Читать книгу BRUTAL PLANET - Sean P. Murphy - Страница 8
Seuche
Оглавление31. Mai
Die heißen Sonnenstrahlen holten mich in die Realität zurück. Ich würde nie über diese einzigartige Enttäuschung hinwegkommen, die einen überkam, wenn man aufwachte und wusste, dass alles nur ein Traum war. Laut meiner Uhr war es fünf Uhr einundvierzig. Der kristallklare Himmel versprach einen kochend heißen Tag, aber Mann, was für ein Sonnenaufgang. Ich drehte mich um und betrachtete das Ufer. Die kleine Bucht, in der wir ankerten, war dicht bewaldet mit Pinien und Laubbäumen, und der Küstenstreifen bestand aus glatten, schwarzgrauen Steinen. Es war ein ruhiges Plätzchen und würde absolut grandios aussehen, wenn das Herbstlaub herauskam. Ich war froh, dass dort niemand auf uns wartete. Unser Plan bestand darin, in Richtung Süden weiterzuziehen und vertäute Boote nach Nützlichem zu durchforsten. Das Letzte, was wir tun wollten, war das Festland zu betreten. Da es zu früh war, Robert zu wecken, schirmte ich meine Augen mit dem Arm vor dem Licht ab und döste vor mich hin.
Als ich aus Südamerika nach Bangor zurückkehrte, war mir klar, dass alles rapide außer Kontrolle geriet und ich Glück hatte, nicht in der Quarantänehölle in Florida gelandet zu sein. Was mir in Miami den Arsch gerettet hat, war: a) Südamerika hatte noch keine Infektion gemeldet, b) ich war ein angesehener US-Bürger, c) ich hatte einfach ziemlich Schwein gehabt. Am Flughafen wirkten alle wie benommen, so als ob sie gerade erst aufgewacht wären.
Ich fand schnell heraus, dass diese Krankheit oder was immer es war, erst seit ein paar Wochen umging, an kleinen, abgelegenen Orten, von denen niemand je gehört hatte. Nichts Großes in den Mainstreamnachrichten, nur ein paar merkwürdige Berichte hier und da. Wahrscheinlich waren wir alle desensibilisiert von all dem Trara um die Schweinegrippenpandemie und die Bedrohung durch Bioterrorismus. Dann sickerte ein Video eines UN-Ärzteteams vom Ukok-Plateau in der gottverdammten Einöde Russlands durch. Es war so schnell online, dass man meinen konnte, es live zu sehen. Als ob John Carpenter ein Remake eines Remakes von Das Ding aus einer anderen Welt gemacht hätte. Das Meiste von dem, was hochgeladen wurde, war sehr wackelig und oft leicht verschwommen. Schwer zu sagen, was da wirklich vor sich ging, aber eines war klar, etwas wirklich Schlimmes war passiert und passierte immer noch. Trotzdem war es okay, ich meine, das Ukok-Plateau? Nun mal halblang. Ein bis zwei Tage später und nach acht Millionen Aufrufen auf YouTube ging es richtig los. Die Presse verband den Ukok-Vorfall und die einzelnen Berichte miteinander und kam zu der offensichtlichen Schlussfolgerung: Wir werden alle einen fürchterlichen Seuchentod sterben! Schon seltsam, wenn man bedachte, dass diese Spekulation vollkommen richtig war.
Die Nachrichten wurden von Stunde zu Stunde schlimmer. Bald kamen Berichte aus relativ großen Städten in China wie Turpan, Qumul und Ürümqi, von eigenartigen Kundgebungen, dem Ausfall des Internets und der Telefone. CNN berichtete, dass das chinesische und russische Militär in höchste Alarmbereitschaft versetzt worden war.
