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Vorwort von Thorsten Dietz

Sebastian Rink hat genau die Art von Buch geschrieben, die ich als junger Agnostiker auf der Suche gerne entdeckt hätte. Ich kann mich gut an die Zeit erinnern, als ich zum ersten Mal gründlicher in die Bibel schaute. Bald bekam ich eine Ahnung davon, wie anders als gedacht dieses Buch ist. Viel faszinierender und vielschichtiger, als ich in meinem jugendlichen Unglauben geahnt hatte.

Zugleich merkte ich auch, dass sich die biblischen Texte jenseits der bekannten Geschichten keineswegs leicht lesen lassen. Und wenn man Anleitung sucht, hat man oft nur die Wahl zwischen wissenschaftlicher Bibelauslegung jenseits aller existenzieller Fragen – oder erbaulicher Bibelbetrachtung für Gläubige, denen schon alles klar zu sein scheint. Dieses Buch ist für alle, die mit diesen Alternativen unzufrieden sind.

Rinks Buch wendet sich nicht an Menschen, denen der Glaube fraglos sichere Gewissheit ist. Er betrachtet die Bücher der Kleinen Propheten gewissermaßen von außen, aus einer historischen Perspektive. Der zeitliche Abstand, das heutige Befremden über vieles, was in diesen Büchern steht, wird nicht überspielt, sondern ganz ernst genommen. Und zugleich bleibt die Auslegung nicht rein historisch. Sie fragt nach der Relevanz dieser Bücher für uns heute.

Die Kleinen Propheten spielen selbst im Leben der meisten Gemeinden eine viel zu geringe Rolle. Klein sind nur ihre Bücher. Die Botschaft ist schlechthin großartig. Jugendliche müssen bis heute vielfach ihre Namen auswendig lernen für den Konfirmandenunterricht oder die Biblische Unterweisung. Anschließend kann man sein Leben lang Gemeindeveranstaltungen besuchen und hört so manchen Prophetennamen nie wieder. Das Buch Amos ist das älteste Prophetenbuch der religiösen Weltliteratur. Sein Inhalt ist revolutionär. Warum spielt er im Bewusstsein der meisten Gläubigen kaum eine Rolle? Warum ist das so?

Die Texte lesen sich nicht leicht. Zumal in einer Zeit schwindender Lesekompetenz, weil immer mehr Zeit in den Konsum von Bildern und Filmen fließt. Sich ein Prophetenbuch so zu erschließen, dass man von der Botschaft persönlich berührt wird, ist Arbeit. Die Kleinen Propheten zerstören die Illusion, dass die Bibel ein müheloser Besitz ist. Sie zu verstehen kostet etwas. Aber wenn ich mir in einer Sache sicher bin: Der Preis, den man mit dieser Anstrengung bezahlt, ist unendlich viel geringer als das, was man gewinnt.

Sebastian Rink führt in jedes Prophetenbuch anhand einer zentralen Fragestellung ein. Was ist die eine Botschaft, die man nicht verpassen sollte? Von welchem Zentrum her erschließt sich der Reichtum eines solchen Textes? Was lernen wir bei Hosea über das, was Religion von Moral oder Kultur unterscheidet? Welche Bedeutung hat die nichtmenschliche Um- und Mitwelt beim Propheten Joel? Beim Michabuch werden wir mit der schillernden Bedeutung von Macht konfrontiert und mit der Frage, was Gott mit Godzilla zu tun hat ... Beim Propheten Habakuk erschließt uns Rink die Achillesferse des Glaubens: das Problem des Leidens. Der Prophet Nahum wirft schließlich die Frage auf, wie wir umgehen können mit menschlichem und göttlichem Zorn über das Böse in der Welt. Nie verharmlost Sebastian Rink die prophetische Botschaft. Er verschont weder die Leser*innen noch sich selbst noch die Prophetenbücher vor harten Rückfragen.

