Читать книгу Suche Liebe. Biete mich. - Sascha Weber - Страница 9
Fünfter Tag.
ОглавлениеDer österreichische Schriftsteller Heimito von Doderer hat – ich glaube, das war in den Zwanzigerjahren – eine Annonce aufgegeben: Suche dicke jüdische Damen. Das war wohl ein Fetisch, und er hat sich mit diesen Damen getroffen, viele, Hunderte haben sich gemeldet, und er hat seine Aufzeichnungen gemacht dazu, unter dem Manuskriptkürzel ›dd‹. Aus den Aufzeichnungen ist dann irgendwann ein Buch geworden, so ein Monumentalroman, wie sie in Österreich einige Zeit in Mode waren. Aber Dicke Damen oder gar Dicke jüdische Damen, das war natürlich kein Titel, mit dem sich ein Verleger hätte anfreunden können. Das Buch hieß dann Die Dämonen. Hauptsache, das Kürzel passte noch.
heimito wäre ein ausgezeichneter Name gewesen. Schade, dass ich nicht früher darauf gekommen bin.
Gestern Abend ist eine Menge passiert, ich bin gerade recht zuversichtlich. Das heißt, ich bin eigentlich sogar beinahe schon euphorisch, wenn ich daran denke, wie das gelaufen ist. Das Glück hat immer einen Namen, in diesem Fall sogar mehrere, mein kleines Glück heißt lara.b, heißt fienum, heißt immer noch adelie, und kurz vor Schluss, bevor ich endlich meinen Computer ausgeschaltet habe, hat sich noch ein weiteres Glück an mich herangeschlichen: zauberlehrling.
zauberlehrling hat mich gleich zum Marathonlaufen eingeladen, beziehungsweise zum Trainieren, was mir eigentlich sehr gut passt. Ich wollte das immer schon einmal machen, und unbedingt vor meinem Vierzigsten. Ich fand es gut, wie sie das geschrieben hat. lara.b dagegen war nicht so locker. Sie wollte, nachdem ich sie gebeten hatte, mir ein Foto zu schicken, erst einmal wissen, wie mein Tag so abläuft, wie ich mir mein Leben vorstelle, ob ich eine bestimmte Lebensplanung habe und so weiter. Das sind eine Menge Fragen gegen ein ziemlich nichtssagendes Bild. Sie hat nämlich nur ihr Auge eingestellt, man sieht nur ein nach oben, zum Himmel gerichtetes Auge, erinnert ein bisschen an ein Foto von Man Ray. Und ein paar blonde Strähnen, die von der Stirn herabfallen, sind noch zu erkennen. Das Auge ist geschminkt, aber nicht stark, auf jeden Fall hat sie etwas mit den Wimpern gemacht, die kleben ein wenig zusammen. Alles ganz harmlos, eigentlich hat mir das Auge gefallen. Also habe ich mit meinem Bild zurückgeschrieben und gefragt, ob sie sich nicht revanchieren will. Dann kamen all diese Fragen wie bei einem Vorstellungsgespräch. Ich habe mich bemüht, wirklich, habe aber den Fehler begangen zu sagen, dass ich beruflich viel unterwegs bin, oft auch im Ausland, worauf sie antwortete: Das kann eine Beziehung aber sehr belasten. Dann ist sie trotz ihrer spürbaren Skepsis ein wenig aus sich herausgegangen.
lara.b ist eine Bankerin und sie glaubt, da gegen Vorurteile ankämpfen zu müssen. Ich habe aber gleich erzählt, dass ich viel mit Bankern und natürlich auch Bankerinnen zu tun habe, und dann habe ich meinen zweiten Fehler begangen und spekuliert, dass sie mir ja vielleicht schon einmal Geld ausgezahlt habe. Aber nein, hat sie geschrieben, sie zahlt kein Geld aus, höchstens mal ein – das Geld, das ihr die Kunden zum Anlegen geben. lara.b ist Anlageberaterin, arbeitet nicht an der Kasse. Ich hätte gleich fragen können, ob sie abends auch den Schalterraum putzen muss.
Danach kühlte sich der Austausch etwas ab. Wir haben nicht live gechattet, sondern einfach über die neu.de-Site Nachrichten hin und her geschickt, was nicht anders ist als normaler E-Mail-Verkehr. Es ist weniger anstrengend als ein Chat, kann sich aber auch etwas dahinschleppen. Ich bin da noch zu ungeduldig. Immerhin hat sie mir dann doch noch das Foto geschickt, einen größeren Ausschnitt, man sieht beide Augen und die Haare, die sehr gepflegt wirken, blondiert und gepflegt und schick modisch geschnitten, und man sieht noch den Nasenrücken. Da hört es dann auf. Die untere Hälfte, Mund und Kinn, hat sie noch zurückgehalten. Ich muss wohl noch die eine oder andere Frage beantworten.
