Читать книгу Suche Liebe. Biete mich. - Sascha Weber - Страница 5
Erster Tag.
ОглавлениеZum hundertsten Mal habe ich mir einen neuen Namen zugelegt, gestern. Ich habe mich wieder einmal getauft in einem kurzen Akt, dem niemand beigewohnt hat. Noch ein Name, noch eine Maske. Ich habe ein ganzes Notizbuch, das voll geschrieben ist mit Log-ins, Passwörtern, PIN-Nummern. Mit verwaisten Kontodaten, Chiffren, Kennungen, die nicht mehr gültig sind. Diesmal aber war es wichtig. Diesmal kam es drauf an. Also habe ich eine Flasche Cava aufgemacht. Ich habe mir eingeschenkt, habe das Glas an meine glühende Stirn geführt und auf den Bildschirm gestarrt. Ich bin jetzt Nutzer einer Partnervermittlung, online. www.neu.de. Mein Name ist elian. Prost elian, habe ich gesagt, auf ein gutes Gelingen. Im selben Augenblick ist die Heizung auf Nachtschaltung umgesprungen.
ruben wäre eine Möglichkeit gewesen. Aber ich habe mich für den Namen des kubanischen Flüchtlingsjungen Elian Gonzalez entschieden. Dessen Schicksal einige Wochen lang die Welt in Atem hielt. Seine Mutter wollte mit ihm fliehen, versuchte, Florida zu erreichen in einer kleinen, notdürftig geflickten Schaluppe. Aber sie kenterten, und die Mutter ertrank. Elian wurde von der amerikanischen Küstenwache aufgefischt und Verwandten, Exilkubanern, in Miami anvertraut. Die wollten ihn nicht mehr zurückreisen lassen – dabei war der Vater am Leben: in Kuba, wo der Feind regiert. Castro hielt stundenlange Reden, wetterte bis zur totalen Erschöpfung, sprach von Entführung und schürte den Volkszorn (E-li-aan! E-li-aan!), und die Zeitungen und Nachrichtensender auf der ganzen Welt berichteten tagelang über nichts anderes als über diesen Jungen, die Umstände seiner Rettung und die internationale Krise, die er ausgelöst hatte. Selbst noch seine Cousine wurde vor die Kameras gezerrt und erlitt einen Schwächeanfall.
Der Name elian steht nicht nur für kindliche Unschuld, er steht für Fernweh, Exotik, vage Sehnsüchte: warmer Wind am Strand, kühle Getränke, das strahlende Lächeln eines jungen Mannes. Deutsche Frauen haben ein Faible für kubanische Männer, heißt es ja. Und da ich eine Mutter habe, die venezolanischer Abstammung ist, eine noch heute sehr schöne, überaus elegante Frau, und da ich tatsächlich dunkelhäutiger bin als die meisten Menschen hier, Städter, mit denen ich fast ausschließlich zu tun habe, lässt sich der Name, meine ich, rechtfertigen. Ich habe sogar kurz mit dem Gedanken gespielt, mich latinlover zu nennen oder zumindest e.iglesias, aber das führt ja zu nichts. Es steckt die falsche Botschaft drin. Die Frauen, die ich damit ansprechen würde – ich zweifle nicht, dass sich auch solche bei neu.de tummeln ‒, suchen jemand ganz anderen als mich. Die wollen die Chippendale-Nummer oder den gutsituierten Wochenendliebhaber. Als wenn es das gäbe: den Geschäftsmann mit dem Wochenendhaus auf Sylt, der auch noch aussieht wie Enrique Iglesias. Oder zumindest wie sein Vater. Manch einer behauptet übrigens, ich hätte Ähnlichkeit mit Felix Magath, dem Bayerntrainer. Dessen Vater soll ja aus Puerto Rico stammen. Aber ich bin jünger, größer. Ich bin, auch das sei gleich gesagt, kein Fußballtrainer und kein Schriftsteller und kein Rennfahrer. Also niemand, der schon von Berufs wegen Sexappeal hätte. Ich arbeite als Referatsleiter in einem Landesministerium. Habe ein abgeschlossenes Jurastudium, Staatsexamen mit eins, politische Ambitionen . . .
Obwohl ich schon seit Jahren verbeamtet bin, oder gerade deswegen, halte ich mich für einen guten, um nicht zu sagen idealen Partner. Ich bin voll beziehungsfähig, keineswegs vereinsamt oder, wie das bei Langzeitsingles häufig der Fall ist, verlottert. Ich bin kein Langzeitsingle. Ich bin ein so genannter transitorisch Alleinstehender – between relationships. Ich kann mich in Gesellschaft bewegen, tanze sogar, wenn es sein muss. Rauche nicht. In meiner Wohnung und in meinem Leben herrschen Ordnung und Sauberkeit. Ich habe, das ist mir immer wieder versichert worden, Geschmack, trage elegante, manchmal, eher an den Wochenenden, auch sportliche Kleidung. So großen Wert lege ich auf mein Äußeres, dass gelegentlich sogar meine strikt heterosexuelle Neigung angezweifelt wird. Was man ja immer irgendwie mitbekommt. Ich freue mich darüber, nehme es als Kompliment.
Auch mental bin ich auf der Höhe. Dass ich unter ein paar obskuren Phobien leide, weiß kaum jemand. Und wen sollte es auch stören? Dafür bin ich ein hervorragender Liebhaber. Als ich zum ersten Mal übers Wochenende weggefahren bin, mit sechzehn, hat mein Vater gesagt: Wenn du essen gehst mit deiner Freundin, dann stopfst du ja wohl auch nicht alles in dich hinein und verschwindest, sobald du satt bist. Du isst langsam, schaust, wartest. Bis auch sie aufgegessen hat. Dann kommt der Nachtisch. Den Nachtisch immer zusammen essen, hat mein Vater gesagt, das ist das Wichtigste! Bis zum letzten Sahnetüpfelchen auf dem letzten Minzeblättchen auf der Deko. Das Essen ist erst vorbei, wenn ihr beide beim Sahnetüpfelchen angelangt seid.
Das war die Regel, die mir mein Vater mit auf den Weg gegeben hat. Die Sahnetüpfelchenregel. Ich habe mich immer an sie gehalten. Darum bin ich ein ausgezeichneter Liebhaber.