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Einstieg in die Halbwelt

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Was ich mit meinen Eltern seit jeher gemein habe, ist eine gewisse rebellische Ader, die unserer Familie im Blut liegt. Mit dem Strom schwimmen war noch nie die Art der Familie Campi. Meine Eltern sind sehr von den Achtzigern geprägt und blieben dem Lebensstil und den damaligen Werten bis heute treu. Obschon ich und meine Eltern sehr verschieden sind, so waren wir uns zumindest im Rebellischen umso ähnlicher. Bei mir zeigte sich diese Ader schon früh bei der Wahl meiner Vorbilder. Als Teenager nimmt man sich Vorbilder, denen man nacheifert, die man bewundert. Es ist eine Zeit, in der man noch weit von der Erkenntnis entfernt ist, dass jeder Mensch ein Individuum ist, das sich nur entfalten kann, wenn er sich gibt wie er ist, und sich nicht verstellt. Meine Idole in der Teenagerzeit waren der amerikanische Schauspieler Sylvester Stallone und der Schweizer Mundart Rocker Gölä. Zwei eigentlich massiv unterschiedliche Typen, einer aus der Internationalen Filmbranche und der andere aus der nationalen Musikszene, doch was beide gemein hatten, war ihre rebellische Ader. Sylvester Stallone wurden keine Chancen als Schauspieler zugesagt, da seine Teil-Gesichtslähmung ihm dies niemals erlauben würde, so seine damaligen Kritiker. Auch Gölä, ein Musiker vom Bau, der zum Teil in seinen Songs die Behörden verhöhnte, bezeichnete man als Eintagsfliege, so wie er gekommen sei, würde er wieder verschwinden. So täuschten sich die Medien und Kritiker und am Schluss wurden beide Stars, der Schweizer Musiker und der internationale Filmstar, durch Eifer, Biss und Ausdauer mit hohem Langzeiterfolg belohnt. Als Teenager findet man solche Geschichten cool und eifert seinen Idolen meist nach, ohne alles genau zu verstehen oder gar zu hinterfragen. Mit dem Alter habe ich für beide Stars immer noch grosse Sympathien, was wohl daher kommt, dass ich ihr Leben umso mehr verstehe. Man darf sich im Leben nicht in eine Richtung drängen lassen, sondern stets nur Wege beschreiten, die einen selbst interessieren und die man mit Herzblut gehen kann, denn nur so kann man den nötigen Eifer aufbringen und es auf seinem Weg, sprich, es in seiner Branche zu etwas bringen. Allerdings sind Theorie und Praxis oft unterschiedlich, denn es gibt viele Menschen, die über gewaltiges Potential verfügen, den nötigen Eifer investieren aber schlussendlich trotzdem nicht den gewünschten Erfolg erzielen. Es kann an einem selbst liegen, aber es kann genauso gut an den Umständen, fehlendem Glück oder einem verzerrten Selbstbild liegen. Manchmal liegt es allerdings auch an Missgunst oder wirtschaftlichen Krisen, wenn nicht alles wie geplant läuft.

Durch mein damaliges Vorbild Gölä, der vor seinem musikalischen Durchbruch auf dem Bau gearbeitet hat, wie auch mein Vater kurzzeitig, kam mir zu Schulzeiten der Gedanke, selbst auf dem Bau zu arbeiten. Im Nachhinein kann ich mir selbst nur an den Kopf greifen, denn eine so falsche Wahl hatte ich wohl noch selten getroffen. Im Übrigen verstanden nicht einmal meine Eltern meine Wahl, da sie mich eher im Verkauf sahen, sprich weit weg von Schraubenzieher und Hammer. Nicht, dass der Bau etwas Schlechtes wäre. Nein, im Gegenteil, ich war schlecht für den Bau. Die Arbeit auf der Baustelle lag mir wahrlich nicht. Trotzdem startete ich ein Praktikum als Plattenleger. In dieser Sklavenzeit, wie ich sie heute gerne nenne, wurde ich ausgenutzt und diente lediglich als Plattenschlepper und billige Hilfskraft für gerade mal vier Schweizer Franken die Stunde. So schleppte ich also täglich Platten von A nach B, dazu den Kopfhörer im Ohr mit dem Sound von Gölä: «Wiu ig ä Büezer bi». (Weil ich ein Arbeiter bin). Der Vorteil dieser körperlichen Arbeit war, den Kopf zum Nachdenken freizuhaben.

