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Kapitel 4 Zoey

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Ich schloss meinen Spind im Personalraum des Spotlight und lehnte mich dagegen. Es war eine verdammt anstrengende Nacht gewesen und ich war erschöpft. Nicht nur hatte ich wegen des Ansturms auf meine Pause verzichten müssen, ich hatte mich auch endlich dazu durchringen können, Charlotte von diesem verhängnisvollen Abend mit Zack Conner zu erzählen. Ich hatte mit dem Schlimmsten gerechnet: gefeuert zu werden. Glücklicherweise hatte ich meinen Job behalten können, auch wenn ich für die nächsten Wochen auf Bewährung gesetzt wurde.

„Siehst du“, hatte Damian gesagt, „Charlotte würde dich niemals feuern. Du kannst dir wahrscheinlich mehr erlauben als alle anderen hier. Sie liebt dich einfach.“

Ich hatte ihm als Antwort total erwachsen die Zunge herausgestreckt, aber vermutlich hatte er recht. Charlotte hatte mich, nachdem ich nach Boston gezogen war, zunächst als Putzhilfe eingestellt, da ich noch nicht einmal einundzwanzig gewesen war und als Barkeeperin keinerlei Erfahrung gehabt hatte. Doch ich lernte schnell und nachdem ich die Barkeeperschule mit Bestnoten abgeschlossen hatte, hatte ich meine erste Schicht hinter dem Tresen antreten dürfen. Offensichtlich hatte ich mich dabei so gut angestellt, dass ich fortan immer hinter der Bar stand. Harter Arbeit und dem vielen Lob der Gäste verdankte ich es, dass ich zusammen mit Damian die VIP-Lounge direkt nach ihrer Eröffnung übernommen hatte. Charlotte schien das nicht vergessen zu haben, sonst wäre ich jetzt schon längst im Bett. Dem Klischee entsprechend mit einer riesigen Schachtel Eiscreme, um mich darüber hinwegzutrösten, dass ich arbeitslos war.

Ich rückte den Riemen meiner Handtasche auf meiner Schulter zurecht und schüttelte die Gedanken an dieses Szenario ab. Nachdem ich mich von allen verabschiedet hatte, verließ ich den Club. Mein Gähnen konnte ich dabei kaum unter Kontrolle halten. Fröstelnd schloss ich das Auto auf und ließ mich dankbar zum ersten Mal seit Stunden in eine sitzende Position fallen. Für einen Montagabend war verdammt viel los gewesen. Mein ganzer Körper tat weh und meine Augen brannten von der Nebelmaschine, die die Bachelorette-Party einer Senatorentochter heute angefordert hatte. Ich atmete tief durch und ließ das Fenster ein Stück herunter, damit die frische Luft mich wieder etwas munterer für die Heimfahrt machte.

In meinem Gebäude schleppte ich mich die Treppe in den fünften Stock hinauf – der Aufzug hatte mal wieder den Geist aufgegeben – und sperrte die Wohnungstür auf. Ich ließ meine Handtasche achtlos fallen, streifte mir auf dem Weg ins Schlafzimmer die Klamotten ab und warf mich ins Bett, glücklich darüber, nun endlich mit den Ereignissen der letzten Nacht abschließen zu können. Innerhalb weniger Augenblicke war ich eingeschlafen.

Und wurde gefühlte zwei Minuten später durch nicht enden wollende Klopfgeräusche wieder wach. Stöhnend und den Tränen nahe, weil ich so dringend meinen Schlaf nachholen wollte, drehte ich mich auf die Seite und schielte auf meinen Wecker. Acht Uhr morgens.

„Das kann doch wohl nicht euer Ernst sein“, grummelte ich. Da ich am Morgen zuvor schon gelernt hatte, dass ein Kissen über meinem Kopf nichts nützen würde, blieb ich liegen und hoffte inständig darauf, dass die Geräusche aufhören würden. Fehlanzeige.

Tock, tock, tock.

„Oh Herr, bitte gib mir die Kraft, nicht zur Axtmörderin zu werden.“

Tock, tock, tock.

„Wenn ich’s mir recht überlege, ist es mir den Knast sogar fast wert.“

Tock, tock, tock.

„Verdammt, ich weiß nicht mal, ob ich überhaupt eine Axt besitze.“ Memo an mich: Dad bei Gelegenheit nach Werkzeug fragen.

Tock, tock, tock.

„Scheiß drauf, ein Messer tut’s zur Not auch.“

Tock, tock, tock.

Da ich nicht davon ausgehen konnte, dass dieses penetrante Klopfen in nächster Zeit aufhören würde und mir die Idee mit der Axt auf einmal doch nicht mehr so brillant vorkam, beschloss ich, mein Leiden zu akzeptieren und mir erst einmal eine ausgiebige Dusche zu gönnen. Ich tapste von meinem Schlafzimmer durch das Wohnzimmer ins Bad und drehte das Wasser in der Dusche auf. Nachdem ich mich wieder weniger wie ein Zombie fühlte und auch die dazu passende verlaufene Schminke abgewaschen hatte, stellte ich fest, dass das Klopfen mittlerweile aufgehört hatte. Und durch ein nervtötendes Kratzen ersetzt worden war. Ich drehte das Badradio auf volle Lautstärke, föhnte mir die Haare und schlüpfte in bequeme Hotpants und ein Top. Gerade war ich auf dem Weg in die Küche für ein viel zu frühes Frühstück, da setzte das Klopfen wieder ein. Ich brauchte einen Moment, bis ich realisierte, dass es diesmal von meiner Tür kam. Thea hatte ihren eigenen Schlüssel und jeder Besucher wäre mir durch Simon angekündigt worden. Hatte ich schon erwähnt, dass Großtante Betty stinkreich gewesen war und das Gebäude meiner schnuckeligen hundertfünfzig-Quadratmeter-Wohnung in Back Bay einen Concierge hatte? Da besagter Concierge sich jedoch nicht gemeldet hatte, schloss ich daraus, dass es nur der neue Nachbar sein konnte, der die Vorstellungsrunde durchs Haus drehte. Schweren Herzens ließ ich meine Müslischüssel stehen.

