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Kapitel 1

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Ich ziehe meine Boxhandschuhe an und halte sie prüfend vor das Gesicht. Das schwere Gefühl gibt meinem Körper Ruhe. Ich atme den Geruch von Leder ein, während ich mich im großen Spiegel an der hintersten Wand der Sporthalle betrachte.

Aus den Lautsprechern an der Decke schlägt der Bass wie ein Puls. Das Vibrieren klettert durch die Gummisohlen meiner Schuhe bis in meine in den Handschuhen leicht gebeugten Finger hinein. Ich bounce von Seite zu Seite, wärme die Beine auf, während ich immer noch die Deckung halte.

An der Decke über der hintersten Wand hängen sechs Sandsäcke an Eisenketten. Ihre schwarzen Lederkörper bilden ein schweigsames Glied, abwartend.

Jannick steht bei der Musikanlage und stellt gerade das Headset ein. Er nimmt das kleine Mikrofon und hält es vor den Mund, dreht prüfend an der Lautstärke. Das schwarze Shirt sitzt eng am Oberkörper.

Ich mache einige prüfende Schläge in die Luft. Jab, cross, jab.

Jannick blickt mich an und lächelt. Ich mache die Schläge härter, kann den Puls schon steigen spüren.

Jannick betritt die Halle und stemmt die Hände in die Hüften. Er ist der einzige, der in den Sommerferien so viele an die Freizeitschule ziehen kann. „Und jetzt“, ruft er. „Seid ihr fresh?“

Es wird applaudiert. Jannick blickt sich in der Halle um, während er das Zirkeltraining einleitet. Ich betrachte seine Lippen, die Haare, die seit dem letzten Mal länger geworden sind, die Hände, die mit kraftvollen Bewegungen jede einzelne Übung vorführen. Er zwinkert mir zu, als er mich zur Basis schickt. Ich fange bei Nummer acht an, das ist Schattenboxen. Die Musik wird lauter gedreht, und ich konzentriere mich darauf, meine Schläge zu optimieren. Mein Spiegelbild und ich tanzen einander gegenüber. Ich ziele auf die Nase, treffe sie mit harten, exakten Schlägen. Jab, cross, jab.

Jannick streift den äußersten Sandsack mit der Hand, als er zu mir kommt. Er duftet nach Pfefferminz und Sonnenschein. Seine Haut ist nach drei Wochen in Thailand goldbraun, und seine Augen sind noch blauer, als ich sie in Erinnerung habe.

„Zweieinhalb Minuten!“ ruft er in das Headset. „Gebt alles, was ihr habt“.

Er legt eine Hand über das Mikrofon und stellt sich ganz dicht an mich. „Maria! Wie habe ich dich vermisst.“

Ich lächele ihn an. Mein Herz schlägt im Takt mit der Musik. „Ich gratuliere dir zum Geburtstag“, flüstere ich.

Sein Zeigefinger gleitet über mein Gesicht und streift meine Lippen. „Weiter!“ ruft er in das Mikrofon.

Der Lärm von hämmernden Bassrhythmen, stöhnenden Atemzügen und Schlägen gegen die Sandsäcke hängt schwer im Raum.

Weiter.

Jannick stellt das Mikrofon ab und streicht eine Strähne aus meinem Gesicht. „Hattet ihr eine schöne Zeit im Ferienhaus?“

„Wir sind gar nicht hingefahren.“ Ich schwinge meine Arme, spüre das schwere Gefühl der Handschuhe. „Papa klopfte einfach an die Tür und sagte, dass wir zu Hause bleiben. Ich und Christina waren die meisten Tage am Strand. Siehst du, dass ich braun geworden bin?“ Ich halte meinen Arm neben seinen.

Er streichelt mich über die Wange. Er blickt mein Gesicht sehr lange an. „Jetzt bin ich wieder da, um auf dich aufzupassen“, sagt er.

Ich blicke in seine blaue Augen und weiß nicht, was sagen, außer danke.

Er berührt meine Schulter und lehnt sich gegen mich. Für einige selige Augenblicke spüre ich seine warmen Lippen im Nacken.

„Wir sehen uns heute Abend“, flüstert er. Dann schaltet er das Mikrofon wieder ein und setzt seinen Rundgang zu den anderen Schülern fort. Im Spiegel habe ich ein Auge auf ihn, während ich weiter gegen mich selbst boxe.

Jab, cross, jab.

Mir tritt der Schweiß auf die Stirn und läuft die Schläfe runter. Jannick fängt meinen Blick im Spiegel. Wir lächeln einander zu.

Uppercut, hook.

Verdammte Unschuld

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