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Alicia

„Rufe bitte eben an, wenn du landest. Nur damit wir wissen, dass dir nichts passiert ist. Du weißt, dass ich Flugzeugen nicht vertraue. Man hört immer wieder, dass es Komplikationen gibt und sie abstürzen“, erklärt meine Mutter und zieht mich für eine feste Umarmung an sich heran. „Und vergiss nicht dich immer schön einzucremen.“

In letzter Sekunde kann ich gerade noch verhindern, dass ich genervt die Augen verdrehe. Meine Mutter tut so, als würde ich das Land verlassen, um auf der anderen Seite des Planeten für immer leben zu wollen. Dabei fliege ich nur für ein paar Wochen zu meiner Freundin nach Miami. Und ehrlich gesagt, ich brauche diesen Abstand von den beiden.

Ich liebe meine Eltern und habe mich schon immer mit ihnen verstanden. Doch ihre ständige Vorsicht, vor allem vonseiten meiner Mutter, und die vielen Sorgen gehen mir langsam auf die Nerven. Sie gingen so weit, dass ich sogar ein schlechtes Gewissen bekommen habe, nur weil ich im Wohnheim auf dem Gelände des Colleges wohnen wollte und nicht mehr zu Hause, nur um mich wie eine Studentin und nicht wie ein kleines Kind zu fühlen. Aus diesem Grund habe ich mich dazu entschieden, lieber bei ihnen zu bleiben, damit sie mir nicht ständig auf die Nerven gehen und mich anrufen. Wobei anrufen noch das kleinste Problem wäre. Ich weiß, dass beide auch gerne einen, manchmal sogar zwei, Schritte weitergehen. Dies hat schon als Kind dafür gesorgt, dass ich ihnen irgendwann nichts mehr gesagt habe.

Doch auf der anderen Seite kann ich diese Sorge auch verstehen. Schließlich ist mein Vater ein FBI-Agent. Ich will lieber gar nicht so genau darüber nachdenken, was er alles in seinem Job sieht und schon erlebt hat. Ich bin mir sicher, dass er auch meiner Mutter nicht immer alles erzählt, was den ganzen Tag über bei ihm los war.

„Werde ich machen“, verspreche ich ihnen und umarme auch meinen Vater ein letztes Mal, bevor ich mich umdrehe und mich in die lange Schlange eingliedere, die sich vor der Kontrolle befindet.

Bevor ich hindurchtrete winke ich ihnen noch ein letztes Mal zu. Dabei kann ich erkennen, dass meine Mutter wie immer einen besorgten Blick aufgesetzt hat. Doch ich ignoriere ihn. Mit meinen Gedanken bin ich schon bei Meghan und den nächsten Wochen, die wir gemeinsam verbringen werden. Seit zwei Jahren haben wir uns nicht mehr gesehen. Doch das ändert nichts daran, dass wir täglich geschrieben und mehrmals in der Woche telefoniert haben. Sie war von Anfang an meine beste Freundin auf dem College. Im ersten Jahr hat sie allerdings das College gewechselt, weil sie in Miami nebenbei einen guten Job angeboten bekommen hat, der sich mit ihrem Studienfach vereinbaren lässt.

Von New York City nach Miami dauert es ungefähr drei Stunden mit dem Flugzeug. Ich nutze die Zeit, lese ein wenig und schaffe es sogar, ein bisschen zu schlafen, obwohl ich damit in Flugzeugen immer Probleme habe.

Als das Flugzeug schließlich gelandet ist und auf der Landebahn stehen bleibt, bin ich für alle Schandtaten bereit, die sie für uns geplant hat. Und ich bin mir sicher, dass sie genau das hat. Bei unserem letzten Telefonat gestern Abend hat sie bereits ein paar Andeutungen gemacht. Allerdings wollte sie mir nichts Genaueres sagen.

Ich freue mich auf die Zeit in der Stadt und kann es kaum erwarten, sie mit ihr unsicher zu machen, auch wenn meine Mutter davon wahrscheinlich nicht sehr begeistert wäre. Schließlich hat sie noch nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie keine Partys mag. Das ist der große Unterschied zu meinem Vater. Von meinem Onkel habe ich nämlich erfahren, dass er in meinem Alter keine ausgelassen hat.

„Da bist du ja endlich“, ruft Meghan, sobald ich den Eingangsbereich betreten habe. Mit einem breiten Strahlen im Gesicht kommt sie auf mich zu und umarmt mich so fest, dass ich einen Moment keine Luft mehr bekomme. „Ich bin mir nie sicher, ob derjenige, auf den ich warte, sich noch darin befindet, oder nicht. Hier ist es einfach immer so voll, dass man sich schnell übersehen kann. Dabei versuche ich schon immer so weit vorne wie möglich zu stehen.“

„Das kenne ich“, antworte ich lachend und muss dabei an das letzte Mal denken, als ich meine Cousine vom Flughafen abholen sollte. Zwei Stunden stand ich dort, bis sie endlich aufgetaucht ist. In dieser Zeit habe ich mehrere Male darüber nachgedacht, ob ich nicht einfach wieder fahren soll, da sie ja anscheinend ein Taxi genommen hat.

