Читать книгу Esplanada - Sebastian Teruel - Страница 5
ОглавлениеKapitel 1
Losgegangen war ich bei bestem Sonnenschein, wollte auf der Esplanada sehen und gesehen werden, lesen und mich dabei betrinken.
Esplanada? Ja richtig… ›die Esplanada‹. Eine Bar mit einer großen Terrasse auf dem breiten Gehweg. Die Terrasse, umgrenzt von großen Steinkübeln mit Grüngewächsen, ist in der Sommerzeit gewissermaßen mein Wohnzimmer, Garten und Balkon, wenn ich es in meiner Ein-Zimmer-Wohnung nicht mehr aushalte, was sehr häufig vorkommt. An der Außenwand des Gebäudes sind Zweier- und Dreiersitzbänke angeschraubt, davor stehen Tische für zwei bis sechs Personen und weitere Tische und Stühle. Großartig ist der kleine Stadtpark gegenüber auf der anderen Straßenseite. Eine grüne Oase zwischen schönen fünfstöckigen Häusern, die im Gründerzeitstil um 1900 gebaut wurden und die sich beinahe alle im gut sanierten Zustand befinden. Großartig deshalb, da der Park Richtung Westen liegt und die Sonne an Sommerabenden noch lange durch die Bäume auf die Terrasse der Esplanada scheint.
Ein wunderbarer Ort, um sich ein wenig nutzlos-sinnend aller Getriebenheit des Tages zu entziehen. Ein Ort für gute und hoffnungsvolle Gedanken.
Aber des ›Schicksals Rad‹, der ›Lauf der Dinge‹, ließen mein Vorhaben entgleisen. Kaum hatte ich Platz genommen und ein schöner Abend sollte beginnen, als …
»Willst du nicht lieber rein? Regnet gleich«, empfahl mir die äußerst freundliche Bedienung, wie ich den Kerl nenne, der an den meisten Tagen des Sommers auf der Terrasse bedient. Ein hoch gewachsener, stets freundlicher Schlacks. Wir kennen uns seit vielen Jahren und machten uns oft einen Jux daraus, den anderen hin und wieder nicht zu ernst zu nehmen. Ich sah den blauen Himmel und die äußerst freundliche Bedienung an.
»Blödsinn, das Wetter bleibt so!«
»Ich glaube eher nicht, aber wenn du das sagst.«
»Was soll der Unsinn, hier den Wetterfrosch zu spielen? Das wird ein wunderbarer Abend!«
Dass meine Weisheit den Göttern gleich und der eines Wetterfroschs weit überlegen sein müsse, war die entschuldigende und folgerichtige Antwort der äußerst freundlichen Bedienung.
»Na also.«
***
Zwanzig Minuten später goss es in Strömen. Kein majestätisches Gewitter mit blitzenden Lichtgewalten, durchschlagendem Donner und tanzenden Baumkronen im Wind, welche die Mächte und Möglichkeiten dieser Welt bejubelten und am Himmel den Beweis für die Kraft des Lebens und des Seins belegten. Kein sommerlich-energievoller Ausbruch eines gewaltigen Wettergottes. Wahrlich nicht.
Dieser Regen war anderes. Er verdrängte den schönen Frühlingstag mit einer unangenehmen kalten Luft und prasselte aus einer schrecklichen grau-schwarzen Wolkendecke herunter, die so tief lag, dass von einem Himmel nicht mehr die Rede sein konnte. Erdrückend und ohne Erhabenheit eines Unendlich-Großen, eine entmutigende, schwer geduckte Niedrigkeit.
Einen Himmel gab es nicht mehr. Der beunruhigende Eintrag von Galileo Galilei in seinen Aufzeichnungen vom 10. Januar anno 1610 – als er zu wissen meinte, die Welt drehe sich um die Sonne – »Himmel abgeschafft«, wurde zur Wahrheit.
