Читать книгу In den Fesseln der Vergangenheit - Sara-Maria Lukas - Страница 7
Kapitel 3
ОглавлениеDie anderen beiden Typen kamen wieder herein, redeten kurz leise mit ihrem Boss und stiegen anschließend die Treppe ins Dachgeschoss hinauf. Katie hörte sie oben rumlaufen und Schranktüren schlagen.
Inzwischen war genügend Zeit vergangen, sodass sich ihre Nerven beruhigt hatten und sie wieder klar denken konnte. Sie hatte sich auf Ereignisse wie dieses vorbereitet, und ihr Verstand begann, systematisch Fakten zu sammeln.
Die Männer ließen sich mit der Durchsuchung Zeit und zeigten keinerlei Anzeichen von Nervosität. Offensichtlich fühlten sie sich sehr sicher.
Inzwischen wusste Katie mehr über den Typen, der sie festgehalten und mit der Waffe bedroht hatte. Er hieß Aaron, war nicht viel größer als sie selbst und schmaler als die anderen beiden. Er hatte dunkelblonde Haare, die er, wie James Dean in den alten Filmen, nach hinten gekämmt hatte. Seine mit Bartstoppeln bedeckten Wangen wirkten schmal, fast eingefallen, und über die rechte zog sich das Tattoo eines Schlangenkopfes mit weit geöffnetem Maul. An den Ohrläppchen hingen schwere Silberringe und seine Mundwinkel waren konstant abfällig herabgezogen.
Katie kannte Typen wie Aaron und Karim. Sie waren es, die die Drecksarbeit beim organisierten Verbrechen erledigten, die statt eines Herzens einen Betonblock im Brustkorb sitzen hatten, die vor Folter und Mord nicht zurückschreckten, die kein Gewissen und nichts zu verlieren hatten. Mit denen brauchte sie nicht zu reden und auf Gnade zu hoffen.
Ihr Anführer war der, der entscheiden würde, was mit ihr geschah. Mit ihm musste sie sprechen, ihn ansehen und eine Beziehung zu ihm aufbauen, damit er später Skrupel hätte, sie umbringen zu lassen.
Sie hatte diese Verhaltensregeln gelernt, genauso wie das Hacken von Computern und die Selbstverteidigung. Alles, um die Angst in den Griff zu bekommen, um sich nicht so schwach und schutzlos zu fühlen. Sie hatte sich mit dem organisierten Verbrechen angelegt, und das Einzige, was sie schützte, waren Informationen und versteckte Beweismittel. Würde es Trevor oder seinem Vater gelingen, an dieses Material zu kommen, wäre sie geliefert. Das war klar.
Noch heute sah sie oft im Traum das hassverzerrte Gesicht von Carlos Mendoza vor sich, als sie ihm in seinem Arbeitszimmer mitgeteilt hatte, dass sie umfangreiche Beweise gegen seinen Clan in der Hand hatte, die öffentlich werden würden, sobald sie ihr Leben verlieren würde.
Er hatte gelacht, doch nachdem sie ihm auf dem Laptop ein paar Videoaufnahmen gezeigt hatte, war ihm das Lachen vergangen. Er hatte sie nicht aufgehalten, als sie aus der Villa ausgezogen war.
Seitdem beschützte er sie vor seinem drogensüchtigen Sohn, der sie hasste und zu unüberlegten Taten neigte, und vor allem anderen, was ihr Leben bedrohen könnte, denn ihr Tod wäre sein Verhängnis. Trotzdem wusste sie natürlich, dass sie geliefert war, sollte es ihm gelingen, an das Beweismaterial zu kommen.
Die Bedrohung war in den ersten Wochen und Monaten allgegenwärtig gewesen. Doch es war ruhig geblieben und allmählich war sie gelassener geworden.
Das hatte sie zumindest geglaubt. Bis jetzt. Bis diese Männer sie überfallen und in ihre Gewalt gebracht hatten. Nur eins passte nicht ins Bild: Der Anführer hatte nach Trevor gefragt. Warum tat er das, wenn er im Auftrag von Trevor oder seinem Vater handelte? Das war unlogisch und sie verstand es nicht.
Sie musste mit diesem Mann kommunizieren, doch sie konnte sich nicht dazu überwinden. Seine Wirkung auf sie war zu unheimlich. Er hatte eine Aura, die auf teuflische Art ihre Haut zu durchdringen schien.
Wäre sie ihm in London in einer Bar begegnet, wäre er ihr aufgefallen, denn er entsprach dem Typ Mann, zu dem sie sich hingezogen fühlte. Ihr Körper reagierte trotz der miesen Erfahrungen mit Trevor leider immer noch auf Dominanz und Selbstsicherheit. Es erregte sie, wenn ein Typ wusste, was er wollte, und die Blicke dieses Mannes schienen die Nervenenden in ihren Hautzellen zum Vibrieren zu bringen, ohne dass sie sich dagegen wehren konnte.
In manchen Momenten glaubte sie, in seinen dunklen Augen tiefe Trauer zu sehen, wie Menschen sie ausstrahlen, die ein schweres Schicksal ertragen müssen. Was natürlich völliger Quatsch war. Männer wie er waren nicht fähig, zu trauern. Trotzdem hatte sie diesen Eindruck, und das verunsicherte sie.