«Soll dies wirklich für den Rest meines Lebens so weitergehen?», war die Frage, die mich immer und immer wieder beschäftigte.

Dann ein Blick auf die Arbeiter der Plattenleger Firma, auf die Schmerztabletten, welche die Arbeiter täglich schluckten, um das schmerzende Knie oder den kaputten Rücken zu besänftigen. Dann ein Blick auf den Alkohol, den sie während der Pause konsumierten, um ihren Frust abzubauen. Je länger der Tag, desto höher die Promille, desto öfter der Satz:

«Wieso Sascha willst du nur freiwillig diesen Job lernen? Willst du dies für den Rest deines Lebens machen?»

Wieso eigentlich? Die Frage verankerte sich in meinem Kopf und ich erkannte nur langsam, wie falsch meine Wahl eigentlich war. Ich entschloss mich, mein Praktikum abzubrechen und mich einer anderen Branche zu widmen – nur welcher? Die Ferien standen bevor und ich hatte mir einen coolen Nebenjob ergattert. Ich konnte beim Bau eines neuen Nachtclubs in Schönenwerd mithelfen. Das dauerte allerdings länger als meine Ferien, weshalb ich mich entschied, mein Praktikum umgehend zu beenden, den Nachtclub fertig zu bauen und danach dort im Gastgewerbe zu arbeiten. Meine Idee freute mich. Die Begeisterung meiner Eltern hielt sich verständlicherweise in Grenzen. Da meine Eltern, was nachvollziehbar ist, mich nicht um eine Ausbildung herumkommen liessen, absolvierte ich ein Studium zum Fitnesstrainer in der SAFS Schule in Zürich. Ich besuchte diverse Kurse, arbeitete ansonsten auf der Baustelle des Nachtclubs und bestand meine Prüfungen, bis auf eine theoretische, die ich seit Jahren nachholen wollte. Die Nacht der Eröffnung rückte näher und die Aufgaben für uns wurden verteilt. Ich wurde als Türsteher eingeteilt und sollte für die Eintrittsgelder verantwortlich sein. Das Ganze begeisterte mich wenig, aber ich akzeptierte die Zuweisung. Der Abend der Eröffnung war ein Erfolg und der Club füllte sich rasant. Das Ambiente liess einem an die Nautilus erinnern, das bekannte U-Boot von Kapitän Nemo. Da stand ich nun in einem damals noch billigen schwarzen Anzug, als siebzehn Jähriger gestylt, als wäre ich einiges über zwanzig Jahre alt. Der Job langweilte mich. Das Ambiente gefiel mir. An der Eröffnung kam die ganze Cervelat Prominenz der Region, viele Künstler sowie Geschäftsleute, Behördenmitglieder, Gemeindearbeiter, Milieugestalten und ein Oberhaupt der Polizei. Im Club dröhnte Musik einer extra eingeflogenen kubanischen Band. Die Stimmung war spektakulär. Was mich störte, war meine Position, da ich an der Türe weit entfernt vom Geschehen platziert war.

«Warum mach ich das? Will ich das den Rest meines Lebens machen?», diese Frage rotierte erneut in meinem Kopf.

Dann geschah etwas Seltsames. Der Besitzer des Nachtclubs bat mich die Kasse zu schliessen, das Geld hinunter zu bringen und mich nun unter die Leute zu mischen. Ich solle alles im Auge behalten, aber ruhig auch die Eröffnung geniessen. Da stand ich nun, in meinem schwarzen Billiganzug, welcher allerdings in dem Licht genauso gut hätte von Armani sein können, so beobachtete ich das Treiben. Das Licht war abgedunkelt, das Ambiente erinnerte an eine fremde Welt, die Musik erfreute die Menschen, die Stimmung war glamourös.

Eine Hand berührte meine Schulter. Ich drehte mich um und erschrak, denn der Grüssende war mir seit Kindheitstagen bekannt, es war Max Sutter, einer der Polizeiobersten der Region. Ich befürchtete, dass ich nun einen Vortrag hören würde, da ich erst siebzehn Jahre jung war und die Zeit irgendwo bei zwei Uhr morgens lag. Es kam überraschender und prägenderweise anders.

«Gut siehst du aus. Ihr habt gute Arbeit geleistet mit dem Club. Möchtest Du etwas trinken?»