„Ich freue mich aber, dass du nun endlich da bist. Die nächsten Wochen werden wunderbar werden“, ruft sie begeistert aus, sodass sich ein paar der Leute, die sich in unserer Nähe befinden, zu uns umdrehen.

Verständnislos sehen sie uns an, aber meine Freundin scheint das nicht zu stören.

„Ich bin auch froh“, entgegne ich.

„Mich wundert es, dass deine Eltern dich haben gehen lassen.“

Ich erkenne, dass sie sich kaum ein Grinsen verkneifen kann. Sie kennt die beiden und weiß daher, dass es nicht immer leicht mit ihnen ist. Als sie mich zu einer Party abholen wollte, ist sie auch schon einmal mit ihnen aneinander geraten.

„So schlimm sind die beiden auch nicht“, versuche ich zu erklären und ziehe mein Handy aus der Hosentasche. „Außerdem wissen sie, dass ich erwachsen bin und deswegen meine eigenen Entscheidungen treffe. Meine Mutter versucht zwar öfter mich davon abzubringen, doch im Endeffekt muss sie damit leben, dass ich meistens nicht mehr das mache, was sie will.“

„Und was machst du jetzt?“

Mit diesen Worten deutet sie auf das Telefon in meiner Hand.

„Ich schreibe ihnen nur eben eine Nachricht, dass ich gelandet bin.“

Meghan betrachtet mich mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich weiß, was in ihrem Kopf vor sich geht.

„Sonst rufen sie nachher noch an und verbreiten wieder schlechte Laune“, erkläre ich ihr.

„Von mir aus, aber dann wirst du nicht immer sofort ans Handy gehen, nur weil der Name deiner Eltern erscheint. Sonst hätten sie auch gleich mitkommen können. Und nehme es mir bitte nicht böse, aber auf Urlaub mit deiner Mutter kann ich verzichten.“

Ich bin mir sicher, dass sie sich das gerade vorstellt, da sie das Gesicht verzieht.

„Versprochen“, lache ich. Ich bin ihr nicht sauer, dafür habe ich keinen Grund.

Ich weiß, dass die beiden nicht immer einfach sind und bin froh, dass sie es wenigstens ausspricht. Die meisten meiner Freundinnen machen nämlich genau das nicht. Und aus dem Alter bin ich raus, wo ich gemeinsam mit ihnen in den Urlaub fahre.

Schnell tippe ich die Worte auf dem Display ein und schicke die Nachricht an meine Mutter ab. Als nächstes lasse ich das Telefon in meiner Tasche verschwinden, die ich auf meinem Koffer abgestellt habe.

„Na komm, mein Wagen steht im Parkhaus, da hier draußen nichts mehr frei war. Man könnte meinen, dass eine so große Stadt eindeutig mehr Parkplätze zur Verfügung hat. Aber im Gegensatz zu New York ist es hier noch ein Kinderspiel, einen zu finden.“

Mit diesen Worten geht Meghan voraus und bahnt sich einen Weg durch die Menge hindurch. Es dauert ein wenig, bis wir endlich den Ausgang erreicht haben. Doch auch hier draußen herrscht reges Treiben, wie ich auf den ersten Blick erkenne. Taxen und Busse stehen an den Seiten und warten auf ihre Fahrgäste. Zwischendurch erkenne ich auch Autos, die dort sicherlich eigentlich nichts zu suchen haben.

Doch das ist nicht mein Problem, deswegen werde ich mich auch nicht damit auseinandersetzen.

„Willkommen in Miami“, erklärt sie mit einem breiten Grinsen im Gesicht. „Ich bin mir sicher, dass du diese Wochen nicht vergessen wirst.“

Mein Mund öffnet sich, da mir die Frage auf der Zunge liegt, was sie alles geplant hat. Zu gerne würde ich endlich wissen, auf was ich mich einstellen muss. Doch bevor ich sie auch aussprechen kann, hat sich meine Freundin bereits umgedreht und geht weiter. Aus Erfahrung kann ich aber sagen, dass man bei ihr mit allem rechnen muss. Und das ist es, worüber ich mich bereits freue.

Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und ist eindeutig für jeden Spaß zu haben.

Eine Stunde später kommen wir bei ihrer Wohnung an. Wie sich herausstellt, ist sie überhaupt nicht so klein, wie ich sie mir vorgestellt habe. Ich war davon ausgegangen, dass sie gerade einmal Platz hat sich umzudrehen. So hat Meghan sie auf jeden Fall immer hingestellt. Doch nun erkenne ich, dass sie geräumig und aufgrund der großen Fenster sonnendurchflutet ist.

