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ANA

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Levon klopft an, bevor er die Tür zu Anas Büro aufdrückt.

„Hast du kurz Zeit?“

„Was gibt’s denn?“

„Es ist wegen der Behinderten-Story …“, sagt Levon und lässt sich auf den freien Stuhl fallen. „Ich soll ja bis heute sagen, wie ich den Artikel anlegen will.“ Er stockt.

Ana sieht von ihrem Notizbuch auf. „Ja?“

„Ich habe mir überlegt, dass ich über Kinder mit geistiger und körperlicher Behinderung schreiben will“, sagt Levon. „Darüber, wie sie leben. Über ihren Alltag und so.“

Ana nickt. „Klingt interessant.“

„Ich weiß nur nicht, wie ich es schreiben soll“, seufzt Levon.

„Wie meinst du das?“, fragt Ana.

„Na ja – so, wie mein Artikel bis jetzt aussieht, könnte es ein Lexikon-Eintrag sein. Wegen all dieser politisch korrekten Ausdrücke. Und beim Thema bin ich mir auch noch nicht sicher. Versteh mich nicht falsch, aber … barrierefreie Bildung? Kinofilme für Gehörlose, Mode für Kleinwüchsige?“ Levon sieht Ana hilflos an. „Das interessiert doch keinen!“

„Am besten, du schreibst über Einzelschicksale“, sagt Ana. „So etwas lesen die Leute immer gern.“

„Wie“, meint Levon verwirrt. „Soll ich die einfach erfinden?“

„Natürlich nicht! Du besorgst dir die Adresse eines Behindertenheims und dann gehst du hin und schaust es dir an, interviewst die Leute dort, machst Fotos, aus. Viel mehr gibt’s da nicht zu tun.“

„Ich weiß nicht“, sagt Levon zweifelnd.

Ana sieht ihn nachdenklich an. Sie klopft mit dem Bleistift auf die Schreibtischunterlage.

„Hm, na ja, es ist deine erste große Reportage“, sagt sie nach einer Weile. Sie schaut kurz auf ihren Terminkalender. „Weißt du was? Wir tauschen. Ich übernehme das Behindertenheim und du schreibst die Story über die Flößer. Das ist ein historisches Thema, das geht fürs Erste wahrscheinlich einfacher.“

Levon nickt erleichtert. „Dazu fällt mir etwas ein“, sagt er. „Danke!“

Ana schließt kurz die Augen und nickt.

Seit einer Ewigkeit hocke ich hier am Gang, am kalten Boden, ohne Polster, ohne Stuhl. Da bewegt sich die Klinke. Ich richte mich auf, rutsche auf die Knie. Schwester Miki kommt aus dem Zimmer. Sie sieht mich nicht an. Seit dem Unfall hat sie mir noch kein einziges Mal in die Augen gesehen. Ich weiß nicht, wie viele Stunden das schon sind. Vielleicht drei, vielleicht zwanzig, vielleicht hundert. Aber es tut weh. Es tut verdammt weh und es ist so ungerecht, dass es schreit in mir.

Wenn man etwas falsch gemacht hat, soll man es gleich zugeben und sich entschuldigen, sagen die Schwestern immer. Dann ist alles wieder gut.

Ich weiß aber nicht, was ich falsch gemacht habe. Ich kann mich auch nicht bei Schwester Miki entschuldigen, wenn sie nicht mit mir spricht und bei Sirup sowieso nicht, wenn sie mich nicht zu ihm lassen. Ich weiß nicht einmal, ob er sprechen kann. Ob er jemals wieder sprechen wird.

Nichts ist gut.

Nichts wird jemals wieder gut.

Schwester Miki läuft wieder an mir vorbei. Sie hat eine Schüssel mit heißem Wasser in der Hand und ein weißes Tuch über dem Arm hängen. Als die Tür aufgeht, sehe ich Schwester Rosa. Sie sitzt an Sirups Bett und hält seine Hand. Die Tür fällt zu und verschluckt sie alle, Sirup, Schwester Rosa und Schwester Miki. Sie brauchen mich nicht. Niemand braucht mich.

Tomaten mögen keinen Regen

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