Gefährliche Männer mit tragischer Geschichte verfügten über eine enorme Anziehungskraft auf Katies Libido. Nur deshalb war sie damals auf Trevor hereingefallen, denn sie hatte seine erfundenen Geschichten geglaubt. Auf diese Weise hatte sie lernen müssen, dass er ihre jugendliche Unerfahrenheit und Naivität ausgenutzt hatte, um sie zu manipulieren. Trevor war nur ein erbärmliches, verlogenes Arschloch mit zu viel Geld. Dieser Mann hier war anders. Er war wirklich selbstsicher, kontrolliert und vielschichtig. Das spürte sie. Er war nicht schön, an seinem Äußeren war nichts harmonisch, aber in seinen Augen schimmerte Tiefe. Er war einer dieser geheimnisvollen Typen, von dem eine Frau wie sie sich angezogen fühlte. Es war ein verdammter, dummer, gefährlicher Reiz!
Wäre er hässlich, brutal und würde stinken wie Aaron, wüsste sie, dass er sie kaltlassen würde. So aber hatte sie Angst, nicht klar genug zu denken, wenn sie mit ihm kommunizierte.
Gefühle und Verstand harmonierten nicht immer miteinander, im Gegenteil. Wie viele Frauen verliebten sich in Arschlöcher!
Die ganze Zeit, während er in ihrem Handy spioniert hatte, hatte sie ihn durch die schützende Gardine ihrer Haare beobachtet, und jedes Mal, wenn er zu ihr herübergesehen hatte, hatte sie es körperlich gespürt.
Es kribbelte auf ihrer Haut und in ihren Nervenbahnen. Irgendetwas in ihr wurde von ihm gleichermaßen angezogen wie abgestoßen. Während seine zwei Handlanger nichts anderes als gefühllose, gleichgültige Brutalität ausstrahlten, spürte sie unter seiner scheinbar undurchdringlichen Mimik brodelnde Gefühle.
Sie lag hilflos gefesselt vor ihm, und durch einen fehlgeleiteten Instinkt wollte sie sich ihm auf irreale Weise hingeben, in der Hoffnung, er würde Gnade zeigen. Es musste so etwas ähnliches wie das Stockholm-Syndrom sein, das solche Gefühle in ihr auslöste, obwohl das ja eigentlich erst entstand, wenn ein Opfer über einen längeren Zeitraum mit seinem Entführer zu tun hatte. Doch es war die einzige Erklärung, die ihr dazu einfiel.
Plötzlich erschien das faltige Antlitz ihres Großvaters vor ihrem inneren Auge. Es ist die Liebe, die so wehtut, Katie. Je tiefer die Liebe, desto glühender der Zorn, wenn sie enttäuscht wird. Sie hörte im Geiste, wie er diese alte Weisheit ausgesprochen hatte, damals, als sie um ihren Dad nicht trauern konnte, weil sie so schrecklich wütend auf ihn gewesen war. Er war unachtsam gewesen und hatte deshalb die Schuld an dem Unfall gehabt, der Mum und ihn getötet hatte. Mit dem Spruch hatte Grandpa ihr geholfen, sich selbst ihre Wut zu verzeihen.
Warum fiel ihr das jetzt ein?
Erkannte sie in den dunklen Augen dieses Verbrechers den gleichen brennenden Zorn, den sie damals empfunden hatte? Meinte ihr Unterbewusstsein, dass deshalb auch er des Mitleids fähig wäre?
Irgendein dummer Instinkt tief in ihrer Brust wollte ihr vorgaukeln, dass dieser Mann sie beschützen würde, wenn sie seine harte Schale durchdringen könnte. Das war natürlich völliger Schwachsinn, denn von diesem Typen durfte sie auf keinen Fall Gnade erwarten.
Sie hasste ihn dafür, dass sie Gefühle in seinen Augen entdeckt hatte. Egal, was ihn antrieb, was seine Wut anfeuerte, es ging sie nichts an. Wenn sie ihn ansah, wollte sie cool sein, ihre Befreiung planen, ihm bei erstbester Gelegenheit ins Gesicht springen, seine Haut zerkratzen und auf seinen Kehlkopf schlagen, wie sie es im Selbstverteidigungskurs gelernt hatte.
Aber sie konnte nicht cool sein. In ihr brodelte die Wut wie ein Vulkan, weil er sie in seine Gewalt gebracht hatte und ihren Namen aussprach, als ob er sich jeden einzelnen Buchstaben auf der Zunge zergehen lassen wollte.
Vor lauter Angst, er könnte die Gefühle in ihren Augen genauso lesen wie sie die in seinen, sah sie ihn nicht an.
Er durfte auf keinen Fall glauben, Macht über sie zu haben.
Die Zeit verging und allmählich schmerzten ihre Schultern und Arme durch die Fesselung. In ihren Fingern spürte sie bereits seit einer Weile nichts mehr, doch sie rührte sich nicht und gab auch keinen Laut von sich.
Irgendwann waren die Männer mit ihrer Hausdurchsuchung fertig und standen wieder vor ihr. Wie zu erwarten, hatten sie nichts gefunden, was für Verbrecher interessant sein könnte.
Der Anführer hockte sich vor ihr hin und sie hielt die Luft an.
«Wo ist das Versteck? Draußen im Schuppen?»
Katie rührte sich nicht und konzentrierte sich darauf, an seinen Füßen vorbei das Tischbein zu fixieren.
