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Kapitel 2

Christina steht nackt vor dem Spiegel im leeren Umkleideraum. Sie streckt ihren kleinen Finger aus, als sie die Wimperntusche aus der Hülle nimmt und eine dicke Schicht Schwarz auf die Wimpern aufträgt. Sie fängt meinen Blick im Spiegel. „Du siehst aus wie ein Weihnachtsbaum“, sagt sie. „Oder wie ein Weihnachtsmann. Wie sagt man?“

„Hast du auch eine in braun?“ frage ich und werfe einen Blick auf die Wimperntusche.

Sie schiebt ihre Toilettentasche in meine Richtung. „Aber klar. Immer super, wenn der Freund nach Hause kommt, wie du weißt. Oder einfach kommt.“ Sie betont das letzte Wort und stupst mich in die Hüfte.

„Verdammt“, sage ich und betrachte mich in dem Spiegel.

Christina reicht mir ein Reinigungstuch. „Okay. Sonst cooles Training heute. Super, wieder in Schwung zu sein, die Oberschenkel zu straffen und so. Findest du nicht auch?“

Ich werfe ihr einen schiefen Blick zu, während ich etwas Braunes von der Wange abwische. „Warum sprichst du wie ein betrunkener Idiot?“

„Ich bin sehr froh, dass du fragst“. Sie spricht jetzt leise und lehnt sich gegen mein Spiegelbild. „Ich habe es getan.“

Ich stehe da mit dem Reinigungstuch in der Hand und zögere.

„Es?“

Sie steckt die Wimperntusche in die Hülle zurück, schiebt sie ein paar Mal schnell rein und raus. Dann lacht sie.

Ich sauge Luft ein. „Das ist nicht wahr“, flüstere ich. „Mit Vojens?“

Christina nimmt einen roten Lippenstift hervor und dreht die Kappe ab. Langsam lässt sie ihn über die Lippen gleiten. Sie drückt sie zusammen, um die Farbe zu verteilen. „Ich habe mit Vojens Schluss gemacht“, sagt sie dann.

„Was? Das wusste ich gar nicht. Wann?“

„Gerade danach.“

„Danach?“

Sie nickt. Mit dem Lippenstift in einer Hand öffnet sie ihr Handy, tippt herum und dreht es zu mir. Es zeigt ein verschwommenes Foto vom besten Freund ihres Bruders.

„Mick?“ Ich reiße die Augen auf. „THE Mick?“

Sie kichert, macht einen Schmollmund und betrachtet ihn im Spiegel.

Ich schüttele den Kopf. „Aber wann? Wie?“

Christina klappt das Handy zusammen und legt es auf die Ablage unter dem Spiegel. Sorgfältig entscheidet sie sich für ein Parfüm und sprüht ein paar Mal auf jede Seite des Halses. „Gestern Abend gab Jeppe eine Party. Er hat Glück, weil er zu Hause den ganzen Keller für sich hat. Aber ich lag oben in meinem Zimmer und konnte die Musik durch den Boden hören. Ich verstehe nicht, dass er so laut spielen darf. Dann plötzlich geht die Tür auf, ich glaube, es war gegen ein Uhr oder so. Erst dachte ich, es sei Jeppe, der sich meine Festplatte mit Musik ausleihen wollte. Er hat die schlechteste Musiksammlung ever.“

Ich mache eine Handbewegung, um zu zeigen, dass sie zur Sache kommen soll.

Christina sprüht Parfüm auf die Handgelenke und reibt sie gegeneinander. Sie blickt mir direkt in die Augen, als sie sagt: „Dann sah ich, dass es Mick war“. Das Strasssteinchen auf ihrem Zahn vorne funkelt wie ein Lächeln. „Erst wusste ich überhaupt nicht, was ich sagen sollte. Aber zum Glück brauchte ich gar nichts zu sagen. Mick setzte sich auf mein Bett und streichelte mir über die Haare. Er sagte, dass die anderen betrunken wären und dummes Zeug redeten. Dass er müde wäre und einfach nur mit einem lieben Menschen reden wollte“.

„Aber du hast doch gar nichts gesagt.“

„Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?“ Mick saß in meinem Zimmer auf meinem Bett und nannte mich einen lieben Menschen. Ein lieber Mensch, Maria. Wie viele supercoole Siebzehnjährige haben dir gesagt, dass du ein lieber Mensch bist?“

„Jannick ist aber auch siebzehn“.

„Ja, ja, aber meine Geschichte entwickelt sich doch ein bisschen spannender als eure, die, soweit ich mich erinnere, immer noch im Knutsch-Stadium ist“.

Ich knülle das Reinigungstuch fest in meiner Faust zusammen.

Sie seufzt und streckt die Handfläche nach vorne. „Sorry, es war nicht so gemeint.“

Ich lasse das Tuch in ihre Hand fallen. Sie wirft es in den Abfalleimer und reicht mir die braune Wimperntusche.

„Aber auf jeden Fall...“ Sie wühlt in ihrer Tasche und holt die Unterwäsche raus. „Danach ging es Schlag auf Schlag.“

„Schlag auf Schlag?“

Weißt du, erst wollte er unter die Bettdecke. Ihm war offenbar kalt. Dann wollte er unter mein Shirt, und es war überhaupt nicht geplant oder so. Er hatte nicht mal ein Kondom dabei, wie die wannabees aus unserer Klasse, die immer mit den Taschen voller Gummis rumlaufen. Als würden sie jemals davon Gebrauch machen können.“

„Dann habt ihr kein Kondom benutzt?“

„Isst du vielleicht ein Karamellbonbon mit dem Papier?“

Ich rümpfe die Nase. „Sagte er das wirklich so? Einmal hab ich gesehen ich, dass das jemand auf der Rödby-Fähre auf die Toilette geschrieben hatte.“

Christina seufzt. „Können wir uns eventuell an meine Geschichte halten?“

Sie schließt ihren BH am Rücken und versucht, die Brüste in den wattierten Schalen zu arrangieren.