Was ist denn nun passiert? Auf dem Bau interessierte sich niemand für meine Arbeit oder für mein Wesen. Keiner fragte mich, was ich gemacht hätte oder wie es mir gehen würde, geschweige denn, würde jemand meine Arbeit loben. Dieser Tag veränderte mich in zwei Dingen. Ich verliebte mich in Anzüge und fing daher an Anzüge zu sammeln, in sämtlichen Farben, Mustern und Preisklassen. Zum anderen verliebte ich mich ins Nachtleben und sah zum ersten Mal meine Zukunft vor mir. Ich wusste nun, wo ich hingehörte und ich wusste wo ich hinwollte. Die Nautilus erlitt allerdings dasselbe Schicksal wie die reale Titanic, und der Untergang ereignete sich schnell. Nach wenigen Monaten war der Betrieb pleite und musste zu einem Spottpreis weiterverkauft werden. Wie schon zuvor nahm ich verschiedenste Jobs an, als Möbelpacker, als Eventangestellter und als Hilfsmonteur bei meinem Vater in der Whirlpool-Firma.

«Was ist denn nun passiert? Geht das nun mein Leben lang so weiter?», war die neue Frage, die mich beschäftigte, denn nun war ich da, wo ich eigentlich nicht sein wollte.

Und das Schlimmste, die Arbeit erfüllte mich nicht. So konnte es also nicht weitergehen. Ich suchte mir eine Arbeit im Nachtleben, um meinem Ziel wieder näher zu rücken. Da kam ich zu einem sehr interessanten Arbeitsort, dem Scharfen Ecken in Rothrist. Einem genialen Gastronomiekomplex, der mir von Anfang an sehr imponierte. Er bestand aus drei Ebenen. Auf der obersten befand sich ein Nobel Restaurant, in der Mitte ein Dancing mit Live-Musik und im Parterre befand sich eine Pizzeria für die junge Klientel. Ich stieg im Dancing als Barmann ein und sammelte Erfahrungen im Bereich Service, Cocktails mischen und abrechnen. Mit mir arbeiteten zwei Frauen aus der dominikanischen Republik, die sich um die männlichen Gäste kümmerten, während ich mich um die Frauen an meiner Bar kümmerte. Die Erfahrung war sensationell, trotz allem war es noch nicht mein Ziel. Nach einigen Monaten kam ein Gastronom auf mich zu und machte mir das Angebot ein Pub zu leiten, das demnächst eröffnen würde. Das Angebot klang super, denn der eigene Chef sein, entsprach mehr meinen Traumvorstellungen als Barmann. Ich beteiligte mich am Umbau des Pubs und erlebte eine erneute Sklavenzeit, denn der Umbau zog sich in die Länge und die meiste Arbeit blieb an mir hängen. Zwei Tage nach der Eröffnung kündigte ich, da der Besitzer sich als unprofessionell erwies. Von da an schwor ich mir eins. Nachtleben ja, aber nur noch bei Platzhirschen. Ab sofort wollte ich nur noch für alteingesessene Hasen arbeiten und keine Neueröffnungen und Risikolokale mit Schweiss und Herzblut mehr unterstützen. So kam ich auf Chris. Chris war ein Platzhirsch in Aarau und er besass eine Diskothek, das Dock25. Die Lokalität befand sich inmitten des Bahnhofareals, also an einer Toplage. Ich kannte den Besitzer bereits flüchtig vom Nautilus Dancing und kontaktierte ihn daher spontan. Zwei Tage später begrüsste er mich herzlich in seinem sehr schicken Büro, welches leicht an den Filmklassiker «Der Pate» erinnerte. Goldene Uhren auf einem Drehständer, im Hintergrund eine antike Waffe in einer Box an die Wand montiert, dazu leise Musik, halt wie es bei einem typischen Halbweltler aussieht. Chris selbst war ein rund 180 cm grosser Mann und um die vierzig Jahre alt. Er stammte ursprünglich aus Österreich. Dazu war er ein ehemaliger Kampfsportexperte, leitete früher auch Kurse für die Sondereinheiten der Polizei. Ein sehr intelligenter Typ mit Ecken und Kanten. Es gab selten einen Menschen, von dem ich so viel lernen konnte wie von ihm. Zudem konnte er besser reden als jeder andere, den ich je im Nachtleben erlebt habe. Nun stand ich also dort in seinem Büro.

«Willst Du einen Kaffee?», bot er mir an.

