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Hosea reklamiert die Religion

Lust auf einen Ohrwurm? Dann los: „I was made for lovin’ you …“ (Ich bin da, um dich zu lieben). Ein 40 Jahre alter Klassiker der Rockgeschichte, gespielt von der Band KISS. Die vier maskierten Musiker gingen 2019 nach über 45 Bühnenjahren auf eine letzte Abschiedstournee. Kurz vor der Abfahrt schaffte es Bassist Gene Simmons mit einer spannenden Aussage in die Schlagzeilen: „Wenn du die Welt vereinen willst, gründe mehr Rockbands, nicht politische Parteien und Religionen.“4

Mehr Rock, weniger Religion, das ist mal interessant! Und mit dem Wurm im Ohr sind wir mittendrin im ersten von zwölf Prophetenbüchern, denn Hosea reklamiert die Religion. Was dieses Buch und der Song von KISS gemeinsam haben? Mindestens so viel, dass es bei beiden allem Anschein nach um Sex geht. Hatte ich schon erwähnt, dass manche der Prophetentexte mindestens FSK 16 sind? Dafür darf ich natürlich jegliche Verantwortung auf die Bibel schieben. Bei KISS geht es um eine Nacht, in der sich die Liebe mit voller Kraft entlädt. Bei Hosea spielt die Familienplanung eine maßgebliche Rolle, wenn Gott reklamiert. Denn Sex wird zur zentralen Metapher und zum bevorzugten Kommunikationsmittel für das Verhältnis zwischen Gott und Menschen. Oder kurz: Hoseas Fortpflanzung wird zum bedeutungsschwangeren Bild für das, was Religion ausmacht. Klingt komisch, ist aber so … allerdings beschäftigen wir uns in diesem Kapitel nur mit dem Ergebnis dessen, nicht mit dem Vollzug.

Hosea: „Retten!“

Aber dazu kommen wir erst nach einem groben Überblick. Diese Überblicke werden uns in jedem Kapitel begegnen und sollen helfen, ein wenig in die fremde Geschichte der Texte einzutauchen. Denn wie gesagt sind es alte Texte, die wir uns mal mehr, mal weniger mühsam zu eigen machen müssen.

Hosea als Name klingt im Hebräischen wie ein Hoffnungsruf in dieses Szenario hinein: „Retten!“. Je nachdem, wie man den Namen herleitet, könnte er auch „JHWH hat gerettet!“ bedeuten. Namen werden in diesem Kapitel noch eine große Rolle spielen, aber dazu kommen wir später.

Das Hoseabuch ist erkennbar in zwei Teile gegliedert. Die ersten drei Kapitel erzählen in groben Zügen die merkwürdige Geschichte von Hosea und seiner Familie, genauer gesagt von einer symbolischen Handlung, die er durchführt, indem er Sex hat. Die Kapitel 4–14 geben dann die eigentlichen prophetischen Worte wieder.

Die Tätigkeit unserer ersten Prophetenfigur liegt der Erzählung zufolge etwa in den Jahren 760–747, also kurz vor der Zerstörung des Nordreiches, wo er selbst übrigens wirkt. Hosea blickt zwar auch immer mal wieder auf das Südreich Juda, diese Teile wurden aber vermutlich später hinzugefügt, als das Südreich das gleiche Schicksal ereilt hatte. Die Vernichtung des Nordens klingt hier und da schon deutlich an, sie wird aber nicht einfach dokumentiert, sondern gedeutet und mit den Verfehlungen des Volkes begründet.

Etwas präziser formuliert geht es um die Verfehlungen der religiösen Elite, der Priesterschaft (Hosea 4,2). Das Hoseabuch nimmt im Großen und Ganzen betrachtet die fromme Praxis ins Visier, also die Art und Weise, wie das Volk mit Gott umgeht. Der Prophet wirft ihnen vor, dass sie mit anderen Göttern geflirtet haben, offenbar weil sie nicht verstehen, wie Gott eigentlich ist. Statt das Wesentliche einzusehen, halten sie sich mit religiösen Nebensächlichkeiten auf, halten ihre Opferrituale und dergleichen für wichtiger als das, was eigentlich wirklich wichtig ist: Gott selbst. Kein Wunder für Hosea, dass das einen Sittenverfall zur Folge hat. Das klingt dann etwa wie folgt:

Hosea 4,1–2: Hört das Wort G*ttes, Kinder Israels, denn G*tt hat einen Streit mit den Bewohner*innen des Landes. Denn es gibt keine Treue, es gibt keine Liebe, es gibt keine Erkenntnis Gottes im Land. Fluchen, Lügen, Morden, Stehlen, Untreue – das bricht sich Bahn und Bluttat reiht sich an Bluttat.