Als ich in meine Wohnung kam, war es, als würde ein Schalter umgelegt; ich war daheim, ich hatte es bequem und alles würde wieder gut werden. Der Typ neben mir auf dem Flug nach Boston war bestimmt nur ein Endzeit-Arschloch gewesen, so schlimm war es gar nicht. Ich zog die Vorhänge auf und öffnete die Fenster; frische Luft und Sonnenschein, ja, alles wird gut. Mir war nicht danach, den Computer oder die Glotze anzumachen, also hörte ich Radio. NPR berichtete, dass Ulaanbaatar, die Hauptstadt der Mongolei, infiziert sei, aber ich hätte schwören können, dass der britische Reporter erst verseucht sagte. Die USA reagierten auf die zunehmende Krise mit der Inkraftsetzung von etwas mit dem Namen Nationale Strategie zum Heimatschutz (sprich Ausnahmezustand), gekoppelt mit einer Flut von Reisebeschränkungen. Der Endzeit-Typ könnte anscheinend doch recht behalten. Ich war völlig benommen und schwenkte um auf volle Reizüberflutung: Fernsehen. Ich entschied, auf Vernunft zu verzichten und gleich auf Hysterie zuzusteuern, also schaltete ich Fox News ein. Man musste nur ein paar Minuten zuschauen, bis man anfing zu begreifen, dass die Menschen dieses Mal verlieren könnten. Die Wichtigtuer regten sich darüber auf, dass die Regierung unsere Rechte einschränkte und man kämpfen müsste, um Amerika wiederherzustellen. Das bisschen Zeit, das der Sender dem wahren Problem widmete, hatte eine eindeutig religiöse Färbung, als es um das verschwommene Warum und Weshalb ging. Ich sollte hier nicht auf einem einzelnen Sender herumhacken, da sie einfach nur ihrer Zeit voraus waren.
Zum vielleicht sechsten Mal in den letzten zwei Stunden versuchte ich Liz oder irgendjemanden aus meiner Familie zu erreichen, kam aber nicht durch. Am Briefkasten lief ich meinem Hausnachbarn über den Weg, ein waschechter, pensionierter Hummerfischer aus Maine. Danny war Witwer und liebte es zu tratschen. Er sagte, ich solle einfach alles ignorieren.
»Hör zu, Professor, das ist das Werk der liberalen Medien. Wir sind alle Schafe für die. Wir tanzen nur nach deren Pfeife, okay, ein paar Schlitzaugen kriegen die Grippe, Gott möge sie schützen, aber lass die sich doch damit beschäftigen. Wir haben genug eigene Probleme.« Er legte eine ziemlich faltige Hand auf meine Schulter. »Hör mal, Mongolei? Machst du Witze, Professor? Wir beide wissen, dass es die Mongolei seit Genghis Khan nich' mehr gibt. Was glauben diese Harvard-Arschnasen, mit wem sie's hier zu tun haben?«
Am nächsten Tag ging alles den Bach runter. Unser Militär, ach was, das Militär der ganzen Welt wurde in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Die UN berief eine Sondersitzung ein. Ich traf zufällig einen Feuerwehrmann, der ein paar Etagen unter mir wohnte. Er war auf dem Weg zur Arbeit, aber mit einem Rucksack und einer Sporttasche. Jeder, der irgendetwas mit Vollzugsdienst, Feuerbekämpfung, Notfallmedizin und dem ganzen Zeug zu tun hatte, wurde einberufen. Eine Wagenburg bauen, nannte er es. Ich kann es schlecht erklären, aber die Gesamtstimmung bestand aus gedämpfter Furcht.
»Planst du, länger zu bleiben?«, fragte ich beiläufig, als wir aus dem Fahrstuhl traten.
»Ja.« Er machte ein paar Schritte, blieb stehen, und ohne sich umzudrehen, fragte er: »Hast du mal was vom Nationalen Einsatznetzwerk gehört?«
»Nein.«
»Gut.«
Er ging einfach davon. Ich habe seinen Namen vergessen, aber Danny setzte mich unaufgefordert über all die wichtigen Dinge ins Bild: seine schwierige Scheidung, dass er nicht fernsah oder Sport verfolgte, dass er von der Feuerwehr für irgendwas ausgezeichnet worden war und dass er auf der nationalen Rangliste im Schach stand. Jetzt hatte ich offiziell eine Scheißangst.
In Zentralasien ging die Sache schnell voran. Ganz China war im Ausnahmezustand, riesige Gebiete waren ohne Strom und es gab nur selten Neuigkeiten aus Peking, Shanghai oder Hongkong. Das Wenige, das durchkam, war offensichtlich stark zensiert und die Übertragungen wurden immer surrealer. Alle Zeichen deuteten darauf hin, dass etwas Unglaubliches passierte. China war die bevölkerungsreichste Nation der Welt, Weltklassewissenschaftler und ein totalitäres Regime, das mit so einer Situation umgehen konnte. Aber China war am Arsch.
Bis zum Ende der Woche war China verloren und Taiwan so gut wie erledigt – nur noch ein paar Meldungen von Bloggern, die von Tod und Zerstörung berichteten, Hölle-auf-Erden-Zeug. Südkorea bezeugte Krankheitsausbrüche in jeder größeren Stadt und es gab Gerüchte, dass das US-Militär abgezogen wurde. Nordkorea versammelte seine Armeen an der Grenze, aber man wusste, dass sie es auch hatten. In Japan gab es Vorfälle. Die Regierung bestand einfach weiterhin darauf, dass die Krankheit unter Kontrolle wäre. Noch am selben Tag gab Indien eine erschreckend ähnliche Mitteilung raus.
