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Beschissenes Bayern

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Die Klasse von 95 ging auf Tour – Tobi und Bo, Fettes Brot, Massive Töne, MC Rene und Immo und ich mit unserer damaligen Band F.A.B. sollten vier Wochen lang in Deutschland, Österreich und der Schweiz Konzerte spielen.

Die Gage konnte ich gut gebrauchen. Das Arbeitslosengeld reichte für mein vergnügungsreiches Leben hinten und vorne nicht, außerdem hatte ich einen nicht geringen Eigenbedarf zu decken.

Dealen war für mich ein zuverlässiger Nebenverdienst und absolut normal.

Ich konnte nichts Verwerfliches daran finden, schließlich vertickte ich Gras und kein Heroin.

Was in Bremen und Hamburg für mich zum Alltag gehörte, sollte mir allerdings im Freistaat Bayern zum Verhängnis werden.

Mein Bandkollege hingegen kam aus gutem Hause. Nach einem Schüleraustausch in den USA hatte er sich seinen dort angeeigneten Highschool-Lifestyle beibehalten und natürlich auch ein eigenes Auto. Einen fetten Geländewagen genauer gesagt, damit er sein Snowboard-Equipment transportieren konnte, das er mit auf die Tour nahm, um zwischendurch ein bisschen zu boarden, wenn wir schon in der Nähe der Berge sein sollten.

Meine Klamotten und insgesamt 200 Gramm Gras und Hasch, die ich, anstatt Schneepisten hinunterzusausen, zwischenzeitlich verkaufen wollte, fanden glücklicherweise auch noch Platz. Ich verstaute meine Ware in je einer Aldi-Plastiktüte unter den vorderen Sitzen und versiegelte das Depot mit umherfliegendem Krimskrams.

Meinen markenlosen Rucksack mit Wechselwäsche warf ich hinterher.

So fuhren wir bis unter das Dach beladen von Bremen aus los.

Die anderen Bands sind ebenfalls in ihren eigenen oder geliehenen Autos zu den Konzertstätten angereist – einen gemeinsamen Nightliner konnten wir uns damals nicht leisten.

Um diesen chaotischen Haufen termingerecht aus den jeweiligen Hotels auf die Bühnen im deutschsprachigen Raum zu scheuchen, waren noch Mitarbeiter der Bookingfirma Wir kümmern uns und von MZEE Records mit dabei.

Auf der Tour versorgte ich nicht nur die anderen Bands und die Crew mit Weed und Schwarzem Afghanen, sondern verkaufte auch kleinere Mengen an sich im Publikum tummelnde Bedürftige. So auch in Landau im tiefsten Bayern.

Wie immer bin ich vor unserem Gig über das Konzertgelände geschlendert.

Von meinem Vorrat hatte ich ein paar Gramm in den Hosentaschen, falls sich ein Geschäft ergeben würde.

Jemand, der etwas verkaufen möchte, erkennt seine potenzielle Kundschaft auf einen Blick. Der Kaufinteressent kann eine mögliche Bezugsquelle meist zielsicher ausmachen – es war denkbar einfach. Zumal sich mittlerweile herumgesprochen hatte, dass ich grundsätzlich nicht nur gute Musik aus Norddeutschland mitbringen würde.

Der Absatz lief ausgezeichnet, die armen Teenies schienen hier im bajuwarischen Nirgendwo geradezu ausgehungert zu sein. Beschwingt verteilte ich mein Gut und steckte mir einen 10-, 20- und 50-Mark-Schein nach dem anderen grob zusammengefaltet in die Socken.

Leider befand sich unter dem cannabisgierigen Klientel, wie sich im Verlauf des Abends herausstellen sollte, der kleine 15- oder 16-jährige Bruder eines auf dem Konzert dienstleistenden Zivilpolizisten.

Ich performte mit meiner Band unsere Songs. Während wir schweißgebadet von der Bühne stiegen, schoss Jan von MZEE Records auf uns zu und brüllte: „Macht euch trocken, zieht euch an und haut sofort ab!“ Immo und ich guckten uns verdutzt an.

Jan war völlig außer sich und packte mich am Arm: „Am besten durch die Tiefgarage, schnell!“ Ich befreite mich aus seinem Griff und fragte ihn, was denn überhaupt los sei. „Hier kommen gleich tausend Bullen an, die euch festnehmen wollen! Jetzt macht!“, kreischte er. Mir keiner Schuld bewusst fragte ich: „Häh? Wieso das denn?“ Ich glaubte, er verarscht uns.

