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Die Macht der Musik
ОглавлениеDie Wagen der Zigeuner rollten aus dem Wald heraus. Rechts lag eine Wiese in der Abenddämmerung. Auf diese ließ der Rom seine Pferde traben. Kreisförmig formierten sich die Wagen auf der abschüssigen Lichtung, an deren Ostende, wo der Himmel bereits düster war, ein kleiner Bach floss.
Malfoss sprang vom Bock und durchquerte das Rund, das sich jetzt zwischen den bunten Wagen erstreckte. Mit raschem Schritt, der für einen Mann seiner Leibesfülle erstaunlich behende war, legte er die kurze Distanz zum Waldrand zurück, an dessen Saum der Alchemist seinen Wagen abgestellt hatte. Faust legte Keile vor die Räder seines Karrens. Ein wenig entfernt von den anderen Wagen
»Fremder, sagt mir«, sagte Malfoss mit einer Spur Feindseligkeit in der Stimme. »Was glaubt Ihr eigentlich, was Ihr da tut, hier bei uns, heute, frage ich? Um Gesellschaft haben wir nicht gebeten, hört Ihr?«
»Ich raste«, erwiderte Faust freundlich. »Ich bin ebenfalls ein Vertriebener und suche Gemeinschaft, die nicht mit Steinen nach mir wirft und mich wegen dem, was ich bin, verfolgt. Oder seid Ihr feindselig allen anderen gegenüber, die nicht wie Ihr sind? Seid Ihr also wie die in Goslar?«
Seufzend nickte der Rom, fahrige Handbewegung obendrein.
»Und was könnt Ihr machen, frage ich Euch?«
Faust beschloss, nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. »Verschiedene Tinkturen für ein besseres Leben. Ich habe Salben gegen schmerzende Rücken, und auch Mittelchen, wenn der kleine Mann nicht mehr den Kopf heben will.«
»Das können wir viel besser. Die Musik, wisst Ihr, ist ein größerer Verführer. Doch ist das alles, was Ihr zu tun vermögt?«
»Auch Gold kann ich herstellen. Aber das, verehrter Herr, mache ich nur auf besonderen Wunsch und vor großem Publikum.«
Der Zigeuner lachte. »Diesen groben Unfug, und ich nenne es einmal so, ganz einfach, haben benutzt schon viele, um einen Vorteil sich zu verschaffen, sage ich. Seid auch Ihr einer von denen, sagt mir? Macht Gold aus Quecksilber?«
»Aus Blei.« Faust legte den Kopf schief. Er musste dem Zigeuner nichts vormachen. Vogelfrei waren sie alle, da half auch keine Zauberkunst.
»Sagt mir Euren Namen, sagt ihn mir.«
»Jörg Faust, Alchemist und Wahrsager.«
»Heinrich Malfoss bin ich, erfreut.« Sie schüttelten sich die Hände. Die Frauen holten, Töpfe und Pfannen hervor, Männer schichteten zwischen den Wagen Feuerholz auf, Kinder rannten umher.
»Was ist Euch widerfahren?«
»Das Übliche, nicht? Haben Messer geschärft und Scheren geschleift, wie immer in den letzten Jahren, sage ich, haben vorhergesagt die Zukunft und sind getanzt auf dem Seil, nicht? Dann ist in der Stadt eine Frau zusammengebrochen, schlimm, sage ich, hat gezittert und sich übergeben, selbst gesehen habe ich es und gehört, weil sie vorher bei mir war, hat geschrien und wie ein Derwisch getanzt. Tot umgefallen mit Schaum vor dem Mund ist sie schließlich.
Zwei Kinder sind verschwunden in der Stadt, ganz auf einmal, spurlos, sage ich, aber wir waren es nicht, doch wer war schuld? Wir natürlich, sage ich, wie in den letzten Jahren immer wieder. Ich habe gedacht, es sei aus mit uns, ganz aus. Nur weil sie sich nicht einigen konnten, ob erst wir verprügelt oder erst unsere Wagen zerstört werden sollten, bekamen wir Gelegenheit, auf unsere Wagen uns zu schwingen, nicht?«
Malfoss hatte den Backys die Peitsche zu schmecken gegeben, einen vorwitzigen Bäckergesellen, dem er Tags zuvor aus der Hand gelesen und ihm viel Geld vorhergesagt hatte, mit der Faust ins Gesicht geschlagen und anschließend leichter Hand vom Kutschbock geworfen, bevor sie alle durchs Stadttor entkommen waren.