Innerhalb der nächsten paar Tage wurde aus Nepal, Vietnam, Laos, Thailand, Indonesien, den Philippinen und Malaysia offiziell Krankheitsausbrüche verkündet und ein ganzer Haufen Gerüchte besagte, dass es schon im Westen von Russland war, in Teilen des Mittleren Ostens und in Afrika. Einige Reportagen deuteten an, es stamme aus Zentralafrika, wo die Menschen einst menschlich geworden waren, aber warum zum Teufel war China dann so schnell im Eimer? Nichts ergab einen Sinn. Wir erhielten einfach nicht genügend Informationen. Jeder war von den sich ständig selbst widersprechenden Berichten verwirrt. Eines war aber klar, nämlich, dass die Menschen dieselben Arschgeigen waren, die sie schon immer gewesen sind. Plündereien und Aufstände schienen das übliche Prozedere in jeder infizierten Stadt zu sein. Wenn die Zivilisation um einen herum zusammenfiel, warum zum Teufel wollte man dann einen Breitbild-HD-3D-Fernseher klauen? Alles, was das Chaos anrichtete, war die Zerstörung schneller voranzutreiben. Wir alle hielten die Luft an und beteten. Ich starrte stundenlang auf meinen Bildschirm, während mein Verstand schrie: Nein, das kann doch nicht wahr sein!
Jedes westliche Land – eigentlich jedes Land der Welt – hatte inzwischen irgendeine Form von Quarantäne verhängt, wobei Großbritannien am strengsten war. Es gab Videos der britischen Marine, auf denen sie auf Segelboote schossen, die den Ärmelkanal zu überqueren versuchten.
Sie würden alle scheitern, kläglich.
Die Presse nannte es einfach Die Seuche und beschwor damit den Geist des Mittelalters herauf. Man sagte, es wäre so etwas wie die Vogelgrippe, ein neues Virus, das engen Kontakt mit Infizierten erforderte, nur so könne man sich anstecken. Wenn das stimmte, warum verbreitete es sich dann so verdammt schnell? Und warum betraf es alle Altersgruppen? Wenn es die Vogelgrippe oder irgendein neuer Erregerstamm wäre, dann könnte doch ein Impfstoff gefunden werden. Eine Stimme in meinem Kopf sagte mir, dass dies kein Grippevirus war. Die Regierung beteiligte sich immer mehr an der Verbreitung von Fehlinformationen und der Lügenhaufen stapelte sich stundenweise höher und höher. Die (offizielle) Inkubationszeit zwischen der ursprünglichen Infizierung und den ersten klinischen Anzeichen war unbekannt. Dies konnte möglicherweise bedeuten, dass infizierte Individuen die Krankheit schon seit Tagen oder Wochen verbreiteten, bevor sie überhaupt wussten, dass sie krank waren. Die meisten Reportagen waren sich über die Symptome einig: hohes Fieber, Inkontinenz, Übelkeit, Delirium, großflächige Blutungen und letztendlich der Tod.
Ich wusste verdammt gut, dass Influenza als vorwiegende Lungenkrankheit keine Blutungen verursacht, also was zum Teufel war hier los? Es gab eine sehr hohe Sterberate (jemand im Internet berichtete von fünfundneunzig bis hundert Prozent), wobei die meisten Opfer innerhalb von drei bis vier Tagen starben (Blogger behaupteten, es wären bloß Stunden). Wir wurden nicht offiziell informiert, was nach dem Tod passierte, aber nach all den Videos, Augenzeugenberichten, Gerüchten und inoffiziellen Meldungen wusste jeder entweder Bescheid oder steckte den Kopf in den Sand und betete. War auch egal, alle Kanäle waren angefüllt mit Furcht, Erlösung und Endzeitstimmung.