Gegen den einsetzenden Beat von Fettes Brot brüllte er mir die Antwort entgegen: „Weil du hier vertickt hast, und das nicht zu knapp! Ausgerechnet an den kleinen Bruder von nem Bullen, und jetzt haut ab!“

Wir verstanden endlich und rannten durch die Tiefgarage zum Auto; zum Umziehen blieb keine Zeit mehr.

Hinter uns unsere Entourage aus Jan und seinen Mitarbeitern, die uns anfeuerten.

„Rennt! Rennt schneller! Ihr schafft es noch!“, krakeelten sie atemlos und klopften erleichtert auf unser Fluchtmobil, das wenige Minuten zuvor noch unser Minitourbus gewesen war, als wir endlich auf den Sitzen saßen.

Immo trat das Gaspedal durch und sein VW blubberte Richtung Ausfahrt.

Es gab genau zwei Möglichkeiten, aus der Tiefgarage herauszufahren. Rechts ging es zur Hauptstraße und in die vermeintliche Freiheit, links in eine Sackgasse mit Wendehammer – Immo fuhr nach links.

Als er umständlich gewendet hatte, war es schon zu spät. Ein Mannschafts- und mehrere Peterwagen rollten uns mit Blaulicht und unter Sirenengeheul entgegen. Einige Beamte trabten, uniformiert und in Zivil, als Infanterie neben den Einsatzfahrzeugen her.

Als sie uns im Auto hockend entdeckten, zogen sie ihre Waffen und stürmten mit bösen Blicken auf uns zu.

Ein Polizist konnte gerade noch nach dem Türöffner greifen, als Immo erneut Gas gab und mit quietschenden Reifen nach vorn preschte. Der Bulle ließ nicht los und hetzte neben dem Wagen her. Seine vor dem Auto lauernden Kollegen sprangen im letzten Moment zur Seite.

„Stopp, Stopp, Stopp!“, schrie ich, „halt an!“ Mich packte die Angst, es könnte zu einem Unfall oder dem Einsatz der Dienstwaffen kommen.

Kaum standen wir, rissen die Schutzmänner unverzüglich beidseitig die Türen des Wagens auf und zerrten uns unter wüsten Flüchen aus dem Auto.

Sie legten uns Handschellen an und stopften uns in einen der bereitstehenden Streifenwagen. In dem herrschenden Tohuwabohu vergaßen sie, uns zu filzen.

Ich hörte mich rufen: „Chillt mal, Leute, das war doch nur Gras!“, aber die bayrischen Ordnungshüter waren mindestens genauso auf Adrenalin wie wir und schienen mich nicht zu hören. Mein fortgesetztes durchgehendes Zureden während der Fahrt zum Revier wurde irgendwann dann doch wahrgenommen, denn es wurde rüde unterbrochen: „Halt endlich dein Maul! Ihr redet ab jetzt kein Wort mehr, auch nicht miteinander!“, blaffte mich einer der beiden Chauffeure an. Warum sie uns dann nicht getrennt zur Wache beförderten, weiß ich nicht. Wahrscheinlich war es die Aufregung.

Wie ich im Nachgang erfuhr, war Landau damals der Ort mit der höchsten Polizeidichte Deutschlands.

Das lag daran, dass sich in diesem beschaulichen Städtchen bundesweit die größte Polizeischule befand. Dementsprechend jung waren die meisten der an dieser Geschichte beteiligten Beamten, gerade frisch im Dienst und sehr aufgewühlt.

Sie dachten wohl, sie könnten mit der Überführung des gemeingefährlichen Ferris MC ordentlich Eindruck bei ihren Vorgesetzten schinden. Sie wollten ein Erfolgserlebnis.

Ohne zu viel vorwegzunehmen: Sie sollten es schlussendlich bekommen.

Auf dem Revier waren alle sehr unfreundlich. Im Eingangsbereich lag ein schlafender, schnarchender Schäferhund mitten im Weg, über den wir und alle anderen mit einem großen Schritt hinwegschreiten mussten, da er die volle Breite des Raumes einnahm.

Er war, im Gegensatz zu seinen zweibeinigen Kollegen, nicht aus der Ruhe zu bringen.

Immo und ich wurden durch die mit bei jedem Tritt schmatzendem Linoleum ausgelegten Gänge der Dienststelle geführt und in zwei verschiedene Verhörzimmer platziert.

Der mir gegenübersitzende beleibte und auffallend jugendliche angehende Polizeioberwachtmeister machte sich nicht die Mühe, Hochdeutsch und damit für mich verständlich zu reden. In feinstem Bayrisch rumpelten Worte aus seinem Mund, mit denen ich nichts anfangen konnte.