Menschen mit einem frommen Hintergrund mögen sich stören an dem, was ihnen als skeptische Grundhaltung dieses Buches erscheinen mag. Sebastian Rink geht vom Forschungsstand der heutigen Bibelwissenschaften aus. Er verschweigt nicht ihren Konsens, dass nicht jeder Satz von dem Propheten stammt, dessen Name über dem Buch steht. Denn die Prophetenbücher stammen aus einer Zeit, die noch gar keinen Begriff von Autorenliteratur hatte, sondern Traditionsliteratur pflegte, in der die Fortschreibung eines Textes als Treue zur Überlieferung verstanden wurde. Ebenso wenig geht er davon aus, dass die Erzähltexte immer historische Ereignisse berichten wollen. Historische Exegese will den Texten gerade in ihrer Fremdheit gerecht werden. Die Propheten sind Menschen in ihrer Zeit, die zu ihren Zeitgenossen reden. So liest Sebastian Rink die Prophetenbücher auch nicht direkt als Gottes Worte an uns. Er legt sie als menschliches Ringen mit dem Leben aus und darin auch als Buch über Erfahrungen mit Gott. Wer sich so auf diese Texte einlässt, dem kann es passieren, dass Gott ihm erst einmal fremd wird. Und das ist gut so. Denn das Wort Gott (das Rink gerne als G*tt schreibt), gewinnt so wieder etwas von dem Geheimnis zurück, das notwendig zum Reden von und über Gott gehört.

Das Wirken der Propheten bringt Rink auf einen Begriff: Sie reklamieren Gott. Gott gehört uns nicht. Aber manchmal verschafft er sich Gehör. Reklamieren ist kein schönes Wort. Wer reklamiert denn heute, bitteschön? Fußballer, wenn sie einen Elfmeter wollen, genervte Kund*innen, wenn sie mit der Ware unzufrieden sind.

Wer reklamiert, wird schnell als nervig empfunden. Als Störenfried. Darum passt das Wort ziemlich gut zu den Propheten. Sie waren die Nervensägen ihrer Zeit. Sie haben das politische und religiöse Establishment gereizt. Sie gingen ihren Zeitgenossen auf die Nerven mit ihrer maßlosen Kritik wie mit ihrer überschwänglichen Hoffnung. Sie taten das, weil sie selbst von der fraglosen religiösen Gewissheit und vor allem der sozialen Gleichgültigkeit ihrer Eliten genervt waren. Weil sie Gott als größer erfahren hatten als das, was die Zeitgenossen aus ihm gemacht hatten. So haben sie manche Gemütlichkeit zerstört. Dafür wurden sie gehasst und manchmal verfolgt.

Und es gab Menschen, die sich nerven ließen. Sie haben in diesen Worten Halt gefunden, Trost im Zusammenbruch, Stärkung beim Weiterleben trotz größter Katastrophen. Sie konnten ihren Schrei nach Gerechtigkeit endlich in Worte fassen. Ihre Sehnsucht nach Erlösung hatte fortan Hoffnungsbilder wie die Verarbeitung der Schwerter zu Flugscharen. Noch Jahrtausende später erwiesen solche Bilder ihre Kraft, zum Beispiel als ein Symbol der friedlichen Revolution in der DDR.

Dies ist ein erbauliches Buch für kritische Geister. Ihnen wird kein Denkverzicht zugemutet. Wohl aber die Einsicht, dass man Gründe der Hoffnung nicht einfach erfinden kann. Man muss sich auf sie einlassen. Kein noch so kritischer Geist kann ohne Vertrauen leben. Aber nicht alles ist vertrauenswürdig. Und davon handelt die Prophetie: Was oder wer ist schlechthin vertrauenswürdig? Was lässt uns trotz allem Hoffnungsmenschen sein?

Sebastian Rink lässt uns teilhaben an seinen Lernerfahrungen mit den Propheten. Den Leser*innen dieses Buches wünsche ich: Mögen Sie sich nerven lassen! Mögen Sie bereit sein für die Zumutung, dass das eigene Gottesbild beziehungsweise das Fragen nach Gott durch die Botschaft der Propheten herausgefordert wird. Mögen Sie sich der Einsicht aussetzen, dass Gott uns nicht gehört. Und mögen Sie die Erfahrung machen, dass Gott sich durch diese Erfahrung hindurch Gehör verschaffen kann – damals und heute.

Wenn Gott reklamiert

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