Ich habe noch an Melanie gedacht gestern Abend, habe überlegt, ob ich ihr eine Nachricht schicken sollte. Telefonieren war nicht möglich in dieser Situation, ich war ja mittendrin im Gewühl und also sehr abgelenkt, und im Fernsehen lief Viel Lärm um nichts. Trotzdem kam dann der Gedanke an Melanie, warum es nötig gewesen war, sie so zu verletzen. Und ich habe mich gefragt, ob ich wirklich so gefühlskalt bin, wie sie behauptet. Ich habe Melanie geliebt, aber dann wurde diese Liebe erdrückt und verschüttet unter einem Haufen von Erwartungen.
Es war ein bisschen zäh mit lara.b, aber immerhin hatte ich jetzt mal Kontakt, ihre war die erste Nachricht, die ich erhalten hatte seit adelie. adelie war auch wieder online, und ich hatte ihr geschrieben, mich ganz kurz noch einmal für den Chat bedankt, aber sie hat nicht zurückgeschrieben. Sicherlich auch so ein Versuch, nicht zu verzweifelt zu wirken, cool zu bleiben. Man muss sich Zeit lassen in diesem Forum, es können leicht mal ein paar Tage vergehen, bis man wieder etwas hört. Die Frauen verspüren nicht die gleiche Dringlichkeit, weil sie ja nicht bezahlen müssen. Sicher sind auch viele bei mehreren Diensten angemeldet, und einige, wie zum Beispiel fienum aus Emden, machen das nebenbei, lassen die Site einfach im Hintergrund mitlaufen, während sie an ihrer Seminararbeit schreiben. Das ist aber weit, habe ich geschrieben, Emden. Was bedeutet denn weit für dich?, wollte sie wissen, und ich habe gesagt, na ja, von meinem Balkon aus kann man das Meer nicht sehen, so viel ist schon mal klar. Dann hat sie geschrieben, dass sie an der Seminararbeit sitzt. Die Nachfrage, worum es in der Arbeit geht, ist dann schon ins Leere gelaufen. Immerhin, fienum find ich süß, die sind eh alle ganz nach meinem Geschmack, soweit ich das beurteilen kann, ich habe sie ja auch ausgesucht. Ich schaue, wer im Netz ist und wer meine VK besucht hat, und dann schreibe ich, wenn ich mag, was ich da sehe und lese, ich lauere und warte und feuere dann meine Mail ab mit dem Foto. Und manchmal kommt eine Rückmeldung. fienum hat wirklich unglaublich schöne Haare, die zeigt sie natürlich auf dem Foto . . . am Strand, im Sturm, im Hintergrund die Brandung, und die Haare, ein halb aufgelöster, dicker Zopf, dunkelblond und lang, wirbeln durch die Herbstluft. Ein schönes Bild. Sie ist eins achtundsechzig und wiegt dreiundfünfzig Kilo.
Ich bin nicht weitergekommen mit fienum, wohl wegen der Seminararbeit. Ich bin nicht weiter gekommen mit lara.b, der Bankerin, weil ich mir tatsächlich diese kleinen Anfängerfehler geleistet habe, ich hätte nicht von meinen Reisen erzählen sollen, es gab gar keinen Grund, das gleich zur Sprache zu bringen. adelie hat sich nicht gemeldet, wer weiß, warum. Und trotzdem bin ich nicht unzufrieden, ich habe immerhin auf mich aufmerksam gemacht, habe jeweils mein Foto mitgeschickt und das hat genügt, um ein wenig Interesse zu wecken. Ich gehe davon aus, dass diese Frauen, die attraktivsten auf dieser Site – meine Standards sind, das merke ich, vergleichsweise hoch -, eine Menge Post bekommen, und wenn ich es schaffe, irgendeine Reaktion hervorzurufen, dann ist das schon einiges. Dann kann ich schon zufrieden sein. Letztendlich muss es ja nur bei einer klappen, nur eine, die sich festbeißen muss, die neugierig und immer neugieriger wird und nicht so hoch ansetzt wie lara.b. Es geht nicht um Lebensplanung erst einmal, es geht darum, miteinander warm zu werden, das Interesse füreinander zu wecken, vielleicht auch das Verlangen, sich mal zu treffen. Langsam, Schritt für Schritt, so habe ich es ja auch auf meiner VK geschrieben.