„Hast du ein Glück, dass ich tatsächlich keine Axt habe“, murmelte ich, während ich zur Tür ging und sie öffnete.

„Hi, ich wollte mich nur kurz vorstellen. Ich bin der neue Nachbar und ziehe in …“ Die Worte der tiefen, männlichen Stimme verloren sich, als ich die Tür vollständig geöffnet hatte. Die Worte einer Stimme, die mir seltsam bekannt vorkam. Ich hob den Blick und schaute zunächst auf einen breiten Oberkörper, über den sich ein grünes T-Shirt spannte. Die langen, muskulösen Beine meines neuen Nachbarn steckten in abgetragenen Jeans und endeten in schwarzen Lederstiefeln. Mich beschlich das dumpfe Gefühl, dass ich diese Schuhe schon einmal gesehen hatte. Mein Blick zuckte höher zu den breiten Schultern und wagte es kaum, die restlichen Zentimeter bis in das Gesicht meines neuen Nachbarn zurückzulegen. Doch schließlich führte nichts mehr daran vorbei und ich blickte in tiefes Hellgrün. Oh. Mein. Gott. Sofort kniff ich die Augen wieder zusammen.

„Bitte, lass das einen Albtraum sein“, murmelte ich.

„Selbst, wenn Sie es sich noch so sehr wünschen: Ich verschwinde nicht einfach, wenn Sie die Augen wieder öffnen“, antwortete Zack Conner, mein neuer Nachbar.

„Einen Versuch war es immerhin wert.“ Ich öffnete erst das eine, dann das andere Auge, weil ich immer noch auf eine optische Täuschung hoffte. War ich im falschen Film? Zack Conner konnte unmöglich hier einziehen. Er war berühmt, was wollte er in einer Wohnung mitten in der Stadt? Sicher war das nur ein Scherz. Er hatte irgendwie herausgefunden, wo ich wohnte und wollte mir wegen unserer letzten Begegnung eins auswischen.

„Charmant.“ Er hob eine Augenbraue und musterte mich von Kopf bis Fuß. Sofort war ich mir meines Erscheinungsbildes unangenehm bewusst. Ungeschminkt, in alten Klamotten, unausgeschlafen. Zack dagegen sah genauso sehr nach Sexgott aus wie vor zwei Tagen, worauf mich das Ziehen zwischen meinen Beinen überdeutlich hinwies. Aber ich durfte mich nicht von ihm einspinnen lassen, nicht wie beim letzten Mal. Abstand war besser.

„Na, Sie müssen es ja wissen“, gab ich trocken zurück.

„Normalerweise bin ich sehr charmant und rücksichtsvoll.“

Ich schnaubte. „Ja klar, deswegen scheuchen Sie Ihre Nachbarn auch um acht Uhr aus dem Bett.“

„Andere Leute sind da schon längst wach.“

„Andere Leute kommen auch nicht erst nachts um halb vier von der Arbeit.“

Er öffnete den Mund, um etwas zweifellos Provozierendes zu erwidern, da mischte sich eine weitere männliche Stimme in unser Gespräch ein.

„Mister Conner, würden Sie sich das schnell ansehen?“ Einer der Handwerker stand in der Tür zur Nachbarwohnung und verlangte nach Zack. Damit hatte ich Gewissheit. Es war kein Scherz. Zack war tatsächlich mein neuer Nachbar.

„Na dann.“ Er stieß sich vom Türrahmen ab und wandte sich zum Gehen. „Auf gute Nachbarschaft.“

Nachdem ich schon mit der Situation abgeschlossen und Zack so gut es ging aus meinen Gedanken verbannt hatte? Jetzt, wo ich ständig an diesen Fauxpas vorletzte Nacht erinnert wurde, an die Energie zwischen uns, an seine Abweisung?

„Wenn die Hölle zufriert.“

Als ich die Tür schwungvoll zuwarf, konnte ich noch sein leises Lachen hören. Ich ging in die Küche und ließ mich dort am Tresen auf einen Hocker plumpsen. Das durfte doch nicht wahr sein. Ich rieb mir die Augen, kniff mich selbst in den Unterarm und wartete darauf, dass ich aus diesem irren Traum aufwachte. Als ich jedoch langsam schon zu schielen begann und mein Arm sich anfühlte, als hätte man mich bei lebendigem Leib gehäutet, gab ich auf. Es war kein Traum. Zack Conner zog tatsächlich in die Wohnung nebenan. Ich musste dringend mit jemandem reden, bevor ich dem Drang, in hysterisches Lachen zu verfallen, nachkam. Instinktiv griff ich nach meinem Handy und wählte Theas Nummer. Sie meldete sich bereits nach dem zweiten Klingeln.

„Was gibt’s, Süße? Ich hab nicht lange Zeit, mein Unterricht fängt bald an“, sagte sie anstelle einer Begrüßung. Thea nahm Schauspielunterricht am American Repertory Theater und träumte vom großen Durchbruch. Es mochte naiv klingen und vielleicht war es das auch, doch ich und Jonah waren von ihrem Talent überzeugt und unterstützten sie nach Leibeskräften.

„Zack Conner zieht in die Wohnung gegenüber ein.“

Thea lachte auf. „Netter Versuch, aber damit kannst du mich nicht ködern.“ Ich blieb stumm und hörte Thea nach einigen Momenten des Schweigens nach Luft schnappen. „Du machst keine Witze, oder?“

„Ich wünschte, es wäre so.“

„Zoey Blanton, ich bin so verdammt neidisch. So viel Glück wie du hat niemand auf der ganzen Welt. Ist mein altes Zimmer noch frei? Ich ziehe wieder ein.“

„Glück? Ich habe ihm vor gut zweiunddreißig Stunden einen Drink über den Schädel gegossen und jetzt zieht er nebenan ein“, protestierte ich.