Nach fast einer Woche der Isolation und einem weiteren frustrierenden Tag zu Hause, an dem ich zu telefonieren versuchte, Mikrowellenmahlzeiten aß, auf die Stadt starrte und mir vormachte, es wäre nichts geschehen, rief ich einen guten Freund im Zentrum für Krankheitskontrolle an. Dr. David Clark war nicht bei der Abteilung für ansteckende Krankheiten, aber er war unheimlich clever und stand hoch genug in der Organisation, um wenigstens ein ungefähres Bild von dem zu haben, was da vor sich ging. Ich kam bei meinem dritten Versuch unter seiner Büronummer durch, vielleicht waren die Anrufe beim ZKK irgendwie priorisiert. Wir hielten etwas verspannten Small Talk und er brachte mich dazu, vom Handy zum Münztelefon und dann zu einer anderen Nummer zu wechseln. Zum Glück war Bangor etwas rückständig und es gab immer noch Telefonzellen. Sind Münztelefone nicht auch einfach wie Handys? Jedenfalls war es gut, mal aus der Wohnung zu kommen, und als ich umherwanderte, um ein Telefon zu finden, fiel mir auf, dass nur noch wenige Autos fuhren, kaum jemand auf der Straße und es eigenartig ruhig war.
»Verdammt noch mal, David, was zur Hölle ist los?«
»Wenn ich das nur wüsste, John, alles versinkt im Chaos.« David fing an, schwer zu atmen. Man konnte ihn fast zittern hören. »Okay, das ist, was ich wirklich weiß: Es stammt aus der Filoviridae-Familie, ist Ebola sehr ähnlich bis hin zum Hirtenstab, aber viel größer, okay? Das sind keine Achtzehn- oder Neunzehntausend, wir reden hier von über zwanzigtausend Nukleotiden! Beschissen groß. Es ist was eigenartig an der Zusammenstellung und offensichtlich haben wir so etwas noch nie gesehen. John, da geht irgendein Prionen-Mist ab, gegen den Filo-Viren nichts sind! Es sieht übel aus. Okay, keiner ist sich sicher, es sieht zu vertraut aus, um außerirdisch zu sein oder aus 'nem Tiefseeschlot zu kommen, aber es gibt Gerede, sehr glaubwürdiges Gerede, dass es von Menschenhand geschaffen wurde.« Daves Stimme zitterte jetzt vor Angst.
»Was? Von Menschenhand? Oh nein, nein, nein! Das wäre echt übel! Du willst mich doch wohl verarschen!«
»So ist es aber, Kollege. Da denkst du, du bist auf so was vorbereitet, du trainierst, du planst eine Million Szenarios in tausend Computern und dann kriegen wir Zombies! John, ein paar Jungs in Kanada haben ein mathematisches Model für den Ausbruch einer Zombieinfektion ausgearbeitet. Weißt du, worauf sie gekommen sind? Schnelles, aggressives Eingreifen! Ein Haufen Deppen in Ottawa sagen, wir sollten zurückschlagen. Scheiße, Mann, deren Zombies waren von der langsamen Sorte und sogar dann standen die Chancen eher schlecht.« Dave wollte sich aufregen und der Ton in seiner Stimme sagte mir alles, was ich wissen musste. »Du weißt, was R 0 ist, oder?«
»Klar, eine Reproduktionsrate, richtig?«
»Na, dann halt dich mal fest, denn dieser hat 'ne Rate zwischen dreißig und sechzig! Es ist unmöglich, glaubwürdige Daten zu bekommen … das ist derart beschissen, Mann! Bleib dran.« Dave deckte das Telefon ab, aber ich konnte ihn mit jemandem reden hören. Zwischen dreißig und sechzig! Das bedeutete, dass ein infiziertes Wesen bis zu sechzig weitere anstecken könnte. Das war unglaublich, die Reproduktionsrate von Pocken lag irgendwo zwischen drei und zwanzig!
David war wieder dran. »Sorry. Ich weiß nicht, John, vielleicht hättest du in deiner chilenischen Wüste bleiben sollen, ich kann mir eine Menge schlimmerer Orte vorstellen. Mit jedem Tag kommen mehr und mehr Leute nicht zur Arbeit oder kehren einfach nicht von der Mittagspause zurück. Ich weiß nicht, was ich hier noch mache. Man fragt nach einem Bericht und es heißt, es könnte eine Woche dauern, das Netzwerk bricht zusammen und wieder ist ein Tag vorbei, während die IT-Abteilung versucht, es zu reparieren, falls das noch geht. Niemand redet mehr miteinander, verdammt noch mal! Wir sitzen alle in einem großen Haufen Scheiße und es wird immer noch rumgespitzelt. Wer zum Teufel glaubt denn, dass da noch 'ne Beförderung rausspringt? Wir haben dieses Ding nicht mal ansatzweise verstanden, von einem Heilmittel ganz zu schweigen. Selbst wenn wir uns zusammenraufen könnten, läge meine beste Schätzung bei zwei bis drei Jahren. Die Regierung hat sich schon den Fortbestand der Staatsgewalt gesichert und wir stehen im Grunde unter militärischer Aufsicht. Was die Forschung angeht, ist alles Schwachsinn. Es ist ein verdammtes Durcheinander. Die Schweinehunde beim Militär reden nicht mit uns. Ich versuche, Freunde in Russland anzurufen und soll einen offiziellen Antrag stellen! Die USA kopieren den Scheiß, den die Briten gemacht haben, die Briten kopieren die Russen, die Russen machen das Gleiche mit den Chinesen. Und die Chinesen, nun, wer weiß, die sind vermutlich hin. Im Moment wird die Anzahl der Infizierten in Asien auf über zwei Milliarden geschätzt.«
»Was?« Zwei Milliarden! Menschen denken normalerweise nicht über solche großen Mengen nach und ich konnte so etwas nicht verarbeiten. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte.
