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Heidenspaß
ОглавлениеDer Hexentanzplatz bei Thale wurde nur im Volksmund so genannt. Niemals hatten Tsabitta und ihre Freundinnen hier getanzt. Er lag auf einem Plateau hoch oben über dem Tal der Bode, sturmumtost. Wenn man dort oben stand, konnte man die Lichter von Thale funkeln sehen.
Ursprünglich hatte hier einmal eine Burg gestanden, die Fluchtburg einer alten Sippe von sächsischen Kriegern, doch die waren lange schon ausgestorben und die Menschen aus Thale hatten aus den starken Mauern der Burg ihre Häuser gebaut, hatten Stein um Stein genommen, bis nur noch das Fundament übrig geblieben war.
Das Lagerfeuer prasselte, Funken stoben weit hinauf zum Himmel, an dem sich ein fast voller Mond zeigte. Kolafanta und Mixa saßen auf einem halb verrotteten Baumstamm, aus dem verschieden lange Äste ragten. Kolafanta zuckte ein letztes Mal und erhob sich. Tsabitta schob sie ungeduldig zur Seite.
Dort, wo Kolafanta gesessen hatte, ragten zwei sauber abgebrochene Äste eine knappe Handbreit voneinander aus dem Stamm. Der hintere war glatt und über eine Elle lang, länger als ein Unterarm. Der vordere, etwas kleinere, war rau mit kleinen Knubbeln, wo Jahre zuvor frisches Grün gesprossen war.
Tsabitta spuckte auf die Äste, zog den Rock hoch und setzte sich auf den Stamm. Der kürzere Ast fand sein vorderes Ziel, der längere das hintere. Langsam senkte sie sich herab. Ein Ast war längst nicht zu vergleichen mit einem Inkubus, aber besser als nichts, besser, als ungestillte Lust. Tsabitta ließ den Aststumpf tief eindringen, bewegte die Hüften vor und zurück. Sie war besseres gewohnt, viel besseres, das vor allem länger und dicker und heißer war.
»Ist bald wieder Zeit«, sagte Kolafanta, nachdem sie sich zwischen Mixa und Tsabitta gesetzt hatte. Sie hustete krächzend einen Brocken in die geschlossene Hand, die daraufhin hell leuchtete. Zwischen den Fingern sickerte phosphoreszierender Schleim hindurch. »Verdammter Stechapfel war nicht mehr gut«, zischte sie mit Blick in ihre Hand.
»Welche Hölle war es denn dieses Mal?«, kicherte Tsabitta, rutschte dabei tiefer auf den Stamm. Sie verzog den Mund wie um zu sagen, es sei nicht das Richtige aber immer noch akzeptabel. Zu lange lag der letzte Besuch eines Inkubus zurück.
Kolafanta wischte die Hand am Holz ab und grinste unter ihrer schwarzen Kappe.
»Ich habe gehört, du hast eine neue Unterkunft?«, sagte Mixa, die sich gerade einen Pickel auf der spitzen Nase ausgedrückt hatte und jetzt mit einem gelben Tropfen spielte.
Tsabitta zuckte seufzend mit den Schultern und spürte die Äste in ihren Tiefen. Der hintere verfügte genau über die Krümmung, um sich ganz den natürlichen Windungen anzupassen und dennoch genügend Widerstand zu bieten. Sie liebte die Treffen auf dem Tanzplatz.
Ihre Antwort ging unter in einem Brausen, mit dem zwei weitere Gestalten angeflogen kamen. Dihomma lief mit dem Restschwung sanft aus, Köstritza haute es in einen blühenden Holunderbeerbusch.
Gemeinsames Schütteln der Köpfe. Tsabitta seufzte, ließ das Becken rotieren, hob und senkte es.
»Zu blöd zum Kacken«, stichelte Mixa.
»Vor einer Woche ist sie total beknallt vom Besen gefallen.«
Ächzend wand sich Köstritza aus dem Gehölz, klopfte die Blüten vom schwarzen Umhang und schulterte ihren Besen. Im Licht des Feuers leuchteten ihre Augen angriffslustig. »Lästert ihr wieder?«
»Nönö«, beschwichtigte Mixa. Tsabitta kam zu einem harmlosen Höhepunkt und ließ die Äste aus sich herausrutschen. Sie hatte das Gefühl, die Hölzer würden kein Ende nehmen.
Akzeptabel, dachte sie, wenn mal wieder kein Stechapfel zur Hand ist.
»Heil Astaroth.« Köstritza streckte die rechte Hand in die Höhe.
»Heil Astaroth«, murmelten die anderen träge. Dihomma setzte sich ins Gras, holte eine Münze aus der Tasche und warf sie Tsabitta hin, die das Kupferstück geschickt auffing.