Er hätte ebenso gut Katalanisch sprechen können.

Nach dem elften fragenden „Was?!“ meinerseits erbarmte er sich und sprach zumindest langsamer. Sein neben ihm stehender, nicht bedeutend älterer Arbeitskollege nickte diese Gnade mit einer kurzen Kopfbewegung ab. Der Klops teilte mir demonstrativ langsam und deutlich mit: „Parallel zu diesem Gespräch werden wir deine Wohnung in Bremen durchsuchen lassen. Die Kollegen sind bereits informiert.“

Ein schlechter Bluff. Warum mich hier alle duzten, weiß ich nicht.

Es war eine merkwürdige Situation, von Gleichaltrigen in die Mangel genommen zu werden.

Ich hatte bisher nur mit Polizisten Bekanntschaft gemacht, die aussahen, als wären sie der Großstadtrevier-Kulisse entstiegen.

Ich zuckte mit den Schultern und wollte so gelassen wie möglich wirken.

Dass sie so spät am Abend, recht spontan, einen Durchsuchungsbefehl für meine Bremer Wohnung erwirken konnten, erschien mir unwahrscheinlich.

Falls doch, hätte ich tatsächlich ein etwas größeres Problem gehabt, denn es lagen mehrere Hundert Gramm Gras und Hasch unverhohlen in meinem Kühlschrank herum und warteten wohltemperiert auf meine Heimkehr.

„Hör zu –“, sagte der Klops, lehnte sich über den dunklen Holztisch zu mir herüber und gab den Blick auf ein gusseisernes Kruzifix mit einem angenagelten, graue Tropfen blutenden Jesus hinter sich frei. „Am besten, du gibst uns dein ganzes Zeug jetzt gleich. Das wäre dann strafmildernd einzuordnen und du bekommst nicht noch mehr Ärger … Wir finden es sowieso!“ Er schien sekündlich zwischen den Alter Egos Good Cop und Bad Cop zu wechseln. Auch eine Taktik.

Er hatte wohl einmal zu viel Police Academy geguckt.

Der Polizist neben ihm glotzte mich bloß unentwegt an und hatte offenbar keinen Lidschlussreflex. Aus dem Nichts blökte er plötzlich: „Was fällt dir eigentlich ein, hier Drogen zu verkaufen?“ Diese Frage hätte ich eher zu Beginn des Gesprächs erwartet, aber gut – Zeit für eine meiner berüchtigten Beschwichtigungstiraden: „Ich verticke ja nur für den Eigenbedarf. Ich komme aus dem Norden, da wird das nicht so streng gehandhabt. Ich wusste ehrlich nicht, was hier abgeht, und dachte, es wäre okay, ein bisschen Gras unter die Leute zu bringen. Wie gesagt, Gras, kein Heroin oder so …“, jammerte ich kleinlaut, zuckte erneut mit den Schultern und rundete meinen Redeschwall mit dem süßesten Lächeln ab, zu dem ich imstande war.

Es half nichts, sie behandelten mich weiterhin wie Pablo Escobar.

Die Aktion hier war bestimmt kostenaufwendig – die vielen Bullen, die Fahrzeuge, die Waffen und die Handschellen mussten sich folglich lohnen.

Also dachte ich mir, es wäre schlau, ihnen einen Brocken hinzuwerfen.

Ich nannte ihnen reumütig mein „Versteck“ im Handschuhfach des Autos, wo ich ein etwa sieben Gramm schweres Stück Schwarzen Afghanen zum erleichterten Zugriff hinterlegt hatte.

Wir gingen zum Wagen, den ein weiterer Beamter zwischenzeitlich auf den Hof der Wache gefahren hatte. Schuldbewusst deutete ich, noch immer mit Handschellen vorm Schritt, auf das billigste aller Verstecke, und ein behandschuhter Jungbulle hielt kurz darauf voller Stolz um sich blickend einen kleinen Klumpen Hasch in die Luft.

„Ist das wirklich alles?“, fragte einer der umstehenden Gesetzeshüter.

„Ja, klar“, antwortete ich. Unbedingt war zu verhindern, dass sie das Auto doch noch auseinandernahmen und die restlichen, nicht besonders sorgfältig unter den Sitzen gelagerten Mengen fanden.

Ich guckte so treu, wie es sonst nur ein Cavalier-King-Charles-Spaniel-Welpe kann.

Der Tross setzte sich mit mir in der Mitte wieder Richtung Verhörraum in Bewegung.

