Читать книгу Lese-Paket 1 für den Strand: Romane und Erzählungen zur Unterhaltung: 1000 Seiten Liebe, Schicksal, Humor, Spannung - Sandy Palmer - Страница 59

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Heidi saß im Wohnzimmer und notierte etwas, als Dieter kam. Doch er ging vom Flur direkt ins Schlafzimmer. Sie hörte, dass er den Schrank aufschloss, um wohl seine Anzugjacke hineinzuhängen, wie er es immer tat. Nach einer ganzen Weile kam er wieder, den Kragen seines weißen Hemdes offen, die Ärmel hochgeschlagen, die Hände in den Taschen seiner dunkelgrauen Hose. Heidi brauchte nur einmal hinzusehen, um zu erkennen, dass diese Hose sehr zerknittert war. Einen Fleck entdeckte sie ebenfalls.

„Hallo!“, rief er. Und schon an der Art, wie er das sagte und wie er sie mit leicht geröteten Augen anblickte, erkannte sie, dass er getrunken zu haben schien.

Warum auch nicht?, dachte sie. Er ist ja mit dem Zug gefahren und eben mit dem Taxi gekommen. Vielleicht haben sie im Speisewagen noch etwas getrunken. Sie kannte ja Dr. Gstaad, der ein großer Freund von alkoholischen Getränken war.

Er setzte sich ihr gegenüber, blickte auf den Zettel, den sie vor sich liegen hatte und fragte: „Was schreibst du da?“

„Ich habe mir notiert, was ich nach Zürich mitnehmen muss. Ich wollte nur noch auf dich warten. Ich muss einmal nach Zürich fahren, Kunden besuchen, Entwürfe vorlegen.“

Sein eben noch fröhliches Gesicht wurde schlagartig ernst. Er blickte sie aus schmalen Augen zweifelnd an. Sie begriff angesichts der Miene, die er machte, dass er ihr kein Wort glaubte. Aber er schwieg. Er sah sie nur an, und sie sagte: „Ich fahre wirklich nach Zürich. Ich kann mir vorstellen, was du wieder denkst. Aber das ist nicht.“ Sie griff über den Tisch hinweg, nahm seine Hand und drückte sie. Während sie ihn beschwörend ansah, sagte sie: „Dieter, ich will Abstand gewinnen. Ich möchte einmal zu mir selbst kommen. Und ich will, dass wir beide wieder richtig zueinander finden. Das geht nur, wenn ich einmal eine Weile ganz für mich allein war.“

„Ich bin ja nicht von dir weggelaufen“, sagte er rau, entzog ihr die Hand, lehnte sich zurück und blickte sie spöttisch an. „Du willst mir doch nicht verkaufen, dass du nach Zürich fährst.“

„Mein Gott, ich habe die Fahrkarte schon. Ich kann sie dir zeigen, bitte.“ Sie stand auf und wollte ihr Handtäschchen holen. Dazu musste sie an ihm vorbei. Als sie mit ihm auf gleicher Höhe war, da ergriff er plötzlich ihr rechtes Handgelenk, hielt sie fest, wirbelte sie herum und packte sie so hart, dass sie aufschrie. „Du tust mir weh, Dieter. Bitte, lass los!“ Sie versuchte, sich von seinem Griff zu befreien, aber er fasste nur um so härter zu. Und dann sagte er: „Du möchtest gerne wegfliegen, nicht wahr? Möchtest diesen Kerl wiedertreffen, mit ihm ins Bett gehen! Gib doch zu, dass du mit ihm im Bett warst. Gib es doch zu! Von wegen, nur geküsst! Glaubst du, ich ziehe die Hose mit der Beißzange an? Das kannst du doch einem Schwachsinnigen erklären, nur nicht mir.“

Ihr war, als hätte er sie mit eiskaltem Wasser übergossen. Sie fühlte sich derart schockiert, dass sie außerstande war, ihm zu antworten. Sie stand einfach da, starrte ihn an, und er ließ jetzt ihr Handgelenk los, dass ihr Arm schlaff herunterfiel, als wäre er ohne Kraft.