»Für die Tüte Tollkirschen«, sagte Dihomma. Tsabitta nickte und setzte sich neben Kolafanta auf den Stamm. Mixa lüftete ihren langen, schwarzen Umhang und nahm ohne Umschweife über den Ästen Platz.
Köstritza bewegte ihre spinnengleichen Finger knackend, spuckte ins Feuer und lachte. »Und, ihr Schnallen, was machen wir heute?«
»Wir verzaubern einen Wolf«, schlug Tsabitta vor.
Mixa winkte seufzend ab. Sie bewegte die Hüften, bis ihr die Luft wegblieb. »Och nö, das…« Und hier musste sie einmal tief Luft holen, weil der vordere Ast bis zum Ende eingedrungen war und sie das Gefühl hatte, er käme ihr zum Munde wieder heraus. »…das haben wir erst… erst letzte Woche gemacht.«
Sie schloss die Augen. Wenn Tollkirschen nur nicht so schwer zu bekommen wären. Dann begann sie mit den ersten Bewegungen, auf und ab, auf und ab. Die Knubbel auf den Ästen waren wie immer vorzüglich.
»Wir fliegen zu Botho«, sagte Kolafanta.
»Da war ich heute Morgen«, sagte Dihomma und dachte an die große Ausbeute, die sie sicher im Gefäß an der Feuerstelle verwahrt hatte. Damit hatte sie die Ersatzmaßnahmen, mit denen sich Mixa, die jetzt auf dem Baumstamm ritt, als sei er ein Pferd, und Tsabitta abgaben, gar nicht nötig. »Und den lasst mal in Ruhe, der ist sehr wertvoll für mich. Ängstliche Kühe kann man nicht melken.«
Erst folgten Proteste, gefolgt von Schweigen, das Feuer knisterte und knackte, Funken sprangen, die Flammen loderten gen Himmel. Mixas lauter werdendes Stöhnen und das Rascheln ihres Umhangs mischten sich darunter. Fratzengleich wurden die Gesichter unter den Kapuzen aus der Dunkelheit gerissen.
»Ich hab’s«, rief Tsabitta plötzlich und sprang auf. »Wir verhexen mal wieder eine Kuh. Die vom alten Meinbauern.«
Großer Jubel tönte über die Lichtung. Mixa stöhnte laut mit geschlossenen Augen, was die anderen als Zustimmung auffassten. Sie bewegte die Hüften schneller. Kolafanta erlaubte sich einen Blick zur Seite und hob bewundernd die Augenbrauen.
Dihomma jedoch zeigte nur mäßige Begeisterung. »Mädels, in drei Tagen feiern wir hier das größte Fest des Jahres und ihr gebt euch mit einem solchen Kleinkram ab. Früher hatten wir bessere Ideen, damals waren wir einfallsreicher. Da haben wir dem Pfaffen einen Schwanz gehext oder die Stühle im Rathaus zum Laufen gebracht. Aber Kühe, Kinder, Kühe verhexen.«
Köstritza lachte sich ins Fäustchen. »He, du Huhn, wirst du alt?«
Kolafanta stieß Tsabitta in die Seite. »Ist nicht mehr so wie früher, ne?«
Tsabitta stieß Kolafanta in die Seite. »Früher war alles anders.«
Sie brachen in meckerndes Lachen aus, Tsabitta hingegen konnte nicht lachen. »Einfallsreicher? Willst du motzen, du? Mach einen besseren Vorschlag.«
Dihomma seufzte. Schlug Tsabitta diesen Ton an, war Vorsicht angesagt. Gerade für lähmende Blitze war sie bekannt, deren Wirkung Tage anhielt.
»Ganz ruhig Tsabitta, ich will meine Kräfte für die Nacht der Nächte sammeln, die Nacht wird lang und wir können so viele Kühe verzaubern und ganz Blankenburg tyrannisieren. Es ist alles vorbereitet. Das Kind kommt rechtzeitig, ich habe Informationen aus erster Hand.«
Tsabitta blieb vor Dihomma stehen. Die anderen drei Gestalten blieben im Hintergrund und sagten nichts. Tsabitta entblößte beim Grinsen schlechte Zähne. Mixa kreischte und fiel vorneüber ins feuchte Gras, wo sie keuchend liegen blieb.
»Gut, Dihomma, also sehen wir uns in drei Tagen.« Dihomma entspannte sich. Tsabitta klopfte ihr auf die Schulter. »Das wird ein Fest, was?«
Jubelnd schwangen sich Tsabitta und Kolafanta auf die Besen, Dihomma blieb zurück, Mixa war noch nicht wieder zu Bewusstsein gekommen. Armes Mädchen, dachte Dihomma, wenn sie der Baum schon so beeindruckte, hatte sie lange keinen Inkubus mehr gehabt.
In diesem Moment fuhr Wind ins Feuer und Funken stoben. Aus dem Wald trat eine Gestalt.