„Ich würde sofort mit dir tauschen. Jeder würde das.“

„Ich bin aber nicht jeder. Die Nachbarschaft mit ihm ist das Schlimmste, was passieren konnte.“ Ich spürte Panik in mir aufwallen und holte tief Luft. Meine starke Anziehung zu Zack war im Club schon schlimm genug gewesen, nur durch sie war die Situation so eskaliert. Was würde passieren, wenn ich Zack nun ständig begegnete? Was, wenn ich wieder diese ungesunde Fixierung entwickelte wie bei meinem letzten Freund? Was, wenn ich mich wieder völlig aufgab? „Ich sollte wieder zu meinen Eltern ziehen.“

Thea lachte auf. „Das würdest du keine Woche aushalten.“

Damit hatte sie vermutlich recht. Ich liebte meine Eltern, aber sie trieben mich regelmäßig in den Wahnsinn und würde ich wieder bei ihnen einziehen, würde ich wohl wirklich irgendwann von Dads Axt Gebrauch machen.

„Was soll ich denn jetzt tun?“ Oh Gott, jetzt klang ich auch noch verzweifelt.

„Du musst diese angespannte Situation lösen. Du könntest zu ihm rübergehen. Nackt, selbstverständlich.“

„Sehr witzig, Thea.“ Ich hatte ihr nichts über die Energie zwischen Zack und mir erzählt, weil ich ihr keine Sorgen bereiten wollte. Ansonsten hätte sie diesen Vorschlag nie gemacht. Sie hatte meine Beziehung mit Michael miterlebt und wusste, dass ich mir eine Wiederholung nicht leisten konnte.

„Danach sieht er dich bestimmt in einem ganz anderen Licht“, beharrte sie und ich konnte das neckische Grinsen in ihrem Gesicht förmlich hören.

„Glaub mir, aus dieser Sicht möchte ich von Zack Conner nicht beleuchtet werden.“ Er musste mich ohnehin schon für total bescheuert halten. Exhibitionistische Ausuferungen wären wahrscheinlich nicht gerade förderlich, mal davon abgesehen, dass sie für mich und mein Fixierungsproblem zum Super-GAU werden könnten.

„Einen Versuch wäre es immerhin wert. Süße, ich muss los, sonst komme ich zu spät. Ich kann nach dem Unterricht aber vorbeischauen.“

„Meinetwegen oder wegen Zack?“

Sie kicherte. „Du kennst die Antwort darauf. Bis dann.“

Ich legte auf. Hatte ich so mieses Karma angesammelt? War das meine Bestrafung? Rastlos tigerte ich in meiner Wohnung auf und ab. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Gerade, als ich geglaubt hatte, mit dem Thema ein für alle Mal abgeschlossen zu haben. Nachbarn. Was wollte er überhaupt hier? Er war ein überbezahlter Sportler, der sich eine Luxusvilla außerhalb der Stadt hätte leisten können. Schließlich blieb ich stehen und starrte einige Sekunden lang auf mein Handy, das ich noch immer fest umklammert hielt. Sollte ich ihn stalken oder nicht?

Thea mochte mir zwar von seinen sportlichen Leistungen vorgeschwärmt haben, doch jetzt wollte ich genau wissen, mit wem ich es zu tun hatte. Schnell öffnete ich den Internetbrowser und tippte Zacks Namen in die Suchleiste ein.

Eine halbe Stunde später hatte ich herausgefunden, dass die Presse Zack Conner nahezu vergötterte. Sie sahen den umwerfenden Leistungssportler, der die Mannschaft binnen einer Saison komplett umgekrempelt hatte. Seine fast dreißig Millionen Fans auf Facebook und Twitter schienen derselben Meinung zu sein. Bilder auf Google zeigten ihn bei Spielen in seinem schwarz-blauen Trikot oder bei offiziellen Veranstaltungen im Anzug. Gott im Himmel, was dieser Mann mit einem Dreiteiler anstellte.

Leider musste ich feststellen, dass er sein Privatleben wohl auch genauso hielt. Privat. Bis auf einige Urlaubsfotos konnte ich nichts Interessantes finden. Was mich am meisten schockierte, waren die weiblichen Begleitungen. Vielmehr: ihr Fehlen. Nach Zacks Gesellschaft im Spotlight hatte ich gedacht, er hätte zu jeder Veranstaltung eine andere am Arm. Ich hatte mich getäuscht und das gefiel mir gar nicht. Ich wollte an Zack Conner nichts Positives finden. Von seinen Muskeln einmal abgesehen. Wenn ich ihm nun schon zwangsläufig öfter begegnen würde, wollte ich wenigstens nicht an Augenkrebs sterben.

Ich scrollte wieder nach oben.

Ähnliche Suchanfragen: Zack Conner oben ohne.

Wirklich, Google? Ich zog eine Augenbraue in die Höhe, während mein Daumen über dem Link schwebte. Wollte ich mich tatsächlich damit quälen? Unter seinem durchweichten Hemd im Club hatten sich deutlich die Muskeln abgezeichnet, also konnte ich schon ahnen, was unter seinem Trikot oder gottverdammten Dreiteiler vor sich ging. Mit einem resoluten Seufzen schloss ich den Browser und verbannte mein Handy in den Flur. Die Bilder von Zack aus meinem Kopf zu vertreiben, gestaltete sich jedoch als nicht ganz so einfach. Ich beschloss mich abzulenken, bis Thea aufkreuzte, aß endlich mein Frühstück (durchweichte Cornflakes, lecker) und setzte mich dann vor den Fernseher. Leider wurde mein brillanter Plan durch den Lärm in der Nachbarwohnung durchkreuzt. Schlimm genug, dass ich den Fernseher kaum hörte. Der Krach erinnerte mich zusätzlich ständig daran, wer genau in die Wohnung gegenüber einzog. Es war zum Verrücktwerden.

Als ich schließlich um ein Uhr hörte, wie der Schlüssel in der Eingangstür herumgedreht wurde, atmete ich erleichtert auf. Thea hatte es wohl nicht bis nach dem Unterricht ausgehalten und war direkt in der Mittagspause hergekommen.