Er griff mit einer Hand in ihre Haare, mit der anderen um einen ihrer Oberarme und zerrte sie in eine sitzende Position. Ihre sowieso schon schmerzenden Schultern brannten wie Feuer. Sie stieß einen Schreckenslaut aus und presste dann die Lippen sofort wieder zusammen, um jedes weitere Geräusch zu unterdrücken. Er drückte sie mit dem Rücken gegen die Wand. Seine große Hand legte sich um ihren Hals, mit Daumen und Zeigefinger packte er ihr Kinn und zwang sie so, ihn anzusehen. Sobald ihre Blicke sich ineinander verfingen, trat wieder diese seltsame, hypnotisierende Wirkung bei ihr ein. Katie konnte nicht mehr wegsehen. Zwischen ihnen schien die Luft zu vibrieren und zu knistern.
***
Jayden spürte unter seinem Finger ihren harten, rasenden Pulsschlag. Sie sah ihm in die Augen, ohne auch nur einmal zu zwinkern, und er hielt ihren Blick mit seinem fest. Es fühlte sich für ihn an, als ob seine und die Instinkte dieser Frau in einem geräuschlosen und unsichtbaren Zweikampf miteinander rangen, wie in einem Duell mit Waffen, in dem sich die Gegner auf Augenhöhe begegneten.
«Wo trefft ihr euch? Und wann das nächste Mal?»
Stille. Er spürte eine Schluckbewegung in ihrem Hals, als sich ihre Lippen öffneten.
«Ich habe keinen Kontakt mehr zu meinem ehemaligen Mann, und ein Versteck gibt es hier nicht», murmelte sie im gleichen ruhigen und gefassten Tonfall, in dem auch er seine Frage gestellt hatte.
Für einen Moment beherrschte Respekt vor ihrem Mut und ihrer Fähigkeit zur Selbstbeherrschung sein Denken, doch dann kehrte der Zorn mit doppelter Wucht zurück. Dieses Weib war kein ebenbürtiger Gegner, sondern eine kriechende Schlange ohne Ehrempfinden. Sie hatte sich an einen skrupellosen Mörder gebunden, um von den miesen Geschäften seiner Mafiasippe zu profitieren. Sie war eine Schmeißfliege, ein Parasit, ein Wurm, der es nicht wert war, wie ein Mensch behandelt zu werden.
***
Katie starrte ihn an. Seine Wangen zuckten. Seine Augen wurden schmal, und sie rechnete damit, jeden Moment brutal geschlagen zu werden. Doch nach einer gefühlt endlos langen Minute der Stille stand er abrupt auf und drehte sich um.
«Ich fahre jetzt. Wenn es dunkel genug ist, bringt ihr sie rüber. Achtet darauf, dass sie keinen Lärm macht und niemand euch sieht», hörte sie ihn sagen.
Er verließ den Raum, die Haustür klappte und der Motor des Geländewagens heulte auf. Das Auto entfernte sich schneller, als es auf dem unbefestigten Weg normal wäre.
Katies Herz schlug ihr hart gegen die Rippen. Sie zwang sich zur Konzentration. Er ließ sie mit seinen Handlangern allein. Was bedeutete das für sie? Wahrscheinlich hatte er ihnen die Genehmigung erteilt, sich mit ihr zu amüsieren, um ihren Willen zu brechen.
Soweit sie es erkennen konnte, trugen sie keine Waffen griffbereit, und sie mussten die Fußfesseln lösen, denn mit zusammengebundenen Beinen konnte eine Frau nur schwer vergewaltigt werden. Das wäre ihre Chance, um sich zu wehren, denn sie würden nicht damit rechnen, angegriffen zu werden.
Sie atmete tief durch, sammelte mental ihre Kräfte, als die beiden sich ihr näherten, doch nur Karim bückte sich für einen Moment, um ihre Fesseln zu kontrollieren. Dann schlenderten sie nebeneinander hinaus.
«Eigentlich schade, dass wir nicht mit ihr spielen dürfen», hörte sie Aaron sagen.
«Geduld, mein Freund. Wenn Jayden sie nicht mehr braucht und sie uns überlässt, haben wir genügend Zeit, um Spaß mit ihr zu haben, bevor wir sie entsorgen.»
Beide lachten. Sie unterhielten sich weiter, während sie sich entfernten und in die Küche verschwanden, aber Katie konnte nun nicht mehr verstehen, worüber sie redeten. Ihr Herzschlag beruhigte sich wieder, und sie dachte über die Worte nach, die sie gerade gehört hatte.
Wenn Jayden sie nicht mehr braucht und sie uns überlässt …
Jayden war also sein Name. Katie wühlte in ihrem Gedächtnis, holte die Zeit, die sie mit Trevor zusammen gewesen war, in ihre Erinnerung zurück und suchte den Namen Jayden. Aber ihr fiel keiner mit diesem Namen ein.
Wenn Jayden sie nicht mehr braucht …
Er suchte Trevor. Er glaubte, sie würde noch in Verbindung mit ihrem Ex stehen und ihm verraten, wo er das Schwein finden könnte. So viel hatte sie inzwischen verstanden. Wenn er aber kapierte, dass er einer falschen Annahme folgte, würde er sie nicht mehr brauchen. Und dann würden die beiden Brutalos ihren Spaß mit ihr haben und sie anschließend töten.
Wenn sie überleben wollte, musste sie Jayden hinhalten. Solange er glaubte, sie hätte wichtige Informationen für ihn, war sie sicher.