»John, das ist bewusst niedrig geschätzt. Diese Zahl wird herumgeworfen, um die Menschen nicht zu beunruhigen. Es gibt eine Menge, was ich nicht weiß, und jeden Tag wird mir mehr und mehr vorenthalten. Dieses Mal könnte es so weit sein.«
»Was? David, WAS denn?«
»Armageddon. Dieses Mal könnten wir erledigt sein. China, Nepal, Buthan, Taiwan und große Teile Indiens sind bereits verloren, und so, wie es aussieht, meine ich jeden Einzelnen. Diese Scheiße hat sich inzwischen wie ein Lauffeuer weltweit verbreitet, zwei Milliarden sind nichts, John, und die beschissenen Nuklearspielchen, die Indien und Pakistan treiben, sind noch nicht mal mit eingerechnet. Wenn ich du wäre, würde ich in Richtung Norden ziehen, wo es richtig kalt ist, und dort bleiben. Meiner Einschätzung nach sind hier schon andere drauf gekommen. Ich weiß nur, dass ich nicht auf die Arche eingeladen werde, wenn es anfängt zu regnen. Mensch, ich hoffe, du bist gelenkig genug, um deinem Arsch 'nen Abschiedskuss zu geben, denn ich glaube, ich kann den Schwanengesang hören, Kumpel. Ich schicke Jenny und die Kinder zu einem Freund nach Idaho, denn ich krieg' sie nicht nach Kanada.« Dave schien den Tränen nahe zu sein und mir ging's genauso.
»Wir haben alle ziemlich Schiss hier in Atlanta. Niemand scheint zu wissen, was zu tun ist. Oh Mann, ich bin aus Kalifornien, du weißt schon, ein Sonne-und-Strand-Typ, und ich werde in Georgia sterben! Irgendwo im Kosmos lacht sich gerade jemand über mich schlapp. Ich wünsche uns allen das Beste! Ich muss weg, mein Freund. Ich denke nicht, dass wir uns noch mal wieder sprechen werden, also pass auf dich auf.«
»Viel Glück, David.«
Ich hielt den Hörer noch lange Zeit fest und starrte auf die Tasten. Mein Verstand hörte nicht auf, die Zahlen rückwärts zu lesen, von neun bis eins. Ich hatte nicht erwartet, dass der Anruf erbaulich werden würde, aber dass er mich so hart traf, hatte ich mir auch nicht vorgestellt. In Zeiten wirklicher Krisen waren die USA sehr gut, sogar brillant, und das kleine Kind in mir war sich fast sicher, dass wir uns noch ein Kaninchen aus dem Arsch ziehen würden. Aber wenn David recht behielt … Ein Filovirus aus Menschenhand? Wer … Warum … Wofür? Warum zum Teufel sollte man so etwas tun? Waren Atomwaffen zu sehr zwanzigstes Jahrhundert? Zwei Milliarden waren niedrig geschätzt? Was war verdammt noch mal mit Indien und Pakistan los?
Irgendein Typ brüllte mich an, ich solle das Telefon freigeben, und als ich mich umdrehte, um ihn anzuschauen, trat er nur zurück und rannte davon. Ich legte auf, lief rüber zu einem Schaufenster und sah mein Spiegelbild an. Ich wusste jetzt, warum er weggelaufen war. Schweiß lief an mir herunter und ich zitterte. Ich schaute auf meine Hände. Sie waren ganz weiß.