Was ist Religion?

Damit steht so einiges im Raum, und in all dem reklamiert Hosea die Religion. Das ist natürlich kein Titel, der sich aus dem Buch selbst ergibt, denn die Texte sind älter als der ohnehin schwierige Begriff der Religion.5 Es ist lediglich eine bzw. meine Idee, das Buch einmal auf diese Weise zu lesen, mit Blick auf die Religion.

In der Zeit der Propheten lässt die sich aber nur schwer von anderen Lebensbereichen unterscheiden, weil sie alles durchdringt. Jede Kultur und Politik ist in einem einfachen Sinne immer auch religiös und enthält einen göttlichen Bezug. Dafür braucht es demnach auch kein eigenes Wort. Das Hoseabuch unter diesem Titel zu betrachten, ist daher ein wenig geschummelt, denn wir lesen den antiken Text mit einer modernen Brille. Das bedeutet unter anderem, dass wir nicht einfach das sehen, was ursprünglich gemeint war, sondern dass wir bewusst nach dem suchen, was gegenwärtig bedeutsam sein könnte.

Es stellt sich aber noch die Frage, was Religion eigentlich ist. Die Fülle der Möglichkeiten macht es nicht gerade leicht, die Frage zu beantworten, weil uns ganz unterschiedliche Prägungen damit verbinden. Für mich ist Religion, wenn Menschen dem Unergründlichen im Leben begegnen; wenn sie vor der Unendlichkeit staunen, sich von den Höhen des Daseins bewegen lassen und wenn sie vor den Abgründen erschrecken. Anders gesagt: Religion ist, wenn Menschen mit Gott in Berührung kommen. Das soll unsere Brille sein. Meine These über das Hoseabuch ist, dass es genau darum geht: Ob und wie Menschen in Berührung mit dem Göttlichen kommen, woran man das Göttliche erkennt und dass man es durchaus auch mit anderem verwechseln kann.

Hosea und die Liebe

Aber nun endlich zum Propheten. Nach ein paar Hintergrundinformationen steigt das Buch steil ein, indem es Gott zu Hosea sagen lässt:

Hosea 1,2: Geh und nimm dir eine Hure zur Frau und (zeuge) Hurenkinder …

Oha. Gemeint ist mit der Hurerei übrigens keine Prostitution im engeren Sinne, sondern eher eine sexuelle Zügellosigkeit. Die Bibel in gerechter Sprache übersetzt z. B.: „eine, die es mit vielen treibt“.6 Wir erinnern uns und lesen es vor allem als Metapher für die Beziehung zwischen Gott und dem Volk. Dem merkwürdigen Auftrag folgt die Begründung auf dem Fuß:

Hosea 1,2: … denn das Land hurt herum, weg von G*tt.

Irgendetwas im Verhältnis zwischen Gott und den Menschen scheint nicht zu stimmen. Durch unsere Brille betrachtet: Die Religion scheint aus dem Ruder gelaufen zu sein. In der Sprache des Hoseabuches: Die Menschen haben offenbar vergessen, zu welchem Gott sie eigentlich gehören und was sie an dieser Gottheit haben.

Hosea lässt sich den Auftrag zum Kinderzeugen nicht zweimal sagen und tut es dreimal. Ziel der Aktion ist es, den Kindern ganz bestimmte Namen zu geben, um die religiöse Schief­lage des Volkes zu verdeutlichen. Ein ziemlich skurriler Grund zur Fortpflanzung. Nehmen wir es mal so hin. Der erste Name ist Jesreel. Der ist schwierig zu deuten, soll aber jedenfalls das Ende des Nordreichs andeuten. Das passiert bekanntlich etwa 25 Jahre nach Hosea im Jahr 722. Für uns interessanter sind die beiden anderen Namen, die uns ab jetzt begleiten werden. Das zweite Kind soll Lo-Ruhama heißen, „kein Erbarmen!“, und das dritte Lo-Ammi, „nicht mein Volk!“.

