Читать книгу Suche Liebe. Biete mich. - Sascha Weber - Страница 8
Vierter Tag.
ОглавлениеIch musste noch einmal an Vera Höffner denken, die Grundschullehrerin. Ich fragte mich, was sie wollte, wie sie auf die Idee gekommen war, mich zu besuchen, ohne Vorwarnung, ohne jede Ankündigung, nach einem Jahr. Nur weil ich ihr irgendwann einmal, leichtfertigerweise, meine Karte gegeben und gesagt hatte, sie solle sich melden. Melden! Ich kam nicht weiter damit. Nahm mir vor, meine Schwester zu befragen. Die wird sich eh über die SMS gewundert haben, dachte ich.
adelie hat zum zweiten Mal meine VK angeklickt, und ich habe sie quasi erwischt dabei und dann nicht lange gezögert. Ich habe eine Live-Message rübergeschickt, die konnte sie gar nicht ignorieren, ich habe geschrieben:
›Ich weiß. Ich bin steinalt. Aber ich beiße nicht. Du hast nichts zu verlieren.‹
Ich habe beim Partnerwunschprofil angegeben, dass ich mich für Frauen zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig interessiere, weil diese Information auch öffentlich einsehbar ist natürlich, es sieht dann nicht so schmierig und pervers aus, wenn sich ein Achtunddreißigjähriger für Frauen bis fünfunddreißig interessiert. Ich werde Anfragen von Frauen über, sagen wir, einunddreißig allerdings erst einmal ignorieren, also die ganzen Neunundsechziger, die wollen alle gleich Kinder kriegen, außer lulu.zero vielleicht, die hat mir ganz gut gefallen. Ihr Foto sieht nach Levis-Werbung aus, sie räkelt sich auf einem Sofa. Es steht nicht viel auf der VK, nur dass ihr neuer Freund ein guter Schwimmer sein sollte. Weiß nicht, was das bedeutet. Ich werde eh nichts von ihr hören, sie war ja Single des Tages.
adelie hat geantwortet, hat tatsächlich geantwortet! Es war nach drei langen, schon etwas frustrierenden Tagen meine allererste Rückmeldung. Ich war vollkommen aus dem Häuschen, dachte, das müsste man irgendwie feiern, aber mir blieb gar keine Zeit, zum Kühlschrank zu laufen und den Sekt aufzumachen. Sie schrieb, dass sie noch dabei gewesen sei, ihre Post zu lesen, deshalb die verspätete Antwort, und dass sie tatsächlich mehr jemanden in ihrem Alter suche. Dann noch etwas Nettes über mein Foto. Ich konnte es noch gar nicht recht fassen, dachte, jetzt keinen Fehler machen, bloß keinen Fehler, das ist wie beim Angeln, man legt einen Köder aus und wartet, und irgendwann beißt ein Fisch an, und dann beginnt erst der eigentliche Sport. Und ich überlegte, wie ich das angehen, was ich antworten könnte, wie schnell, nicht zu schnell, es sollte nicht verzweifelt wirken, andererseits sollte sie sich auch nicht ausloggen. Da öffnete sich, noch bevor ich mir eine Strategie hatte zurechtlegen können, ein Fenster auf meinem Bildschirm, eine kleine Tür nach draußen, ein Tor in eine andere Welt. adelie, stand da in großen, pfirsichfarbenen Buchstaben, will mit dir chatten. Ich klickte auf akzeptieren.
Liebe adelie, das hast du wirklich sehr gut gemacht. Du hast mich mit Respekt behandelt und warst nett zu mir, ein bisschen wie meine allererste Freundin damals, sehr verständnisvoll.
Wir haben zwei Stunden ununterbrochen miteinander gechattet, ich hatte Probleme mit der Tastatur, ich hatte kein Fragezeichen, was bei einem Chat ein echtes Problem ist, ich habe ein scharfes ß eingesetzt statt des Fragezeichens, das ging dann. adelie wollte gar nicht so viel von mir wissen, zumindest am Anfang nicht, sie hat eher abgewartet, was ich fragen würde, welche Themen mich interessierten. Sie meinte, dass sie aus der Stadt raus müsse. Sie sei hier geboren und aufgewachsen, und jetzt studiere sie auch noch hier. Sie wolle auf dem Land wohnen und ein Pferd haben.