»Was hat Euch vertrieben aus der Stadt, sagt mir?«
»Der Neid. Der Alchemist der Stadt ist ein Halunke, der dem Grafen das Geld aus der Tasche zieht. Ich hingegen kann Gold herstellen. Und weil er sich nicht damit abfinden konnte und jemanden, der in seinem Revier wildert, nicht tolerieren konnte, hat er mich verjagt.«
Malfoss sah unter Fausts rechtem Auge eine blutige Schramme. Die tiefsten Verletzungen hingegen, dachte er, kann man nicht sehen.
»Sie haben aus allen Rohren geschossen, doch man bekommt mich so nicht.«
»Was ist denn Euer Geheimnis, wollte Ihr es mir verraten? Warum könnt Ihr Gold herstellen und die nicht anderen, das ist es doch, das Geheimnis?«
Fausts Lächeln war leiser als das Rauschen des Waldes.
»Eine besondere Zutat, die ich Euch natürlich nicht verraten kann. Sie ist schwer zu bekommen, das ist alles, was ich sagen kann.«
Der Rom sah zu Boden, auf einen Maulwurfshügel, auf saftiges Gras, auf Kornblumen. Feuer war aufgeschichtet, Hasen waren gefangen, Igel hatten den Tod im Lehmmantel gefunden.
Malfoss ballte die Faust. »In der Hand hatte ich sie alle, konnte ihnen erzählen, was ich wollte, alles, nicht wahr, und sie wollten viel. Viel, die Menschen wollen immer alles, Geld und Macht und Einfluss, nicht?«
»Ihr versteht Euch in der Wahrsagerei?«, fragte Faust.
Malfoss zwirbelte seufzend die Enden seines spitzen Bartes.
»Ich wollte, es wäre so. Dann hätte ich gesehen, was kommt, hätte ich, nicht? Unsere Kunst besteht leider nur darin, den Menschen zu sagen, was sie hören wollen.«
Die Männer setzten sich schließlich ins Gras, aßen Hase und Igel, tranken Wasser aus dem nahegelegenen Bach, rückten nach Sonnenuntergang näher ans Feuer, bis ihre Gesichter glühten, die feuchten Schuhe dampften und auf ihren Hemden die Funken kleine schwarze Punkte hinterließen.
»Wir werden seit Jahren gejagt, von einer Stadt in die andere, werden wir, ich habe es satt, das Leben auf der Flucht, krank macht es, nicht das Umherziehen, zu flüchten und vogelfrei zu sein macht krank.«
»Was wollt ihr machen? Euch in den Wäldern verkriechen?«
Malfoss kratzte sich an einer unrasierten Wange und räusperte sich.
»Das Beste wäre es vielleicht, ja verkriechen, sind gejagtes Wild, sind Diebe, Mörder und Betrüger, oder nicht? Verkriechen im Wald werden wir uns. Es kommen Zeiten, in denen wir uns wieder herauswagen werden, wir uns wieder zeigen können in den Städten.«
»Nein, es wird immer schlimmer«, sagte der Alchemist. »Die Zeiten, in denen euch ein Schutzbrief helfen konnte, sind lange vorbei. Ich fürchte, es kommen schwere Zeiten auf euch zu.«
Malfoss zuckte mit den Schultern.
»Wir sind vor Verfolgung geflohen, wir werden weiterziehen, das ist nichts Neues für uns, ist es nicht. Vielleicht ist das unser Schicksal, weil wir immer wieder von Flüchen getroffen werden, hört Ihr?«
»Wer hat euch denn verflucht?«.