Die Familie der Filoviren war eine Sorte negativ polarisierter Einzelstrang-RNS. Sie hatte verschiedene Gattungen, wobei Ebola und das Marburg-Virus am bekanntesten waren. Beide waren extrem tödlicher Scheiß. Als junger Student hätte ich fast zu Mikrobiologie gewechselt, um diese Art von Virus zu studieren. Ebola war faszinierend, weil es die volle Bandbreite der Sterblichkeitsraten umfasste, von null Prozent wie bei Ebola Reston bis zu über achtzig Prozent bei Ebola Zaire, einem der tödlichsten bekannten Krankheitserreger. Es verursachte hämorrhagisches Fieber und eine wirklich fiese Art zu sterben: massives Organversagen und Blutungen aus allen Körperöffnungen, das volle Programm. Anders als grippeartige Viren waren Filoviren nicht aerogen. Sie benötigen direkten Kontakt mit dem infizierten Material: Blut, Gewebe oder Erbrochenes. Wenn es also einen Ausbruch gab, normalerweise in einem abgelegenen, rückständigen Nest (sorry, Reston, Virginia), dann lief es sich schnell tot. Nun, dieses würde sich nicht totlaufen, da wir eine ganz neue Wendung in der Epidemiologie-Geschichte haben; verdammte Zombies!
Ich kam heim und versuchte es noch einmal bei Liz, aber ohne Erfolg. Es schien, als wäre das System noch in Ordnung, aber dieses Mal bekam ich keine Ansage zu hören, dass die Leitungen besetzt wären. Der Anruf ging einfach nicht durch. In gewisser Weise lenkte mich das Ende der Welt ab und ich versuchte nicht über Liz und meine Familie nachzudenken oder ob ich sie je wiedersehen würde.
Jeden Tag wurde es schlimmer und schlimmer. Ägypten, Kasachstan, Türkei, Rumänien, Brasilien, Deutschland, Argentinien, Israel, Frankreich, Australien … die Liste wurde immer länger. Es war einfach ein klassisches Beispiel eines neuen tödlichen Virus in einer jungfräulichen, mobilen Population. Es ärgerte mich, dass Südamerika und Australien es nun auch hatten. Ich hatte im Stillen gehofft, dass sie es schaffen würden, sich abzuschotten und den Sturm auszusitzen.
Am Anfang der zweiten Woche seit meiner Rückkehr wusste jeder, dass es auch in den USA war, es konnte gar nicht anders sein. Ich startete den Versuch, meinen Bruder in Montana anzurufen und kam sogar bis zum ersten Klingeln, als die Verbindung abbrach. Während die Welt den Bach runterging, fütterten uns die Medien mit dem immer gleichen Scheiß. Niemand könne über die Grenzen, die Quarantänebestimmungen der USA seien die besten der Welt, wir hätten bald ein Gegenmittel, in ein paar Wochen würde alles wieder unter Kontrolle sein und die Toten stünden nicht wieder auf. Uns allen stand das Wasser nun bis zum Hals.
Ich dachte daran, mich in den Süden abzusetzen und zu meiner Mutter nach Rhode Island zu fahren, aber es war schon zu spät, die großen Schnellstraßen waren nun auf militärische und offizielle Zwecke beschränkt. Laut den Berichten aus Internet, Fernsehen und Radio sah es so aus, als wären die Nebenstraßen ein heilloses Durcheinander. I95, Route 1 und die 202 waren nichts weiter als ein länglicher Parkplatz. Abgesehen von einem Helikopter, sollte man die Freigabe zum Abflug haben, oder einem Boot gab es keinen Weg mehr in Richtung Süden.
So wie jeder andere hatte auch ich mehrere Ausflüge zum Supermarkt und zum Eisenwarenladen gemacht, um mich mit dem Wichtigsten einzudecken, in der Hoffnung, ich könnte in meiner Wohnung bleiben und dieses Ding vorbeiziehen lassen. Um ehrlich zu sein, war ich mir nicht sicher, was wirklich das Wichtigste war. Ich hatte Glück, da ich zu beiden Läden laufen und einen meiner großen Expeditionsrucksäcke benutzen konnte, um das Zeug nach Hause zu schleppen. Wie erwartet waren die Läden brechend voll. Es war nicht wie das Warten darauf, dass ein Hurrikan oder Schneesturm eintraf. Man sah sich nicht an, kein Getratsche über angesagte Landungen oder Windgeschwindigkeiten oder eine Sturmflut. Jeder war auf einer Mission, das zu besorgen, was man brauchte und zu seiner Familie zurückzukehren. Wir alle waren von Angst geplagt, versuchten aber sehr angestrengt, uns normal zu benehmen.