Bringt sie rüber …
Was hatte er eigentlich damit gemeint? Rüber in den Schuppen? Wollte er sie dort foltern und umbringen, wenn es dunkel war und wahrscheinlich keine Leute mehr vorbeikommen würden?
Eine Welle aus Panik und Todesangst wollte ihr plötzlich den Verstand rauben, und sie zählte im Geiste und tief ausatmend langsam von zwanzig rückwärts, um wieder runterzukommen.
Sie sah sich um. Draußen war es noch hell und ihre Aufpasser saßen in der Küche und beachteten sie nicht. Sie hatten sie mit einem rauen Strick gefesselt. Vielleicht ließ sich der am alten rissigen Holz des Sideboards durchscheuern. Sie rutschte mühsam ungefähr fünfzig Zentimeter nach rechts, bis sie an der Schrankecke lehnte und mit den Handfesseln die Kante erreichte. Sie begann, das Seil gegen die Holzkante zu reiben. Hoch und runter. Hoch und runter. Hoch und runter. Nicht aufgeben, einfach immer weitermachen. Hoch und runter.
Es wurde allmählich dunkel und Katie erkannte die Möbel im Raum nur noch schemenhaft.
In der Küche schabten Stühle über den Boden und sie erstarrte. Eine Minute später schaltete Karim das Licht im Wohnzimmer an. Geblendet kniff sie die Augen zusammen.
Aaron stupste sie rüde mit dem Fuß an. «Auf geht’s, Babe.» Er zerschnitt mit einem Messer die Fesseln an ihren Knöcheln. Karim stellte sich neben ihn und gemeinsam zerrten sie Katie hoch. Das Messer blieb auf dem Boden liegen und Katie warf einen sehnsüchtigen Blick darauf. Doch sie hatte keine Chance, danach zu greifen, denn Aaron zog seine Waffe und hielt sie ihr an den Hals. «Ein Ton oder eine falsche Bewegung und du bist tot.»
Sie führten Katie aus dem Haus. Während Aaron sie mit der Waffe bedrohte, knipste Karim die Lampen aus und schloss die Haustür ab. Dann nahmen sie ihre Gefangene in die Mitte und hielten sie an den Oberarmen fest. Statt geradeaus den Zufahrtsweg entlangzugehen, umrundeten sie das Haus. Aber sie betraten nicht den Schuppen, sondern bogen auf den Trampelpfad ab, den Katie als Kind benutzt hatte, um auf dem kürzesten Weg ihre beste Freundin zu erreichen. Er führte zwischen meterhoch zugewucherten ehemaligen Schafweiden entlang, dann durch einen Wald, bevor er am Garten des Nachbarhauses endete. Katie begriff: Mit drüben hatte Jayden das Cottage gemeint, von dem Carl Meyer gesagt hatte, dass ein Fremder es gekauft habe.
Katie ließ sich widerstandslos führen. Sie musste abwarten. Der Mond schien hell, sodass der Weg gut zu erkennen war. Die beste Chance zur Flucht hätte sie also später im Wald, in dem es viel dunkler sein würde.
Katie zwang sich, ruhig zu atmen und den Kopf schüchtern zu senken. Je weniger Gegenwehr sie zeigte, desto sicherer würden sich ihre beiden Aufpasser fühlen. Ein plötzlicher Fluchtversuch wäre dann ein Überraschungscoup und die Chancen auf Erfolg würden beträchtlich steigen.
Die Fesseln an ihren Armen fühlten sich locker an. Vermutlich hätte sie am Schrank nur noch ein paar Minuten gebraucht, um sich befreien zu können. Wenn sie im Wald losrannte, musste sie bestimmt nur einmal ordentlich rucken, dann wären ihre Hände frei.
Sie musterte ihre Umgebung. Zum Glück kannte sie jeden Meter des Weges. Kurz vor dem anderen Haus war die beste Stelle für einen Befreiungsversuch, denn da war der Wald so dicht, dass die Verfolgung am schwierigsten sein würde. Außerdem waren es von dort nicht mal zwei Meilen querfeldein bis zu einer Straße, auf der sie ein Auto anhalten konnte, dass sie zur Polizei bringen würde. Dass es eine einsame Straße war, auf der um diese Zeit kaum Autos unterwegs waren, verdrängte sie aus ihrem Bewusstsein. Sie hoffte auf einen glücklichen Zufall, denn das war ihre einzige Chance. Nur nicht die Nerven verlieren. Ruhig bleiben. Abwarten. Sich nichts anmerken lassen.
Und dann war es so weit. Im Wald ließ Karim sie kurz los, um ein Insekt zu vertreiben, das ihm im Gesicht herumkrabbelte, und Katie nutzte den Moment. Sie riss sich von beiden Männern los, bog links ab und rannte in den Wald hinein. Sie zerrte an den Fesseln und das Seil gab tatsächlich nach. Ihre Hände waren frei. Im Zickzack hetzte sie vorwärts, während sie hinter sich das derbe Fluchen der Männer hörte.
Plötzlich wurde es still, und eine Sekunde lang hoffte Katie, sie hätte ihre Verfolger abgehängt, doch dann knackte es links und rechts im Gehölz. Die Männer hatten sich anscheinend getrennt, um sie von zwei Seiten einzukreisen.