»Wie, wer?«
»Verflucht?«
»Keine Blasphemie, bitte. Mein Großvater hat mir eine Geschichte erzählt, da ich ihn einmal fragte, woher wir kommen und warum wir immer unterwegs sind. Er erzählte mir vom Beginn unserer Reise vor vielen, vielen Jahren«, sagte Malfoss sich über den Schnurrbart streichend.
»Damals lebten wir alle in einem Land namens Sind, und wir waren glücklich und zufrieden. Unser König hieß Mar Amengo Dep. Er hatte zwei Brüder namens Romano und Singan. Dann brach ein großer Krieg aus und die Mohammedaner legten alles in Schutt und Asche. Die drei Brüder sammelten ihre Anhänger und zogen über die Straßen dahin. Manche gingen nach Arabien, andere nach Byzanz und Armenien.«
»Das Herumziehen liegt Euch Zigeunern im Blute, oder?«
Der Schnurrbärtige sprang auf, er hatte rote Wangen bekommen, die im Licht des flackernden Feuers glühten, das erst verhalten, schließlich fordernd in der Mitte des Rundes gen Himmel loderte.
»Roma sind wir, nennt uns nicht so abwertend, oder gar nicht. Sind keine Zieh-Gauner.«
»Das habe ich nicht gesagt, ich sagte Zigeuner und nicht Zieh-Gauner. Setzt Euch, Malfoss, bleibt ruhig. Warum so gereizt?«
»Zieh-Gauner oder Zigeuner ist gleich, ist Unrecht, trägt Hass, das Wort. Griechen nannten uns Atsingani, Unberührbare, um die Ungerechtigkeit in unserer Heimat fortzuführen taten sie das. Aber wir, wir werden darauf beharren, auf Kaiser Sigismund und seinem Brief, der uns vor Unzuträglichkeiten und Ärgernissen schützen wollte, der Brief, der Kaiser. Zu Beginn, da die Menschen nicht so feindselig waren, die Pest nicht so viele Gedanken getötet hatte, da waren die Menschen freundlicher, das waren sie, ja, damals, freundlicher.«
»Die Pest war schon da, bevor ihr kamt.«
»Dann war es die Armut.«
»Den Menschen ging es schon immer schlecht, glaube ich.«
Malfoss hob die Hände über den Kopf und schüttelte sie unwirsch. »Es ist etwas mit den Menschen geschehen, ist es mit ihnen, und Schluss. Und wichtiger ist es, Herr Faust, wichtiger ist, wohin wir gehen, und nicht woher wir kommen, wir, ist so.«
»Die Völkerwanderung ist schon seit ein paar Jahrhunderten vorbei. Vielleicht kommen die Zigeuner einfach zu spät, könnte es das sein? Wenn sie sich niederließen...«
»Wir haben doch das Recht, hört Ihr, zu bleiben wie wir sind und was wir sind«, fauchte Malfoss und, als habe er sein Pulver verschossen, schwieg anschließend. Viel Trotz lag in den Augen des Sippenführers, plötzlich blitzte eine Idee auf. »Wir haben den Brief immer bei uns, werde ihn holen, sofort gehe ich.« Er sprang auf, verschwand in einem roten Wagen, von dem schon die Farbe abblätterte, der schäbig aussah, geflickt, repariert und heruntergekommen.
Vielleicht, dachte sich Faust, kommt Zigeuner wirklich von den Türken, von den Türken, die den Kriegssklaven den Namen Tschigan gaben - arme Leute.
Sein Gesicht glühte, sein Rücken war kalt. Zu dicht saß er am Feuer, zu kalt wurde die Nacht. Grillen zirpten, in der Nähe musste sich ein Tümpel befinden, Frösche quakten aufgeregt. Jetzt einen schönen Zug aus der Pfeife, und die Nacht wäre endlich wieder lustig. Dieses Gerede über Verfolgung und Hass brachte ihn in schlechte Stimmung.