„Hey, Zo“, rief sie aus dem Flur, ehe sie ins Wohnzimmer kam und sich neben mich aufs Sofa fallen ließ. Sie stellte den Fernseher mit der Fernbedienung leiser und wandte sich mit einem erwartungsvollen Lächeln im Gesicht zu mir. „Hast du Zack noch einmal getroffen? Ich habe gehofft, dass ich vielleicht einen kurzen Blick in seine Wohnung erhaschen könnte, aber die Tür war zu.“

Ich seufzte und zupfte am Sofakissen herum. „Bis auf die Begegnung heute Morgen bin ich verschont geblieben. Glücklicherweise geht die Saison bald wieder los. Dann ist er viel unterwegs und ich muss ihn nicht sehen.“ Neben meiner Recherche, was meinen neuen Nachbarn betraf, hatte ich auch den Basketballsport selbst recherchiert und festgestellt, dass die neue Saison in etwa fünf Wochen startete.

„Wie wäre es, wenn du dich einfach zusammenreißt und die Nachbarschaft so angenehm wie möglich machst?“

Manchmal hasste ich Thea für ihre Logik.

„Und was schlägst du vor? Soll ich ihm Kekse backen?“

„Das wäre ein Anfang. Bei eurem momentanen Verhältnis denkt er aber wahrscheinlich, sie sind vergiftet. Wie wäre es stattdessen mit einem Geschenk zum Einzug? Als Friedensangebot. Ich habe noch ein bisschen Zeit. Wir könnten losziehen und etwas für ihn suchen.“

„Das könnte funktionieren“, lenkte ich ein. Mir war das Ganze immer noch unangenehm und ich war nie dazu gekommen, mich tatsächlich bei Zack zu entschuldigen. Im Club war ich zu spät und heute Morgen zu geschockt gewesen, als dass es sich ergeben hätte. Ein Friedensangebot klang wie ein richtiger Schritt und vielleicht konnten wir danach dazu übergehen, uns zu ignorieren. Dann würde die Anziehungskraft von ihm bestimmt von ganz allein wieder verschwinden. Ich ging ins Schlafzimmer, um mich umzuziehen. Ich tauschte Hotpants und Tanktop gegen Röhrenjeans, ein rotes T-Shirt mit V-Ausschnitt und einen schwarzen Sommerblazer, legte dazu ein wenig Make-up auf und band mir die Haare zu einem Zopf. Dass die Jeans meine langen Beine betonte und der V-Ausschnitt ein sexy Dekolleté zauberte, hatte natürlich rein gar nichts damit zu tun, dass ich Zack ab jetzt jederzeit wieder über den Weg laufen könnte. Die Unterhaltung heute Morgen in meinen abgetragenen Klamotten hatte mir gereicht. Ich wollte mich nie mehr so inadäquat vor ihm fühlen.

Wir verließen meine Wohnung und ich zerrte Thea weiter bis zum Treppenhaus, als sie neugierig auf Zacks geschlossene Tür starrte. Sexy Outfit hin oder her, eine Begegnung mit ihm wollte ich vermeiden, bis ich ihm die metaphorische Friedenspfeife reichte.

„Wann wird denn dieser Aufzug endlich repariert?“, fragte sie genervt. „Sport ist ja schön und gut, aber fünf Stockwerke nach oben zu laufen, macht keinen Spaß.“

„Ich glaube, nächste Woche sollen die Handwerker kommen.“ In der Lobby winkte ich Simon zu, der nur desinteressiert zurück nickte. Er war etwa um die siebzig, mit kantigen Gesichtszügen und einer randlosen Brille auf der Nase, die ihm eine zusätzliche Strenge verlieh. Seit ich hier eingezogen war, hatte ich ihn noch nicht ein einziges Mal lächeln sehen. Es war meine selbst ernannte Lebensaufgabe, das zu ändern.

Wir traten auf die Straße und schlugen den Weg Richtung Newbury Street ein. Der Straßenzug war die Shopping Meile Bostons mit unzähligen Boutiquen, kleinen Läden und Cafés. Wenn ich ein Friedensangebot für einen reichen Sportler finden sollte, dann hier.

Der Plan klang gut, je länger wir jedoch durch die Boutiquen schlenderten, desto entmutigter wurde ich. Ich kannte Zack bis auf unsere kurzen Begegnungen im Club und am Morgen auf meinem, oder eher unserem Flur nicht und ein passendes Geschenk zu finden gestaltete sich als verflucht kompliziert.

Wir verließen den fünfzehnten Laden und ich wandte mich zu Thea um. „Ich gebe es auf. Was zum Teufel soll man einem Sportler schenken? Von seinem Gehalt kann er sich wahrscheinlich ein kleines Land kaufen. Er braucht nichts.“

Wir bogen in eine Seitenstraße ein und Thea blieb plötzlich wie angewurzelt stehen.

„Bist du dir da sicher?“ Sie nickte mit dem Kopf zum Ende der Straße, wo ich das Leuchtschild eines Drogeriemarktes erkennen konnte. Es dauerte einen Moment, bis mir ein Licht aufging, doch dann machten wir uns gut gelaunt auf den Weg.

Wie zu erwarten hatten die Neuigkeiten über meinen neuen Nachbarn durch Thea schon die Runde gemacht und als ich am Abend meine Schicht im Spotlight antrat, kam mir Damian auf der Treppe entgegen.

„Erzähl mir alles.“ Begrüßungsfloskeln waren scheinbar nicht mehr relevant, seit Zack Conner in mein Leben getreten war.

„Was gibt es groß zu erzählen? Ich weiß endlich, wer für den Umzugslärm in den letzten Wochen verantwortlich ist.“ Ich zuckte nonchalant mit den Schultern, als wäre es keine große Sache. Tatsächlich war ich immer noch mehr als verwirrt.

„Du kannst mir viel erzählen, aber wir kennen uns lange genug. Sag mir, was wirklich in deinem Kopf vorgeht.“

Wir hatten die letzten Stufen zum VIP-Bereich erklommen und gingen gemeinsam Richtung Personalraum, wo ich meine Handtasche abstellen konnte. Ich zuckte erneut mit den Schultern, diesmal allerdings eher trotzig. Es wäre viel leichter für mich gewesen, wenn Damian mich nicht durchschaut und meine lahme Ausrede einfach akzeptiert hätte. Am liebsten hätte ich alles, was Zack Conner betraf, einfach vergessen, aber das ging nicht, wenn mein bester Freund mich zwang, meine Gedanken auszusprechen.