Sie rannte weiter, schürfte sich das Gesicht an einem Dornenbusch auf und zischte vor Schmerz durch die Zähne. Licht, vermutlich von einer Handy-Taschenlampen-App, blitzte auf.
«Da ist sie!», rief einer der beiden und Katie rannte noch schneller. Doch dann stolperte sie über eine Baumwurzel und verlor das Gleichgewicht. Sie schrie auf und stürzte. Ihr Gesicht landete in kalter feuchter Erde. Ehe sie sich wieder aufrappeln konnte, packte jemand ihre Haare und zerrte ihren Kopf in den Nacken.
«Du miese Schlampe», fluchte Aaron und schlug zu. Er traf ihre Wange, und es fühlte sich an, als ob ihr Kopf platzen würde. Er ließ sie los, sie fiel zurück und er trat gegen ihren Brustkorb, gegen ihre Oberschenkel und in ihre Taille. Katie krümmte sich zusammen und versuchte, den Kopf mit den Händen zu schützen. Erde drang in ihren Mund ein und sie hustete.
«Hör auf!», brüllte Karim. «Willst du sie umbringen? Dann nützt sie uns nichts mehr.»
Aaron ließ schnaufend von ihr ab. «Fuck! Dieses Miststück!»
«Hoch mit ihr und schnell zurück. Da hinten ist die Straße, nicht dass noch jemand was mitbekommt.» Karim griff nach ihrem Oberarm, zerrte daran und Aaron packte sie auf der anderen Seite, um sie auf die Füße zu ziehen.
Als Katie stand und ihren linken Fuß belastete, spürte sie ein fieses Stechen im Knöchel und schrie auf.
«Schnauze, sonst scheiß ich auf alle Anweisungen und bringe dich jetzt schon um, du Miststück», zischte Aaron, und Katie presste die Lippen zusammen, denn das war garantiert keine leere Drohung.
«Das wirst du bereuen, du Schlampe», murmelte er, während die Männer mit ihr den Rückweg antraten. «Mich verarscht man nicht. Wenn Jayden dich nicht mehr braucht und ich mich mit dir beschäftigen darf, wirst du darum betteln, sterben zu dürfen, und dann werde ich dafür sorgen, dass es sehr, sehr lange dauert.»
Jedes Auftreten trat höllisch weh. Katie liefen vor Schmerz Tränen die Wangen herunter, doch sie biss die Zähne fest zusammen, um alle Laute zu unterdrücken, denn es ging um ihr Überleben. Aarons Gesicht war eine wutverzerrte Grimasse. Der Typ dachte nicht mehr rational, sondern war ein Choleriker, dessen Selbstbeherrschung am sprichwörtlichen seidenen Faden hing.
Rücksichtslos zerrten Aaron und Karim sie durch den Wald zurück auf den Weg und durch eine Pforte in den Garten des Cottages. Es war tatsächlich das Haus der ehemaligen Nachbarn, wie Katie es vermutet hatte. Durch die Hintertür schubsten die Männer sie hinein. Sie stand nur eine Minute im Flur, bis Aaron eine Innentür öffnete. Mit einer schleudernden Bewegung stießen die Männer sie nach vorn, sodass sie auf den harten Holzboden stürzte.
Vor ihren Augen blitzten Sterne auf, und in ihren Ohren rauschte es, als stünde sie kurz vor einer Ohnmacht. Jetzt würden sie bestimmt wieder auf sie einschlagen. Sie krümmte sich zusammen und verbarg das Gesicht zwischen den Händen, um es vor Tritten zu schützen.
Aber nichts geschah, das Rauschen wurde weniger und ihr Blick klärte sich. Sie erkannte einen großen Raum mit weißen Wänden. Ein Stuhl schabte über das Holz, jemand näherte sich ihr. Katie rührte sich nicht. Sie blieb einfach liegen. Sie hatte ihre Chance vertan. Nun war sie im Haus und den Männern ausgeliefert. Sie würden sie foltern und töten. Es war das Ende.
«Was ist passiert?»
Eine tiefe Stimme schien die Luft im Raum zu zerschneiden. Katie erkannte sie sofort. Es war Jayden und in jeder Silbe seiner Worte zischte deutlich hörbar kaum beherrschter Zorn mit.
Aaron schnaubte. «Das Miststück wollte abhauen.»
«Ihr solltet auf sie aufpassen! Halb tot nützt sie mir nichts!»
«Keine Sorge.» Das war Karims Stimme. «Sie ist nicht ernsthaft verletzt, nur ein bisschen verbeult und geschockt. Das wird ihren Starrsinn vielleicht brechen. Sicher ist sie jetzt viel eher dazu bereit, mit dir zu reden, als heute Mittag.»
Sie hörte Schritte und seine Schuhe erschienen in ihrem Blickfeld. «Stimmt das, Katie? Möchtest du jetzt mit mir reden, um dir weiteres Leiden zu ersparen?»
Stille. Katie rührte sich nicht, nur ihr Herzschlag donnerte durch ihren Körper.
Er trat zurück. «Hebt sie hoch.»
Erneut packten Karim und Aaron Katie an den Armen und zerrten sie in die Senkrechte. Sie presste die Lippen fest zusammen und gab nicht mal ein leises Stöhnen von sich. Als sie stand und Jayden vor sich sah, wandte sie den Blick nicht ab. Seine Persönlichkeit schien den Raum zu dominieren, als ob ihm nichts und niemand etwas anhaben könnte.