Der Alchemist sah sich um. Die Angehörigen der Sippe ignorierten ihn. Sie saßen dicht gedrängt auf der anderen Seite des Feuers, rückten vom Alchemisten weg. Auch die spielenden Kinder trauten sich kaum in seine Nähe. Kurz bevor Malfoss wieder aus seinem Wagen stürzte, ein vergilbtes Stück Papier in der Hand, begann ein junger, ernst dreinblickender Mann leidenschaftlich und traurig zugleich auf seiner Geige zu spielen, eine ältere Frau tanzte selbstvergessen dazu, dicht behängt mit Ketten und Ohrringen. Auf ihrem Rock aus grünem Tuch rankten sich silberne Stickereien.
Der alte Rom setzte sich atemlos neben den Alchemisten. »Hier steht es, steht es geschrieben, hier. Wir, Sigismund, König von Ungarn, Böhmen, Dalmatien und anderer Länder, erklären, dass unser getreuer Ladislaus, Woiwode der Zigeuner, und die anderen, die von ihm abhängen, Uns untertänigst gebeten haben, ihnen unser besonderes Wohlwollen zu bezeugen. Es hat uns gefallen...«
Alles in Fausts Reaktion drückte Widerspruch aus: seine Handbewegung, sein Gesicht, seine Körperhaltung und seine Worte. »Moment, bitte, soweit ich weiß sind diese Briefe schon vor langer Zeit für ungültig erklärt worden. Die helfen euch überhaupt nicht weiter.«
Malfoss hielt inne, wollte weiterlesen, besann sich eines Besseren, seufzte und faltete den Brief wieder zusammen.
»Vielleicht ändert sich das wieder, vielleicht lässt man uns irgendwann in Ruhe leben, so wie die.«
»Wollt ihr das denn? Wollt ihr euch den Menschen hier anpassen?«
»Um Himmelswillen, nein, wollen wir nicht.«
Faust zuckte mit den Schultern.
»Also haben sie das Recht uns aufzuhängen, wollt Ihr das damit sagen? Schert Euch weg, so einen wie Euch brauchen wir nicht.«
»Ganz ruhig, Herr Malfoss, ganz ruhig. Das habe ich nicht gemeint. Die Menschen fürchten das Fremde. Das war immer so und das wird so bleiben. Doch es kommen wirklich andere Zeiten, da bin ich sicher, und ihr werdet auf eure Art leben können. In der Zwischenzeit...«
»In der Zwischenzeit verstecken wir uns in den Wäldern, ja, tief in den Wäldern. Vorsichtig sein müssen wir, nicht? Müssen auf der Hut sein vor Neid und Missgunst. Die Teufel sind überall, sind weit verbreitet, o del und o bengh sind immer im Menschen gewesen, überall auf der Welt. Und mal ist der Teufel stärker und mal Gott. Wir müssen auf die richtige Zeit warten. Unsere Frauen werden einen Stern geschickt bekommen, einen tchalai, und die Zeichen der Zeit zu lesen wissen, werden sie, genau.«
»Ich glaube, Ihr Zigeuner, pardon Roma solltet euch nicht verschließen. Kommt mit mir nach Blankenburg, dort weht ein freier Wind. Die Menschen, so hörte ich schon in Goslar, sind viel friedlicher und aufgeschlossener.«
»Was sollen wir dort, sagt mir, in Blankenburg, Herr Faust? Verjagt werden?«
»Den ersten Mai begehen die Blankenburger traditionell mit ihrer großen Maifeier, der größten der Region. Wir werden dort willkommen sein mit unseren Künsten. Scherenschleifer und Kesselflicker, Tänzer, Sänger und Jongleure sind immer eine Bereicherung des Festes. Ich werde Gold herstellen und Elixiere verkaufen, ihr werdet aus der Hand lesen, es wird ein großes Fest. Kaum einer, so wurde mir erzählt, kann es mit der Toleranz der Blankenburger aufnehmen.«
»Und der Augsburger Erlass, was ist mit dem, Herr Faust, Erlass. Passt es ihnen, können sie uns aufhängen, erschießen, erstechen, ungestraft uns die Habe wegnehmen, sagt mir, wisst Ihr das, seid Ihr Euch dessen bewusst, seid Ihr es?«
Faust wandte den Blick ab, sah hinüber zur Sippe, die Musik machte und Essen, tanzte und mit Lederkugeln jonglierte, sang und Kessel flickte, und im Inneren vor Kummer verging.