Im Supermarkt begegnete mir eine Frau, die zwei Dosen gebackener Bohnen hielt, verschiedene Sorten meiner Lieblingsmarke, B&M, original und Ahorn. Es schien, als könne sie sich nicht entscheiden, welche sie kaufen wollte. Sie musste schon eine Weile da gewesen sein, da der komplette Gang leer geräumt war. Ihr Einkaufswagen war ebenfalls leer. Ich ging hinüber, um zu sehen, ob sie Hilfe brauchte und hörte, wie sie mit sich selbst über den unterschiedlichen Kaloriengehalt der Dosen sprach. Ich stand einfach da und mir ging auf, dass der Frau nicht zu helfen war.
Bei meiner zweiten Lebensmitteltour war die Frau verschwunden und es war fast nichts mehr zu bekommen und keiner zahlte. Ich landete schließlich bei den Konserven und alles, was ich finden konnte, waren Pilze! Ich hasste Pilze, verdammt noch mal!
Miami war die erste große US-Stadt, die offiziell infiziert war, aber hey, der Staat war eine große Halbinsel und könnte unter Quarantäne gestellt werden. Ich hörte einen Experten erzählen, wir könnten in ein paar Tagen einen Zaun um Florida bauen, so etwas wie der mexikanische Grenzzaun. Problem gelöst! Dann bauen wir einen um: LA, New York, Philadelphia, Atlanta, St. Louis, Omaha, Denver, Houston und so weiter und so fort. Ich kannte die genaue Reihenfolge nicht, die Dominosteine fielen so schnell. In den USA, genauso wie im Rest der Welt, war die Reaktion der Menschen zu randalieren, zu plündern und Feuer zu legen. Im Grunde genommen war nach achtundvierzig Stunden alles vorbei. Als Boston ebenfalls zur infizierten Stadt erklärt wurde, füllte ich meine Badewanne, das Waschbecken und jedes Gefäß, das ich besaß, mit Wasser. Ich wohnte ganz oben im vierten Stock und der einzige Weg hinein führte durch die Vordertür. Ich entschied mich dazu, mich abzuschotten und zu warten; mich durchzuschießen, wenn ich musste, und die letzte Kugel für mich selbst aufzuheben. Wenn ich meine Vorräte rationierte, waren drei Wochen kein Problem, aber was dann? Mein Nachbar Burt war verreist und ich schätzte, er würde in nächster Zeit nicht zurückkommen, also verschaffte ich mir Zutritt (wir hingen nicht wirklich zusammen rum, hatten aber vor Jahren Schlüssel ausgetauscht) und durchsuchte seine Wohnung. Als Erstes ging es ans Wasser. Burt war ein Junggeselle wie ich, im Finanzwesen beschäftigt, und ein Gesundheitsfanatiker. Während die Wanne volllief, checkte ich die Schränke. Im Gegensatz zu mir aß er anscheinend nichts aus Dosen, mit einer Ausnahme … Pilze. Ich wusste, dass der Strom irgendwann ausfallen würde und ich würde das Gemüse zuerst essen müssen, nicht, dass es viel davon gab. Möhren, grüne Bohnen, Tomaten, Brokkoli, Salatmix in der Tüte und Grünkohl. Grünkohl? Wer aß denn so was? Bei meinem flüchtigen Durchsuchen fiel mir in der Wohnung nichts weiter auf. Ich fühlte mich wie ein Eindringling, also ließ ich Schubladen und Schränke geschlossen, fürs Erste zumindest. Meine anderen zwei Nachbarn gingen nicht an die Tür. Ich gab mir selbst einen Tag Zeit zu entscheiden, ob sie zu Hause waren, bevor ich bei ihnen einbrechen würde.
Zwei Jahre zuvor hatte ich eine Ruger SR9 und einen Haufen Munition gekauft. Es war eine Halbautomatik mit siebzehn Schuss pro Ladestreifen, und wenn man erst mal das Holster trug, fühlte man sich wirklich wie ein knallharter Typ. Ich hatte einen Kurs im Umgang mit Schusswaffen gemacht und mich tatsächlich ganze zwei Mal motiviert, zum Schießstand zu gehen und damit zu spielen. Ich habe absolut keine Ahnung, warum ich das Ding überhaupt gekauft hatte. Ich war nicht in Gefahr oder verliebt in Knarren gewesen, ich war einfach der klassische, amerikanische Konsument. Es sah cool aus, ich hatte Bares, keine Vorstrafen und nun hatte ich eine Kanone. Wie bei den meisten meiner Impulskäufe verlor ich bald das Interesse und sie wanderte in den hinteren Teil meines Kleiderschranks. Nun erschien es mir wie eine meiner besseren Kaufentscheidungen.