„Weißt du, was du bist?“, fuhr er sie an, „ein ganz gemeines Stück Dreck bist du! Eine Dirne bist du! Eine, die mit jedem Penner, dem sie begegnet, ins Bett steigt, ohne dass sie überhaupt weiß, wer es ist.“

Es verschlug ihr die Sprache. Bis ins Mark erschüttert, ja, sogar angeekelt, starrte sie ihn an, machte einen Schritt nach rückwärts, noch einen, bis sie mit dem Rücken an die Wand stieß. So blieb sie stehen, während er plötzlich schallend zu lachen begann, auf sie deutete und unter Gelächter ausrief: „Jetzt spielt sie das Reh. Sieh sich einer dieses Weibsbild an! Steht da, als könnte sie kein Wasser trüben, und dabei schläft sie mit jedem Kerl, der ihr begegnet. Das hätte ich wissen müssen! Zum Teufel noch mal, das hätte ich wissen müssen!“ Er erhob sich, blickte sie angewidert an und ging dann mit unsicheren Schritten auf die Tür zu. Als er draußen war, schlug er sie mit einem Knall ins Schloss, dass Heidi zusammenzuckte.

Von unten klopfte jemand empört an die Decke. Kein Wunder, es war schon nach 23 Uhr. Jetzt erst kam Heidi wieder zu sich. Ihr war, als sei sie geschlagen worden. Eben noch schockiert, erfüllte sie jetzt ein Zorn, der sie antrieb, die Wohnung zu verlassen. Sie ging nach draußen, wollte in ihr kleines Zimmer, wo sie an ihren Entwürfen arbeitete. Aber im Halbdunkel des Flurs stand er, versperrte ihr den Weg in dieses kleine Reich, das sie sich geschaffen hatte. Er stand breitbeinig vor der Tür, stemmte sich in die Türfüllung, als wollte er den Rahmen sprengen. Wirr hing ihm das blonde Haar in die Stirn. Aus rot unterlaufenen Augen starrte er sie an, und nichts erinnerte mehr an den netten, fröhlichen Jungen, der er einmal gewesen war. „Weg willst du! Jawohl, pack dein Zeug und verschwinde! Hau ab! Wälze dich in den Betten von anderen herum! Mach, dass du fortkommst! Aber lass dir ja nicht einfallen, jemals wieder zurückzukommen, nicht mehr hierher, nicht mehr zu mir! Scher dich zum Teufel!“ Er ging jetzt beiseite, trat die Tür auf, dass sie bis hinten anschlug und schrie: „Da, hol deinen Plunder und mach, dass du wegkommst! Zur Hölle mit dir! Ich habe eine Dirne zur Frau!“ Sie ging an ihm vorbei, ohne ein Wort zu sagen, nahm ihre Entwürfe, die auf dem Tisch lagen, sah sich um, ergriff ihre Handtasche, dann verließ sie das Zimmer, und noch immer stand er neben der Tür, starrte sie wütend an, und sein Atem ging hörbar laut.

Im Schlafzimmer stand ihr Koffer. Sie holte ihn, obgleich sie erst morgen hatte fahren wollen, nahm ihren Mantel und ging auf die Wohnungstür zu.

„Ja, hau nur ab! Geh zu deinen Freunden. Oder vielleicht willst du ein Freudenhaus eröffnen, ein Freudenhaus in Zürich!“ Er begann wieder schallend zu lachen. Sie drehte sich kurz um, maß ihn von oben bis unten und sagte dann leise: „O Dieter, dass es einmal so furchtbar enden würde, das hätte ich nie gedacht.“ Es würgte ihr in der Kehle. Sie konnte nicht weitersprechen, sie wandte sich ab, ging hinaus, aber weil der Lift nicht da war und sie nicht auf ihn warten wollte, benutzte sie die Treppe. Hoffentlich begegnet mir niemand, dachte sie, und hoffentlich schreit er nicht noch im Treppenhaus herum.

Aber genau das tat er. „Der Teufel soll dich holen!“, brüllte er von oben herunter. Dann begann er zu singen. Eine Tür klappte, und sie meinte schon, er wäre wieder zurück in die Wohnung gegangen, da hörte sie Wilfried Mauermanns Stimme, aber sie konnte nicht verstehen, was er sagte. Doch dann antwortete Dieter. „Der Teufel wird sie holen. Sie treibt sich mit anderen Männern herum. Was habe ich nur für eine Frau?“

Wieder antwortete Mauermann etwas, dann klappte eine Tür. Mit einem Mal war es still. Heidi hörte nur noch ihre eigenen Schritte auf der Treppe. Dann endlich war sie unten, und sie atmete auf, niemand begegnet zu sein. Sie öffnete die Haustür, trat hinaus, und ein kühler Windstoß empfing sie. Auf der Straße war alles wie tot. Die parkenden Autos, die Laternen vor den Wohnblocks, die Lichterketten der erleuchteten Fenster. Drüben das Werk mit einer Lichtflut, die den Himmel erhellte.