Die Namen klingen an sich schon ein wenig außergewöhnlich, genau betrachtet sind sie sogar spektakulär. Denn man muss sich einmal bewusst machen, was hier passiert. Wenn die Namen eine Botschaft transportieren, dann ruft hier der Gott des Erbarmens: Schluss mit dem Erbarmen! Und der Gott dieses Volkes schreit heraus: Ihr seid nicht mehr mein Volk! Als würde der Papst sagen: „Ich glaube eigentlich an gar nichts.“ Und Uli Hoeneß ließe verlauten: „Der FC Bayern ist nicht mehr mein Verein!“ Oder so. Etwas in diese Richtung lässt das Hoseabuch Gott sagen. Spürst du diesen Widerspruch? „Kein Erbarmen“, ruft der Gott des Erbarmens seinen Menschen zu. „Nicht mein Volk!“, ruft die Gottheit, die sich gerade dieses Volk ausgesucht hatte. Was passiert hier?

Hier haben sich zwei auseinandergelebt, Gott und Mensch. Entfremdung könnte man das nennen. „Passiert!“, könnte man denken. Aber die Tragik ist, dass die zwei gar nicht ohneeinander können. Die Menschheit hat sich auf tragische Weise von dem entfremdet, was ihr überhaupt erst das Leben ermöglicht. Der Mensch hat sich vom Ursprung seiner Existenz entfernt. Das, was den Grund seines Daseins ausmacht, ist dem Menschen fremd geworden.

Entfremdung. Vielleicht könnte man Hosea so lesen. Das Buch erzählt mir dann davon, wie Gott den Menschen fremd geworden ist. Und im Umkehrschluss erinnert es mich an das, was wesentlich zum Leben ist. Besonders im Sinne der Reklamation: Was ist eigentlich grundlegend für meine Religion? Was ist entscheidend für meine Begegnung mit Gott? Wie glaube ich?

In mancher kirchlichen Tradition haben wir diese Frage ein bisschen verlernt. Man hegt dann den Wunsch, die ganze Bibel in all ihren Bruchstücken möglichst ernst zu nehmen und bloß kein Krümelchen unter den Tisch fallen zu lassen. Das ist ja zunächst ein äußerst ehrenwertes Anliegen. Aber die Kehrseite ist, dass plötzlich alles gleich wichtig ist, selbst die widersprüchlichsten Dinge müssen dann irgendwie zusammenstimmen. Und im Kampf um den Krümel vergessen wir den Kuchen. Oder das Brot. Wir fragen nicht mehr, wie wir Gott überhaupt und eigentlich glauben.

Die Namen der Prophetenkinder erzählen mir davon, dass Gott nicht irgendwie ist, sondern dass Gott so eine Art Charakter hat. Sie rufen mir in Erinnerung, dass es tatsächlich Seiten am Göttlichen gibt, die wichtiger sind als andere. Manches steht im Fokus, anderes bleibt dahinter unscharf, ohne völlig zu verschwinden. Ein bekanntes Beispiel ist dieses: Wenn man sagt, dass Gott vor allem anderen die Liebe ist, dann kann es passieren, dass ein „Aber“ folgt. „Ja, Gott ist Liebe, aber Gott ist auch gerecht!“ Oder was auch immer nach dem „Aber“ folgt. Mit Lo-Ruhama und Lo-Ammi könnte und will ich auf das „Aber“ antworten: Mag sein. Es mag sein, dass das Göttliche mit Liebe zu einseitig oder wenigstens zu einfach beschrieben ist. Aber es ist das, was ich scharf sehen kann, eine Liebe, die sich in Erbarmen und Gemeinschaft auslebt! Ich verliere gern manch andere Schattierung meiner Vorstellung von Gott, solange mir diese Liebe bleibt.

Hoseas Kinder erzählen mit ihren Namen von zwei Fluchtpunkten im Gottesbild, auf die alles zuläuft und an denen sich alles andere orientiert: Sie erzählen von Erbarmen und Gemeinschaft. Kann man Hosea so lesen? Vielleicht. Wenn es geht, dann lässt sich der Gedanke mit den beiden Namen weiter durchbuchstabieren: Kein Erbarmen, weil der Gott des Erbarmens fremd geworden ist. Weil die Gottheit des Erbarmens mir selbst manchmal so fremd ist. Kein Erbarmen, weil ich es gar nicht mehr (von Gott) erwarte.

