räumte mit den Füßen die größten Schmutzbrocken von der Fahrbahn herunter, drehte dann seinen Wagen und überholte die junge Frau, die angehalten hatte. Er fuhr voraus in mäßigem Tempo, um sie nicht dadurch zu überfordern, dass sie ihm zu schnell folgen musste.

Sie kamen aus dem Wald heraus, stießen dann ein paar Kilometer hinter Weinsfeld auf die Straße nach Hilpoltstein. Kurz darauf bog Dr. Berring rechts in einen schmalen Weg ab und fuhr langsam auf ein etwas zurückliegendes Anwesen zu, das noch erleuchtet war. Eine ganze Reihe von Wagen standen auf dem Hof. Eine Lichtreklame signalisierte, welches Bier hier ausgeschenkt wurde, und die Musik schallte Dr. Berring entgegen, als er die Tür öffnete.

Noch immer regnete es. Aber im Haus drin schien es hoch herzugehen. Ein Ballsaal war dem eigentlichen Haus angegliedert, und hier konnte man durch die Fenster tanzende Paare, von der Decke hängende Girlanden und an einer langen Theke eine ganze Kette fröhlicher Zecher erkennen.

Die junge Frau hatte neben Dr. Berring angehalten, stieg jetzt ebenfalls aus, und nun, im Schein der Lampen, die auf dem Hof brannten, sah Dr. Berring die junge Frau zum ersten Mal an. Seines Erachtens musste sie Mitte Zwanzig sein, und trotz ihres vom Regen ramponierten Haares, ihres beschmutzten, durchnässten Mantels war sie von hinreißender Schönheit.

Sie sah ihn an und lachte. Ihre perlweißen Zähne schimmerten. „Es sieht aus, als feierten sie hier ein Fest.“

Dr. Berring entgegnete nichts, sondern starrte sie nur an. Er war fasziniert von ihrem Anblick und empfand etwas, über das er gelacht hätte, wenn es ihm jemand anderer von sich erzählt hätte: eine Vorahnung nämlich. Unter anderen Umständen wäre das als „dummes Zeug“ von ihm abgetan worden, aber nun war doch diese seltsame Spannung in ihm, und er hatte ein Gefühl, als wäre dieses Zusammentreffen mit der jungen Frau für ihn schicksalhaft.

Wie automatisch antwortete er schließlich: „Ja, sie scheinen ein Fest zu feiern.“

Wie magnetisch angezogen gingen sie nun beide auf die erhellten Fenster des Ballsaales zu, schauten hinein auf die fröhlichen Menschen und entdeckten die Feuerwehrkapelle links hinten, deren schmetternde Klänge ihnen allzu deutlich in die Ohren klangen.

„Viel wird da mit Schlaf nicht werden“, sagte Dr. Berring.

Die junge Frau verstand ihn ob des Lärms, den die Musik vollführte, nicht und sah ihn fragend an, so dass er seine Bemerkung dicht an ihrem Ohr lautstark wiederholte.

Die junge Frau lachte. „Irgendwann werden die auch müde“, rief sie.

Er nickte, nahm ihren Arm und ging mit ihr zum Haus auf die Tür zu.

Ein paar junge Burschen kamen gerade heraus, blickten die beiden überrascht an und sahen ihnen nach. Aber weder Dr. Berring noch die junge Frau beachteten das weiter. Drinnen dann führte Dr. Berring die schöne Fremde in die Gaststube, die dicht gefüllt war. Aber er entdeckte dennoch die Wirtin, die er noch kannte von seinem letzten Besuch, und sie schien ihn ebenso zu erkennen.

Er winkte ihr, und sie setzte das Tablett mit den leeren Gläsern ab, bahnte sich eine Gasse bis zu ihm und rief: „Ja, der Herr Doktor! Wie kommen Sie denn hierher, bei so einem Wetter?“

„Die Autobahn war verstopft. Ich dachte, ich kann bei Ihnen übernachten. Wird das gehen?“

„Ja, sicher wird das gehen. Was brauchen Sie denn, ein Doppelzimmer?“

„Nein, nein. Die junge Dame hatte einen kleinen Unfall, nichts Schlimmes. In den Graben ist sie gerutscht. Aber es ist alles wieder in Ordnung. Ich habe sie mit hergebracht, weil ich denke, dass sie auch übernachten kann.“

„Natürlich“, meinte die Wirtin. „Es ist bloß laut. Zwei Stunden geht es noch. Dann ist Schluss. Wenn Ihnen das nichts ausmacht ...“

Dr. Berring sah die etwa sechzigjährige Wirtin an, deren graues Haar straff zurückgekämmt und dort zum Knoten geschlungen war. Sie hatte ein von der Schankarbeit gerötetes Gesicht. Doch trotz aller Erschöpfung verrieten ihre Augen eine freundliche Hilfsbereitschaft und Aufgeschlossenheit.