Plötzlich überschwemmte Zorn ihren Verstand. Die Selbstsicherheit, die er ausstrahlte, machte sie ungeheuer wütend. Warum gab es Menschen, die sich über das Gesetz stellten, als ob die Welt ihnen allein gehörte? Warum erlaubten sie sich, andere skrupellos zu unterdrücken, zu quälen und zu beherrschen? Warum nahmen sich Typen wie Trevor oder Jayden das Recht heraus, Frauen wie sie gnadenlos als Spielball für ihre Interessen zu benutzen? Sie hasste diese Mafiatypen, aber genauso sehr hasste sie ihre eigene Machtlosigkeit.
Der Zorn weckte tief in ihrem Bauch einen brodelnden Vulkan, der frische Energie durch ihre Adern pulsieren ließ. Ihr Kampfgeist erwachte stärker denn je. Entschlossen hob sie das Kinn und starrte Jayden so lange in die Augen, bis er den Kopf schüttelte und sich von ihr abwandte. «Bringt sie runter und sperrt sie ein.»
«Aye, aye, Sir.»
Aaron und Karim zerrten sie aus dem Zimmer und schleppten sie eine Kellertreppe hinunter. Da bei jedem Auftreten ein fieser Schmerz durch Katies Bein schoss, wurde ihr fast übel. In einem kahlen Raum ließen sie sie auf den Steinboden fallen, und sie schrie auf, als ihre Knochen auf dem harten Boden aufkamen. Eine Tür schlug zu. Es schepperte, als ob ein Vorhängeschloss eingehängt und verriegelt würde, dann war es still.
Durch die Ritzen der roh zusammengezimmerten Holztür drang etwas Licht herein. Katie sah sich um. Sie lag in einem rechteckigen Raum. In einer Ecke an der Wand führte ein massives Abflussrohr von oben nach unten und kurz vor dem Fußboden durch die Mauer hinaus. Außer einem Eimer, in den sie anscheinend ihre Notdurft verrichten sollte, gab es nichts. Nicht mal einen Stuhl, eine Matratze oder eine Decke. Nur kahle graue Wände und kein Fenster. Sie hörte, wie die Männer die Treppe wieder hinaufstiegen, das Licht, das durch die Türritzen in den Raum gefallen war, ging aus und die obere Tür an der Kellertreppe klappte zu. Es wurde still und dunkel, wie in einem Grab.
Katie erlaubte sich einen Moment der Schwäche. Tränen rollten ihre Wangen hinab. Sie wischte sie mit den Handballen weg und wimmerte, als sie versehentlich zu fest über die tiefe Schramme vom Dornenbusch im Wald rieb. Sie reichte vom Jochbein bis in den Mundwinkel, und Katie schmeckte Blut, als sie die Lippen bewegte.
Nach einer Weile rappelte sie sich auf und kroch geradeaus, bis sie vor sich die Mauer ertasten konnte. Sie setzte sich hin, lehnte sich an die Wand und atmete tief durch. Sie kannte den Keller dieses Hauses. Sie war oft mit Leila hier unten auf Schatzsuche gegangen, bis ihr Dad sie irgendwann dabei erwischt und nach oben gescheucht hatte.
Das Kellergeschoss hatte zwei Räume. Sie lag in dem kleineren, einer ehemaligen Vorratskammer, die nicht größer als ein schmales Badezimmer war. Damals hatte hier ein langes, deckenhohes, roh zusammengezimmertes Regal gestanden, in dem Konserven, Kartoffeln und Getränke gelagert worden waren. Es gab kein Fenster, aber die Holztür war alt und klapprig. Vielleicht ließen sich Latten herausbrechen. Die obere Tür an der Kellertreppe hatte kein Schloss, sondern nur einen einfachen Riegel, so war es jedenfalls damals gewesen.
Es war noch nicht alles verloren. Nur im Moment konnte sie nichts tun, als sich auszuruhen. Sie war zu erschöpft, um an den Holzbrettern zu rütteln. Sie konnte gut atmen, Aaron hatte ihr mit seinen fiesen Tritten zum Glück wohl keine Rippen oder andere Knochen gebrochen, doch ein paar saftige Blutergüsse spürte sie bei jeder Bewegung. Außerdem pulsierte der Schmerz in ihrem Knöchel. Sie brauchte eine Pause.
Bei Tagesanbruch, ganz früh, wenn ihre Entführer noch schliefen, würde sie mit frischer Kraft einen Ausbruchversuch wagen.
Sie nickte im Sitzen ein und schreckte auf, als sie ein Geräusch hörte. Sie sah sich panisch um. Jemand kam die Treppe herunter und durch die Ritzen der Holztür drang Licht in ihre Gefängniszelle. Sie blieb stocksteif sitzen und hörte, wie das Schloss entriegelt wurde, dann öffnete sich die Tür und Jaydens imposante Gestalt warf einen langen Schatten in den Raum.
Augenblicklich spannten sich alle Muskeln ihres Körpers in Abwehrbereitschaft an.
Schweigend sah er auf sie hinab und sie hielt den Atem an. Ihr Herzschlag schien durch alle Adern zu hämmern. Was hatte er vor? Wollte er sie vergewaltigen? Würde er sie jetzt foltern, um an Informationen zu kommen?
Er bewegte sich kurz zurück und drückte außerhalb des Raumes auf einen Lichtschalter. Eine nackte Glühbirne an der Zimmerdecke flammte auf, und Katie musste die Augen zusammenkneifen, weil es plötzlich so hell war.