Misstrauen und Melancholie, dachte Faust, sind Male, die die Verfolgung in die Seele gebrannt hat.
An diesem Abend jedoch lernte Faust noch eine Menge mehr, und was er sah, ließ ihn an seinem Können zweifeln. Spät, als die kleinen Kinder bereits eingeschlafen waren, holte ein junger Mann mit viel Feuer in den Augen und schwarzen, prächtigen Locken ein seltsames Instrument hervor, das Faust an eine kleine Gitarre erinnerte, eine Gitarre mit sechs Saiten.
Der junge Mann flüsterte Malfoss etwas ins Ohr, der ungehalten reagierte. In einer Sprache, die Faust nicht verstand, folgte ein Wortwechsel, den der junge Mann offensicht für sich entschied. Er stellte sich vor Faust und sah ihn provokant an.
»Ihr habt gesagt, Eure Tinkturen können Wunder bewirken. Aber wisst Ihr auch um den Zauber der Musik?«
»Musik hat einen Zauber?« Faust zuckte mit den Schultern. Magie und Scharlatanerie waren Zwillingsbrüder.
Ihm wurde bewusst, dass außer Malfoss, dem jungen Mann mit dem seltsamen Instrument, und zwei anderen kräftigen, sehr gesund aussehenden Männern nur noch eine Frau um das Feuer herum saß. Sie war wunderschön, mit einem spöttischen Blitzen um die Mundwinkel.
»Ihr werdet noch Augen machen …«, sagte die Frau, leise, bevor sie vom Geiger mit einer Kopfbewegung und einem Zischen zum Schweigen brachte. Sie senkte den Kopf, aber nicht erschrocken sondern lächelnd, schmunzelnd. Der junge Rom machte eine provozierende Kopfbewegung.
»Lasst euch von der Musik verzaubern.«
»Was ist das?«
»Eine Geige. Und sie hat ihre ganz eigene Magie. Hört einfach zu«, sagte der Zigeuner. Er schloss seine dunklen Augen, legte den Kopf schief und spielte.
Schon nach den ersten Klängen fühlte der Alchemist, wie sich die Anspannung in ihm löste. Die Sippe musste lange in Ungarn gewesen sein, denn er spielte anfangs sehr getragen und halbtonlos, dann wurde das Spiel tänzerischer, lebhafter, aber gleichermaßen trauriger.
In Faust tauchten Bilder auf, von ganz tief unten, verschüttete Erinnerungen, verdrängte Gefühle. Er sah den Zigeuner geigen, sein schwarzes Haar wippte, der Oberkörper steuerte jeder Bewegung der Arme entgegen. Die Violine jaulte, sprach, sang.
Sein Bogen tanzte über die Saiten und es geschah etwas, mit dem Faust nicht gerechnet hatte. Die Frau stellte sich vor das Feuer und griff sich in den Schritt. Sie seufzte, bewegte die Hüften, die Augen geschlossen, den Kopf in den Nacken. Der Bogen tanzte über die Saiten, die Bilder verstärkten sich. Faust sah nackte Körper vor sich, vor Lust erregtes Fleisch, hart und fest, spürte in den Lenden ein Ziehen und Spannen und rutschte unruhig auf seinem Platz am Feuer.
Die Frau vor ihm presste die Hand fester gegen ihren Schritt. Die ersten Laute kamen über ihre Lippen, stärker und drängender noch als das Fiedeln des Geigers. Auf einmal spürte Faust eine Erektion, wie er sie noch nie zuvor in der Hose gespürt hatte. Es war, als hatte sein Blut beschlossen, sich in seinen Lenden zu sammeln um das Tuch von innen zu sprengen.
Die Frau kreiste mit den Hüften, stöhnte und presste die Hände in den Schoß. In einer unbekannten Sprache seufzte sie und hechelte, sie verdrehte die Augen. Der Bogen des Geigers tanzte über die Saiten, brachte Töne hervor, die Faust noch nie zuvor gehört hatte.