„Kommen Sie, Herr Doktor! Ich zeige Ihnen die Zimmer. Wenn ich es jetzt nicht tu, komme ich eh nicht dazu.“

Kurz darauf gingen sie zu dritt die Treppe hinauf.

Oben gab es vier Zimmer, und die Wirtin sagte: „Sie können sie sich aussuchen. Aber ich glaube, am besten ist, Sie nehmen die beiden hier drüben, denn nachher fahren alle mit dem Auto los, und da wird es laut. Die liegen hinüber zu den Feldern. Da ist es still. Die anderen beiden ... da hören Sie die Musik und den Lärm auf dem Hof zu sehr.“

Sie gingen noch einmal beide hinunter, weil die Wirtin vorschlug, sie sollten ihre Wagen an einen anderen Fleck stellen. Außerdem mussten sie noch das Notwendigste für die Nacht holen. Die Wirtin kam noch einmal an die Tür, als Dr. Berring und die junge Frau das Haus wieder betraten, und sagte: „Es tut mir furchtbar leid, aber ein Essen kann ich Ihnen nicht anbieten. Wenn Sie mit ein paar Broten vorlieb nehmen wollen, da kann ich Ihnen etwas zurechtmachen. Aber Sie sehen ja, es ist hier unten alles voll. Wenn es Ihnen nichts ausmacht und Sie es oben auf dem Zimmer essen würden ...“

„Einverstanden“, erklärte Dr. Berring. „Was meinen Sie?“ Und er sah die junge Frau an. Sie nickte ebenfalls.

„Ich schicke Ihnen etwas hinauf“, sagte die Wirtin.

Dr. Berring hatte seinen kleinen Reisekoffer ins Zimmer getragen, und die schöne Fremde befand sich nebenan. Einen Augenblick lang stand Dr. Berring vor dem Spiegel, der außen am Schrank angebracht war. Da sah er sich selbst. Ein großer sportlicher Typ war er. Er hatte brünettes Haar, ein schmales, fast wie geschnitzt wirkendes Gesicht. Es war ein sehr männliches Gesicht, nicht eigentlich schön, aber ausdrucksvoll. Das Gesicht des Oberarztes Dr. Hans Berring von der Unfallchirurgie an einer der größten Kliniken in Köln. Daran dachte er allerdings jetzt nicht. Er ging im Zimmer hin und her, und wieder hatte ihn diese Spannung erfasst. Er spürte die Nähe dieser faszinierenden Frau fast körperlich. Er blickte auf die Wand, als wäre die aus Glas und als könnte er die schöne Fremde sehen. Er hörte, wie drüben das Wasser lief. Das erinnerte ihn daran, dass er sich auch noch waschen und umziehen wollte.

Die Feuerwehrkapelle hatte wieder mit ihrem Spiel begonnen, und der Lärm der Blechmusik ließ das Haus fast in den Grundfesten erzittern.

Dr. Berring zog sich um, und er war nahezu fertig, als jemand an die Tür klopfte.

Er hatte Mühe, das zu hören, ging hin und öffnete. Ein junges Mädchen stand draußen mit einem riesigen Tablett und einem Krug in der Hand. „Ich bringe das Essen“, sagte sie.

„Das ist ja für zehn Mann“, erwiderte Dr. Berring.

„Das ist für Sie beide“, meinte das Mädchen.

„Für uns beide?“, fragte Dr. Berring überrascht. „Nun gut, setzen Sie es dahin!“

Als das Mädchen gegangen war, ging Dr. Berring zur Nebentür und klopfte, und wenig später wurde ihm aufgemacht. Die junge schöne Frau hatte ihr Haar in einen Frotteeturban gehüllt, trug ein sportliches weißes Hemd und lange schwarze Hosen. In dieser Kleidung kamen ihre sanft geschwungenen Konturen noch mehr zur Geltung als vorhin in Mantel und Kleid.

Bewundernd sah sie ihn an. „Sie sehen ja aus wie aus dem Ei gepellt. Aber mein Haar ist noch nass. Wenn Sie mir diesen Aufzug erlauben?“ Sie sah ihn fragend an.

„Das Mädchen hat das Essen gebracht. Alles schön zusammen, und es wird schwierig sein, es zu teilen. Wenn ich Sie also bitten dürfte, das Abendessen bei mir einzunehmen. Es tut mir sehr leid, aber ...“

„Warum tut es Ihnen leid? Würden Sie lieber allein essen?“, fragte die junge Frau lächelnd.

„O nein“, beteuerte er, „ganz im Gegenteil. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht. Ich wäre sehr glücklich, wenn Sie ...“

Warum sage ich das nur?, dachte er. Ich benehme mich wie ein Pennäler, der zum ersten Mal verliebt ist. Verliebt? Ein verrückter Gedanke.

Sie löste den Knoten des Frotteetuches, das sie um ihr Haar geschlungen hatte.

