Читать книгу Suche Liebe. Biete mich. - Sascha Weber - Страница 7

Dritter Tag.

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Die Mitgliedschaft in der Vermittlung ist erst einmal auf einen Monat begrenzt, natürlich verlängerbar, und kostet neunzehn Euro neunzig. Ich werde mich bemühen, die Partnersuche beziehungsweise das, was ich mir vorgenommen habe, innerhalb eines Monats umzusetzen. Heute ist der 27. November. Vor Weihnachten muss ich es geschafft haben. Allein schon, weil ich bereits nach achtundvierzig Stunden merke, dass mich das wirklich sehr ablenkt, sehr in Beschlag nimmt.

Ich, elian . . . ich möchte jemanden küssen in der Silvesternacht. Das ist meine Zielsetzung. Das ist doch kein unrealistisches Ziel. Eine Frau, eine junge Frau mit Witz, Intelligenz. Sie sollte schlank sein, habe ich angekreuzt, schlank und sportlich, nicht größer als eins achtzig, sie sollte aufgeräumt wirken, selbstbewusst. Ist das zu schaffen? Ja. Auch wenn ich Silvester zu einer sehr schwulen Party eingeladen bin. Bei Hartmut in Essen.

Mein Vater hat seine jetzige Frau auch per Annonce, damals noch in der Zeitung, kennen gelernt. Nachdem meine Mutter ihn verlassen hatte. Das erzählt er natürlich nicht jedem. Die offizielle Version lautet, dass sie sich in einem Auktionshaus begegnet sind, was sich, wie ich finde, nach Kleinbürgerfantasie anhört, ein bisschen nach Kleinbürgerporno. Aber verstehen kann ich es, dass sie diese Geschichte, eine Geschichte, erfunden haben.

Ich habe begonnen, meine VK, meine so genannte Visitenkarte, zu gestalten. Ich stelle mich vor, und ich stelle mich aus, beschreibe meinen Wunschpartner und umreiße meine Träume. Die Frage nach den Hobbys. Die habe ich noch nie verstanden, die fand ich immer sehr rätselhaft. Die setzt ja voraus, dass man trennt zwischen Frei- und Arbeitszeit, dass man bestimmte Dinge tut, gerade weil sie nichts mit der Arbeit zu tun haben. Ich bin sehr aktiv, wenn ich nicht im Büro bin, ich treibe auch Sport. Gehe ins Kino und ins Theater. Aber Hobbys? Das ist, glaube ich, nochmal etwas ganz anderes. Unter den Begriff Hobby fällt Puzzlespielen, Modellbauen, Bierdeckelsammeln. So etwas mache ich nicht. Ich schreibe: Laufen, Kino, essen gehen.

Weil ich von mehr Menschen erkannt werde, als ich umgekehrt Menschen kenne und erkenne, weil ich also vermeiden möchte, dass auf irgendwelchen Partys wildfremde Leute über meine Vorlieben sprechen oder im Ministerium Gerüchte verbreitet werden, Gerüchte zum Beispiel, dass ich auf wesentlich jüngere Frauen fixiert bin, habe ich meiner VK kein Foto angehängt. Ich bin einfach elian, achtunddreißig. Unter meinem Namen steht der Satz: Ich suche eine Frau. Ich finde das etwas krude, etwas hart. Es hört sich an wie: Ich suche irgendeine Frau. Aber der Satz wird von der Site generiert, die

machen das automatisch. Weil ich kein Foto eingestellt habe, habe ich mir besondere Mühe gegeben mit dem Text. Der überschrieben ist mit: Was mir wichtig ist.

›Ich möchte erst einmal einfach jemanden kennen lernen, ein bisschen reden, das Fremdsein überwinden. Dann sieht man ja, was weiter passiert. Am liebsten bewege ich mich in einem Umkreis von, sagen wir, zwei Kilometer von der Studiobühne (u. geh auch gern da rein). Es sollte ein interessantes Gespräch zustande kommen. Foto schicke ich auf Anfrage (ich weiß, alle behaupten es, aber bei mir stimmt es: Ich wirke jünger, bin ein sportlicher Typ), freue mich natürlich auch über das eine oder andere Bild.‹ Die Tatsache, dass ich kein Foto habe auf meiner VK, ist erst einmal ein riesiges Handicap. Weil die Frauen natürlich meinen, ich hätte etwas zu verbergen. Das zumindest wäre mein erster Gedanke.