„Ich weiß nicht, wie wir die nächsten Monate oder Jahre überstehen sollen, ohne dass Zack oder ich oder vielleicht auch beide entweder tot sind oder im Knast landen. Allein seine Anwesenheit bringt mich schon zur Weißglut. Ich mag ihn nicht und ich glaube stark, das beruht auf Gegenseitigkeit. Meine einzige Hoffnung ist, dass er mein Einzugsgeschenk als Friedensangebot wahrnimmt und wir dazu übergehen können, uns zu ignorieren.“ Was ich ausließ, war meine verworrene Gefühlswelt. Ich konnte wirklich nicht behaupten, dass ich Zack Conner gut leiden konnte. Das schien bei meinem Körper aber noch nicht angekommen zu sein.

Damian überlegte einen Moment. „Weißt du, ich habe gesehen, wie ihr euch angesehen habt, als er die Treppe zur VIP-Lounge hochgekommen ist.“

„Er war ja auch extrem attraktiv, bis zu dem Augenblick, als er den Mund aufgemacht hat.“

„Wenn du ihn nicht willst, schnapp ich ihn mir.“ Damian folgte mir in den Personalraum.

„Bitte, tu das. Du würdest mir damit einen großen Gefallen tun.“ Wenn Zack nur vergeben wäre, würde das meiner Fantasie endlich einen Strich durch die Rechnung machen. Beim Fremdgehen sah ich Rot, auch wenn ich nicht diejenige war, die betrogen wurde. Ich stopfte meine Handtasche in meinen Spind und band mir die schwarze Schürze mit dem Clublogo um die Hüften.

„Allerdings bin ich nicht derjenige, den Zack so angesehen hat, als würde er mich gleich auf dem Bartresen nehmen wollen.“

Also war es doch keine Einbildung gewesen? Ich schnaubte. Es war besser, der Realität ins Auge zu sehen und sich auf die Gegenwart zu konzentrieren. „Seit diesem Cocktail-Vorfall sieht er mich eher so an, als würde er mich gleich auf offener Straße mit dem Auto anfahren wollen.“ Ich schloss das Vorhängeschloss wieder. „Ich kann nur hoffen, dass Theas Idee mit dem Einzugsgeschenk funktioniert.“

„Mach dir keine Sorgen. Verhaltet euch einfach wie Erwachsene und in Null Komma Nichts seid ihr friedvolle Nachbarn.“

„Dein Wort in Gottes Ohr.“ Diese Sache mit dem Erwachsen-Sein schien in Zacks Gegenwart nicht allzu gut zu funktionieren.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, warf ich einen Blick auf die Uhr. Kurz vor elf. Irgendeine höhere Macht hatte anscheinend Erbarmen mit mir, denn in Zacks Wohnung war es noch immer still. Ich stand auf, duschte und machte mir Frühstück. Der Blick in den Kühlschrank und das Vorratsregal bestätigte mir, dass ich einkaufen musste und so föhnte ich mir die Haare, zog mich an und ging in den nächsten Supermarkt. Als ich gut eine Stunde später mit zwei Tüten beladen wieder mein Stockwerk erreichte, kam Zack gerade die Stufen am anderen Ende des Flurs herunter. Er sah in seinem schwarzen Kapuzenpulli mit dem Logo der Boston Tigers zum Anbeißen aus. Die Ärmel hatte er zurückgekrempelt und ich hatte freie Sicht auf seine muskulösen Unterarme. Seine Haare waren wieder im üblichen Durcheinander und meine Finger zuckten, als ich mir vorstellte, wie sie sich wohl anfühlten. Diese Gedanken verschwanden aber sofort wieder bei seinem mürrischen Gesichtsausdruck, als er mich bemerkte. Seine Selbstsicherheit und diese verdammten Muskeln waren so ablenkend, dass ich für einen kurzen Moment vergessen hatte, wie sehr ich ihn eigentlich nicht leiden konnte. So ablenkend, dass ich beinahe übersehen hätte, was er in den Armen hielt, während er die kleine Treppe hinunter und mir entgegenlief. Wie ich kurz nach unserem Einzug herausgefunden hatte, führten diese Stufen zu einer verschlossenen Tür, die jedoch mit der richtigen Technik aus Kung-Fu und Hulatanz kein großes Hindernis darstellte und den Zugang zur Dachterrasse freigab. Ebenjene Dachterrasse, die zu meinem Nachbarapartment gehörte und damit jetzt offiziell in Zack Conners Besitz war. Ebenjene Dachterrasse, auf der ich – oh nein! Mein Blick zuckte zu seinen Armen und meine schlimmste Befürchtung wurde wahr.

Holzfiguren. Um genau zu sein: meine Holzfiguren. Diejenigen, die ich mit großer Leidenschaft und Liebe zum Detail auf dem Dach angefertigt hatte. Durch die ganze Aufregung um meinen neuen Nachbarn hatte ich komplett vergessen, dass sie noch da oben waren. Theas Hochzeitsfigur für die Torte. Die Figuren, die ich in wenigen Wochen auf dem SoWa Open Market verkaufen wollte. Was hatte er jetzt mit ihnen vor? Panik stieg in mir hoch, während ich hilflos dabei zusah, wie er einen Tiger und einen Spatzen zu seiner Wohnungstür trug. Wenn er sie in seine Wohnung brachte, hieß das doch bestimmt, dass er sie nicht sofort wegwarf, oder? Sonst würde er sich doch nicht extra die Mühe machen, sie hineinzutragen? Der Tiger war ohnehin zu groß für einen normalen Mülleimer. Um alle Figuren wegzuschmeißen, würde er schon einen ganzen Container brauchen. Spekulationen halfen mir allerdings auch nicht weiter. Ich musste sicher sein. Natürlich war es auch keine Option, ihm zu sagen, dass das meine Figuren waren. Ich dachte an Damians Ratschlag zurück, sich wie Erwachsene zu verhalten, aber je weniger Zack über mich wusste, desto weniger konnte er gegen mich verwenden. Schlimm genug, dass er mich für eine unfähige Barkeeperin hielt. Wer konnte schon sagen, was er mir an den Kopf werfen würde, wenn er wüsste, dass ich mich für das Herstellen der Figuren aufs Dach geschlichen hatte? Sein Dach.