„Vielleicht ist es besser, wenn ich doch noch mein Haar trockne. Oder ist etwas dabei, das kalt werden könnte?“

„O nein, das nicht. Geben Sie her! Ich kann das auch tun.“ Er nahm ihr das Frotteetuch aus der Hand und begann ihr das Haar zu reiben. Sie legte den Kopf in den Nacken, damit es für ihn leichter wurde. Ihre Nähe ließ ihn nicht gleichgültig. Als sie das Haar mit einer schnellen Bewegung nach vorn warf, so dass ihr Nacken völlig frei lag, da war er versucht, sie an den Schultern zu fassen, an sich zu ziehen und ihren Nacken zu küssen.

Ich bin verrückt, dachte er. Ich bin nicht frei. Ich habe das noch nie getan. Neulich noch habe ich mich über einen Kollegen amüsiert, der vierzig Jahre alt ist wie ich selbst und sich eine Geliebte hält. Mit vierzig, habe ich gesagt, werden viele Männer verrückt. Und jetzt bin ich selbst dabei, über die Stränge zu treten.

Als ob sie seine Gedanken ahnte, wandte sie sich um, sah ihn an und fragte: „Was überlegen Sie?“

Er lächelte etwas verkrampft und sagte in gewollter Forsche: „Drehen Sie sich wieder um, wenn ich Ihr Haar abtrocknen soll!“ Er rieb weiter das Haar, und das Verlangen, sie in die Arme zu nehmen, sie zu küssen, wurde immer stärker in ihm.

Ich bin wirklich wahnsinnig. Ich darf das nicht tun! Ich habe kein Recht dazu!

Aber dann überkam es ihn doch. Er warf das Frotteetuch hinüber auf einen der Sessel, zog sie an den Schultern herum. Sie stand dicht vor ihm. Er sah sie an und meinte, in der Iris ihrer Augen bunte Lichter zu sehen. Als er sie küsste, geschah das wie unter einem Zwang. Sie wehrte sich nicht, im Gegenteil. Ihr Mund war leicht geöffnet, und sie schlang ihre Hände um seinen Nacken, als wollte sie sich an ihm festhalten oder fürchtete, er könnte von ihr weglaufen.

Dann aber machte sie sich von ihm los, sah ihn ernst an und sagte mit ein wenig heiserer Stimme: „Wir haben beide dazu kein Recht, nicht wahr? Sie nicht und ich nicht.“

„Sprich nicht!“, sagte er und zog sie erneut in die Arme. Es war, als wäre er gar nicht mehr Herr seiner selbst, als geschähe all das, was er tat, wie durch eine höhere Kraft. Und auch sie war nicht imstande, der Versuchung Widerstand zu leisten. Und doch war sie es wieder, die sich von ihm lösen konnte, sich frei machte und einen Schritt zurücktrat, ihn ernst ansah und sagte: „Wir tun es nicht wieder, nicht wahr?“

„Das Leben ist kurz. Ich habe noch nie einen Menschen so geküsst wie dich.“

Brüsk drehte sie sich um, wandte ihm den Rücken zu und senkte den Kopf. „Es war aber unrecht. Du bist ebenfalls verheiratet, nicht wahr? Und ich bin es auch.“

Es traf ihn wie ein Schlag, als er das hörte. Sie ist verheiratet, dachte er entsetzt. Aber zugleich schalt er sich einen Narren, davon überrascht zu sein. Ich bin es ja selbst. Warum wundert es mich bei ihr? Natürlich kann sie verheiratet sein. Sie ist kein Kind mehr.

Er wischte sich mit der Hand über die Stirn und sagte mit fast tonlos klingender Stimme: „Wollen wir essen gehen?"

Sie fuhr herum, blickte ihn an, erst überrascht, fast ein wenig verärgert, aber dann amüsiert und sie lachte. „Natürlich. Vielleicht hast du recht. Essen wir etwas. Glaubst du, dass uns dabei der rettende Einfall kommt?“

„Welch rettender Einfall?“, fragte er.

„Wie es mit uns weitergehen wird. Die Sache hat nämlich einen Haken.“ Sie kam auf ihn zu, tippte ihm mit dem rechten Zeigefinger vor die Brust, sah dann lächelnd zu ihm auf, wurde aber schlagartig ernst und fuhr fort: „Ich habe dich gesehen, richtig gesehen, als wir beide mit dem Herausschleppen des Wagens fertig waren. Und da hat es mich wie von einem Blitz durchfahren. Ich hätte nie geglaubt, dass es so was gibt. Aber nun weiß ich, dass so etwas keine Utopie ist.“

„Was heißt das zusammengefasst?“, fragte er ein wenig ironisch.

Ohne auf die Ironie einzugehen, erklärte sie: „Das heißt, dass ich dich liebe. Ich liebe einen Menschen, den ich noch nicht einmal mit Namen kenne. Es ist vielleicht besser, wenn ich diesen Namen nie kennenlerne. Trotzdem möchte ich dich irgendwie anreden. Nenn mir deinen Vornamen! Und nenn du mich Heidi!“

„Heidi klingt schön. Ich heiße Hans.“

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