Ich setzte mich auf meinen Balkon, schaltete das Radio ein und machte eine Royal Crown Cola auf. Ich versuchte weiterhin Liz anzurufen, aber die Leitungen waren dicht und ich bekam nur einen Piepton. Ich schaute über den Penobscot River und in die Innenstadt von Bangor. Die Dinge fingen an, sich zu verändern, da war Rauch in der Ferne, hupende Autos, Sirenen, aber keine gemeldeten Aufstände. Und doch, wenn man das alles ausblendete, könnte man in der Lage sein, sich selbst davon zu überzeugen, dass es nur ein wunderschöner Maitag war und uns ein toller Sommer bevorstand.
Ich saß da wie benebelt. Mein Verstand raste. Es war einfacher zu verarbeiten gewesen, dass die Hölle ganz woanders ausbrach, aber die Tauben waren schließlich heimgekehrt und das Ende der Welt stand vor meiner Tür. Der menschliche Verstand ist ein komisches Ding, denn mein gedanklicher Faden ging fließend vom Ende der Welt zu Bedauern über, dass ich dieses Jahr den Orono Farmers Market verpassen würde. Teil meiner besser-essen-besser-leben-Strategie, die meist ein oder zwei Monate anhielt, und dann fiel mir ein, dass dies meine letzte Adresse sein könnte.
Nach etwa einer Stunde kam ich einigermaßen zu mir und mein Gehirn begann zu registrieren, dass es mehr Brände am Horizont gab, deutlich mehr Sirenen und dass meine Cola schal war. Ich überlegte, dass die Stadt eine Bevölkerung von etwa einunddreißigtausend hatte, in unmittelbarer Umgebung etwa hundertfünfzigtausend, und ich hatte zweiundfünfzig Kugeln für die Ruger.
Während die Regierung die Print- und Mainstreammedien kontrollieren konnte, ließ sich das Internet nicht so leicht abstellen und die Wahrheit strömte herein. Die eigentliche Seuche war nicht das Hauptproblem. Richtig schlimm waren die wandelnden Toten und ihre bösartige Natur. Es war inzwischen weitgehend bekannt, dass ein Biss schnell zur Infektion, zum Tode und dann zur Reanimation führte. Man hörte, die Untoten fräßen nur Teile der frisch Verstorbenen, zumindest bis zur Wiederbelebung. In einem Bericht hieß es, Zombies würden leicht von den Lebenden abgelenkt. Na Gott sei Dank, ich bin doch noch zu etwas gut. Das typische Opfer würde nach weniger als einer Stunde auferstehen; jeder, der durch Bisswunden starb, kam wieder zurück und man sollte das Gehirn zerstören, um die Untoten zu töten. Der Anatom in mir störte sich etwas an der Kopfschuss-Geschichte. Der wissenschaftliche Teil meines Verstands sagte mir, dass das keinen richtigen Sinn ergab; als ob es zur normalen Dosis rationalen Denkens gehörte, dass die Welt von Zombies zerstört wurde.
Mein Handy klingelte! Es war Elizabeth; reines Glück, dass sie durchkam. Ich war erleichtert, überglücklich und wollte augenblicklich sentimental werden, aber sie sagte nur, ich solle die Klappe halten und zuhören. Ihr Ex, Roy, hatte einen Plan und wollte mich einladen. Er wusste von unserer Freundschaft und war überraschend solidarisch. Sie waren als Freunde auseinandergegangen und nach sechs Jahren und seiner Wiederverheiratung wollte er nur ihr Bestes. Wie sich herausstellte, war Roy so 'ne Art Überlebenskünstler, was Elizabeth nie erwähnt hatte. Er liebte Kanonen und große Maschinen. Ja, das ging Hand in Hand mit dem Survival-Thema, aber auch wieder etwas, dass sie nie erzählt hatte. Er hatte zwei Freunde mit großen Wohnmobilen und ein paar andere mit Segelbooten. Roy besaß einen Hummer, der frisiert war, und laut Liz war Roy fast schon aus dem Häuschen, dass die Apokalypse bevorstand. Der Plan war, so schnell wie möglich zusammenzukommen, sich auf den Weg zur Küste zu machen, zu den Booten zu gelangen, Richtung Süden zu fahren, eine Insel zu finden und darauf zu warten, dass alles vorüberzog. Ich sollte sie auf der anderen Seite der Stadt treffen.
Es war eindeutig Zeit zu gehen, also tat ich das auch.