Gestern Abend hat Melanie angerufen, ich habe sie vor sechs Wochen verlassen, sechs Wochen ist das nun schon her . . . Ich habe sie verlassen, weil sie alles wollte und alles zu schnell und Kinder kriegen, und ich sollte sagen, wenn ich irgendwelche Reisepläne hätte, quasi um Erlaubnis bitten bei ihr. Dabei gehört das einfach zu meiner Arbeit, das Reisen, seit der Staatssekretär in mein Büro gekommen ist, mir die Hand aufgelegt und gesagt hat: Du bist unser Mann für Brüssel. Und für den Rest der Welt?, habe ich gefragt. Gut, und für den Rest der Welt, hat er gesagt. Ich habe immer so gelebt, spontan und direkt und ohne jemandem etwas zu schulden. Ich bin ja auch in eigenen Angelegenheiten ständig unterwegs. Es war also erdrückend, und ein Grund für die Misere war ihr Alter. Melanie ist fünfunddreißig, und sie leidet unter der klassischen Anuptophobie: Torschlusspanik. Es ist natürlich vollkommen unkorrekt, politisch unkorrekt, das so zu sagen, aber eine andere Analyse lässt die Situation nicht zu. Ich hatte mich wohl auch schon ein wenig entliebt.

Gestern Abend hat sie angerufen, nach einigen Wochen, in denen wir überhaupt nicht miteinander geredet haben, und ich habe natürlich gemerkt, wie verletzt sie ist, dass sie andererseits bemüht ist, eine neue Basis zu finden, vielleicht kann man das in Freundschaft umwandeln, wird sie gedacht haben, wir waren eigentlich schon vorher eher befreundet als verliebt, denke ich manchmal, obwohl sie das natürlich anders sieht. Während sie also angerufen hat gestern Abend und wirklich sehr geweint und mir Vorwürfe gemacht hat, immer wieder, wegen meiner Gefühlskälte, habe ich gleichzeitig bei der Partnervermittlung rumgeklickt, habe tatsächlich, während sie mir am Telefon all diese Dinge an den Kopf geworfen hat, während sie mir sozusagen verbal mit den kleinen Fäusten auf die Brust getrommelt hat (Jonas, was bist du für ein Mensch? Was bist du nur für ein Mensch?), die Angebote angeschaut und an meiner VK gebastelt und schließlich auch den ersten Kontakt aufgenommen. Mit zoe28.

›Ich schicke dir mal ein Bild, einfach so. Wenn es dir gefällt, kannst du dich ja melden. Es grüßt elian.‹

Die Zahl Achtundzwanzig im Log-in, das ist ihr Alter. Die einen machen es so, andere nehmen das Geburtsjahr, wieder andere bauen den Städtenamen mit ein: effi.kln zum Beispiel. zoe28 hätte sich also auch zoe76nennen können, das wäre aufs Gleiche rausgekommen. Es gibt viele Frauen, die die Zahl Neunundsechzig in ihren Namen haben, und weil tatsächlich auch einige Prostituierte in diesen Vermittlungen lauern, habe ich erst gedacht, die Zahl soll auf eine Sexstellung anspielen, auf ein großes gegenseitiges Geschlecke. Das ist nicht so weit hergeholt, man findet auch ichleckdichoo und so, blasebalg oder anna-1, aber in diesem Fall ist meine piktogrammatische Fantasie total mit mir durchgegangen. Das sind alles Frauen, die 69 geboren sind und sich natürlich für Männer wie mich, Jahrgang 65, interessieren. Die haben ihre Filter so eingestellt, dass sie mich sofort finden.

Viele Log-ins sind Zusammensetzungen aus sweet und mausi und einsam, sweetladyo4 zum Beispiel, kuschelmaus, einsame.39, binsoisam, etwas in der Art. Die kommen für mich nicht in Frage. Genauso wenig wie Log-ins, die mich direkt ansprechen oder zu etwas auffordern wollen. klickmichan, du-und-ich, finds.raus69, das ist mir alles irgendwie zu billig, zu schlampig.