Ein abgeschaffter Himmel ist keine tröstliche Vorstellung, auch wenn sie dem einen oder anderen als Wahrheit gilt – schön ist sie nicht, diese Vorstellung. Wie oft ist das Leben der Menschen traurig und bedarf des Trostes? Was nützt die reine Wahrheit, wenn doch Trost gebraucht wird?
Nun, statt beim Lesen in einem Straßencafé an einem kleinen Tischchen zu sehen und gesehen zu werden, saß ich allein, geflüchtet vor Kälte und Regen, im Innenraum der Bar an einem für eine Person viel zu großen Tisch. Was auf der Terrasse der Esplanada bei Sonnenschein wohl Sinn machte, war jetzt ein wenig lächerlich geworden.
Den Stiel des Weinglases mit meiner linken Hand fest umklammernd, starrte ich angestrengt auf das vor mir aufgeklappte, schon ein wenig zerfledderte Buch. Eine einsame Kerze auf dem Tisch war natürlich kein geeignetes Licht zum Lesen.
In der Bar brannte die spärliche Beleuchtung und ein paar Kerzen, albern und mit einem deprimierenden Ergebnis, gegen das trübe graue Tageslicht an. Der Raum war kalt und ungemütlich. Rauchschwaden zogen wie müde, freudlose Geister umher, die zu einer viel zu frühen Stunde aufgewacht waren. Die fröhliche und viel zu laute karibische Musik wollte – oh Wunder! – an einem verregneten Nachmittag nicht wirklich passen.
An den anderen Tischen, kunterbunt mit ungleichen Stühlen, Sesseln und Sofas umstellt, saßen in kleinen Grüppchen wenige andere Gäste, die trotz der trübsinnigen Atmosphäre erstaunlich gut gelaunt waren und das Beste aus dem frühen Abend zu machen schienen. Vor dem Tresen saßen auf Barhockern zwei weitere Gäste, sich lautstark unterhaltend.
Warum ging ich nicht nach Hause, legte mich in ein heißes Schaumbad und las dort gemütlich weiter?
Weil ich zwanzig Minuten zuvor beim Wetterfrosch zur Unterstreichung meiner göttergleichen Weisheit nicht nur ein Glas, sondern eine ganze Flasche Wein bestellt hatte.
Ich zuckte die Schultern, goss aus der halb vollen Flasche nach und beobachtete ein wenig niedergeschlagen das Geschehen. Ganz anderes die äußerst freundliche Bedienung. Elegant und galant wie immer navigierte er zwischen Tresen und Tischen hin und her. Er unterhielt sich freundlich mit den Gästen und war bemüht, alle bei Laune zu halten.
In den nächsten Stunden las ich, beobachtete und leerte nach und nach den Wein. Die Bar leerte sich an diesem Abend schnell und als die äußerst freundliche Bedienung eine erste Pause machen konnte, setzte er sich wie so oft mit einem Whisky zu mir. Ich packte mein Buch in meine Umhängetasche und wir erzählten uns alte und neue Geschichten.
Als kein anderer Gast mehr da war, begann die äußerst freundliche Bedienung den Tresen sauber zu machen. Ich hatte mich auf einen der Hocker gesetzt. Im vertrauten Schweigen alter Freunde gaben wir uns der Stille eines frühen regnerischen Abends hin. Ich wurde müde.
Ich zahlte und wir drückten uns herzlich zum Abschied.
***
Das nasskalte Regenwetter war weiter gezogen, ein wenig Wärme trotz der aufgeklarten Nacht zurückgekehrt. Wie unsichtbare Fußspuren waren die Sonnenstrahlen des Tages auf den Straßen und Häuserwänden zurückgeblieben. Die vom Regen feuchten Gehwege und Wände dampften nebelartig in den Lichtkränzen der Straßenlaternen. Es war schön und unheimlich zugleich. Ja, die Welt schlief tief und fest.
Der Nachthimmel war eine tiefblaue Unendlichkeit, der kurze Weg nach Hause wie gemacht für tröstliche und hoffnungsvolle Gedanken.
Ich atmete tief ein und schlenderte den Gehweg entlang.