»Wartet«, sagte sie, die Stimme fest und laut. Dihomma trat einen Schritt zurück, Tsabitta stemmte die Hände in die Hüften, noch immer auf dem Besen.
Obamakka war gekommen. Eine hässliche Gestalt, nicht Mann nicht Frau. Mit den Jahren war sie zu einem Überwesen geworden, einer Gestalt, die jede Hexe kannte, mit der aber niemand wirklich Kontakt hatte. Ein lebender Mythos.
Die einen sagten, sie sei 120 Jahre alt, die anderen sagten, sie sei unsterblich. Niemand wusste sicher, wo sie lebte und mit welchem Gesicht sie sich tarnte. Aber alle wussten, dass Obamakka über Einfluss verfügte. Sie hatte sich im Hexenzirkel hochgedient, hatte Seilschaften geknüpft und Mehrheiten gebildet.
»Obamakka. Hast dich ja lange nicht blicken lassen. Was machste denn jetzt? Bist du in Blankenburg?«
Obamakka blieb die Antwort schuldig. Kolafanta, und Köstritza wichen aus dem Schein des Feuers nach hinten zum Waldrand, die Besen fest umklammert.
»Keine von euch war auf der letzten Versammlung.«
»Versammlungen interessieren uns nicht«, erwiderte Dihomma.
»Wisst Ihr von den Beschlüssen?«, fragte Obamakka ruhig. Tsabitta grinste wieder breit, selbstsicher.
»Ach, davon habe ich schon gehört, jaja. Ihr wollt da was ändern.«
»Wir wollen uns schützen, uns alle, und dazu gehört auch ihr«, entgegnete Obamakka. »Deswegen wäre eure Beteiligung so wichtig gewesen.« Die Art und Weise, mit der sie um das Feuer herumging, war fast ein Schlendern. Beiläufig und desinteressiert. Sie sah die anderen Hexen der Reihe nach an, jede wandte den Blick ab, Tsabitta nicht, und Mixa lag noch schwer atmend im Gras.
»Schützen, hä?« Das Wort war ein heiseres Krächzen. »Ihr wollt uns den Dings, den Spaß verbieten. Jaja, ich weiß genau, in welche Richtung das läuft. Ihr wollt alles regeln. Wir sollen keine Wölfe mehr verzaubern und keine Kühe, nicht mehr auf dem Besen reiten und...«
»... vor allem aufhören, Menschen aufmerksam zu machen.«, unterbrach Obamakka sie. Ihr Tonfall hatte von beiläufig zu hart gewechselt.
Tsabittas Augen funkelten trotzig. »Wir sollen die Art und Weise aufgeben, nach der wir schon Jahrhunderte leben, das ist es. Wir erkennen eure Autorität nicht an. Was kommt danach? Ein Ministerium für Hexerei oder eine Zauberschule?«
Obamakka winkte ab. »Ruhig, Mädchen, lass den Kinderkram. Sachlich bleiben. Wir bitten euch lediglich um Diskretion. Frauen werden verbrannt, hoffnungsvolle Talente, die nie Zeit hatten, ihre Kräfte zu entwickeln. Wir schaden so nur uns.«
»Ach was. Die Menschen verbrennen allein sich selber. Ich wüsste nicht, wie wir uns schaden könnten. Bislang sind wir aus jeder brenzligen Situation entkommen.«
»Es ist doch nur eine Frage der Zeit, bis sie auch euch erwischen.«
Tsabitta spuckte verächtlich ins Feuer. »Panikmache.«
Obamakka legte die runzligen Hände aneinander und senkte den Kopf.
»Ich sage es euch noch im Guten. Verzichtet auf die Walpurgisnacht. Es wird sonst ein schlimmes Ende nehmen.«
Dihomma schielte zu Tsabitta herüber. Was würde sie jetzt sagen? ‚Du drohst uns?‘ Oder ‚Wie willst du uns daran hindern?‘ Doch Tsabitta sagte nichts mehr. Sie drehte sich um, schwang sich auf ihren Besen und gab den anderen drei Hexen, die sich ebenfalls zum Abflug bereit machten, ein Zeichen. Heulend sausten sie davon.
»Hier werden keine Kinder mehr geopfert«, sagte Obamakka und trat zurück, aus dem Lichtkreis des Feuers. Ihre letzten Worte schienen kaum noch an Dihomma sondern mehr an sich selbst gerichtet zu sein. »Wir haben Wichtigeres vor.«
Dann verschwand die alte Hexe wieder in der Düsternis des Waldes, Dihomma blieb nachdenklich auf ihrem Stamm am Feuer sitzen, bis sich Mixa regte und erschöpft den Kopf unter dem spitzen Hut hob.
»Hilfst du mir, den Baum zu mir nach Hause zu tragen?«
Dihomma schüttelte nur den Kopf. Armes Mädchen, dachte sie wieder.