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Die Huren von Babylon

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Ich geh dem Kleinen noch kurz die Welt zeigen“, verkündete Bürgi. Er zog sich seine Turnhose zurecht und sah fragend in die Runde. „Kommt einer mit?“

Nun war die gemeinsame Blasenentleerung vor der Turnstunde mittlerweile schon ein festes Ritual und die Frage nach interessierten Teilnehmern daher rein rhetorisch. Am Ende machte sich ja doch immer das gleiche Grüppchen auf den Weg. Nur einer fehlte heute, und als wir ins Klo traten, war auch klar, wieso. Der Abwesende war schliesslich aufgrund seiner vormundschaftsverordneten Grünzeugdiät für den Abgang von übelriechenden Geruchswolken bekannt und berüchtigt und so waren wir uns sicher, den Schuldigen für den grausigen Gestank, der uns entgegenschlug, gefunden zu haben.

„Thuri, du permanentscheissendes Dickdarmmonster“, maulte Peter los und baute sich grinsend vor der Kabinentür auf. „Wegen dir Stinktier fallen hier draussen schon die Fliegen tot von den Wänden. Die Gülle treibt einem ja die Tränen in die Augen, hähä.“

Wir prusteten los und klopften dem einfallsreichen Maulhelden beifällig auf die Schultern. Von der allgemeinen Heiterkeit ermutigt, machte sogar der schüchterne Hans mit.

„Pass bloss auf, dass dir bei dem Gestank dein Arschloch nicht abfault, du, äh, furzbuckliges Warzenschwein du“, rief er, was für weitere Lacher sorgte.

Den Vogel schoss aber eindeutig Bürgi ab.

„Zum Teufel mit all seinen babylonischen Huren nochmal“, schrie er, „hast du einen toten Pfaffen gefressen oder was?“ Er trat grinsend ein paar Mal gegen die Klotür. „Hier draussen stinkt‘s ja, als ob der Teufel persönlich sein Arschloch gelüftet hätte, hähähä.“

Spätestens dann war es um unsere Selbstbeherrschung geschehen. Wir hielten uns die Bäuche vor Lachen und es dauerte eine Weile, bis das Lachen abebbte. Bürgi wischte sich glucksend die Lachtränen aus den Augen und als sich knarrend die Klotür öffnete und uns eine Welle üblen Gestanks entgegenwehte, hielt er sich kindisch die Nase zu und röchelte albern.

Und so röchelte er sogar auch dann noch, als Pfarrer Brändle aus der Kabine trat.

Nur halt nicht mehr albern.

Mit schreckgeweiteten Augen sah er zu dieser riesigen Erscheinung auf, die wie ein Racheengel über ihm thronte.

Mit einem Kreuz wie ein Sumo-Ringer und seinem Abraham Lincoln Bart war unser Religionslehrer schon in guter Laune ein imposanter Anblick. Seine gute Laune musste ihm aber gerade irgendwie abhandengekommen sein. Es dauerte nur Sekunden und schon gaben die ersten Fersengeld. Und es dauerte nur eine Sekunde mehr, ihnen hinterherzurennen.

Nur Bürgi starrte immer noch wie hypnotisiert zu Pfarrer Brändle hoch. Die beiden hatten seit ein paar Wochen ein etwas gespanntes Verhältnis.

Pfarrer Brändle hatte damals den Unterricht mit dem wohlgemeinten Hinweis beendet, dass, wenn jemand noch Fragen habe, er sich ruhig melden solle. Dass ausgerechnet Bürgi, der bisher nicht durch rege Teilnahme am Unterricht aufgefallen war, als erster die Hand hob, überraschte ihn sichtlich. Und als Bürgi loslegte, war nicht nur er überrascht.

„Sagen Sie mal, Herr Pfarrer Brändle“, begann er dreist, „was verdient man als Pfarrer eigentlich so? So ein VW Golf, wie Sie einen fahren, kost‘ ja ein Schweinegeld. Das täte mich momentan grad interessieren.“

Pfarrer Brändle stockte kurz und man konnte sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Dann aber zog er sich elegant aus der Affäre, indem er mit entsättigten Farben ein derart düsteres Bild eines am Rande des Existenzminimums dahinvegetierenden Dieners der Gemeinde malte, dass man am Ende seiner Ausführungen versucht war, eine Kollekte für den Ärmsten zu veranstalten. Einige Mädchen wischten sich sogar Tränen aus den Augen, weil das Schicksal des ausgehungerten, mehr schlecht als recht von der Hand in den Mund lebenden 115 Kilogramm Hünen sie dermassen berührte.