Eine Diplomarbeit schreibt sie in Soziologie, es geht um Angriffe auf die Zivilbevölkerung an den Kriegsschauplätzen unserer Zeit, was ich höchst interessant fand und worüber ich gern mehr erfahren hätte. Aber sie wollte nicht so recht. War genervt von ihrem Thema, wie das so ist, wenn man lange an einer Arbeit schreibt. Kollateralschäden und Massaker, das sind vielleicht auch nicht die besten Themen für einen ersten Online-Flirt. Immerhin habe ich es noch geschafft, ihr ein paar Bücher zu empfehlen. Sie hat sich bedankt und geschrieben, dass sie sich die Namen notiert habe, und ich habe geantwortet: sehr gut, sehr brav.
Ich habe sie regelrecht ausgefragt, wie die Online-Partnersuche von der anderen Seite aussieht, habe gefragt, wie viele Nachrichten sie bekommt an einem Tag (zwischen einer und fünf) und worauf sie schaut. Sie fand meinen Text nett. Sie hat erzählt, dass sie schon seit vier Monaten Mitglied ist, die Sache aber erst seit fünf Wochen mit Ernsthaftigkeit betreibt. Frauen müssen ja nicht bezahlen, das ist ein wichtiger Gesichtspunkt, es bedeutet, dass sich viele anmelden, dann aber nur selten reinschauen. Immerhin, nach drei Monaten Untätigkeit wird die VK mit ihren Daten gelöscht. So richtige VK-Leichen gibt es also nicht. Allerdings, denke ich, müsste man eine Regel einführen, wie es sie bei den diversen Kampfsportarten gibt, die ich mir auf Eurosport anschaue. Karate zum Beispiel. Da gibt es Punktabzug bei fehlender Angriffslust.
Und bist du nicht in einer ganz anderen Lebensphase als ich?, will sie wissen. Familiengründung, Hausbau und so weiter? Ich ignoriere die Frage nach der Familiengründung, sage, dass mich Hausbau nicht interessiert, dass ich eine sehr schöne Wohnung habe im Zentrum der Stadt, und dann schiebe ich noch nach, dass wohl jeder Mensch ein bisschen anders getaktet ist, es läuft halt nicht bei allen gleich. Mit der Antwort war sie zufrieden, das hat man gemerkt, dass ihr das noch eine Weile im Kopf herumgegangen ist.
Ich habe mich bemüht, ihr jegliches Misstrauen zu nehmen. Nicht gefragt, wo sie wohnt. Sie hat von sich aus gesagt, dass sie in einer Vorortsiedlung wohnt, weil sie ja die Stadt nicht mag, und ich habe zu bedenken gegeben, dass sie die Stadt vielleicht nicht mag, weil sie nicht richtig drin ist. Aber da sind wir nicht weiter gekommen.
Nach zwei Stunden ging uns ein bisschen die Luft aus, das heißt, wir hätten vielleicht noch eine Weile weiterschreiben können, aber ich spürte, dass sie Schluss machen wollte, und dann haben wir das mit großer gegenseitiger Rücksichtnahme und viel Feingefühl eingefädelt.
Ich gehe noch in die Badewanne, habe ich geschrieben.
Ich war schon in der Badewanne, hat sie geantwortet.
Ich wollte eigentlich früh ins Bett heute, habe gar nicht mit so was gerechnet, hat sie gemeint.
Ich schon, habe ich geantwortet, oder gehofft, hatte gehofft auf diesen Chat, war neugierig.
Auf jeden Fall war es sehr schön, und wir sollten uns auf dem Laufenden halten.
Ja, unbedingt, wir speichern uns gegenseitig unter Favoriten, was hältst du davon?
Das wollte ich auch gerade vorschlagen.
Schlaf gut.
Und du erst . . . Und dann hat sie noch nachgeschoben, fast beiläufig, dass sie noch nie so intensiv mit jemandem gechattet hat in diesen fünf Wochen, seit sie dabei ist. Das fand ich natürlich sehr schön. War ein echtes Kompliment, genau, was ich hören wollte. Ich habe mich mit ›Gute Nacht, Pinguin‹ verabschiedet, weil sie mir erzählt hat, dass adelie eine Pinguinart ist.
Aber das ist schon eine harte Nummer, dass man erst einmal beweisen muss, dass man nicht total pervers ist. So etwas gibt es im richtigen Leben überhaupt nicht, da hat man nur mit Leuten zu tun, die zumindest schon mal davon ausgehen können, dass man nicht vorbestraft ist wegen irgendeines Sexdelikts, und dass man nicht stinkt oder ein richtig fieses körperliches Gebrechen hat. Online musst du dieses Grundvertrauen erst herstellen. Erst mal bist du als Mann ein potenzieller Lügner, ein fieser, stinkender kleiner Perverser.