Fausts Blick fiel auf den jungen Mann am Feuer. Eine Nacht, dachte Faust, voller Lust. Die Spannung war unerträglich, und beinahe hätte er vor allen Anwesenden Hand an sich gelegt. So etwas hatte er noch nie erlebt.
»Schluss jetzt«, rief Heinrich Malfoss unvermittelt. Sein schwarzer Schnurrbart zuckte ungehalten. Der Geiger setzte ließ sofort den Bogen ruhen, die Musik brach ab. Faust spürte, wie die Erregung abflaute, die unerträgliche Lust. Nur die Erektion blieb. Das Lagerfeuer knackte und knisterte
»Die Macht der Musik«, sagte der Geiger. Faust wischte sich über die Stirn. Sein Blut pulste durch den ganzen Körper, rauschte in den Ohren nach. Feuer glühte auf seinem Gesicht.
Malfoss ballte die Fäuste. »Das ist genau der Grund, aus dem uns die Menschen verfolgen. Sie denken, wir wären mit dem Teufel im Bunde. Lass das.«
Der Geiger protestierte in Romanes, der Häuptling der Sippe wurde lauter und sprach ein Machtwort. Erbost packte der Geiger sein Instrument und machte auf dem Absatz kehrt. Rasch war er aus dem Lichtkreis des Feuers verschwunden. Irgendwo knallte kurz darauf eine Tür.
»Geht jetzt schlafen«, herrschte er die Männer an. Und auch Faust nahm diese Aufforderung an und stand auf. Noch immer konnte er kaum glauben, was er gerade erlebt hatte.
Er hatte sich gerade in seinen engen Wagen zurückgezogen, in dem allerlei Geräte, Behälter mit Pulver, Schüsseln, Pfannen, Töpfe, ein Tisch und seine wenige Kleidung noch etwas Platz für eine kleine Bettstatt im hinteren Teil ließen, und die Öllampe unter der Decke entzündet, als es vorsichtig an der Tür klopfte.
Der junge Rom, der bis zuletzt am Feuer gesessen hatte, stand im matten Licht. Es war kühl geworden. Vom fernen Wagenrund der Zigeuner hallte einsame Stimme herüber. Das Lagerfeuer war niedergebrannt. Über dem Lager wölbte sich ein klarer Sternenhimmel.
»Entschuldigt«, sagte der Rom, nachdem Faust ihn hereingelassen und leise die Tür wieder geschlossen hatte. »Ich habe da etwas… ich kann es nicht mit meiner Sippe… Sagt, könnt Ihr auch …seid Ihr Mediziner?«
»Wenn du vom Schröpfen sprichst, nein, damit kenne ich mich nicht aus. Aber wir können zusammen einen rauchen. Ich habe da ein wundervolles Harz des Canavas, das wirkt wahre Wunder. Nicht so schluffig wie die Blüten. Wie ist dein Name?«
»Marko.«
»Sag mir, Marko, was ist da gerade passiert? Beim Spiel mit der Geige?«
Der junge Rom wand sich. »Das ist ja gerade, worüber ich mit euch reden wollte.«
Die beiden setzten sich um eine bauchiges, seltsam anmutendes Gerät, das der Alchemist aus einem kleinen Weidenkorb geholt hatte. Aus der Kugel ragte ein dickes Bambusrohr. In die Kugel führte seitlich ein langer Stab, an dessen Ende Platz war für ein münzgroßes Stück Harz, das der Alchemist dort platzierte.
Er entzündete einen Docht mit Eisen und Stein, und mit dem Docht brachte er das Harz zum Qualmen. Faust beugte sich über das dickere Rohr und zog daran. Aus dem Inneren des Gerätes ertönte ein Blubbern. Faust atmete aromatischen Rauch aus. Er lachte, der junge Mann tat es ihm gleich, lächelte ebenfalls, und dann erzählte Marko, wie ihn das Spiel des Geigers erregte, wie ihn an diesem Abend und auch sonst, wenn die Geige ertönte, nicht nur die Frauen in Hitze gerieten, sondern auch er, wie sich sein Glied versteifte und die Lust wuchs. Ein paar Tage zuvor hatte er sogar ohne Hand an sich zu legen seinen Samen verspritzt.