Aus irgendeinem Grund zieht sie sich immer den BH vor dem Slip an.

Ich reiße die Augen auf und färbe meine Wimpern braun, erst die oberen, dann die unteren.

„Was ist, wenn du jetzt schwanger geworden bist?“ frage ich.

„Das bin ich nicht. Sieh mein Kinn an. Vier Pickel in Reih und Glied. Ein sicheres Zeichen, dass meine Menstruation unterwegs ist.“

Ich kichere. „Standen wir einfach zuhinterst in der Reihe oder haben alle Mädchen einmal im Monat Pickel am Kinn?“

„Na ja. Soweit ich mich erinnere, waren es nur Männer, die gerade ganz vorne in diesem Stau standen.“

Wir lachen.

„Vielen Dank.“ Ich lege die Wimperntusche in ihre Toilettentasche zurück.

„You´re welcome“, antwortet sie und reißt ein Preisschild vom Slip.

Ihr Handy vibriert auf der Ablage unter dem Spiegel. Sie legt den Slip weg und klappt das Telefon auf. Sehr lange steht sie da und blickt einfach aufs Display.

Sie reicht mir das Telefon. Auf dem Display heißt es:

Ich bin scharf auf dich – schreibe was freches!

Ich starre auf das Ausrufezeichen. Dann auf Christina. „Ist er das?“ frage ich.

Sie blinzelt mehrmals hintereinander, als sie an dem kleinen Gummiband zieht, das am Preisschild fest sitzt. Dann dreht sie das Handy zu sich. Ihre langen, weiß lackierten Nagelspitzen klicken gegen die Tastatur, als sie etwas schreibt, wieder löscht und etwas anderes schreibt. Sie legt den Kopf leicht schief und liest die Nachricht, bevor sie mir den Text zeigt.

Ich bin nackt mit meiner freundin zusammen

Ich kichere. Christina zwinkert mir zu. Und drückt auf Senden.

Ich greife nach dem Telefon, aber sie hält es im gestreckten Arm weg von mir. Auf dem Display dreht sich der Briefumschlag als Zeichen dafür, dass die Mitteilung gesendet wird.

„Das hast du nicht wirklich gemacht?“ sage ich.

Sie lässt den Arm sinken. Sie hält das Handy ganz fest.

Die Sekunden, die folgen, sind sehr lang. Wir vergessen sogar, uns anzuziehen. Stehen einfach da und betrachten das Telefon in Christinas Hand.

Zwei kleine Piepser lassen uns zucken.

Auf dem Display heißt es:

Berührt ihr euch?

Christina schaut nicht mehr auf das Telefon, sondern auf mich.

„Igitt“, sage ich.

Christina schaut mich immer noch an. Etwas in ihrem Blick lässt mich das Handtuch um meinen Körper enger straffen.

Mit zwei harten Klicken schreibt sie eine Antwort.

Ich packe sie am Arm, aber die Nachricht ist schon gesendet.

Ja

Christina atmet schnell und stoßweise. Sie hält das Handy festgeklemmt.

Die Antwort kommt rasch. Vier kurze Wörter, und es wird mir merkwürdig kalt und warm auf einmal:

Ich habe einen steifen

Christina zittert am ganzen Körper.

„Schluss jetzt“, sage ich.

Sie bittet mich, ruhig zu bleiben und schreibt eine neue Nachricht:

Schickst du ein foto von deinem schwanz?

Der Geruch vom Abzug dringt durch Christinas Parfüm und in meine Gedanken hinein. Ich bleibe still auf dem kalten Boden stehen und spüre aus den Duschkabinen einen Dampf, der mich wie eine feuchte Hand umschließt.

Zwei kleine Piepser.

Christina und ich sehen uns an. Dann werfen wir einen Blick auf das Handy.

Das Foto ist verpixelt, aber hinterlässt keinen Zweifel.

Ein seltsames Gefühl breitet sich in meinen Körper aus. Ich ziehe das Handtuch hoch.

„Cool“, sagt Christina.

„Cool“, murmle ich.

Unsere Stimmen hallen gegen die mit Fliesen belegten Wände. Wir bleiben für einen Augenblick stehen und betrachten das verpixelte Bild, ohne etwas zu sagen. Oben auf dem Display leuchtet auf, um welche Zeit die Nachricht empfangen wurde. Die Uhrzeit ist unbeweglich, aber die Zeit läuft weiter.

Wir zucken, als das Handy wieder piept.

Seht ihr etwas schönes?

Als Antwort schickt Christina einen Smiley. Jetzt hat sie Farbe ins Gesicht bekommen.

Kurz danach kommt eine neue Nachricht. Sie liest sie mehrmals hintereinander.

„Er möchte mich sehen“, sagt sie. „Findest du es okay, wenn er heute Abend dabei ist?“

Ich zucke mit den Schultern.

„Was schreibe ich?“

Ich halte die Hände hoch als Zeichen, dass ich mich ab jetzt nicht mehr einmischen möchte.

Christina beißt sich auf die Lippen, sodass die Schneidezähne rot wirken. Sie trippelt von Seite zu Seite, während sie eine Antwort formuliert.

Sie hat ihren Slip immer noch nicht angezogen.

Verdammte Unschuld

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