Es dauerte eine Weile, bis ihre Pupillen sich an das Licht gewöhnt hatten und sie wieder was sehen konnte.
Jayden stand immer noch im Türrahmen. Jetzt erkannte sie, dass er etwas in den Händen hielt. Rechts einen grauen, stabilen Kunststoffkasten mit einem Griff im Deckel, links eine Plastikflasche mit Wasser. Als sie die sah, leckte sie sich unwillkürlich über die trockenen Lippen. Immer noch spürte sie Erde von ihrem Sturz im Wald im Mund und in der Nase, und ihre Kehle war ganz trocken.
Doch der Mistkerl war bestimmt nicht gekommen, um ihr etwas zu trinken zu bringen, und der graue Kasten wirkte bedrohlich. Was hatte er vor?
Er trat einen Schritt näher. «Hast du Schmerzen?»
Sie starrte ihn regungslos an.
Er kam ganz herein, stellte die Wasserflasche an die Wand und hockte sich vor sie. Er hatte sich rasiert, doch sein Gesicht wirkte trotzdem genauso verwegen und hart wie mit den dunklen Bartstoppeln. Sofort spürte sie wieder körperlich die Energie seines Blickes. Ihre Haut im Nacken prickelte. Sie ließ ihn nicht aus den Augen.
Er stellte den Kasten auf den Boden und klappte den Deckel auf. Katie erkannte weiße Wundauflagen, Mullbinden, eine Schere, Pflaster und ein kleines braunes Fläschchen.
Er griff danach, öffnete es und träufelte etwas von der Flüssigkeit darin auf eine der Wundauflagen.
Katie begriff. Er wollte sie betäuben. Vielleicht war es ein Wahrheitsserum oder irgendeine andere Droge, mit der er sie gefügig machen wollte.
Panisch zog sie die Beine an, um aufzuspringen, doch frischer Schmerz tobte durch ihren Knöchel und ließ sie unwillkürlich aufjaulen. In der nächsten Sekunde packte Jayden auch schon ihre Unterarme und drückte sie runter.
Er knurrte unwillig. «Was soll das? Das bringt dir doch bloß neuen Ärger ein.»
«Lass mich los!», keuchte sie.
Er antwortete nicht, sondern schnaubte nur genervt, packte ihre Handgelenke mit einer Hand und griff nach einer der Mullbinden aus dem Kasten. Er zog ihren Körper so in den Raum, dass sie flach auf dem Rücken lag, und kniete sich über ihren Unterleib und ihre Oberschenkel. Mit der Mullbinde umwickelte er ihre Handgelenke und band einen strammen Knoten. Dann zog er ihre Arme gestreckt über ihren Kopf.
Katies Körper kämpfte mit aller Kraft gegen ihn, aber das ignorierte er. Er war unglaublich kräftig, es schien ihn nicht anzustrengen, sie festzuhalten, während sie sich trotz maximaler Muskelanstrengung keinen Millimeter rühren konnte. Keuchend gab sie die Gegenwehr auf.
Während er sich über sie beugte, um ihre gefesselten Hände an das Abflussrohr zu binden, stieß ihre Nasenspitze gegen den weichen Stoff seines Shirts, das seinen Brustkorb bedeckte, und sein Geruch umfing sie. Er stank nicht widerlich nach altem Schweiß, wie es zu einem Verbrecher passen würde, sondern duftete dezent und einnehmend nach Seife, Rasierwasser und Mann, als ob er gerade erst geduscht hätte.
Sein frischer angenehmer Duft irritierte sie. Es gab der Situation eine intime, private Atmosphäre, die völlig unpassend war. Der Geruch wirkte wie ein gefährlicher Lockstoff auf sie, und sie hasste ihren Körper, weil er darauf reagierte und in die Falle tappen wollte.
Als Jayden damit fertig war, ihre Hände an das Rohr zu fesseln, richtete er den Oberkörper auf und griff erneut nach der Wundauflage, die auf den Boden gefallen war. Mit gerunzelter Stirn betrachtete er den Stoff, warf ihn zur Seite, angelte nach dem Kasten und beträufelte einen frischen Lappen.
«Halt still.» Mit der linken Hand griff er fest in ihre Haare, sodass sie den Kopf nicht mehr bewegen konnte. Als sich seine Rechte mit dem Tuch ihrem Gesicht näherte, hielt Katie die Luft an.
Doch statt es auf ihren Mund und ihre Nase zu pressen, drehte er ihren Kopf etwas und begann, die tiefe Schramme vom Dornenbusch, die sich inzwischen bereits unangenehm heiß und geschwollen anfühlte, sorgfältig und sanft bis in den Mundwinkel hinein abzutupfen. Katie roch das Desinfektionsmittel und es brannte wie Feuer in der Wunde. Sie presste die Lippen zusammen, doch sie konnte ein angestrengtes Schnaufen nicht unterdrücken. Er wiederholte die Prozedur mit einem frischen Lappen, das Brennen ließ nach und er löste den Griff aus ihren Haaren.
Unsicher sah sie ihn an. Sie hatte nicht erwartet, dass er sich um sie kümmern würde. Es weckte Gefühle in ihr, die völlig unpassend waren: Hoffnung, das Bedürfnis zu reden, eine Beziehung zu ihm herzustellen und an sein Herz zu appellieren, sie laufen zu lassen.