Ich habe den Text noch ein wenig geändert, die Sache mit der Studiobühne war zu restriktiv. Wenn ich schreibe, dass ich mich am liebsten im Umkreis von zwei Kilometern von diesem Theater aufhalte, dann schließe ich eine ganze Menge Frauen aus, neunundneunzigkommaneun Prozent ungefähr, dabei bin ich eigentlich sehr mobil. Ich habe nur keine Lust, ins Umland zu fahren oder in eine andere Stadt oder nach Emden ans Meer, aber die Stadt selbst ist durchaus überschaubar, ich komme überall hin in dreißig Minuten, mit Fahrrad, Bahn oder Taxi. Und es ist eine große Stadt, mit vielen Frauen. Mit vielen Frauen, die im Hintergrund, während sie an ihren Seminararbeiten schreiben, eine Partnersuche laufen haben.
Ich arbeite im politischen Bereich, bin Referatsleiter und schreibe Reden, für mich und gelegentlich auch für andere, und ich häufe Ämter an, kleine Ämter und Parteiaufgaben auf Landesebene. Ich arbeite mich hoch, gehe den Gang durch die Institutionen. Karriereziel ist natürlich der Bund, und das heißt Berlin. Am liebsten habe ich es mit Kulturschaffenden zu tun, das ist ein dankbares Feld, Kulturpolitik, weil man zu den schönsten und ausgelassensten Partys eingeladen wird. Nur leider gibt es so wenig Geld in diesem Bereich. Durch meine Arbeit habe ich auch Melanie kennen gelernt, die Kostüme schneidert und neben der Lehre sogar mal Dramaturgie studiert hat. Leider ist ihr über die Kinderfrage ein bisschen der berufliche Ehrgeiz abhanden gekommen, für den ich sie einmal bewundert habe. Sie arbeitet aber immer noch.
Ich war also begeistert, als mir gestern Abend zauberlehrling schrieb, dass sie erstens mit mir Marathon laufen wolle, und dann, dass sie beim Theater arbeite. Sie hat nicht gesagt, bei welchem oder was sie da macht, nur, dass heute lange geprobt wird, bis in den späten Abend, und dass sie deshalb wohl nicht einloggen wird. Ich habe zurückgeschrieben: Marathon und Theater, du machst mich neugierig. Worauf postwendend zurückkam: Na das will ich hoffen. Schön. Dann habe ich für diesen Abend selbst den Browser geschlossen, ich wollte Viel Lärm um nichts zu Ende sehen, und ich war sehr froh, dass ich das gemacht habe, es bedeutet wohl, dass ich etwas entspannter werde, ich muss nicht den ganzen Tag und die halbe Nacht wie gebannt auf den Bildschirm starren, die Frauen machen das ja auch nicht. Multitasking nennt man das wohl, die Partnersuche ist ein Task von vielen.
zauberlehrling tut ein bisschen geheimnisvoll, aber irgendwas macht sie auch richtig. Irgendwie hat sie es geschafft, in den zwei, drei Sätzen, die ich bisher von ihr bekommen habe, den richtigen Ton anzuschlagen. adelie wird sich, davon bin ich überzeugt, noch einmal melden. Sie ist am Zug. Ich sollte, werde mir keine Sorgen machen. Ich mache mir eh keine Sorgen, weil sie eigentlich, wenn ich ehrlich bin, nicht in Frage kommt. Vorstadt und Pferde. Sie liest gerade Roald Dahl. Aber ich mag sie, ich mag das bisschen, was ich von ihr in Erfahrung bringen konnte, und das Lächeln auf ihrem Bild im Eistunnel.
Übermorgen habe ich Geburtstag, es kommen schon die ersten Karten und Briefe, und übermorgen veranstalte ich in meiner Wohnung eine mittelgroße Party, einen Cocktailempfang für etwa dreißig Leute, und da werden auch zwei Frauen auftauchen, die mich interessant finden und mit denen ich ein bisschen gespielt habe in den letzten Wochen. Seit das mit Melanie vorbei ist. Sie haben beide kleine, aber letztlich unüberwindbare Schönheitsfehler, trotzdem mag ich sie sehr und will sie auf keinen Fall enttäuschen. Sie sollen nicht erfahren, dass sie jetzt mit vielen tausend Frauen konkurrieren, mit zauberlehrling und mit der Studentin fienum aus Emden, mit einer blonden Schönen namens ephigenie. Niemand soll es erfahren.
lara.b, die Bankerin, werde ich löschen. Noch heute Abend.