Heute hat sich zoe28 eingeloggt, das habe ich gesehen, man sieht immer, wer gerade online ist, und man sieht auch, wer eine Visitenkarte angeklickt hat, und sie hat tatsächlich meine Visitenkarte angeklickt. Aber sie hat mir nicht zurückgeschrieben. Sicher wegen des Alters. Und weil sie selbst kein Bild eingestellt hat, verfolge ich das nicht weiter. zoe28 ist abgehakt, sie war nur ein Test.

Aber ich habe ein paar andere Eisen im Feuer. Sie sind alle unter dreißig, und das heißt, meine Chancen stehen eher schlecht, ich gehöre mit meinen achtunddreißig in die Kategorie geiler Alter, dieser Tatsache muss ich leider ins Auge sehen. Dabei kann ich gar nichts dafür, dass ich mich eher für jüngere Frauen interessiere, gerade nach der Erfahrung mit Melanie. Ich will eine Frau kennen lernen, die noch ein paar Jahre warten kann, bis sie sich ernsthaft Gedanken darüber macht, ob der Mann, mit dem sie zusammen ist, der Erzeuger ihrer Kinder sein soll. Das sind also die Voraussetzungen. Ich kann unter diesen Umständen froh sein, wenn bei jeder Zehnten überhaupt etwas zurückkommt, und deshalb schicke ich gleich das Foto mit, das ist meine Stärke. Ich sehe nämlich wirklich gut aus, das hat mir meine Umwelt immer wieder bestätigt. Und ich wirke tatsächlich jünger. Ich treibe Sport, habe weiße Zähne, volles Haar.

Ich habe lange da gesessen und Melanie zugehört und meine so genannte Galerie angeschaut: eine meinen Kriterien entsprechend gefilterte Liste. Hunderte von Bildern, die meisten von irgendwelchen einsamen Herzen, die alle über ihre linke Schulter in die Kamera zurückblicken. Wenn überhaupt, interessiere ich mich im Moment nur für ephigenie, fünfundzwanzig Jahre alt. Sie hat studiert, hat keine Kinder, ordnet sich als ›gemäßigt links‹ ein und wohnt in meiner Stadt. Ich habe ihr ein Bild geschickt, ein besonders freundliches. Ich lache direkt in die Kamera.

Außerdem habe ich angeschrieben: goldfieldi, fienum, falafela, felize79 und lulu.zero. An adelie, ebenfalls blond und fünfundzwanzig, aber nicht so elegant und verträumt wie ephigenie, habe ich gestern noch schnell eine Nachricht losgeschickt, natürlich mit Foto, und ich habe gesehen, dass sie online war, sie hat aber meine Seite nicht besucht, das heißt, sie hat mich total ignoriert. Einfach wegen des Bildes. Schade, ich fand sie interessant, sie hat sich in einem Eistunnel ablichten lassen, mit Rucksack und Flanellhemd, sehr Tomboy, sehr schön. Meine Hoffnungen, überhaupt mal etwas zu hören, irgendeine Art von Rückmeldung zu bekommen, liegen jetzt also nicht bei adelie, sondern bei lulu.zero, denn die ist vierunddreißig. Leider war sie gestern Single des Tages, man ist beim Eintritt in die Site förmlich in sie hineingestolpert. Tausende von Männern können es nicht übersehen haben, Tausende von unappetitlichen, angestauten Typen, die sie sicherlich mit Hunderten von Nachrichten zugeschüttet haben.

Ich will mir vornehmen, jetzt jeden Tag mindestens zwei Frauen anzuschreiben, denn ich merke schon, die Pipeline wird sehr schnell austrocknen, wenn ich nicht hinten immer wieder nachschieße. Ich habe noch siebenundzwanzig Tage. Wahrscheinlich ist die Anzahl der Frauen, die für mich interessant sein könnten, gar nicht so groß. Die allermeisten sind um die vierzig, haben kurze, rot gefärbte Haare und arbeiten ›im Einzelhandel oder ›im Verwaltungsbereich‹. Ich weiß nicht, wie weit ich meine Kriterien lockern muss, auf jeden Fall mache ich mir langsam Sorgen.

Eingeschlafen bin ich als elian, aufgewacht als Jonas Hellwege, Oberregierungsrat. Ich war spät dran, musste mir ein Taxi nehmen.

Suche Liebe. Biete mich.

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