Jetzt war die Zeit für eine Revanche gekommen, wie es schien.

„Soso, der Bürgi mal wieder“, lächelte Pfarrer Brändle grimmig, wenn auch nicht unzufrieden. „Du sag mal, Bürgi, wo du doch so gerne von den babylonischen Huren erzählst. Was sind denn das für welche? Das täte mich momentan grad interessieren.“

Mit dieser Frage hatte Bürgi nun wirklich nicht gerechnet.

„Jaa, äh, ähm, halt Huren halt…“, stotterte er unsicher, „so babylonische, eben.“

„Soso, grad Huren. Und was machen die denn so, diese ‚babylonischen Huren‘?“

„Jaa, äh, herumhuren, halt. Und so..“

„Aha, herumhuren. Und so…“

„Ja.“

„In diesem Babi.. wie war das noch?“

„In Babylonien“

„Aha. Was ist das denn, dieses Babylonien? Ist das etwa ein Bordell hier in der Gegend? Du wirst mir in deinem Alter doch noch kein Bordell kennen? Das würde mich jetzt aber wundern, würde mich das.“

„Äh, nein, das ist so ein Land, ist das…so eins.“

„Ach so, ein Land ist das. Ja, da bin ich aber froh, bin ich da. Und wo liegt es denn, dieses äh, ‚Babylonien‘?“

„Ja, äh, weit weg. Im Ausland, sozusagen.“

„Aha, weit weg im Ausland also. Sozusagen. Soso.“

Pfarrer Brändle räusperte sich kurz die Kehle frei.

„Weisst du was, Bürgi? Tu mir doch einen Gefallen und schreib bis am nächsten Mittwoch einen vier…nein, besser fünfseitigen Aufsatz über diese babylonischen Huren. Du scheinst dich mit diesem Thema ja bestens auszukennen. Und wer weiss, unter Umständen würdest du im Neuen Testament in der Offenbarung des Johannes auch noch den einen oder anderen Hinweis finden, der dir weiterhilft. Vielleicht solltest du dich da mal schlau machen und dort die Geschichte nachlesen. Unsere Bibliothekarin würde dir sicher eine Kopie leihen, wo du dich doch so sehr für dieses Thema interessierst. Nun, was meinst du, Bürgi, würdest du mir diesen Gefallen tun?“

Bürgi schluckte trocken.

„Äh, ich weiss nicht, Herr Pfarrer Brändle, mir wäre---“

„Bis am Mittwoch dann“, fiel ihm Pfarrer Brändle ins Wort und legte ihm seine Pranke auf die Schulter. „Und nicht vergessen. Fünf Seiten.“ Und mit einem Blick zu uns, wie wir unsere Nasen an der Glastür plattdrückten, um nur ja nichts zu verpassen: „Ah, wie ich sehe, warten deine Kameraden schon auf dich. Du solltest dich vielleicht sputen.“

„Äh, ja, Herr Pfarrer“, gab Bürgi leise von sich und machte sich dann mit hängendem Kopf davon.

Dieser Vorfall sollte viel zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen Pfarrer Brändle und Bürgi beitragen, welches nun von gegenseitigem Respekt geprägt war. Gut, ganz ausgeglichen war das Verhältnis nicht, es war eher so 90 zu 10 zugunsten Pfarrer Brändle, trotzdem (oder vielleicht ja auch gerade deswegen) sind die beiden nie mehr aneinandergeraten. Und von diesen berühmten „babylonischen Huren“ haben wir Bürgi auch nie mehr reden hören.

Umgekehrt wäre ich mir da nicht so sicher, gäbe es sie denn, diese „babylonischen Huren“ aus „Babylonien“, denn zumindest die Geschichte mit der Dusche hat sich damals weit herumgesprochen und es wäre gut denkbar, dass sie selbst in Babylo…

Was, Sie kennen die Geschichte mit der Dusche noch nicht?

Dann lassen Sie mich Ihnen auf die Sprünge helfen.

Bubenträume

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