Erneut wurde ich gefragt, ob ich mir ganz sicher sei, wirklich „den ganzen Stoff“ preisgegeben zu haben. „Sonst kriegen wir dich auch noch wegen Falschaussage dran“, frohlockte der Glotzer. Ich versicherte ihm und seinen Arbeitskollegen abermals, dass ich komplett harmlos und wirklich ein ganz, ganz kleiner Fisch, quasi eine gerade erst geschlüpfte Kaulquappe ohne Gliedmaßen sei.

„Gut – dann schicken wir jetzt den Hund in das Fahrzeug“, resümierte der Klops, der jetzt wohl seinen erneuten Einsatz als Bad Cop nicht verpassen durfte.

Sollte er den verpennten Kommissar Rex für Arme aus dem Flur meinen, hatte ich nicht viel zu befürchten, hoffte ich.

Das Verhör zog sich noch eine ganze Weile für die Büttel unbefriedigend hin, da hörte ich aus dem Funkgerät des Klopses ein „Pkw negativ“ knarzen.

In der allgemeinen Erregtheit hatte er wohl vergessen, sein Walkie-Talkie aus ermittlungstaktischen Gründen lautlos zu stellen. Mich durchfuhr ein Endorphinschock. Wahrscheinlich hatten sie es nicht geschafft, den Köter zu wecken und ihn zur Arbeit zu motivieren – oder er hatte schlicht keine Ausbildung zum Drogenspürhund.

Der ganze Wagen hatte schon von außen mit geschlossenen Türen so sehr nach mehreren Hundert Gramm Cannabis gerochen, dass es ihm eigentlich in den Augen hätte brennen müssen.

Ein Wunder, dass die bayrischen Bullen sich mit den läppischen sieben Gramm haben abspeisen lassen.

Ich hatte es eilig, die Wache zu verlassen, nicht dass sie doch noch aus Versehen über die Aldi-Tüten stolperten. Ich zwang mich zur Gelassenheit und gab mich betont unbeteiligt.

„Dann kannst du gehen, sobald du das hier unterschrieben hast“, sprach der Klops und schob einen Stapel Papier mit einem Stift darauf zu mir über den Tisch.

Endlich wurde ich von den Handschellen erlöst und unterschrieb blind auf der letzten Seite das – wie sich später herausstellte – Verhörprotokoll. Ich wollte einfach nur raus.

Wie viele Stunden der Aufenthalt auf dem Revier gedauert hatte, weiß ich nicht – es war auf jeden Fall lange und kam mir ewig vor.

Am Auto traf ich auf Immo, auch er hatte offenbar nichts Belastendes gesagt. Mittlerweile war es mitten in der Nacht und wir stiegen wortlos in seinen Wagen ein und fuhren los.

Nachdem wir vom Hof der Polizeidienststelle gebrettert waren, guckten wir uns an und brüllten die Anspannung und Erleichterung heraus.

Wir lachten und johlten, bis wir auf den Parkplatz unseres Hotels einfuhren.

Zielsicher rupfte ich mit zwei schnellen Handgriffen die beiden Aldi-Tüten mit der Platte Schwarzem Afghanen und dem Gras am Krempel vorbei unter den Sitzen hervor und wir rannten ins Hotel die Treppen zu unserem Zimmer hinauf.

Oben warteten alle auf unsere nicht abzusehende Rückkehr – Tobi, Bo, die drei Brote, die Jungs von Massive Töne und MC Rene.

Die Arme über den Kopf reckend wie ein Schwergewichtsweltmeister stürmte ich vor Freude schreiend in das Zimmer, nur dass ich anstatt eines güldenen Gürtels rechts und links zwei Discounter-Einkaufsplastiktüten gen Himmel streckte.

Ein Jubelsturm brach aus, wir wurden gefeiert wie Gladiatoren.

Wir zelebrierten die ganze Nacht lang unseren Sieg und rauchten sicherheitshalber einen beträchtlichen Teil des Beweismaterials auf.

Auf der Tour dealte ich nicht mehr, sondern versorgte nur noch die anderen Bands und die Crew mit unserem Lebenselixier. Dieses Süddeutschland war mir suspekt.

Ein paar Jahre später klärte mich dann mein Anwalt Schippmann bei besagtem Gespräch nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft in seiner Kanzlei darüber auf, was ich da in der bayrischen Provinz unterschrieben hatte. Allein durch die Tatsache, dass ich – mal wieder – das mir zur Unterschrift Vorgelegte nicht gelesen hatte, habe ich mich kolossal in die Scheiße geritten.

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