Manchmal kann und will ich mir nicht vorstellen, dass das göttliche Erbarmen unendlich ist. Mir fehlen Sinn und Geschmack für diese erbärmliche Unendlichkeit, weil mein Erbarmen und mein Wunsch nach Gemeinschaft sehr enge Grenzen haben. Ja, manchmal will ich Gott lieber genau so reden hören, wie Hosea ihn sagen lässt:

Hosea 2,8: Also umzäune ich ihren Weg mit Dornen und mauere sie komplett ein, damit sie ihren Pfad nicht findet.

Das Miteinander bekommt spitze Stacheln, wo wir uns vom Erbarmen lossagen. Irgendwann lebe ich wie eingemauert, wenn ich die Gemeinschaft aufgebe. Davon reden die Namen der Kinder: „Kein Erbarmen“, weil der Gott des Erbarmens fremd geworden ist. „Nicht mein Volk“, weil der Gott, der eigentlich auf unserer Seite ist, fremd geworden ist. Stein um Stein hat sich eine Mauer zwischen Menschen aufgebaut und sie von der Nachsicht entfremdet, die doch jeder Mensch zum Leben braucht.

Irgendwann sehen Menschen ihren Gott nicht mehr an ihrer Seite. Dann ruft ein göttlich-ablehnendes „Nein“ uns oft lauter zu als das göttlich-annehmende „Ja“. Weil die Anklage meines Lebens mich lauter anschreit als jeder Trost. Weil mir Gott plötzlich nicht mehr ein „Ich bin da“ ist, sondern ein „Ich bin dann mal weg“. „Nicht mein Volk“, weil der Gott, der doch eigentlich an unserer Seite ist, fremd wirkt.

Wenn Hosea die Religion reklamiert, dann ruft er nach der Überwindung der Entfremdung. Dann reklamiert der Prophet, sich wieder dem Wesentlichen zuzuwenden und Gott zu erkennen, wie es immer wieder im Text heißt: als Kraft, die sich erbarmt und immer auf der Seite des Lebens steht. Auf unserer Seite! Auf deiner Seite!

Stattdessen laufen Menschen allen möglichen Versprechungen hinterher und erwarten sich das pralle Leben von ihnen.

Hosea 2,7: Ja, ihre Mutter hat rumgehurt! Die, die sie geboren hat, hat Schande über sich gebracht, denn sie sagte: „Ich will meinen Liebhabern nachlaufen, die mir Wasser und Brot geben, Wolle und Leinen, Öl und Getränke.“

Leider laufe ich mit. Warum rennen wir als Menschheit so wild umher, suchen die Befriedigung unserer Sehnsüchte in allerlei Besitz und Profit, in Kapital und Wachstum? Es scheint fast so, als klammerten wir uns allein an das, was uns wirtschaftlich über Wasser hält. Der Markt regelt sich und rettet uns. Wer soll das glauben?

Hoseas Idee von der Religion verschiebt die Prioritäten radikal, nämlich genau hierhin: zu Nachsicht und Zusammenhalt. Die Glaubensvariante Hoseas vergöttert solche „soft skills“ geradezu. Sie baut darauf, dass es nicht nur eine zweite und dritte Chance gibt, sondern unendlich viele. Wie gern möchte ich mein eigenes Leben an diese Gottheit binden, die immer auf unserer Seite steht. Die uns in einem Erbarmen begegnet, das manchmal unerträglich ist. Die uns mit einer unendlichen Gnade behandelt, wie wir sie uns selbst nur selten zugestehen würden. Eine Gottheit, die genau so klingt:

Hosea 11,9: Ich will die Flammen meines Zorns nicht anfachen, Ephraim nicht noch einmal vernichten – denn ich bin eine Gottheit und kein Mann, in deiner Mitte heilig, und komme nicht in glühendem Zorn.

Darf das mein Gott sein? Lassen wir diese Idee das Wesen unserer Religion sein? Ist das die Erwartung, mit der ich nach dem Göttlichen suche? Ist das meine Glaubenshypothese? Das Hoseabuch scheint zu ahnen, dass darin die faszinierende Kraft des Göttlichen liegt. So will ich es jedenfalls lesen, wenn Hosea sagt:

Hosea 11,10: Sie werden G*tt nachgehen, wie ein Löwe brüllt er. Wenn er brüllt, zittern die Kinder vom Meer herbei.

Zitternd, weil das kaum zu glauben ist. Ein bisschen skeptisch, weil die Nachsicht uns eben fremd ist. Zweifelnd, weil ich das Göttliche nicht unbedingt auf meiner Seite vermute. Aber die Kinder Gottes kommen, und ich will mit ihnen zu diesem Gott des Erbarmens kommen, zum Gott auf meiner Seite.

