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Im Trockenen

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Mein Name ist John Ross Patrick. Ich bin sechsundvierzig Jahre alt, eins-achtundsiebzig groß und wiege zweiundneunzig Kilo. Ich habe braunes Haar, einen kurzen Bart, bin durchschnittlich gebaut und unscheinbar in vielerlei Hinsicht. Ich schätze, dass einzig Bemerkenswerte an mir ist, dass ich noch lebe. Die Welt, die ich mal kannte, ist fort. Es gibt keine Tests mehr zu benoten, keine Rechnungen mehr zu zahlen, keine Abhandlungen mehr zu präsentieren und keine Träume mehr, die wahre Liebe zu finden.

Ich war in der Atacamawüste im Norden von Chile gewesen, als sich die Lage verschärfte, das heißt, ich war irgendwo im Nirgendwo. Bevor ich losfuhr, hatte ich gehört, dass sich etwas in Zentralasien abspielte, aber meine Aufmerksamkeit lag auf den drei Wochen gefüllt mit dem Wiedersehen alter Freunde, Ausgrabungen und Abenteuer am trockensten Ort der Welt, einem Ort, an dem ich über fünf Jahre lang mit Unterbrechungen gelebt hatte. Ich bekam nicht viele Zuschüsse, also war dies ein Solotrip, und schön billig, straßenhändlerbillig sozusagen. Als ich dort ankam, war der Kurzwellenempfänger verschwunden, den ich während meines letzten Aufenthalts im Museum zurückgelassen hatte, aber das war okay. Ich hatte eine Menge Bücher zu lesen, und etwas Zeit, von allem entfernt, schien eine gute Idee zu sein. Ich setzte mich kurz mit ein paar Freunden in der Stadt in Verbindung, verschickte Post und fuhr mit meinem gemieteten Jeep los, der exakt zweiundsechzig Prozent meines Reisebudgets ausmachte (inklusive Sprit).

Ich verbrachte die meiste Zeit allein und kartierte inkaische Straßendämme in der Cordillera Occidental, Heimat der höchstgelegenen, von Menschenhand geschaffenen Bauwerke der Welt. Ich machte ein paar Abstecher zu winzigen Bergdörfern, wenn ich Vorräte brauchte oder einfach nur neugierig war. Es war diese Art von Orten, bei denen man von Glück reden konnte, wenn dort Spanisch gesprochen wurde, in den meisten sprach man nur Quechua. Ich hatte eine schöne Zeit und verbrachte einen Großteil davon in einem Tagtraum, was ich denn sagen würde, wenn ich zu Liz zurückkehrte.

Als ich mich zurück wagte, fand ich es eigenartig, dass es keine Touristen in San Pedro de Atacama gab, dem Städtchen, von dem aus ich arbeitete und das so beliebt war bei den Rucksacktouristen, die Südamerika durchreisten. Ein traditioneller, ruhiger Pueblo mit großartigem Museum, Ruinen, heißen Quellen, Vulkanen, gutem Essen und Flamingos – ein idealer Abstecher. Gut, es war zwar Winteranfang, aber trotzdem sollte es Durchreisende geben. Ich beschäftigte mich nicht weiter damit, aber das Rätsel verweilte in meinem Hinterkopf, ungefähr … eine ganze Weile. Es hatte mich außerdem etwas gestört, dass das Museum geschlossen und das Personal fort war. Keine Gelegenheit, sich zu verabschieden. Der eine Museumsangestellte, den ich fand, Hector, ein Einheimischer, der schon seit seiner Kindheit dort arbeitete, erzählte mir, dass sie fortgerufen wurden. Ehrlich gesagt war ich erleichtert, weil ich nicht länger als nötig bleiben wollte, und ich hätte mit großer Wahrscheinlichkeit eine Zusammenfassung meiner Errungenschaften abgeben müssen, ganz zu schweigen von diversen Mahlzeiten, zu denen ich verpflichtet gewesen wäre. Alles, woran ich wirklich denken konnte, war Elizabeth und wo unsere Beziehung hinführen würde, sobald ich zurückkam. Also tat ich es einfach ab, vielleicht gab es irgendeinen Feiertag oder eine Versammlung in Santiago.

Ich war nur für zwei Tage in San Pedro und verbrachte diese in Abgeschiedenheit, sah meine Notizen durch, entschied, was ich einlagern wollte und welcher Ansatz mir zu mehr Zuschüssen verhelfen könnte, damit ich zurückkehren konnte. Als ich dann abreiste, war ich in Sorge, mein Flugzeug in Arica zu erwischen, denn eine achtstündige Busfahrt in Richtung Norden lag vor mir. Auf dem Weg aus San Pedro heraus passierte der Bus die einzige Kirche der Stadt, erbaut 1641. Sie war brechend voll. Was zum Teufel war da los? Es war halb zehn am Morgen und ein normaler Dienstag. Vielleicht ein Feiertag oder eine Beerdigung?