Schon in der Highschool hatte ich mich in die Arbeit mit Holz verliebt und mittlerweile hatte ich mich auf hyperrealistische Stücke spezialisiert. Die ruhige Arbeit war ein perfekter Ausgleich zu den hektischen Nächten im Spotlight. Nach langer Überzeugungsarbeit meiner Familie und meiner besten Freunde hatte ich im Frühjahr eine Bewerbung für den SoWa Open Market losgeschickt. Der Markt fand zwischen Mai und Oktober jeden Sonntag statt und ich wäre fast in Ohnmacht gefallen, als ich meine Zusage erhalten hatte. Die Überwindung wäre jedoch völlig umsonst gewesen, wenn Zack alle Figuren wegwarf. Warum hatte ich meine Werkbank nach Theas Auszug nicht vom Dach geholt und in ihr altes Zimmer gestellt? Was waren schon ein bisschen Sägespäne und Holzstaub? Dämpfe von Farben und Lacken? Damals war das für mich das Totschlagargument gewesen, an der frischen Luft zu bleiben. Jetzt erschienen mir eine dreckige Wohnung, ein paar gesundheitliche Probleme und Halluzinationen fast wie ein fairer Preis.

Zack und ich waren nur noch einige Schritte voneinander entfernt und etwas blitzte in seinen Augen auf, als er mich von oben bis unten musterte, aber es war so schnell wieder verschwunden, dass ich glaubte, es mir nur eingebildet zu haben. Er ging an mir vorbei und nickte mir zur Begrüßung knapp zu. Fast wollte ich es schon dabei belassen, immerhin war ich nicht gerade scharf auf ein Gespräch mit ihm, aber ich konnte ihn ja auch nicht einfach mit meinen Figuren im Arm davon spazieren lassen.

„Morgen. Was ist das denn?“ Ich deutete auf seine Arme.

„Sie sollten über einen Besuch beim Augenarzt nachdenken. Und wenn Sie schon dabei sind, können Sie gleich Ihren Gleichgewichtssinn abchecken lassen. Der scheint einen Knacks zu haben.“ Musste er mich bei jeder Begegnung daran erinnern? Noch dazu, wenn mein Gleichgewicht mich in dieser Nacht vor Schlimmerem bewahrt hatte.

„Das Einzige, was einen Knacks hat, ist Ihre Auffassungsgabe. Haben Sie jetzt noch vor, meine Frage zu beantworten?“ Er musterte mich einen Moment abschätzig, gab dann aber nach.

„Die Figuren standen auf meiner Dachterrasse.“ Er zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, wie die dahin gekommen sind.“

„Was haben Sie jetzt damit vor?“ Ich bemühte mich, das nervöse Quieken in meiner Stimme zu unterdrücken. Wenn ihm die Frage seltsam vorkam, erwähnte er es immerhin nicht.

„Keine Ahnung, vielleicht behalte ich sie. Die sind ziemlich cool. Und da ich ja in Ihren Augen ohnehin ein Holzkopf bin, passen sie auch zu mir.“

„Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung“, sagte ich gespielt mitfühlend und tätschelte seine Schulter, wobei ich versuchte, zu ignorieren, wie kräftig sie sich unter meinen Fingern anfühlte.

Bevor er etwas erwidern konnte, ging ich an ihm vorbei und verschwand in meiner Wohnung. Zack würde sicherlich alle Figuren von der Terrasse räumen, wenn er schon einmal damit angefangen hatte. Und wer wusste schon, was er dann damit anstellte? Dass er sie nur unter Umständen behalten wollte, beruhigte mich nicht im Geringsten. Ich hatte so viel Herzblut und Arbeit in diese kleinen Kreaturen gesteckt. Nicht nur wäre es schrecklich, würden sie alle als Brennholz enden, es würde auch mit sofortiger Wirkung meine Teilnahme am Künstlermarkt beenden. In den wenigen Wochen, die ich bis zu meinem Termin übrig hatte, könnte ich höchstens eine Handvoll Figuren herstellen. Nicht einmal annähernd genug, um einen ganzen Stand zu füllen.

Ich könnte schnell aufs Dach sprinten und meine Figuren retten, allerdings war ich weder kräftig noch Oktopus genug, um so viele von ihnen auf einmal in meine Wohnung zu verfrachten. Und ich würde innerhalb der nächsten Sekunden die Fähigkeiten eines Ninjas entwickeln müssen, um ungesehen auf die Dachterrasse zu gelangen. Vielleicht könnte ich Thea bitten, Zack in ein Gespräch zu verwickeln, während ich mich auf die Suche nach meinen Babys machte und sie heimlich zurückholte? Die Wahrscheinlichkeit, dass das unbemerkt blieb, lief gegen null, also verwarf ich die Idee schnell wieder.

Lautes Gelächter auf dem Hausflur draußen riss mich aus meinen Gedanken. Es war eine mir unbekannte Stimme und ich hatte schon den ganzen Tag kein lästiges Bohren oder Hämmern aus Zacks Wohnung gehört. Anscheinend hatte die Einzugstortur ein Ende und wenn ich die männlichen Stimmen richtig deutete, würde das in den nächsten Stunden gefeiert werden. Ich griff nach meinem Smartphone und schickte Thea eine Nachricht:

Ich: Zack feiert seinen Einzug. Wie lautet der Plan?

Nur einen Augenblick später kam ihre Antwort.

Thea: Jetzt oder nie! Schnapp dir dein Geschenk, zieh dir hohe Hacken an und geh rüber!

Ich: Was haben meine Schuhe mit dem Ganzen zu tun?