Wohnzimmer und Küche befinden sich in einem Raum. Beide Bereiche werden durch den Esstisch getrennt, der sich in der Mitte befindet. Die Möbel sind hell und einladend. Auf den ersten Blick erkenne ich, dass sie sich in ihrer Freizeit nicht sehr oft hier aufhält. Sonst würde es wahrscheinlich ganz anders aussehen. Meghan ist nämlich eigentlich sehr chaotisch.

„Wow, du hast es hier wirklich wunderschön“, stelle ich fest, nachdem ich einen Blick auf die Wände geworfen habe, die mit Bildern beladen sind.

„Wärst du mit nach Miami gekommen, könntest du auch so eine Wohnung haben. Ich habe nicht vergessen, dass die Firma dir auch ein Jobangebot gemacht hat. Und ich bin mir sicher, dass sie noch immer an dir interessiert sind.“

Mit hochgezogenen Augenbrauen sieht sie mich an. Dabei hat sie die Arme vor der Brust verschränkt und ein freches Grinsen erhellt ihre Gesichtszüge.

„Ich wollte mich auf mein Studium konzentrieren und nicht noch nebenbei Karriere machen. Diese Meinung habe ich übrigens immer noch. Aber ich freue mich für dich, dass du Karriere währenddessen schon machen kannst“, erkläre ich. „Aber vielleicht, sobald ich meinen Abschluss habe.“

Ich meine es ernst. Klar, ist es ein super Angebot, in einem Auktionshaus zu arbeiten. Und ich weiß, dass sie an jeder Uni nur noch den besten der Besten suchen. Und nicht einmal die bekommen von ihnen unbedingt ein Angebot. Daher habe ich mich schon geehrt gefühlt, aber das heißt ja nicht, dass ich das Angebot auch annehmen muss. Vor zwei Jahren stand für mich nur fest, dass ich mein Studium gut bestehen will. Über das, was danach kommt, hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht und wollte es ehrlich gesagt auch nicht.

„Wie dem auch sei, für heute Abend habe ich auf jeden Fall einen Mädelsabend geplant. Ein paar Freundinnen von mir, die ich vom Campus kenne, kommen auch, wenn das für dich in Ordnung ist. Aber ich dachte mir, dass es nur zu zweit doch etwas langweilig ist.“

„Hört sich gut an“, erwidere ich.

Zufrieden sieht sie mich an.

„Jetzt kommen wir aber erstmal zu der wichtigsten Frage überhaupt“, eröffnet sie mir, geht zum Kühlschrank und holt eine Flasche Wein heraus. „Was macht die Liebe?“, fragt sie mich und gießt gleichzeitig zwei Gläser voll.

Mit einem durchdringenden Blick betrachtet sie mich. Auf diese Weise will sie mir zu verstehen geben, dass ich ihr nicht ausweichen kann. Doch das will ich auch überhaupt nicht. Denn da gibt es nichts zu berichten.

„Nichts“, entgegne ich also und nehme das Glas entgegen, was sie mir reicht. „Ich habe keinen Freund und in den letzten sechs Monaten auch kein Date. Und die Verabredungen, auf die ich mich davor eingelassen habe, waren einfach nur langweilig.“

„Du hattest nicht einmal ein Date in den letzten Monaten?“

Mit großen Augen sieht meine Freundin mich an, als würde sie davon ausgehen, dass ich sie verarschen will. Doch ich zucke nur mit den Schultern und zeige ihr so, dass ich es ernst meine.

„Wow“, murmelt sie. „Warst du so sehr mit dem Lernen beschäftigt?“

„Zum einen ja und zum anderen habe ich keine Ahnung, wie ich einem potenziellen Freund meine verrückte Familie erklären sollte.“

Meine Worte sorgen dafür, dass Meghan in lautes Lachen verfällt.

„Das würde ich aber auch wirklich gerne sehen. Wer auch immer der Glückliche ist, denn du später einmal heiraten wirst, er braucht ein dickes Fell, um es mit deiner Mutter aufzunehmen.“

„Danke“, murmle ich und strecke ihr die Zunge raus, wodurch sie wieder ernst wird.

„Aber egal, jetzt bist du in Miami. Und hier kannst du flirten und dich die nächsten Wochen mit einem Haufen Männern treffen.“

Sie wackelt mit den Augenbrauen. Allerdings gehe ich nicht näher darauf ein. Ich war noch nie so, dass ich von einem Date zum nächsten gerannt bin. Ich habe eher immer von dem Mann geträumt, der es schafft, mich beim ersten Treffen zu verzaubern und dafür zu sorgen, dass ich nur noch mit ihm zusammen sein will. Bis jetzt habe ich diesen Mann allerdings noch nicht getroffen. Und irgendwie kann ich mir auch nicht vorstellen, dass es ihn wirklich gibt.

„Auf super coole Wochen“, verkündet meine Freundin in der nächsten Sekunde laut und hält ihr Glas in die Luft.

Ihr beipflichtend stoße ich mit ihr an.

Ich freue mich auf diese Wochen und hoffe, dass es eine schöne Zeit werden wird.

Iceman Brothers

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