Ich muss zur Telefonzelle, dachte sie. Ich werde ein Taxi anrufen und zum Bahnhof fahren, oder, was noch besser wäre, zu Veronika. Ihr Mann ist ja in Köln geblieben. Sie tat, was sie vorhatte, rief ein Taxi und hatte Glück. Zehn Minuten später kam es, fuhr an der Telefonzelle vor, und sie stieg ein. Kurze Zeit später war sie bei Veronika.

Sie atmete auf, als sie noch Licht am Haus sah. Und Veronika ließ sie auch sofort ein. Sie trug ein helles, mit Blumen bedrucktes Kleid, strahlte Heidi an, als hätte sie auf sie gewartet. Als sie aber die Koffer, den Mantel und die einfach unter den Arm gepressten Rollen mit den Entwürfen sah, fragte sie: „Ist bei euch eine Bombe geplatzt?“

„So kann man es sagen“, erwiderte Heidi, die sich schon wieder etwas beruhigt hatte. Wenig später saßen sie sich im behaglichen großen Wohnraum der Gstaads gegenüber.

„Jens war vorhin bei mir“, erklärte Veronika. „Mein Mann ist ja in Köln. Er ist jetzt alleine hingefahren. Dein Mann und sein Kollege Mauermann werden ja erst morgen Nachmittag dort erwartet.“

„Dieter war auch heute schon dort“, erklärte Heidi, und ihr war, als spräche sie von einem völlig Fremden. Veronika sah auf, blickte Heidi forschend an und fragte dann: „Du weißt also nichts. Ich habe gedacht, das wäre der Grund gewesen.“

„Was soll ich wissen? Wofür einen Grund?“

„Du bist doch hergekommen, weil du Krach hattest mit ihm, nicht wahr?"

„Ja, er kam vorhin nach Hause, angetrunken. Er ist in Köln gewesen. Und dann hat er mit einem Mal einen Knall bekommen, als er sah, dass ich wegfahren will. Ich sagte ihm, ich möchte nach Zürich. Da ist er verrückt geworden, hat mich angeschrien, da rumgegrölt; jedenfalls bin ich dann weg. Er hat gesagt, ich soll zum Teufel gehen. Und er hat gesagt, ich wäre eine Dirne. Und er wollte wissen, ob ich ein Freudenhaus eröffnen wolle. Mein Gott, ich schäme mich so. Er hat es im Haus herumgebrüllt. Um die Zeit, wo alles still ist, hat das doch jeder gehört. Ich glaube nicht, dass ich jemals wieder in dieses Haus gehen kann. Es war furchtbar.“ Heidi stützte den Kopf in die Hände, starrte auf die Tischplatte.

Veronika lehnte sich im Sessel zurück, schlug die Beine übereinander und fragte: „Könntest du dir vorstellen, dass dein verehrter Dieter ein Filou ist? Und er ist ein Filou. Er war nicht in Köln. Ich hatte gedacht, es ist der Grund, warum ihr euch zankt, der Grund, dass du dahintergekommen bist, was er eigentlich getrieben hat.“ Sie beugte sich vor und sagte eindringlich: „Heidi, warum bist du nicht heute gefahren, wie ich es dir gesagt hatte?“

Heidi blickte auf. „Warum sollte ich heute fahren? Wo liegt der Unterschied?“

„Es wäre nicht zu dieser Szene gekommen. Ich muss dir etwas sagen. Ich muss es dir sagen, jetzt, nach diesem Zwischenfall.“

„Nun rede doch endlich! Ich weiß nicht, wovon du sprichst. Was ist passiert? Was war denn?“