Brüder und Schwestern

Es steckt sogar noch ein bisschen mehr drin: Wenn Hosea die Religion reklamiert, dann hofft er darauf, dass die Brüder wieder „Mein Volk“ heißen und die Schwestern „Erbarmen“.

Hosea 2,3: Ihr sollt eure Brüder „Mein Volk“ ­nennen und eure Schwestern „Erbarmen“!

Der Prophet hofft, dass Gott wieder ganz genauso im Land bekannt ist, wie Gott sich selbst vorgestellt hat: als Erbarmen, als Gott aufseiten der Menschen. Die Stimme des Hoseabuches schreit die Hoffnung heraus, dass die Entfremdung vom Leben überwunden wird.

Mit Hosea hoffe ich selbst, dass mir immer neu wichtig wird, was wirklich dem Leben dient. Und wenn ich Hosea mal ganz hart auf diese beiden Namen seiner beiden jüngeren Kinder reduziere, dann dient es dem Leben, wenn Menschen sich mit nachsichtigem Erbarmen begegnen. Wenn wir den Menschen und uns selbst nicht immer und immer wieder vorhalten, was uns misslingt, was uns geschieht und was wir womöglich sogar absichtlich verbocken. Meine Hoseahoffnung ist, dass wir auch die zum „Volk“ zählen, die uns fremd sind, weil wir uns in aller Unterschiedlichkeit als ein Menschenvolk verstehen lernen, weil wir Geschwister sind. Das ist nicht leicht und funktioniert nicht automatisch. Womöglich ist es sogar Utopie, ein Nicht-Ort, aber:

Hosea 2,1: So wird es sein: Am Ort, wo man zu ihnen sagte „Nicht mein Volk!“, wird man zu ihnen sagen: „Kinder des lebendigen Gottes!“

Und es geht noch weiter:

Hosea 2,2: Und die Kinder Judas und die Kinder Israels werden sich zusammenraufen.

Die aus dem Norden und die aus dem Süden. Hier wird ein Idyll gebaut, in dem die Völker sich mit Erbarmen begegnen. Das klingt nach Träumerei … aber stell es dir mal vor! „Imagine“, wie John Lennon singt.7

Ein letzter, hoffentlich abrundender Gedanke: Hosea reklamiert die Religion. Doch das Zusammenkommen von Menschen und Völkern selbst ist kein religiöser Vorgang, denn er ist endlich. Er lässt sich in Verträgen festhalten, in Zahlen und Zeiten messen und so weiter. Erbarmen an sich ist nicht Religion, Solidarität an sich ist es nicht. Sondern Religion ist das unendliche Staunen darüber, dass Erbarmen passiert! Religion ist die Ahnung einer unendlich geheimnisvollen Kraft, die das Zusammenkommen gelingen lässt! Religion ist der Ausdruck dafür, dass wir einen Sinn dafür und einen Geschmack davon bekommen haben, was geschehen kann, wenn Gott reklamiert.

Ob Gene Simmons von KISS recht hat, dass Rockbands die Welt besser vereinen als die Religionen, sei dahingestellt. Oft stimmt es wohl wirklich. Aber mit einer Sache hatte er ganz sicher recht: Menschen sind tatsächlich gemacht, um zu lieben. „I was made for loving you“. Ganz bildlich gesprochen, würde Gott vielleicht selbst so etwas singen. Das klingt aus göttlichem Mund dann so:

Hosea 6,6: Ja, an der Liebe habe ich Gefallen, aber nicht am Opfer; an der Erkenntnis Gottes mehr als am Brandopfer.

Wenn Hosea die Religion reklamiert, dann reklamiert er genau das: das Wesentliche zu erkennen und über das Unendliche zu staunen. Der prophetische Aufruf an die Religion lautet, die Liebe Gottes zu leben, die sich in einem Miteinander voller Nachsicht zu erkennen gibt. Daran wird sich auch beim großen Propheten des Neuen Testaments nichts ändern, das gilt es zu lernen und zu begreifen (Matthäus 9,13; 12,7). Denn so geht Religion.

Ob wir dem Hoseabuch damit so ganz gerecht werden? Vermutlich nicht. Aber das wäre okay, wenn uns der Gott des Erbarmens und der Gott der Gemeinschaft ein bisschen weniger fremd geworden ist.

Wenn Gott reklamiert

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