Es wäre ihr lieber, er würde sich genauso kalt und verbrechertypisch benehmen wie die beiden Kerle, deren Anführer er war. Denen gegenüber konnte sie die Zähne zusammenbeißen und zu einem Eisblock werden; Jaydens Ausstrahlung und sein Verhalten zerrten jedoch an Schubladen in ihrer Seele, die auf keinen Fall aufgehen durften.
Der Blick aus seinen dunklen Augen glitt über ihren Körper. Seine Wangen zuckten und Katie wurde sich ihrer Nacktheit bewusst. Die beiden Hälften ihrer zerrissenen Bluse hingen an den Seiten herab. Ihr Oberkörper war bis auf den BH entblößt und sie spürte seine Blicke auf ihrer Haut. Ihre Brustwarzen zogen sich zusammen und ihre Bauchmuskeln bebten, ohne dass sie es verhindern konnte. Ihr Herz raste, sie atmete flach.
Die Angst ließ ihre Nervenzellen überempfindlich flattern, gleichzeitig verführte seine gerade gezeigte Fürsorge sie dazu, in ihm den Mann zu sehen, der sie retten würde. Diese konfuse Mischung, gepaart mit der Angst, er könnte ihre Verwirrung bemerken und ausnutzen, löste einen Sturm der Panik in ihr aus, der ihren Brustkorb beben ließ.
«Hast du Schmerzen im Bauch?»
Sie antwortete nicht, und er begann, ihre Rippen, ihre Taille und ihren Unterleib abzutasten. Seine Berührungen waren sanft und trotzdem fest genug, um die Wärme seiner Finger zu spüren. Als er eine der Prellungen an ihrer Taille betastete, zuckte sie, gab aber keinen Schmerzenslaut von sich.
Sie spürte seinen Blick auf ihren Brüsten.
«Lass mich los, Arschloch!», presste sie zwischen den Zähnen hervor und er lächelte.
«Warum? Deinem Körper scheint es zu gefallen, berührt zu werden, und du bist es doch gewohnt, weibliche Reize für die Durchsetzung deiner Pläne einzusetzen.» Er stupste mit einem Finger gegen ihren rechten Nippel, der sich durch den Stoff des BHs drückte. «Aber keine Sorge, gewissenlose Weiber wie du reizen mich nicht. Ich bin bloß gekommen, um zu vermeiden, dass du an einer Blutvergiftung oder an inneren Verletzungen stirbst, bevor du mir gesagt hast, wo ich Mendoza finde.»
Er stand auf und packte das Fläschchen wieder in den grauen Kasten. Anschließend griff er nach der Schere, hockte sich neben ihre gestreckten Arme und schnitt die Mullbinde durch, allerdings nur so, dass sie vom Rohr gelöst wurde; ihre Handgelenke blieben aneinandergefesselt.
Er steckte die Schere wieder in den Kasten und schloss den Deckel. Katie zog die Hände vor ihren Körper und rollte sich seitlich von ihm weg. Die Scham über ihre Körperreaktionen unter seinen Blicken und Berührungen gab dem Hass auf ihn neue Nahrung.
«Morgen unterhalten wir uns über deinen Ehemann, und ich empfehle dir, zu kooperieren, Katinka Mendoza. Oder möchtest du lieber mit Katie de Winter angesprochen werden?» Er wartete, aber sie antwortete natürlich nicht. Schließlich seufzte er. «Früher oder später wirst du reden. Sei vernünftig und erspare dir und mir, dass ich dich dazu zwingen muss.»
Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ er den Raum. Die Tür knallte zu, das Schloss klickte und seine Schritte entfernten sich.
Die verhassten Namen zu hören, die sie an ihre beschissene Ehe erinnerten, erzeugte einen unangenehmen Druck in ihrem Bauch. Sie hatte gehofft, diesen ganzen Mafiascheiß hinter sich gebracht zu haben, doch nun war sie zum Spielball zwischen zwei mächtigen Familien geworden. Vermutlich war Jayden ein Nachkömmling einer konkurrierenden Familie, der einen Krieg anzetteln wollte, um das lohnende Geschäft des weltweiten Drogen- und Menschenhandels neu aufzuteilen. Fuck! Sie hatte die Schnauze gestrichen voll von dieser Welt arroganter, rücksichtloser Arschlöcher. Doch in diesem Moment nützte es nichts, sich aufzuregen. Sie musste ihre Kräfte sparen.
Ihr Blick fiel auf die Wasserflasche. Zum Glück hatte er sie dagelassen, denn sie hatte furchtbaren Durst. Durfte sie davon trinken oder musste sie befürchten, dass er Drogen hineingemixt hatte?
Sie rappelte sich auf und krabbelte hin. Als die die Flasche in die Hand nahm, sah sie, dass die Versiegelung des Deckels unversehrt war, und atmete erleichtert auf. Sie schraubte die Flasche ungeschickt auf und hob sie an den Mund, um gierig zu trinken.
Nachdem sie ihren Durst gelöscht hatte, begann sie mit der Kraft des Zorns auf den Mistkerl, der sie in diesem Loch festhielt, die dünnen Mullbinden um ihre Handgelenke mit den Zähnen Faser für Faser zu zerreißen. Als ihre Hände frei waren, fühlte es sich an wie ein Sieg, und sie schloss erschöpft die Augen.