»Was hat das zu bedeuten? Ich dachte, die Musik verzaubert nur die Frauen?«
Der Alchemist räusperte sich. Sein Herz pochte aufgeregt. Er war also nicht alleine mit dieser Erfahrung. Was jedoch hatte das zu bedeuten?
»Ist es so? Oder reden die Männer deiner Sippe nicht darüber? Vielleicht erregt es sie ebenfalls, ich habe ebensolches verspürt«, sagte er. Die Reaktion seines Gegenübers rief stummes Erstaunen hervor. »Aber verrat mir noch etwas: Hast du dabei an die Frau gedacht, oder an …«
»Ich…« Marko wand sich. »Das ist es ja.«
Die beiden sahen sich in die Augen, länger als nötig.
»Es ist auch ohne die Musik so.«
»Was ist ohne Musik so?«
»Die Erregung. Seht selbst.«
Der Rom nahm Fausts Hand und führte sie zwischen seine Beine. In der Hose spürte der Alchemist mit klopfendem Herzen eine harte Beule.
»Könnt Ihr mir helfen?«
Faust wusste, dass es gefährlich war, sich dieser Leidenschaft hinzugeben. Er hatte von der patriarchalischen Familienführung in den Sippen gehört und er kannte auch die Meinung der Kirche. Doch das Risiko musste er eingehen. »Ich glaube schon.«.
»Ihr erzählt es doch niemandem, oder?«
»Das gleiche wollte ich dich fragen«, sagte Faust und beugte sich vor. Die Zunge des Rom war forsch. Bänder wurden geöffnet, wortlos, atemlos. Rasch waren beide splitternackt und zeigten sich gegenseitig ihre Erregung.
Faust ließ die prächtig geformte Lanze des jungen Mannes auf seiner Zunge tanzen, schloss die Lippen und spürte das dumpfe, begehrliche Pulsieren. Im Gegenzug spürte er Markos Mund an seinem Geschlecht, spürte, wie die Hoden wohlige Wärme empfingen, erst der linke, dann der rechte, und wie eine Hand sein Rohr packte, massierte, sich auf und ab bewegte, bevor sich wieder ein warmer Mund darüber stülpte.
Schnaufen erfüllte den dunklen Wagen, der so weit abseits stand vom Rund, dass niemand etwas hören konnte, und dennoch waren die beiden Männer so vorsichtig wie sie sein konnten, so leise und diskret wie möglich.
Bald konnte sich der Alchemist kaum noch beherrschen. Tief wurzelte er sich in Markos Hintern, der sich vorgebeugt und unterwürfig den Kopf in das warme Bettlager gepresst hatte. Keuchend, wortlos genießen, kämpften die beiden Männer um die Oberhand, drangen mal hier ein und mal dort, bis sich endlich auch Faust in die Position des Empfängers geben konnte, um jeden Zoll der harten Lanze zu genießen, die ihn penetrierte.
Haut klatschte auf Haut, rhythmisch und viel zu laut, wie Faust einen Moment lang dachte, bevor ihm die Sinne schwanden und er spürte, wie sich Hände in seine Hüften krallten und der Zigeuner mit einer letzten Anstrengung den tiefsten Punkt erreichte, bevor er seinen Saft laufen ließ.
Und als Faust spürte, wie ihm Schub für Schub die Eingeweide mit köstlichem Samen gefüllt wurden, führte er die rechte, tastende Hand des Zigeuners an seine Erektion. Halb auf ihm liegend, keuchend, seufzend, klammernd, nachfassend, sich krümmend, fiedelte Marko dem Alchemisten eine, bis dieser abspritzte und unter der Last zusammenbrach.
Schwitzend kamen die beiden Männer zu Ruhe, flüsterten sich leise Wort zu und versprachen einander, nichts davon zu erzählen, es aber, und so hofften es beide inständig, ohne es auszusprechen, so bald wie möglich zu wiederholen.
Irgendwo in der Ferne heulte ein Wolf sein einsames Lied.