Thea: Steigerung des weiblichen Selbstvertrauens. Außerdem: Nenne mir einen Kerl, der deinen Beinen in hohen Absätzen widerstehen kann …

Ich: Punkt für dich ;) Drück mir die Daumen!

Ich ging ins Schlafzimmer, zog meine schwarzen High Heels aus dem untersten Fach meines Kleiderschrankes und nahm anschließend das Geschenk von der Kommode neben der Tür. Auf dem Weg nach draußen überprüfte ich noch kurz mein Aussehen im Spiegel im Flur, sprach mir Mut zu und öffnete die Tür. Es würde nur noch Minuten dauern, bis diese Angelegenheit zwischen Zack und mir geklärt wäre und ich endlich damit abschließen konnte. Mit einem Kribbeln im Bauch durchquerte ich den Flur, bis ich schließlich vor Zacks Tür stand und klopfte. Das flaue Gefühl im Magen kam bestimmt nur von der Vorfreude über meinen bevorstehenden Seelenfrieden. Momente später öffnete Zack mir und das Kribbeln verdreifachte sich. Mist. Sein Blick glitt über mich und heftete sich ungeniert auf meine Beine, wo er einen Augenblick verharrte, ehe er zu meinen Augen zurückkehrte. Nur mit Mühe konnte ich ein siegessicheres Lächeln unterdrücken. Thea hatte eine Wunderwaffe gegen meinen neuen Nachbarn gefunden.

„Ich habe Leute im Hausflur gehört und dachte, dass Sie vielleicht Ihren Einzug feiern“, erklärte ich mein Erscheinen und hielt ihm das Geschenk entgegen. Überraschung blitzte in seinen Augen auf. „Es ist nur eine Kleinigkeit.“

„Das ist doch hoffentlich keine Briefbombe?“, hakte er zögerlich nach, nahm mir das Geschenk aber ab. Ich nahm es ihm nicht übel, dass er gleich vom Schlimmsten ausging, hoffte aber, dass ihn mein Friedensangebot von meinen guten Absichten überzeugte.

„Zack“, tönte in diesem Moment eine Stimme aus dem Inneren der Wohnung. „Wer auch immer da an der Tür steht, schwing deinen Arsch hier wieder rein und zeig uns gefälligst, wo du das Bier versteckst.“

Zack lächelte – ein Ausdruck, der ihm im Gegensatz zu dem mürrischen Blick, den er mir immer schenkte, ungemein gut stand – und öffnete die Tür ein wenig weiter für mich. Jetzt war es an mir, ihn überrascht anzusehen. War das wirklich so leicht mit dem Frieden? Ich entschloss, dass es nicht schaden konnte, in seine Wohnung zu gehen. Ich war neugierig und ich wollte wissen, wohin er meine Figuren verschleppt hatte.

Ich schlüpfte an ihm vorbei und wartete, bis er die Tür schloss. Währenddessen sah ich mich im großräumigen Flur um, an dessen Wänden sich leere Umzugskartons stapelten. Offenbar hatte ich richtig gelegen und der Umzug hatte ein Ende gefunden.

„Die anderen sind im Wohnzimmer.“ Er ging voraus in den nächsten Raum. Ich atmete auf, als ich meinen Tiger neben dem gigantischen, dunkelbraunen Sofa stehen sah. Auch ein paar meiner anderen Kreationen standen hier und da im Raum, als provisorische Deko verteilt auf noch nicht eingeräumten Regalen und Schränken, und schienen vorerst sicher vor dem Kamin zu sein, der an der Wand gegenüber stand. Daneben befand sich der Durchgang zu einer modernen Küche, auf der anderen Seite war eine geschwungene Treppe mit kunstvoll verziertem, schmiedeeisernem Geländer, die ins obere Stockwerk führte, das meine Wohnung nicht hatte. Wenn man davon absah, war die Wohnung vom Aufbau her ein Spiegelbild von meiner. Allerdings sah die Küche und das, was ich vom Badezimmer durch die halb offene Tür erkennen konnte, komplett anders und viel neuer aus als in meiner Wohnung. Ich vermutete, dass die Lautstärke der letzten Wochen hauptsächlich von der Renovierung gerührt hatte.

Erst jetzt realisierte ich, dass wir nicht mehr allein waren. Auf dem L-förmigen Sofa saßen vier Männer, von denen ich immerhin zwei kannte. Branden Jones und David Lance, die auch schon im Spotlight dabei waren. Sie standen beide lächelnd auf, als sie mich sahen. Branden kam mit einem Augenzwinkern auf mich zu, während David mehr als verwirrt wirkte. Anscheinend hatte Zack nur Branden in unsere neue Nachbarschaft eingeweiht.

„Zoey, schön dich wiederzusehen.“ Er umarmte mich fest und ich konnte Zacks bohrenden Blick in meinem Rücken förmlich spüren. Wahrscheinlich dachte er, dass ich ihm seinen besten Freund ausspannte.

„Du wirkst nicht überrascht“, stellte ich fest.

„Zack hat mir schon von seinem Glück erzählt.“

„Ich hoffe sehr, dass Sie heute keine weitere Attacke auf mich geplant haben“, sagte Zack. Ich wandte mich ihm zu und zog eine Augenbraue in die Höhe. Ich konnte nicht sagen, ob er das ernst meinte, oder ob es nur eine lustig gemeinte Anspielung auf unsere erste Begegnung sein sollte. War Zack so nachtragend? Oder hatte er tatsächlich nicht gesehen, dass es keine Absicht, sondern ein Unfall gewesen war? So oder so wollte ich mich lieber auf eine friedvolle Nachbarschaft mit ihm konzentrieren und beschloss, nicht weiter mit ihm darüber zu diskutieren.