Ich war verblüfft, denn weit und breit war keine Kaffeemaschine zu sehen. Chris führte mich aufs Dach vor eine grosse Metalltüre, öffnete sie und so kam mir eine Art Paradies entgegen. Blauer Teppichboden über das ganze Dach umgeben von Sandhügeln, kleinen Wasserfällen und Fackeln. Mittendrin eine Art Glasbau, in dem sich eine Bar vom Feinsten befand, mit Piano. Chris erklärte mir, dass er seit neustem einen Member Club gegründet habe und einen Türsteher gebrauchen könnte. Obschon es nicht das war, was ich wollte, erinnerte es mich ans Nautilus, das Ambiente überzeugte mich so sehr, dass ich kein «Nein» rausbrachte, sondern ein «Ok».

Mit dem leitenden Türsteher verstand ich mich nicht, worauf ich am zweiten Tag davonlief. Einen Tag später rief Chris mich an. Ihm schien meine Art zu gefallen und er bat mich zu sich ins Büro. Er beförderte mich zum leitenden Türsteher und entliess den anderen. Scheinbar mochte er diesen nie richtig und ich erschien ihm die richtige Wahl. Ich bekam eine angenehme Position und eine Zeitlang sogar noch ein Büro beim Member Club dazu. Von Null auf Hundert binnen Sekunden, sowas gibt es wahrlich nur in der Halbwelt. Ich arbeitete einige Monate im Member Club bis es mir zu langweilig wurde und ich mich in seine Diskothek am Bahnhof, das Dock25, versetzen liess. Die Diskothek war genau nach meinem Geschmack. Platz für gut dreihundert Gäste, mehrere Bars, DJ, Garderobe und einen Hexenkessel gefüllt mit Gästen aus sämtlichen Nationalitäten und Branchen. Ich fing als Türsteher unter der Leitung des dortigen Geschäftsführers an. Nach einem Jahr mutierte ich zur rechten Hand von Chris und war immer mehr in beiden Lokalitäten tätig. Ich kümmerte mich um das Personal, um Events, um den Nachtbetrieb und sämtliche Vorbereitungen. Ich war angekommen. Ich fühlte mich wohl. Trotz dem erreichten Ziel, sehnte ich mich nach einer Tagesarbeit und wie es der Zufall wollte, kam ich durch meine Arbeit im Nachtleben in Kontakt mit einer Medienmitarbeiterin, die mir einen Job im Aussendienst, bei der Neuen Oltner Zeitung (NOZ) besorgte. Auch meiner Familie gefiel meine Zweigleisigkeit, so fing ich an unter der Woche im Aussendienst zu arbeiten und von Donnerstag bis Samstag zusätzlich in den Nachtlokalen. Die beiden Jobs ergänzten sich hervorragend, und ich konnte immer wieder Synergien nutzen. So fand ich im Dock25 und im Member Club immer wieder Kunden für die NOZ und konnte auch Kunden von der NOZ einmal in die Clubs einladen. Mein Leben war für meine damaligen Ansprüche, für den Moment optimal und erfüllt. Bekanntlich folgt nach Sonne der Regen, und so kam es auch.

Drei Jahre später. Der Bahnhof Aarau sollte für rund 300 Millionen saniert werden, wobei die Diskothek weichen musste, weshalb unser Mietvertrag nicht verlängert wurde. Ich wusste früh Bescheid und fing an über meine Zukunft zu grübeln.

«Das hätte ich ein Leben lang so weiter machen können», war nun der Satz in meinem Kopf, anstelle der früheren Frage.

Ich fing an, mit dem Gedanken der Selbstständigkeit zu spielen. Etwas Kleines, ein Anfang, etwas das auch schiefgehen durfte – doch was? Wie es der Zufall wollte, wurde in meinem Heimatdorf Schönenwerd das ehemalige Atlantis Pub zur Weitervermietung ausgeschrieben und ich nutzte die Möglichkeit. Ich wagte den Schritt in die Selbstständigkeit und verwandelte das Atlantis Pub in die Latino Bar Royale. Hier begann ein neuer Abschnitt in meinem Leben, der mich zum ersten Mal in Kontakt mit der Justiz brachte. Ein Kleindelikt, das später aufgeblasen wurde und mir beinahe das Genick gebrochen hätte. Ein Delikt, das bis heute an mir klebt, wie ein Kuhfladen an einem Schuh.

Vom Fuchs zum Wolf

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