Und das waren auch schon so ziemlich alle Gedanken, die ich daran verschwendete.

Ich blieb allein auf der langen Busreise entlang der Küste und überarbeitete meine Notizen, solange ich noch alles frisch im Kopf hatte. Es war eine produktive Reise gewesen, aber nun war ich mehr als bereit, wieder nach Hause zu fahren. Es dauerte eine Weile, aber irgendwann bemerkte ich, dass etwas in der Luft lag. Die Gespräche mit gedämpften Stimmen, die Art, wie die Leute sich bewegten und heimliche Blicke aus dem Augenwinkel umherwarfen. Ich nahm an, dass es daran lag, dass ich der einzige Gringo im billigsten Bus nach Arica war. Heute weiß ich, dass es Furcht war. Wäre ich nicht so vertieft in meine Arbeit und die Vorstellung einer glücklichen Heimkehr gewesen, hätte ich vielleicht mehr aufgepasst, nicht dass es wirklich etwas genützt hätte.

Arica lag an der Pazifikküste und war als Stadt des ewigen Frühlings bekannt, da dort immer etwa zwanzig Grad herrschten und es niemals regnete. Es war eine nette Hafenstadt und nur etwa ein Dutzend Meilen von der peruanischen Grenze entfernt, also einer der billigsten Wege, Bolivien zu erreichen. Dort war immer etwas los. Ich hielt nur für einige Stunden auf meinem Weg nach Miami dort auf, aber trotzdem war irgendetwas eigenartig. Wenige Menschen auf der Straße, nichts von dem üblichen Treiben der Stadt … und wo zum Teufel waren all die Touristen? Das Taxi zum Flughafen hätte ein Weckruf für mich sein sollen. Ich stieg ein, der Fahrer schaute mich nicht an, hatte alle Scheiben unten und wartete einfach.

»Airport please.« Ich hätte dies auch ohne Probleme auf Spanisch sagen können, aber der Typ war irgendwie ein Arsch. Er sah mir nicht in die Augen und versuchte auch nicht, mir mit meinem Gepäck zu helfen. Sobald wir losfuhren, begann er leise, mit sich selbst zu sprechen. Ich konnte ihn im Rückspiegel sehen, aber er schaute nie zurück. Nach ein paar Minuten und einigen Ampeln konnte ich endlich verstehen, was er die ganze Zeit vor sich hinmurmelte.

»Áve María, grátia pléna, Dóminus técum. Benedícta …« Es war das Ave Maria in Latein! Nachdem er das Gebet beendet hatte, küsste er ein Goldmedaillon, das er an einer massiven Kette trug, und begann das Gebet wieder von vorne und ohne jemals zurückzublicken.

Ich kam gerade rechtzeitig für eine zweistündige Verspätung am Flughafen an, während der keiner etwas sagte, und ich meine wirklich niemand, gar nichts. Wir saßen einfach da, in unseren billigen Plastikstühlen, und starrten auf das schmutzige Linoleum. Es erinnerte mich an die Schultanzveranstaltungen im Keller der St.-Benedict-Schule, damals in Rhode Island. Niemand wollte dort sein, aber da war dieses eigenartige Etwas, das die unbequeme Situation irgendwie interessant machte.

Ich hatte immer noch nicht zwei und zwei zusammengezählt und war gänzlich gefangen in ›Johns Welt‹. Ich ging an Bord des Flugzeugs, fand meinen Platz, nahm zwei Diazepam und war im Begriff, ein Schläfchen zu halten, als mein Blick auf einen Typen mit einer Zeitung auf der anderen Seite des Ganges fiel. Mein Spanisch ist nicht so berauschend, trotz all der Zeit in Lateinamerika, aber ich konnte mit Leichtigkeit die fette, riesengroße Überschrift übersetzen, ›¡La Caminata Muerta!‹, Die lebenden Toten! Ich kicherte in mich hinein und dachte, dass dies wahrscheinlich irgendeine chilenische Version des National Enquirers sei, und nickte weg. Als wir in Miami landeten und aufstanden, um das Flugzeug zu verlassen, schaute ich wieder auf die auf dem Sitz liegen gelassene Zeitung und die Nackenhärchen stellten sich mir auf. Es war kein Latino-Schundblatt, sondern El Mercurio, Chiles Spitzenzeitung.

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