„Das kommt ganz darauf an, ob Sie mir ein Bein stellen oder nicht.“ Ich nickte zu dem Geschenk, das er immer noch in der Hand hielt. „Wollen Sie nicht aufmachen?“

Er sah mich einen Moment skeptisch an, machte sich dann aber daran, das Papier aufzureißen. Gespanntes Schweigen erfüllte den Raum und als die bunten Fetzen langsam zu Boden segelten und den Blick auf eine Packung Fleckentferner freigaben, begannen Branden und David zu grinsen. Mit angehaltenem Atem wartete ich auf Zacks Reaktion und hätte mir vor Verwunderung fast die Augen gerieben, als er leise lachend den Kopf schüttelte. Dieses fürchterliche Kribbeln kam zurück und breitete sich von meinem Bauch über den ganzen Körper aus. Mein Herz begann zu klopfen und die Härchen in meinem Nacken stellten sich auf. Ich musste mich mehr auf meinen bevorstehenden Seelenfrieden freuen, als mir bewusst war. Übertrieben schockiert schnappte ich nach Luft. „Oh mein Gott, ist das …?“ Ich senkte meine Stimme zu einem leisen Flüstern. „Ist das etwa ein Lächeln?“ Und schwups, da war es wieder verschwunden. Stattdessen zog er eine Augenbraue in die Höhe.

„Saubere Arbeit, Sherlock.“

„Immer zu Diensten, Watson“, erwiderte ich und deutete eine Verbeugung an.

„Wenn du die Kunst der Deduktion schon so einwandfrei beherrschst, warum tust du allen Anwesenden nicht einen Gefallen und findest heraus, woher dieser coole Tiger hier stammt?“ Er zeigte auf die Holzfigur neben dem Sofa. „Komischer Zufall, dass es gerade ein Tiger ist.“ Ich betrachtete das Logo auf seinem Pulli. In der Tat komisch.

„Und da Sie die Kunst der Deduktion offensichtlich nicht beherrschen, ist Ihnen wohl nicht aufgefallen, dass sich Sherlock und Watson niemals duzen.“

„Allerdings ist mir aufgefallen, dass wir mittlerweile im einundzwanzigsten Jahrhundert leben und das Duzen unter Nachbarn durchaus üblich ist.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich entspannt gegen den Türrahmen zwischen Flur und Wohnzimmer.

„Nicht unter diesen Nachbarn.“ Vertrautheit mit Zack Conner wollte ich so gut es ging vermeiden.

„Wir können auch einen Blutsbruderpakt schließen, wenn dir das lieber ist.“

„Für einen Blutsbruder bin ich nicht männlich genug.“ Sein Blick wanderte langsam über mich und blieb dabei kurz an meinem Ausschnitt hängen. Seine Augen strahlten so intensiv, dass mein Körper sofort zum Leben erwachte und ich unwillkürlich einen Schritt auf Zack zu machte.

„Wäre mir gar nicht aufgefallen.“

„Ich habe vorhin auf dein Anraten einen Termin beim Augenarzt ausgemacht. Willst du mitkommen?“

„Wenn die Hölle zufriert“, erwiderte er mit einem Augenzwinkern, warf den Fleckentferner in einer fließenden Bewegung quer durch den Raum und versenkte ihn in einem Umzugskarton. Ich legte den Kopf schief.

„Sauber eingelocht.“

„Falsche Sportart, Baby.“ Seine Stimme war eine Nuance tiefer geworden und jagte mir einen Schauer über den Rücken. Ich ballte die Hände zu Fäusten und atmete einmal tief durch, um mir nichts davon anmerken zu lassen. Seine Stimme klang wahnsinnig sexy und ich konnte nicht zulassen, dass Kosenamen, auch wenn sie ironisch gemeint waren, mir zu Kopf stiegen.

„Nenn mich nicht Baby.“

„Ach?“ Er schnaubte amüsiert. „Und wenn doch? Willst du mich mit Drinks überschütten, bis ich ertrinke?“

„Bevor ich meinen brillanten Plan noch ausplaudere, sollte ich vielleicht lieber wieder gehen.“ So gern ich auch die gegnerische Seite ausspionieren wollte und dieses Gespräch auf eine seltsame Art Spaß machte, meine Mission war erfüllt. Außerdem brauchte ich eine Pause von diesem High, das ich seit meiner unkonventionellen Entschuldigung spürte.

„Willst du nicht mal auf ein Bier bleiben?“, fragte David.

Ich schüttelte den Kopf. „Ich glaube, das wäre keine gute Idee.“

„Sie hat recht, ein verschütteter Cocktail reicht schon, da muss sie nicht auch noch das gute Bier vergeuden“, sagte Zack und als ich gerade schon kontern wollte, sah ich das leichte Lächeln auf seinen Lippen. Verdammt, war er hübsch.

„Darauf werdet ihr noch ewig rumhacken, oder?“, seufzte ich theatralisch.

„Sicher. Und darauf, dass du ihm dann auch noch den Rest über den Kopf gekippt hast“, erwiderte Branden lachend.

„Warte mal einen Moment, wer hat was gemacht?“, fragte einer der beiden Spieler, die im Club nicht dabei gewesen waren. Branden setzte gerade zu einer Erklärung an, da beschloss ich, den Rückzug anzutreten.

„Diese Peinlichkeit erspare ich mir lieber. Viel Spaß noch.“

„Wie nachbarschaftlich von dir, mich das jetzt allein ausbaden zu lassen“, warf Zack mir vor.

„Für Rettungsaktionen dieser Art hätten wir schon einen Blutsbruderpakt schließen müssen.“

„Wie es aussieht, bin ich mit dem Regelwerk der Nachbarschaft und Blutsbruderschaft nicht ganz vertraut.“

„Ich leg dir bei Gelegenheit eine Kopie in den Briefkasten.“ Ich zwinkerte ihm zu und verließ das Wohnzimmer. Vielleicht schwang ich die Hüften sogar ein wenig mehr als sonst, was rein gar nichts mit meiner Friedensmission, sondern viel mehr mit dem Kribbeln in meinem Bauch zu tun hatte.

„Alter, hast du die Schuhe gesehen?“, hörte ich Branden zischen, als ich den Flur durchquerte.

„Du hast immer wieder so ein beschissenes Glück“, fügte David hinzu.

„Haltet die Klappe und holt euch ein Bier“, erwiderte Zack und ich schloss mit einem Grinsen im Gesicht die Tür hinter mir.

Run and Gun

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