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Kapitel 5

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Christina leert ihre Cola mit einem lang gezogenen Schlürfen. Der gestreifte Strohhalm formt ihre glänzenden Lippen zu einem Schmollmund.

„Ach, habe ich einen Kater!“ seufzt sie. „Die perfekte Entschuldigung für die totale Fressorgie.“ Sie lehnt sich nach vorne und schüttelt die Tüte mit Pommes. „Hattet ihr zu Hause einen guten Sonntagsbrunch?“

„Es war gut. Es wurde kaum etwas gesprochen.“ Ich nehme einen Bissen vom Burger, kaue langsam und schlucke. „Mein Vater hatte Smoothies aus Wassermelone gemacht.“

„Nice.“

„Was ist mit dir? Hattest du einen schönen Abend?“

„Er ist so wunderbar, Maria. Das gibt es gar nicht.“

„Hattet ihr ... du weißt?“

„Was zum Teufel hätten wir sonst machen sollen?“

Ich lege den Burger aus der Hand und wische den Mund ab. Der Lärm der Kassen und der anderen Gäste schwirren um uns wie Fliegenflügel.

Christina hört auf zu lachen. Sie setzt sich ein wenig auf und sieht mich an.

„Ist bei dir zu Hause wirklich alles in Ordnung?“

Ich zucke mit den Schultern.

„Bevor meine Eltern sich haben scheiden lassen, haben sie monatelang nicht mehr miteinander gesprochen. Es war so krank, Maria. Wenn ich fragte, ob sie sich trennen wollten, sagten sie einfach: Frag deine Mutter, frag deinen Vater. Dafür hielten sie keine lange Reden mehr, wenn ich zu einer Party und solche Sachen wollte.

Ich durfte alles. Wenigstens darüber wirst du dich freuen können.“

„Meine Eltern werden sich nicht scheiden lassen.“

„Nein, nein, das war auch nicht so gemeint. Übrigens werden sie nachher doppelt so besorgt sein. Meine Mutter lässt mich bei Jungen nicht mehr übernachten. Ich muss erzählen, dass ich bei dir übernachte, wenn ich die ganze Nacht bei Mick bleibe.“

„Was? Das hast du mir noch nie erzählt.“

„Ruhig bleiben. Sie wird es nicht herausfinden. Sie glaubt, dass ich die Unschuld in Person bin. Sie weiß nichts von Mick.“

„War Mick eigentlich nicht mit dieser aus der 10. Klasse zusammen? Die, von der wir immer sagten, dass sie große Brüste hätte?“

„Nicht mehr. Sie hatten keinen Sex, deswegen ging er.“

„Nur deswegen?“

„Der Mann ist 17 Jahre alt, nicht 7.“

Ich nehme das kleine Paket mit Ketchup und schwinge es zwischen zwei Fingern schnell hin und zurück. Ich denke an Jannicks nackten Oberkörper. Das Herz aus Schlagsahne auf seiner Brust. Das Lächeln auf seinen Lippen.

Christina legt den Kopf schief. „Hey“, sagt sie. „Wollen wir sehen, wer von uns die meisten Pommes auf einmal im Mund haben kann?“

Ich fächle das Ketchup. Ich denke an Jannicks warmen Hals und an meine bekloppte Art, die Party zu verlassen.

„Ein, zwei, drei, JETZT!“ Christina drückt eine ganze Hand voller Pommes in den Mund, und ich muss einfach lachen. Ich lege das Ketchup weg und werfe mich in den Wettbewerb.

Mit beiden Händen stopfen wir uns den Mund voll, und kauen so viel und schnell, wie wir können.

Sie zeigt auf mich mit einem Pommes. „Winner!“

Ich reiße das Pommes von ihr und stopfe es in den Mund.

Sie reißt die Augen auf und legt noch mehr Pommes bereit. „Warte nur!“ Sie quetscht jetzt beide Hände voll auf einmal ein und muss durch ihre aufgeblähten Nasenlöcher atmen.

Ich treffe ihren Blick und fange an zu kichern. Dann huste ich. Schnell knalle ich beide Hände vor den Mund.

Christina unterdrückt einen Lachanfall. Ich betrachte meine Handflächen und schneide eine Grimasse. Dann huste ich wieder.