Veronika zündete sich eine Zigarette an. Und erst als sie den Rauch ausblies, sagte sie: „Dein schöner Dieter hat eine kleine Freundin, ein kleines Liebchen. Meiner Schätzung nach ist sie zwanzig, einundzwanzig. Nicht unbedingt eine Schönheit, eher eine Mischung aus Baby Doll und Dummchen. Auf alle Fälle etwas, was manche Männer sehr mögen. Das geht schon eine ganze Weile. Ich weiß nicht, wie sie heißt, ich weiß nur, dass er schon eine ganze Weile mit ihr herumzieht. Sie trägt mit Vorliebe Jeans oder Miniröcke, obgleich die doch schon eine ganze Weile aus der Mode sind. Wie dem auch sei. Sie sind mir schon mehrmals begegnet. Das erste Mal rein zufällig auf dem Feldberg. Ich bin da mit Jens gewesen. Aber ich habe sie auch heute gesehen. Er hat offensichtlich keine Hemmungen, sich offen mit ihr zu zeigen. Sie waren auf dem HenningerTurm. Und dort oben habe ich sie abermals rein zufällig getroffen. Dann allerdings bin ich dir zuliebe auf ihrer Spur geblieben. Es gibt nichts Atemberaubendes von ihnen zu berichten. Sie sind zu zweit vor ein Stundenhotel gefahren, und dort gingen sie auch hinein, kamen dann nach etwa zwei Stunden wieder heraus, dann brachte er sie heim.“

„Wann? Heute?“, fragte Heidi verwirrt.

„Heute.“ Veronika lachte. „Das sind die Hüter der Moral. Die haben selbst den meisten Dreck am Stecken. Er hat sie also nach Hause gefahren, wie ich sagte. Sie wohnt in der Staufenstraße, in der Nähe vom Rothschildpark. Vielleicht kennst du sie sogar.“

„Jetzt, wo du sagst, wo sie wohnt, weiß ich, wer sie ist“, erwiderte Heidi. „Sie heißt Renate Friedländer. Sie arbeitet als Laborantin in derselben Abteilung wie mein Mann. Das ist das Mädchen, von der er mir gebeichtet hat, sie auf der Fete neulich geküsst zu haben. Und das hat mich ermutigt, auch ihm zu erzählen, was mir unterwegs von München her widerfahren war. Ja, und du glaubst, dass da mehr war als ein Kuss?“

„Wenn du von deinem Mann redest“, erwiderte Veronika, „da ist ganz sicher mehr gewesen als ein Kuss. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass sich jemand in ein Stundenhotel einmietet, um ein Mädchen zu küssen. Und ich glaube, dass es nicht das erste Mal gewesen ist.“

Heidi war wie vor den Kopf geschlagen. Doch schließlich fasste sie sich und sagte: „Ich fahre nach Zürich. Und wenn etwas Zeit vergangen ist, komme ich wieder zu mir selbst. Ich weiß noch nicht, was ich mache. Aber in dieses Haus werde ich niemals mehr gehen. Dazu habe ich mich fest entschlossen.“

„Lass erst mal Gras über die Geschichte wachsen. Dann wirst du vielleicht über vieles anders denken. Und, es könnte ja auch sein, dass dein Dieter wieder zu sich kommt. Eins sollte er sich aber bestimmt abgewöhnen“, fuhr Veronika fort, „mit Steinen zu werfen, solange er selbst im Glashaus sitzt.“

„Weißt du, was ich am liebsten tun würde“, fragte Heidi, „auch wenn du mich verdammst deswegen? Ich würde am liebsten nach Köln fahren. Jetzt ja, jetzt würde ich am liebsten zu ihm fahren. Ich weiß, wo ich ihn finden müsste. Ich fahre zu ihm und werde ihn sehen. Ich muss ihn sehen. Ich muss ihn wiedersehen! Du kannst dir nicht vorstellen, was in mir vorgeht. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Ich muss immerzu an ihn denken.“

„Aber wer sagt dir, ob er von dir so denkt, wie du von ihm? Das glaubst du nur. Aber du weißt es nicht. Es kann auch eine fürchterliche Enttäuschung geben“, mahnte Veronika. „Überleg dir genau, was du tust! Nichts spricht dagegen, dass du nach Köln fährst. Aber sollte das nicht irgendwie vorbereitet werden? Einfach so dort auftauchen? Er hat Familie. Die Überraschung könnte nicht angenehm, sondern höchst unliebsam werden.“

„Du hast recht“, gab Heidi zu. „Ich fahre doch nach Zürich.“

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