Christina bricht in Gelächter aus, so dass die Pommes aus ihrem Mund fliegen. Ich huste und lache auf einmal. Die Tränen laufen aus meinen Augen.

Christina greift über den Tisch und nimmt meine Hände. Wir lachen weiter, während wir quer über den Tisch unsere Hände fest halten. Christinas Wimperntusche ist verlaufen, aber ihr Blick strahlt. Sie drückt meine Hände noch einmal.

„Christina?“

„Ja?“

„Hast du manchmal Angst?“

„Nö.“

„Ich berühre ihre Fingerringe. Drehe sie, so dass sie richtig sitzen.

Ich habe Angst, dass das Ganze aufhört. Das Gute. Verstehst du, was ich meine?“

Sie zieht ihre Hände zurück und trocknet sich unter den Augen. Sie nimmt ihren Lipgloss aus der Tasche und trägt eine neue glänzende Schicht auf.

„Es ist blöd, Angst zu haben“, sagt sie. „Ich habe beschlossen, mich nie vor etwas zu fürchten. Die Dinge passieren trotzdem, oder? Ihnen ist es scheißegal, ob man sich fürchtet oder nicht.“

Ich nicke. Christina legt ihren Lipgloss in die Tasche zurück. Ich sitze eine Weile und betrachte ihr Gesicht. Die elegante Nase, die leicht zu großen Lippen, die Stirnfransen, die immer wieder in die Augen fallen.

Ich falte meine Serviette zu einer kleinen harten Kugel zusammen und drücke sie fest in die Handfläche. „Glaubst du, dass Jannick eine andere findet, wenn er im Gymnasium anfängt?“

Christinas Blick gleitet kurz über mich. Dann zuckt sie mit den Schultern. Die Bewegung ist ganz klein, aber eine Kälte breitet sich in mir aus.

„Glaubst du?“

Sie zuckt wieder mit den Schultern.

„Aber ...“ Ich spreche lauter. „Er liebt mich ja. Das sagt er auch selbst. Wir sind ja fast vier Monate zusammen.“

„Relax. Du warst es, die es zur Sprache gebracht hat.“

Ich schieße die Serviettenkugel mit dem Zeigefinger weg. Sie trifft Christinas Glas mit Cola, setzt in eine andere Richtung fort und fliegt über die Tischkante.

„Vielleicht sollte ich es auch einfach tun“, sage ich.

„Was tun? Im Gymnasium anfangen?“

Ich schüttle den Kopf, lehne mich nach vorne auf dem Stuhl. „ES tun“, flüstere ich mit Betonung auf dem ersten Wort.

Christina pustet ihre Stirnfransen von den Augen weg. Sie legt den Kopf schief. „Erinnere mich noch einmal daran: Wie kann man vier Monate zusammen sein, ohne überhaupt ...?“

„Also ... es ist ja nicht so, dass wir überhaupt nicht ...das weißt du auch. Aber es ist so, wenn wir dazu kommen, als ob ... du weißt... dann hören wir langsam auf. Anfangs waren wir beide sehr ...“

Ich mache eine Handbewegung. „Aber immer passierte etwas. Das Telefon läutete, Jannick hatte die Kondome vergessen, er musste pinkeln, unsere Eltern kamen nach Hause ... irgendetwas. Und jetzt haben wir irgendwie ...“ Ich breite die Hände aus. „Ja, ich glaube ein wenig, dass wir darauf warten, dass der andere die Initiative ergreift, nicht?“

„Und jetzt denkst du, dass du die Initiative ergreifen wirst?“

Ich zucke mit den Schultern.

Sie sitzt eine Weile, ohne etwas zu sagen, dann wirft sie sich über den Tisch und greift meine Hände. „Tu es! Tu es, Maria!“ Sie klammert sich an meine Hände, wie eine Person, die auf einer Party in einer Ecke gestanden hat, und erst jetzt jemanden entdeckt, den sie kennt. „Du meinst es wirklich, ja? Wir machen das hier zusammen, oder? Also, nicht so zusammen. Als Freundinnen, meine ich. Ich werde dir helfen. Komm.“

Ich will gerade etwas fragen, aber Christina hat bereits ihre Sonnenbrille in das Haar gesteckt und ist vom Stuhl aufgestanden. Zurück auf dem Tisch bleibt unser Lachen in Tausenden von Stücken zurück.

Verdammte Unschuld

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